Tiere

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Hessischer Rundfunk
hr2-kultur
Redaktion: Dr. Karl-Heinz Wellmann
Wissenswert
Alles wandert – Migration als Prinzip des Lebens (3)
Tiere
Von Diemut Klärner
Mittwoch, 20.02.2008, 08.30 Uhr, hr2-kultur
Sprecherin:
Sprecher:
08-030
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Seite 2
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Atmo Kolkraben
Sprecherin
Vögel sind seit alters her ein Sinnbild für grenzenlose Mobilität. Schließlich können
sie selbst breite Flüsse und hohe Berge mühelos überqueren. Wenn Vögel neues
Terrain besiedeln, sind sie aber nicht unbedingt raumgreifender als Bodenbewohner.
Das zeigen beispielsweise die Kolkraben – die großen Verwandten der sehr viel
kleineren Rabenkrähen. Die echten Raben sind so groß wie ein Bussard und sind
allmählich wieder im Kommen: auch da, wo sie lange nicht mehr zu hören waren.
Atmo Kolkraben
Sprecherin
Raben haben eine klangvolle Stimme, doch ihr Ruf war lange Zeit miserabel. Zeigten
sie doch eine unappetitliche Vorliebe für Aas, und sie trieben sich zudem gerne
am Richtplatz, dem Rabenstein herum. Solchen Galgenvögeln traute man allerhand
Schlechtes zu....
O-Ton 01
(Dieter Wallschläger)
....dass sie mit Hexen zusammenarbeiten und böse Sachen ankündigen und ähnliche
Dinge. Und das hat also dazu geführt, dass man die Raben immer verfolgt hat.
Und in Mitteleuropa, insbesondere in Deutschland, war es so, dass etwa um 1920
die Kolkraben total ausgerottet waren, es gab noch ein paar Brutpaare in
Schleswig-Holstein und im Voralpengebiet.....
Seite 3
Sprecherin
....als letzte Überreste einer einst in ganz Deutschland verbreiteten Rabenpopulation.
Professor Dieter Wallschläger von der Universität Potsdam weiß aber auch, wie die
Kolkraben wieder eingewandert sind. Seit sie unter gesetzlichem Schutz stehen, haben
sie verlorenes Terrain allmählich zurückgewonnen.
Atmo Raben 2
O-Ton 02
(Dieter Wallschläger)
Das hat erst mal damit begonnen, dass die Raben von Schleswig-Holstein und aus
Osteuropa wieder vorgedrungen sind, die haben also Mecklenburg besetzt,
Brandenburg besetzt, flächendeckend war das schon Mitte der 70er Jahre ungefähr
der Fall, des letzten Jahrhunderts. Und nun breitet sich der Rabe immer weiter
südwärts aus. Es gibt noch mehr oder weniger weiße Flächen, also Rheinland-Pfalz
hat erst sehr wenige Brutpaare, auch Hessen ist nicht allzu stark von Raben
frequentiert bisher.
Sprecherin
Zwar ist Nordhessen schon dicht besiedelt, doch weiter nach Süden dringen die
Raben nur langsam voran. {{ Und vom Voralpenraum wandern die Raben nicht weiter
nach Norden: Vermutlich deshalb, weil sie im Gebirge ihre Nester stets auf Felsen
errichten.
O-Ton 03
(Dieter Wallschläger)
Die brüten also nur dort, wo sie selbst im Nest gesessen haben. Die kennen also
Felsen, und deswegen können die eigentlich nur im Voralpenraum genügend Brutplätze
finden und breiten sich nicht weiter aus.
Atmo Raben 1
Seite 4
Sprecherin
Artgenossen im Norden und Osten bauen ihre Nester dagegen auf Bäumen. Und
Bäume gibt es hierzulande fast überall. Trotzdem lassen sich die Raben mit der
Wiederbesiedelung viel Zeit. }}
O-Ton 04
(Dieter Wallschläger)
Diese Ausbreitung geht relativ langsam vor sich. Also wir haben das selbst mal
analysiert. Das sind im Jahr nicht mehr als 10, 15 Kilometer, die sich der Rabe
ausbreitet.
Sprecherin
Bis die Raben ganz Deutschland wieder besiedelt haben, wird es also noch eine
Weile dauern. Dabei ist der Nordosten längst überbevölkert.
O-Ton 05
(Dieter Wallschläger)
Die Überbevölkerung kommt dadurch zustande, dass ein brütendes Kolkrabenpaar
ein Revier besetzt und es auch verteidigt, ganzjährig. Da werden dann keine anderen
Raben reingelassen.
Sprecherin
Und wenn die Raben kein Revier besetzen können, dann können sie auch kein
Nest bauen, obwohl sie alt genug wären, um Nachwuchs zu zeugen.
O-Ton 06
(Dieter Wallschläger)
Und diese Vögel, die nun nicht brüten, die sind ja aber da. Und die bilden große
Nichtbrüter-Schwärme, man hat früher häufig Junggesellen-Schwärme dafür gesagt,
aber es sind nicht nur männliche Tiere, sondern auch weibliche Tiere ...
Seite 5
Sprecherin
... die da ohne festen Wohnsitz umherstreifen, immer auf der Suche nach ergiebigen
Futterquellen. Einzelne Tiere legen dann auch mal weite Strecken zurück. Attraktive
Nahrungsquellen sind durchaus auch Mülldeponien. Für Rabenforscher wie Dieter
Wallschläger sind sie deshalb lohnende Beobachtungsplätze.
O-Ton 07
(Dieter Wallschläger)
Wir haben also über viele Jahre auf Mülldeponien Vögel mit Flügelmarken versehen,
das sind also farbige Plastikstücken, die an den Flügel befestigt werden, wo eine
Buchstaben- und Zahlenkombination draufsteht und die sehr auffällig ist. Nun sind
Mülldeponien für Ornithologen eigentlich keine beliebten Beobachtungsorte. Erstens
riecht es da meistens unangenehm, und es sind da auch nicht allzu viele interessante
Vogelarten drauf zu sehen. Und deswegen bekommt man da nicht Unmengen von
Meldungen zurück. Aber die Meldungen, die wir bekommen haben, sind zum Beispiel
genau im Widerspruch zu dem, was wir über die Ausbreitung wissen. Also da geht
es nicht nur 10 oder 15 Kilometer, sondern da kann es durchaus mal passieren,
dass ein Kolkrabe, der in der Nähe von Potsdam beringt worden ist, drei Tage
später in der Lüneburger Heide in einem Wildpark zu finden ist, wo es auch wieder
genug zu fressen gibt. Der kann dann auch meinetwegen in Schleswig-Holstein
auftauchen und von SchleswigHolstein wieder nach Brandenburg zurückkommen.
Atmo Raben 2
Sprecherin
Wenn sie Glück haben, diese Kolkraben, dann erobern sie schließlich doch noch
ein Revier und werden sesshaft. Viele andere Vögel, darunter so populäre wie die
Nachtigall, wandern dagegen zeitlebens weite Strecken.
Atmo Nachtigall
Seite 6
Sprecherin
Nachtigallen pendeln regelmäßig zwischen ihrem Winterquartier im Süden und ihren
Brutplätzen im Norden. Doch nicht nur Zugvögel legen derart weite Strecken zurück,
sondern auch manche Schmetterlinge. Der bekannteste Wanderfalter ist wohl der
amerikanische Monarch, ein stattlicher Falter mit schwarz und orange gemusterten
Flügeln. Auf unsere Seite des Atlantiks verirrt er sich nur selten....
O-Ton 08
(Michael Schwerdtfeger)
.....aber wenn mal irgendwo für Werbezwecke ein Bild von einem Schmetterling
gebraucht wird, ist das in der Regel der Monarch. Das ist also einer, der in
Nordamerika seinen Sommer verbringt, und wo sich dann Millionen von Tieren im
Winter in Mexiko auf einigen wenigen Bäumen, in einem ganz eng begrenzten Gebiet
finden und dort den Winter verbringen, um im Frühjahr dann eben wieder loszufliegen.
Sprecherin
Dr. Michael Schwerdtfeger vom Botanischen Garten der Universität Göttingen. Er
kennt aber auch hiesige Wanderfalter, die weite Strecken zurücklegen.
O-Ton 09
(Michael Schwerdtfeger)
Manche kommen von sehr weit her, sogar aus Nordafrika oder aus Vorderasien,
also die Länder rund ums Mittelmeergebiet, wo es im Winter kühl und feucht ist
und wo sich die Raupen entwickeln, wo dann die Tiere im Frühjahr schlüpfen. Und
dann, wenn es im Sommer trocken wird und keine Futterpflanzen mehr da sind,
dann treten sie ihre lange Reise nach Mitteleuropa und teilweise sogar nach
Nordeuropa an. Also man kann durchaus in Dänemark und sogar teilweise auf Island
Falter finden, die, sagen wir mal, in der Türkei geschlüpft sind.
Seite 7
Sprecherin
Nördlich der Alpen wächst auch im Sommer noch reichlich Futter für hungrige
Schmetterlingsraupen. Zum Beispiel Disteln für die Raupen des bunten Distelfalters.
Noch farbenprächtiger zeigt sich der Admiral. Seine schwarze Flügel sind mit weißen
Tupfen und roten Streifen verziert. Er muss ebenfalls nicht lange nach Futterpflanzen
suchen.
O-Ton 10
(Michael Schwerdtfeger)
Ja der Admiral gehört ja zu den Faltern, wo die Raupennahrung die Brennnessel
ist.
Sprecherin
Und davon gibt es hierzulande inzwischen wieder genug. Kein Wunder, dass der
Admiral fast überall beobachtet werden kann. Wenn die Raupen auf den Brennnesseln
herangewachsen sind und sich verpuppt haben, dann schlüpfen im Herbst wieder
neue Falter. Auch wenn nur noch wenige Blumen blühen, finden die jungen
Schmetterlinge reichlich süße Kost.
O-Ton 11
(Michael Schwerdtfeger)
Gerade die Admiräle, das ist richtig, die sieht man eigentlich kaum an Blüten, die
sieht man vor allen Dingen dann zur Erntezeit, wenn die Äpfel, die reifen und
überreifen Äpfel und Birnen, die dann braun werden und matschig werden, wenn
die unter den Bäumen liegen, oder gerade die Pflaumen, die dann ja auch meterweit
duften. Da kann man dann also oft 10 Admiräle dran sitzen sehen, ...
Seite 8
Sprecherin
... die sich an diesem Zuckersaft gütlich tun und Kraft sammeln für eine weite Reise.
Ehe es hierzulande ungemütlich kühl wird, fliegen viele Admiräle nach Süden. Dort
sind die Temperaturen auch im Winter so behaglich, dass die Falter Nachwuchs
produzieren können. Einige bleiben jedoch hier. In einem frostsicheren Unterschlupf
können sie auch bei uns bis zum Frühling ausharren. Das gelingt ihnen zwar nur
in besonders milden Wintern, aber solche Winter gibt es in letzter Zeit immer öfter.
Daher flattert immer öfter schon im März ein hier gebliebener Admiral durch den
Garten: lange bevor die Nachkommen der fortgezogenen Falter aus Südeuropa hier
ankommen. Wenn der Mensch das Klima weiter anheizt, werden wärmeliebende Tiere
zudem immer weiter nach Norden vordringen.
Atmo Wellen
Vielen Tierarten hat der Mensch aber auch ganz unmittelbar neue Wege gebahnt,
nicht zuletzt neue Wasserwege.
O-Ton 12
(Frank Klingenstein)
Das stimmt, weil Wasser hat keine Schranken, keine Ausbreitungsbarrieren eigentlich,
und wenn ich jetzt einen Kanal baue, oder in Deutschland eben als aktuellstes Beispiel
den Donau-Kanal durchgängig, dann kann ich natürlich als Organismus aus dem
Schwarzen Meer über die Donau, den Kanal in den Rhein, in die Nordsee. Und
dadurch herrscht gerade durch Kanalbauten da ein sehr freier Austausch. Oder denken
sie an Seeschifffahrt, das ist das gleiche. Auf der Schiffswand siedeln sich Organismen
an, meinetwegen im Pazifik, dann fährt das Schiff in den Atlantik, da werden die
Larven ausgestoßen, und schon sind die Organismen da, also da ist der Austausch
besonders intensiv.
Seite 9
Sprecherin
Frank Klingenstein beschäftigt sich beim Bundesamt für Naturschutz mit
verschiedenartigen Einwanderern. Wasserbewohner, die aus fernen Erdteilen
stammen, fallen gewöhnlich nicht weiter auf. Wer weiß schon so genau, welche
kleinen Krebstiere, Muscheln und Würmer unter dem Wasserspiegel leben. Ähnlich
unbekannt sind für Laien die meisten Insekten, die hierzulande eine neue Heimat
gefunden haben. Klein und unscheinbar, leben sie im Verborgenen. Es sei denn,
sie vergreifen sich an Nutzpflanzen oder Zierpflanzen.
O-Ton 13
(Frank Klingenstein)
Ein bekannter Fall, gerade jetzt in den letzten Jahren ist die Kastanienminiermotte
oder auch Biergartenmotte, die frisst also in den Blättern der Kastanien, dann werden
die braun und fallen ganz früh ab und es sieht aus wie Herbst im Sommer. Und
die wurde erstmals auf dem Balkan beschrieben, und da nimmt man auch an, dass
die nicht von da ist. Aber man weiß gar nicht, von wo sie gekommen ist....
Sprecherin
..... diese winzige bräunliche Motte mit hellen Querstreifen auf den Flügeln. Entdeckt
wurde sie erst 1984, auf dem südlichen Balkan, mitten in der Heimat der
Rosskastanie. Wahrscheinlich war diese Region aber gar nicht die ursprüngliche
Heimat des Schädlings; es gibt Vermutungen, die Kastanien-Miniermotte sei aus
Asien dorthin eingeschleppt worden. Kaum war sie als neue Art beschrieben, da
tauchte sie auch schon viel weiter nördlich auf. Bettina Johne vom Institut für
Forstzoologie der Universität Göttingen weiß, wann und wo.
O-Ton 14
(Bettina Johne)
1989 zum ersten Mal in Österreich aufgetreten, plötzlich, 1993 zum ersten Mal in
Deutschland, in Passau, und innerhalb von wenigen Jahren, also bis 2000 war bis
Schleswig-Holstein ganz Deutschland besiedelt.
Seite 10
Sprecherin
Mittlerweile ist die Kastanien-Miniermotte schon bis nach England und nach Schweden
vorgedrungen. Dass sie sich so schnell ausbreiten konnte, hat sie der Mobilität des
Menschen zu verdanken. In feuchten Kastanienblättern, die an Fahrzeugen kleben,
reist die Kastanien-Miniermotte oft viele Kilometer weit und findet neue
Kastanienbäume.
O-Ton 15
(Bettina Johne)
Man hat festgestellt, dass vor allen Dingen an vielbefahrenen Straßen die Alleebäume
immer befallen sind. An Bahnhöfen, also mit Zügen scheint sie auch ganz gut
verfrachtet zu werden.....
Sprecherin
.....und vom Bahnhof aus kann sich die Kastanien-Miniermotte über die ganze Stadt
verbreiten. Wenn die kleinen Motten an einem Kastanienbaum landen, sorgen sie
nämlich umgehend für Nachwuchs.
O-Ton 16
(Bettina Johne)
Die legen dann ihre Eier auf die Blätter, und die Eier sind nicht einmal einen Millimeter
groß. Die findet man einzeln an Blattadern auf der Blattoberseite, und dann schlüpfen
die Larven, bohren sich in das Blatt rein und legen dort Miniergänge an.
Sprecherin
Die winzige Raupe nagt sich durchs grüne Blattgewebe. Dabei zerstört sie etwa vier
Quadratzentimeter Blattfläche.
Seite 11
O-Ton 17
(Bettina Johne)
Und wenn Sie sich vorstellen, dass auf einem Blatt bis zu 200 Eier abgelegt werden
können, also auf einem Fiederblatt, dann können Sie sich ja vorstellen, dass das
sehr schnell verbräunt und sich auch nicht alle Larven entwickeln können, weil die
dann gegenseitig in Konkurrenz treten auf dem Blatt.
Sprecherin
Zuerst verfärben sich die Blätter im untersten Stockwerk der Baumkrone. Die
Kastanienminiermotte überwintert nämlich in welkem Laub auf dem Boden. Im Frühjahr
befällt sie deshalb zunächst die tief herabhängenden Zweige. Die folgenden
Generationen der Kastanienminiermotte – bis zu vier in einer Saison – streben dann
weiter in die Höhe. Schließlich bekommen auch die Blätter an den höchsten Zweigen
hässliche braune Flecken.
Atmo Vögel
Sprecherin
So dekorativ die Rosskastanien im Frühling blühen, seit der Miniermottenplage bieten
sie im Sommer meistens ein trauriges Bild. Nur wenn die Kastanienminiermotte partout
keine Kastanien findet, vergreift sie sich auch an anderen Bäumen.
O-Ton 18
(Bettina Johne)
Genau, wenn sie nichts besseres findet, geht sie auch an Ahorn. Und sie kann
dort auch minieren, sie legt Miniergänge an. Und sie kann sich bis zum erwachsenen
Tier vollständig entwickeln an Ahorn.
Seite 12
Sprecherin
Allerdings kann sie sich von Ahornblättern längst nicht so gut ernähren wie von
Kastanienlaub. Bei Ahornbäumen richtet die Miniermotte deshalb kaum Schaden an
– zumindest bisher.
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