Beispiele und Anwendungen von Zahlenfolgen Die Eulersche Zahl e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Seltene Ereignisse sollten nicht zu häufig stattfinden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Wurzelziehen nach Heron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Sparkassenformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Kettenbrüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Die Eulersche Zahl e Bei der Untersuchung von Zinseszins, d.h. auf die Zinsen werden wieder Zinsen berechnet, stellte L. Euler stellte folgende Überlegung an: • Eine Geldsumme 1E wird mit 100% pro Jahr verzinst, dann sind am Ende des 1. Jahres 2E zu zahlen. • Die gleiche Geldsumme 1E wird mit 50% halbjährlich verzinst, dann sind in 0, 5 Jahren 2 1 + 12 E zu zahlen und am Ende des 1. Jahres folglich 1 + 12 E = 1 + 2 · 12 + 41 E = 2 + 14 E > 2E. • Wird die gleicheGeldsumme 1E mit 25% verzinst, dann des vierteljährlich sind am Ende 4 1 2 1 3 1. Jahres 1 + 14 E = 1 + 2 · 41 + 16 E = 49 + 2 · 32 · 16 + 161·16 E = 2 + 14 + 16 + 1612 E zu zahlen. • Wie wächst die zu zahlende Summe, wenn 100 % n pro n1 -tel des Jahres zu zahlen sind? Wird diese Zahl beliebig groß? Die Antwort ist nein, weil e := lim n→∞ 1+ 1 n n ≈ 2, 72 143 Beispiele und Anwendungen von Zahlenfolgen ist. Wir wollen diesen Grenzwert mit Hilfe des Einschnürungssatzes und dem Stetigkeitsargument beweisen. Im ersten Schritt zeigen wir, dass gilt 1 lim ln 1 + n→∞ n n = 1. Dazu betrachten wir die folgende Skizze: Für x = n ergibt sich für den Flächeninhalt der Fläche F1 : n F1 = · n+1 1 1+ −1 n = 1 n · . n n+1 Der Flächeninhalt unterhalb der Funktion y = f (x) = x1 ergibt sich mit Hilfe der integralrechnung zu Z 1+ 1 1 n 1 1+ F2 = dx = ln x |1 n = ln 1 + n1 − ln 1 = ln 1 + n1 . x 1 Der größte Flächeninhalt ist F3 mit F3 = 1 · 1+ 1 −1 n = 1 . n Damit gilt 1 1+ 1 n 1 1 n · ≤ dx = ln 1 + n1 ≤ n n+1 x n 1 n 1 1 n ⇐⇒ ≤ n · ln 1 + n = ln 1 + n ≤ 1. n+1 Z 144 (6.1) (6.2) Seltene Ereignisse sollten nicht zu häufig stattfinden. Da sowohl die konstante Folge 1 als auch die Folge konvergieren gilt n 1 lim ln 1 + = 1. n→∞ n n n+1 n∈N für n gegen ∞ gegen 1 Da die e-Funktion stetig ist, kann man Grenzwertbildung und Funktionswertbildung vertauschen, d.h. n 1 n 1 n 1 lim 1 + = lim eln(1+ n ) = elimn→∞ ln(1+ n ) = e1 = e. n→∞ n→∞ n Völlig analog kann man zeigen, dass lim x →∞ 1 x x 1+ = e. Seltene Ereignisse sollten nicht zu häufig stattfinden. Die Poisson-Verteilung dient der Beschreibung von seltenen Eignissen, wie etwa von „Fehlstellen auf einer Oberfläche“ oder „Fehler je Baugruppe“, „Häufigkeit von Überschwemmungen oder Erdbeben“ usw. usf. Gemäß der Poisson-Verteilung mit dem Parameter λ ist die Wahrscheinlichkeit, dass n Ereignisse stattfinden gerade an = P(n) = λn e−λ n! , n = 0, 1, 2, ... . Da seltene Ereignisse selten stattfinden sollte für den Grenzwert gelten: lim an = 0. n→∞ Für |λ| ≤ 1 können wir abschätzen: n −λ λ e |λ|n e−λ e−λ e−λ = ≤ ≤ →0 n! n! n! n 0 ≤ für n → ∞. Gemäß dem Einschnürungssatz gilt deshalb auch limn→∞ an = 0. Für |λ| > 1 müssen wir anders vorgehen. Zu jedem λ ∈ R gibt es eine natürliche Zahl n0 mit n0 ≤ |λ| < n0 + 1. Damit gilt insbesondere, dass 0 < q := |λ| n0 < 1. Dies verwenden wir für die folgende Abschätzung n λ |λ|n |λ| · |λ| · · · |λ| · |λ| · · · |λ| |λ|n0 n−n0 |λ|n0 n = = ≤ q = q . n! n! 1 · 2 · · · n0 · (n0 + 1) · · · n n0 ! n0 !q n0 145 Beispiele und Anwendungen von Zahlenfolgen Da q n mit 0 < q < 1 für n → ∞ gegen Null strebt, gilt auch n −λ λ e |λ|n0 n 0≤ ≤ q . n! n0 !q n0 e−λ Mit Hilfe des Einschnürungssatzes erhalten wir lim P(n) = lim n→∞ λn e−λ n! n→∞ = 0. Wurzelziehen nach Heron Die grundlegende Idee ist, dass ein Quadrat mit den Seitenlängen a den Flächeninhalt a2 hat. Um dieses Quadrat anzunähern beginnt man mit einem Rechteck mit den Seitenlängen a0 = a2 und b0 = 1, das den Flächeninhalt F = a0 b0 = a2 hat. Im nächsten Schritt ist a1 = 21 (a0 + b0 ) und b1 = und b2 = und b3 = a2 a1 und so weiter a2 . a2 a2 . a3 a2 = 12 (a1 + b1 ) = 1 2 a3 = 12 (a2 + b2 ) = 1 2 a1 + a2 a1 a2 + a2 a2 Dann ist Der Flächeninhalt ist in jedem Fall a0 b0 = a1 b1 = a2 b2 = a3 b3 = a2 . Damit ist die Folge (an )n∈N definiert als an = 1 2 a n −1 + a2 an−1 , a0 = a2 . Für a2 = 7 sind die ersten Werte der Iteration in der folgenden Skizze dargestellt: 146 Wurzelziehen nach Heron Um die Konvergenz der Folge nachzuweisen zeigen wir zunächst, dass die Folge nach unten beschränkt ist: an = 1 2 a n −1 + a2 an−1 =a+ (an−1 −a)2 an−1 ≥ a. Die Folge ist nach unten durch a > 0 beschränkt. Um die Konvergenz zu beweisen, zeigen wir jetzt, dass die Folge monton fallend ist. Es gilt: an−1 − an = an−1 − 1 2 an−1 + a2 an−1 = 2 2 1 (an−1 −a ) 2 an − 1 ≥ 0 ⇐⇒ an2−1 ≥ an2 ⇐⇒ an−1 ≥ an ≥ a ≥ 0. Damit ist die Konvergenz der rekursiv definierten Folge bewiesen, d.h. es gilt lim an = c. n→∞ Da der Grenzwert existiert gilt nach den Regeln für die Grenzwertbildung: c = lim an = n→∞ 1 2 lim an−1 + n→∞ a2 limn→∞ an−1 = 1 2 c+ a2 c ⇐⇒ c 2 = 12 (c 2 − a2 ) ⇐⇒ c 2 = a2 . Folglich ist c = ±a. Da an ≥ a > 0 ist, ist c = a ≥ 0. Die Lösung c = −a ist eine Scheinlösung, die durch das Quadrieren „eingeschleppt“ wurde. Somit haben wir bewiesen, dass für den Grenzwert gilt lim an = a ≥ 0. n→∞ 147 Beispiele und Anwendungen von Zahlenfolgen Wie schnell die Folge konvergiert ist in der folgenden Tabelle dargestellt: n an an2 0 7 49 1 4 23 8 2 3 4 Zum Vergleich 1902497 719072 16 23 2 8 977 368 1902497 719072 977 2 368 = = 954529 135424 1902497 2 719072 ≈ 2, 64576704 ... und √ 529 64 = 8, 265625 ≈ 7, 0484478379017 ... ≈ 7, 000083252 ... 7 ≈ 2, 64575131. Sparkassenformel Die Sparkassenformel gibt an wie effektiver Jahreszins, monatliche Zinsen und Kreditrate zueinander verhalten. Wir betrachten dazu ein Beispiel. Ein Kredit von K = 10000 Euro soll bei einem effektiven Jahreszins von 4% in 12 monatlichen Raten zurückgezahlt werden. Wie groß sind die monatlichen Raten? Es sei k = 0, 04 der effektive Jahreszins. Wenn die monatliche Zinsrate k0 ist, dann sind am Ende des 1. Monats K1 = (1 + k0 )K zu zahlen, am Ende des 2. Monats ist diese Summe zu verzinsen, folglich sind K2 = (1 + k0 )K1 = (1 + k0 )2 K zu zahlen und am Ende des 12. Monats K12 = (1 + k0 )K11 = ... = (1 + k0 )12 K , d.h. 0, 04 = k = (1 + k0 )12 ⇐⇒ k0 = √ 12 k −1= √ 12 0, 04 − 1 = 0, 003274. Bei einem effektiven Jahreszinssatz von 4% beträgt der monatliche Zinssatz 0, 3274%. Als nächstes berechnen wir wie hoch die monatlichen Raten sein müssen damit der Kredit nach 12 Monaten abbezahlt ist. Zu Beginn besteht ist der gesamte Kredit abzuzahlen, d.h. K0 = K = −10000Euro. Am Ende des 1. Monats sind (1 + k0 ) 10000 zu zahlen und es wird die Rate R abbezahlt, d.h. am Ende des 1. Monats beträgt die Restschuld K1 = (1 + k0 )K0 + R = (1 + k0 )K + R. Am Ende des 2. Monats sind (1 + k0 )K1 zu zahlen und es wird die Rate R abbezahlt, damit ist die Restschuld am Ende des 2. Monats K2 = (1 + k0 )K1 + R = (1 + k0 )((1 + k0 )K + R) + R = (1 + k0 )2 K + R(1 + (1 + k0 )). 148 Kettenbrüche Hieraus ergibt sich, dass am Ende des 12. Monats (1 + k0 )K11 zu zahlen sind und R abbezahlt wird: K12 = (1 + k0 )K11 + R = (1 + k0 )((1 + k0 )K10 + R) + R = (1 + k0 )12 K + R 11 X (1 + k0 )j j=0 (1 − (1 + k0 )12 ) = (1 + k0 )12 K + R . (1 − (1 + k0 )) Damit der Kredit am Ende des 12. Monats abbezahlt ist muss also erfült sein (1 + k0 )12 K + R 1 − (1 + k0 )12 = 0. 1 − (1 + k0 ) Folglich ergeben sich die Raten R zu (1 + k0 )12 Kk0 (1 + k )k0 k0 (1 + k ) = K =− K 12 (1 − (1 + k0 ) ) 1 − (1 + k ) k 0, 003274 · 1, 04 (−10000)Euro = 851, 24Euro. =− 0, 04 R= Insgesamt macht die Bank also einen Gewinn von K + 12 · R = −10000 + 12 · 851, 24Euro = −10000 + 10214, 88Euro = 214, 88Euro. Damit haben wir die Sparkassenformel (bei nachschüssiger Zahlung) hergeleitet: Kn = (1 + k0 )n K + (1 + k0 )n − 1 R. k0 Dabei ist Kn das Kapital nach n Zinsperioden (Monate, Jahre, usw.), k0 ist der Zinssatz pro Periode und R ist die Ratenzahlung pro Periode. Kettenbrüche Eine unendliche Folge kann auch einen Kettenbruch erzeugen. Als Beispiel betrachten wir die Folge √ p an = 2 + an−1 , a0 = 2, n = 1, 2, ... . Graphisch kann man das wie folgt veranschaulichen: 149 Beispiele und Anwendungen von Zahlenfolgen √ √ Das geht so: Man beginnt mit √ x1 = 2 und bildet √ √den Funktionswert√y1 = x1 = 2, dann geht man waagerecht vonp (2, 2) zu (2 + 2, 2), d.h. x2 = 2 + 2 und bildet dazu den √ √ √ Funktionswert y2 = x2 = 2 + 2, dann geht es immer so zwischen der Funktion y = x und y = x − 2 hin und her. Aus der Skizze entnimmt man die Vermutung, dass an = yn ≤ 2 und für den Grenzwert limn→∞ an = 2 gilt. Als erstes eigen wir, dass die Folge (an )n∈N durch 2 nach oben beschränkt und monoton wachsend ist. √ Offensichtlich gilt an > 0 für alle n ∈ N und a0 = 2 < 2. Aus an−1 < 2 folgt dann an2 = 2 + an−1 < 4 und damit an < 2. Nun betrachten wir an2 − an2−1 = 2 + an−1 − an2−1 = −(an−1 + 1)(an−1 − 2) > 0, weil an−1 < 2 ist. Folglich ist an2 > an2−1 und wegen an > 0 für alle n ∈ N ist an > an−1 . Da monoton wachsende, nach oben beschränkte Folgen konvergent sind, gilt lim an = a. n→∞ Für diesen Grenzwert a gilt dann ebenfalls √ a= 2 + a ⇐⇒ a2 = 2 + a ⇐⇒ a2 − a − 2 = 0 ⇐⇒ a1/2 = Wegen an > 0 für alle n gilt a = 2. (a = −1 ist eine Scheinlösung.) 150 1 3 ± . 2 2