Skript des Theorieteils der Vorlesung Physik A Wintersemester 2008/09 Department Physik Universität Paderborn Prof. Dr. Torsten Meier N3.338 [email protected] Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 1 Theoretische Betrachtungen zur Newtonschen Mechanik In diesem Kapitel werden zunächst einige mathematische Sachverhalte und Rechenoperationen, die im Laufe der Vorlesung noch oft gebraucht werden, kurz dargestellt. Danach wird untersucht, unter welchen Bedingungen für ein Kraftfeld ein Potential existiert. Nach einem kurzen Einschub zu krummlinigen Koordinatensystemen, werden dann die Planetenbewegung (Kepler-Problem) und beschleunigte Bezugssysteme behandelt. 1.1 Mathematischer Einschub I: Vektoren, Ableitungen, ... Im folgenden bezeichnen alle mit Pfeilen versehenen Größen Vektoren im dreidimensionalen also z.B. Raum, a1 ax P ~a = ay = ax~ex + ay~ey + az~ez = a2 = a1~e1 + a2~e2 + a3~e3 = 3i=1 ai~ei . a3 az ~ex , ~ey und ~ez sind die Einheitsvektoren in die drei Raumrichtungen. In Rechnungen mit Vektoren wird oft x, y, z mit 1, 2, 3 bzw. mit xi (i = 1, 2, 3) bezeichnet. Skalarprodukt (auchinneres Produkt) bx ax Def. c = ~a · ~b = ay · b y = ax b x + ay b y + az b z , b a z z b1 a1 P ~ bzw. c = ~a · b = a2 · b2 = a1 b1 + a2 b2 + a3 b3 = 3i=1 ai bi . b3 a3 ~ ~ Offensichtlich ist ~a · b = b · ~a. Weiter ist c = |~a| |~b| cos(ϕ~a,~b ) = a b cos(ϕ~a,~b ), wobei cos(ϕ~a,~b ) der Winkel zwischen ~a und ~b ist und der Betrag (die Länge) eines Vektors d x q q ~ = dy = d2 + d2 + d2 = P3 d2i . gegeben ist durch d = |d| y z x i=1 dz BILD Für |~a| = 1 ist c = ~a · ~b = b cos(ϕ~a,~b ), was gerade der Projektion von ~b in Richtung des Einheitsvektors ~a entspricht. Bsp.: Sei ~a = ~ex und ~b = cos α~ex + sin α~ey (also |~a| = |~b| = 1) ⇒ ~a · ~b = cos α. 1 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Für α = π2 (entspricht 90o ) ist ~b = ~ey und das Skalarprodukt ~a · ~b = ~ex · ~ey = 0 verschwindet, da ~a und ~b senkrecht aufeinander stehen. Allgemein: Wenn für |~a| 6= 0 und |~b| 6= 0 gilt, dass c = |~a| |~b| cos(ϕ~a,~b ) = 0 ist, so stehen ~a und ~b senkrecht aufeinander (bzw. sind linear unabhängig). Vektorprodukt (auch äußeres Produkt oder Kreuzprodukt) ax bx ay b z − az b y Def. ~c = ~a × ~b = ay × by = az bx − ax bz az bz ax b y − ay b x = (ay bz − az by )~ex + (az bx − ax bz )~ey + (ax by − ay bx )~ez . ~ex ~ey ~ez Die obige Definition ist mit folgender Determinante identisch ~c = ~a × ~b = ax ay az . bx by bz Für den Betrag d.h. die Länge von ~c gilt c = |~c| = |~a| |~b| | sin(ϕ~a,~b )|. Außerdem bilden ~a, ~b und ~c ein Rechtssystem. BILD Graphisch ist c die Fläche des durch ~a und ~b aufgespannten Parallelogramms. Das Vektorprodukt verschwindet, also ~a × ~b = 0, wenn ~a und ~b parallel (ϕ~a,~b = 0) oder antiparallel (ϕ~a,~b = π) zueinander sind. ~c steht senkrecht auf ~a und ~b, d.h. (wie man leicht nachrechnen kann) ist ~a · (~a × ~b) = ~b · (~a × ~b) = 0. 1 cos α Bsp.: Sei ~a = 0 = ~ex und ~b = sin α = cos α ~ex + sin α ~ey . 0 0 ~ ⇒ ~a × b = sin α ~ez , was die oben angegebenen Eigenschaften erfüllt. Offensichtlich ist ~c = ~a × ~b = −~b × ~a = (−~a) × (−~b). D.h. das Vektorprodukt wird (anders als ein normaler Vektor) durch eine Inversion des Koordinatensystems (~r → −~r) nicht verändert. Man bezeichnet daher das Vektorprodukt auch als Pseudovektor oder axialer Vektor. Das Vektorprodukt zeichnet einen Drehsinn aus, der bei Inversion nicht verändert wird. BILD 2 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Spatprodukt Def. V = (~a × ~b) · ~c. V ist das Volumen des von den drei Vektoren aufgespannten Parallelepipeds. Es ist V = |~a × ~b||~c| cos(ϕ), wobei ϕ der Winkel zwischen ~a × ~b und ~c ist, bzw. V = |~a||~b||~c| cos(ϕ) sin(Θ), wobei Θ der Winkel zwischen ~a und ~b ist. V ist gleich Null, wenn zwei oder mehr Vektoren parallel oder antiparallel zueinander sind bzw. allgemeiner wenn sich ein Vektor als Überlagerung der zwei anderen schreiben läßt, also ~c = A~a + B~b, da dann alle drei Vektoren in einer Ebene liegen. BILD Bsp.: Sei ~a = (1, 0, 0) = ~ex , ~b = (0, 1, 0) = ~ey und ~c = (c1 , c2 , c3 ). ⇒ V = (~a × ~b) · ~c = (~ex × ~ey ) · ~c = ~ez · ~c = c3 . Wenn c3 = 0, also ~c = (c1 , c2 , 0) ist, dann verschwindet V , weil ~c in der durch ~a und ~b aufgespannten Ebene liegt (~c = c1~a + c2~b). Partielle Ableitung Sei f (x, y, z, t), also eine skalare Größe, deren Wert vom Ort x, y, z und (möglicherweise) von der Zeit t abhängt (Skalarfeld, Bsp. Temperaturfeld), gegeben. Dann ist die partielle Ableitung nach x gegeben durch (x,y,z,t) ∂f (x,y,z,t) = lim→0 f (x+,y,z,t)−f , ∂x d.h. beim Bilden einer partiellen Ableitung werden die anderen Variablen konstant gehalten. Partielle Ableitungen nach anderen Variablen werden analog gebildet. Bsp.: Sei f (x, y, z, t) = x5 y 2 z 3 sin(αt) ⇒ ∂f = x5 y 2 z 3 cos(αt)α. ∂t ∂g dg Für eine Funktion einer Variablen g(x) ist ∂x = dx , d.h. die partiellen und die “normalen” Ableitungen sind identisch. Wenn man g(x(t)) betrachtet, ist nach der Kettenregel dg dg dx ∂g dx dg = dx = ∂x = dx ẋ. dt dt dt (Zeitableitungen dtd werden durch einen Punkt gekennzeichnet; mehrfache Zeitableitunn gen dtd n durch n Punkte) 3 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Totale Ableitung Sei ~r(t) = (x(t), y(t), z(t)) eine Bahnkurve und f (~r(t), t) = f (x(t), y(t), z(t), t) werde als Funktion dieser aufgefasst. Dann ändert sich f als Funktion der Zeit sowohl über die ex), als auch dadurch, dass x(t), y(t) und z(t) von der Zeit plizite Abhängigkeit von t ( ∂f ∂t abhängen. Die totale Ableitung von f nach t ist (Kettenregel!) df dt = = ∂f (x,y,z,t) dx dy dz + ∂f (x,y,z,t) + ∂f (x,y,z,t) + ∂f (x,y,z,t) ∂x dt ∂y dt ∂z dt ∂t ∂f (x,y,z,t) ∂f (x,y,z,t) ∂f (x,y,z,t) ∂f (x,y,z,t) ẋ + ẏ + ż + . ∂x ∂y ∂z ∂t Bsp.: Sei f = x(t) + y 2 (t) + z 3 (t) + cos(t) ⇒ ∂f = − sin(t) und ∂t df = 1 ẋ(t) + 2y(t)ẏ(t) + 3z 2 (t)ż(t) − sin(t). dt “Multiplikation” von df mit dt ergibt das sogenannte totale Differential von f dt ∂f (x,y,z,t) ∂f (x,y,z,t) df = dx + dy + ∂f (x,y,z,t) dz + ∂f (x,y,z,t) dt. ∂x ∂y ∂z ∂t Nabla-Operator ∂ ∂x ~ = Def. ∇ ∂ ∂y = ∂ ~e ∂x x + ∂ ~e ∂y y + ∂ ~e ∂z z = P3 ∂ ei . i=1 ∂xi ~ ∂ ∂z ∂ ∂xi ~ auch sind hierbei partielle Ableitungen. Oft wird statt ∇ ∂ ∂~ r geschrieben. Gradient Sei f (x, y, z) ein skalares Feld. Der Gradient (auch Richtungsableitung) von f ist definiert als ∂f ∂ ∂x ~ = grad f = ∇f ∂ f ∂~ r = ∂ ∂y f ∂ ∂z = ∂x ∂f ∂y = ∂f ~e ∂x x + ∂f ~e ∂y y + ∂f ~e . ∂z z ∂f ∂z Der Gradient zeigt immer in Richtung des stärksten Anstiegs von f . Bsp.: Sei f (x, y, z) = x2 + y 2 + z 2 = r2 x ~ ⇒ ∇f = 2x~ex + 2y~ey + 2z~ez = 2 y = 2~r. z BILD 4 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Fx (x, y, z) ~ ~ Man kann den Nabla-Operator ∇ auch mit Vektorfeldern F (x, y, z) = Fy (x, y, z) Fz (x, y, z) skalar und vektoriell multiplizieren: Divergenz ~ · F~ = Def. div F~ = ∇ ∂ ∂x ∂ ∂y ∂ ∂z ~ ·F = ∂ ∂x ∂ ∂y ∂ ∂z · Fx (x, y, z) Fy (x, y, z) = Fz (x, y, z) ∂Fx ∂x y z + ∂F + ∂F = ∂y ∂z P3 ∂Fi i=1 ∂xi . Die Divergenz gibt die Quellstärke eines Feldes an, welche insbesondere in der Elektrodynamik (2. Semester) wichtig ist. a1 Bsp.: Sei ~a = a2 ein konstanter Vektor, dann ist div ~a = 0. a3 x ∂y ∂x ∂z ~ · Weiter ist div ~r = ∇ y = ∂x + ∂y + ∂z = 3. z Rotation ~ × F~ = Def. rot F~ = ∇ ∂Fy ∂z ∂ ∂x ∂ ∂y ~ ×F ∂ ∂z ∂Fx ∂Fz − ~ey ∂z ∂x = ∂ ∂x ∂ ∂y ∂ ∂z Fx (x, y, z) × Fy (x, y, z) = Fz (x, y, z) ∂Fy ∂x ∂Fz ∂y ∂Fx ∂z ∂Fy ∂x − − − ∂Fy ∂z ∂Fz ∂x ∂Fx ∂y z x = ∂F − ~ex + + − ∂F ~ez . ∂y ∂y Die Rotation gibt die Wirbelstärke eines Feldes an und wird im Laufe dieser Vorlesung noch benötigt. Bsp.: ~ × ~a = 0. Sei ~a konstant, dann ist rot ~a = ∇ x x ~ × Es ist rot ~r = rot y = ∇ y = z z ∂z ∂y ∂x ∂z ∂y ∂x − − − ∂y ∂z ∂z ∂x ∂x ∂y = 0. ~ × (Ay~ex + Bx~ey ) = (B − A)~ez . Ausserdem rot(Ay~ex + Bx~ey ) = ∇ 5 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Kurvenintegral Ein Kurvenintegral beschreibt z.B. die Arbeit, die bei Verschiebung eines Körpers in einem Kraftfeld entlang eines Weges geleistet wird. Wir betrachten hier das Kurvenintegral über das Vektorfeld F~ (~r) = F~ (x, y, z) von ~r1 nach ~rR 2 entlang der Kurve C R ~r2 ~ r2 ~ (F r)dx + Fy (~r)dy + Fz (~r)dz). F (~ r ) · d~ r = x (~ ~ r1 ,C ~ r1 ,C BILD Berechnung von Kurvenintegralen: x 1. Möglichkeit: Sei die Kurve C z.B. ausdrückbar als y(x) , mit x1 ≤ x ≤ x2 . Dann z(x) dz(x) dy(x) kann man dy = dx dx und dz = dx dx berechnen und erhält R ~r2 ~ r) · d~r = R x2 (Fx (x, y(x), z(x)) + Fy (x, y(x), z(x)) dy + Fz (x, y(x), z(x)) dz )dx, x1 ~ r1 ,C F (~ dx dx d.h. man hat das Kurvenintegral durch eine Summe von eindimensionalen Integralen ausgedrückt. (Analoge Formeln ergeben sich, wenn man x(y) und z(y) durch y bzw. wenn man x(z) und y(z) durch z ausdrücken kann). 1 0 Bsp.: Sei ~r1 = 0 und ~r2 = 1 und die Kurve die Parabel y = x2 . 1 0 BILD dy dz Dann ist dx = 2x und wegen z = 0 ist dx = 0, d.h. in diesem Fall ist R1 2 2 F~ (~r) · d~r = (Fx (x, x , 0) + Fy (x, x , 0)2x)dx. R ~r2 ~ r1 ,C 0 −y ~ Für F (~r) = −y~ex + x~ey = x ergibt sich 0 R ~r2 ~ r1 ,C R R F~ (~r) · d~r = 01 (−x2 + x 2x)dx = 01 x2 dx = 13 . 6 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 x(α) 2. Möglichkeit: Berechnung durch Parametrisierung der Kurve gemäß ~r(α) = y(α) , z(α) so dass die Kurve C von ~r1 nach ~r2 für α1 ≤ α ≤ α2 durchlaufen wird. Dann ist R ~r2 R F~ (~r) · d~r = α2 F~ (~r(α)) · d~r dα. ~ r1 ,C α1 dα α 0 1 Bsp.: Die Parabel y = x2 kann von ~r1 = 0 nach ~r2 = 1 durch ~r(α) = α2 mit 0 0 0 1 d~ r 0 ≤ α ≤ 1 parametrisiert werden. Für dieses Beispiel ist dann dα = 2α . 0 Berechnet man das Kurvenintegral für F~ (~r) = −y~ex + x~ey , so ergibt sich R ~r2 ~ r) · d~r = R 1 (−α2 1 + α 2α)dα = R 1 α2 dα = 1 ; also natürlich dasselbe Ergebnis wie 0 0 ~ r1 ,C F (~ 3 oben :) Im allgemeinen hängen Kurvenintegrale nicht r1 und~r2 , sondern auch von dem nur von ~ 1 0 gewählten Weg ab. Wir verbinden z.B. ~r1 = 0 und ~r2 = 1 mit einer Gerade, die 1 0 α wir C 0 nennen. Eine Parameterdarstellung ist ~r(α) = α mit 0 ≤ α ≤ 1. 0 1 d~ r Hieraus ergibt sich dα = 1 . 0 BILD Für das Kurvenintegral über F~ (~r) = −y~ex + x~ey erhalten wir dann R ~r2 ~ r) · d~r = R 1 (−α 1 + α 1)dα = 0 (da F~ und d~r senkrecht aufeinander stehen); also 0 ~ r1 ,C 0 F (~ ein anderes Ergebnis als das Integral über C! 7 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Damit hängt das Kurvenintegral über das hier betrachtete Vektorfeld F~ (~r) = −y~ex + x~ey vom gewählten Integrationsweg ab! (Später wird gezeigt, dass dies daher kommt, dass rot F~ (~r) 6= 0 ist, also F (~r) ein Wirbelfeld ist.) Wenn wir zunächst über C und dann in entgegengesetzter Richtung über C 0 integrieren, erhalten wir ein geschlossenes Kurvenintegral über C 00 = C − C 0 . BILD Für das betrachtete Vektorfeld ist somit das Kurvenintegral über die geschlossene Kurve R R H C 00 ungleich Null, d.h. C 00 F~ (~r) · d~r = C F~ (~r) · d~r − C 0 F~ (~r) · d~r 6= 0. 8 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 1.2 Potential und Energieerhaltung Der Ort eines Massenpunktes (dessen Masse wir im folgenden als zeitlich konstant ansetzen) werde in einem nichtbeschleunigten Bezugssystem (Inertialsystem) durch den Ortsvektor zunächst in kartesischen Koordinaten ~r(t) = (x(t), y(t), z(t)) beschrieben. Die auf den Massenpunkt wirkende äußere Kraft F~ (~r, t) darf von Ort und der Zeit und auch von der Geschwindigkeit ~r˙ ≡ ~v abhängen. Die Bahnkurve des Massenpunktes wird durch 2 die Newtonschen Bewegungsgleichungen beschrieben (~a = dtd 2 ~r = ~¨r) m~¨r = F~ , bzw. mẍ(t) = Fx (~r, t) , mÿ(t) = Fy (~r, t) , mz̈(t) = Fz (~r, t) . (1) Um die Schreibarbeit zu reduzieren, werden zukünftig die Argumente oft weggelassen. Wir multiplizieren die Bewegungsgleichung (1) skalar mit ~r˙ m~r˙ · ~¨r = ~r˙ · F~ , d ~r d 1 ˙2 m~r = F~ · ⇒ dt 2 dt Nun integrieren wir von t1 bis t2 Zt2 t1 Zt2 d ~r(t) d 1 ˙2 m~r dt = F~ · dt . dt 2 dt t1 Mit d ~rdt(t) dt = d~r ergibt sich (T ≡ Ekin ) ~rZ(t2 ) 1 ˙ 2 t=t2 1 ˙2 1 ˙2 F~ · d~r = W . m~r(t) = m~r (t2 ) − m~r (t1 ) = T (t2 ) − T (t1 ) = ∆T = 2 2 2 t=t1 ~r(t1 ) W ist die von der Kraft F~ auf dem Weg von ~r1 = ~r(t1 ) nach ~r2 = ~r(t2 ) geleistete Arbeit. In Komponenten gilt W = r2 Z~ Fx (~r, t) dx + Fy (~r, t) dy + Fz (~r, t) dz . ~r1 Falls die Kraft ein zeitunabhängiges Potential V (~r) ≡ Epot (~r) hat, also ~ (~r) F~ = −∇V d.h. Fx = − ∂V (~r) , ∂x Fy = − ∂V (~r) , ∂y Fz = − ∂V (~r) , ∂z so ist dW = F~ (~r) · d~r = Fx (~r) dx + Fy (~r) dy + Fz (~r) dz ! = ∂V (~r) ∂V (~r) ∂V (~r) − dx − dy − dz = −dV = −(V (~r + d~r) − V (~r)) ∂x ∂y ∂z 9 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 und somit W = −(V (~r(t2 )) − V (~r(t1 ))) = T (~r(t2 )) − T (~r(t1 )) . (2) Es ist also (3) T (t) + V (t) = const. = E , d.h. die Summe aus kinetischer und potentieller Energie ist zeitlich konstant und gleich der mechanischen Gesamtenergie E. Woher weiss man nun, ob ein gegebenes Kraftfeld F~ (~r) als negativer Gradient eines Potentials geschrieben werden kann? Nehmen wir an, wir hätten ein Potential, und berechnen die Ableitungen der Kraftkomponenten, also ∂ ∂Fx = − ∂y ∂y ∂V ∂x ! ∂2 ∂2 ∂ = − V = − V = − ∂y∂x ∂x∂y ∂x ∂V ∂y ! = ∂Fy . ∂x Da sich für die gemischten Ableitungen der anderen Komponenten ähnliche Beziehungen ergeben, ist eine notwendige Bedingung für die Existenz eines Potentials ∂Fz ∂Fy − = 0, ∂y ∂z ∂Fx ∂Fz − = 0, ∂z ∂x ∂Fy ∂Fx − = 0, ∂x ∂y ~ × F~ (~r) = rot F~ (~r) = 0 gelten, d.h. nur rotationsfreie Kraftfelder können ein also muss ∇ Potential haben. Die Bedingung rot F~ (~r) = 0 ist (in einem einfach zusammenhängenden Raum) allerdings auch hinreichend für die Existenz eines Potentials. Beweisskizze: Wir setzen an V (~r) = V (~ r0 ) − Z~r F~ (~r 0 ) · d~r 0 . (4) ~ r0 und berechnen dieses Kurvenintegral für eine spezielle Wegführung über x0 ≤ x0 ≤ x, y 0 = y0 , z 0 = z0 , 0 0 x = x, y0 ≤ y ≤ y, z 0 = z0 , = x0 = x, y 0 = y, z0 ≤ z 0 ≤ z, d.h. drei achsenparallele Geraden. BILD 10 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Also ist V (~r) = V (~r0 ) − Zx 0 Zy 0 Fx (x , y0 , z0 )dx − 0 0 Fy (x, y , z0 )dy − Fz (x, y, z 0 )dz 0 . (∗) z0 y0 x0 Zz Wir benutzen nun (∗) für die Berechnung des negativen Gradienten von V ~ (~r) = −~ex −∇V ∂V ∂V ∂V − ~ey − ~ez ∂x ∂y ∂z (5) und erhalten unter Benutzung von rot F~ = 0 ∂V ∂x = −Fx (x, y0 , z0 ) − Zy y0 z Z ∂Fy ∂Fz (x, y 0 , z0 ) dy 0 − (x, y, z 0 ) dz 0 ∂x {z |∂x {z } } z | 0 ∂Fx ∂y 0 = −Fx (x, y0 , z0 ) − Zy y0 ∂Fx ∂z 0 z Z ∂Fx ∂Fx 0 0 − (x, y , z )dy (x, y, z 0 )dz 0 0 0 ∂y 0 ∂z z 0 {z | } Fx (x,y,z0 )−Fx (x,y0 ,z0 ) | {z Fx (x,y,z)−Fx (x,y,z0 ) } = −Fx (x, y, z) . Analog kann gezeigt werden, dass (6) ∂V ∂y = −Fy und ∂V ∂z ~ (~r), gilt. = −Fz ist, also F~ = −∇V Für einen strengen Beweis muss man zeigen, dass die Reihenfolge der x-, y- und zIntegrationen das Resultat nicht ändert und jeden beliebigen Weg durch infinitesimale Geradenstücke annähern. ~ (~r) spricht man von einem konservativen Kraftfeld. Ist rot F~ (~r) = 0 bzw. F~ = −∇V Äquivalente Formulierungen von Konservativität sind: ~rR(t2 ) a) der Wert des Kurvenintegrals F~ · d~r ist vom Weg C unabhängig, hängt also nur ~r(t1 ),C von den Anfangs- und Endpunkten ~r1 und ~r2 ab. b) die Arbeit entlang jeder geschlossenen Kurve C verschwindet, d.h. H C 11 F~ · d~r = 0. Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Falls das Kraftfeld rotationsfrei (wirbelfrei) ist und nicht explizit von der Zeit abhängt, so nennt man das Kraftfeld konservativ. In diesem Fall folgt aus Gl. (2) der Energiesatz (7) T + V = E = const. Wenn das Kraftfeld wirbelfrei aber zeitabhängig ist, so ist das Potential auch zeitabhängig, und das totale Differential des Potentials dV = ∂V ∂V ∂V ∂V dx + dy + dz + dt ∂x ∂y ∂x ∂t hat einen Beitrag von der expliziten Zeitabhängigkeit −dW = ∂V ∂t . Dieser fehlt jedoch in ∂V ∂V ∂V dx + dy + dz . ∂x ∂y ∂z Daher ist −dW 6= dV und das Integral −W = − r2 Z~ F~ · d~r 6= V (~r2 , t2 ) − V (~r1 , t1 ) . ~r1 Für ein zeitabhängiges Potential gilt der Energiesatz also nicht! Für abgeschlossene Systeme, die von der Umgebung isoliert sind, ist die Energie erhalten. Bei der Bewegung makroskopischer Körper, ist oft die Energie nicht erhalten. Beispiel: Freier Fall mit Stokesscher Reibung (F~R ∝ −~r˙ ) Der einfachste Fall einer eindimensionalen Bewegung mit konstanter Gravitationsbeschleunigung und Reibungsterm wird beschrieben durch die Bewegungsgleichung mz̈ = −mg − β ż . Multiplizieren mit ż führt auf 1 d mż z̈ = m ż 2 = −mg ż − β ż 2 . 2 dt Integrieren über die Zeit ergibt z(t t1 Zt1 Zt1 Z 1) Zt1 m 2 mZ d 2 2 2 ż dt = (ż (t1 ) − ż (t0 )) = − m g ż dt − β ż dt = − m gdz − β ż 2 dt . 2 dt 2 t0 t0 12 t0 z(t0 ) t0 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Also erhalten wir (V = mgz ist das Potential der Schwerkraft ohne die Reibungskraft, für die es kein Potential gibt) T (t1 ) + V (t1 ) = T (t0 ) + V (t0 ) − β Zt1 ż 2 dt . t0 Die mechanische Energie E nimmt durch die Reibung als Funktion der Zeit ab, da Energie vom Massenpunkt auf das umgebende Medium übertragen wird. Nur für verschwindende Reibung β = 0 ist E erhalten. Beispiel: Ungedämpfte erzwungene Schwingung mit einer harmonischen Kraft Betrachtet werde als eindimensionales Problem ein Massenpunkt im Oszillatorpotential mit einem zusätzlichen zeitabhängigen Potential k V (x, t) = −Fe x cos(ωe t) + x2 . 2 Hieraus ergibt sich die Bewegungsgleichung mẍ = − ∂V (x, t) = Fe cos(ωe t) − k x ∂x also mẍ + k x = Fe cos(ωe t) . Nachdem Einschwingvorgänge abgeklungen sind, wird die Lösung dieser Gleichung die Zeitabhängigkeit des Potentials haben. Als spezielle Lösung dieser Differentialgleichung setzen wir daher an xs (t) = x0 cos(ωe t + ϕ) ⇒ ẋs (t) = −x0 ωe sin(ωe t + ϕ) ⇒ ẍs (t) = −x0 ωe2 cos(ωe t + ϕ) . Eingesetzt in die Differentialgleichung ergibt sich ⇒ −x0 mωe2 cos(ωe t + ϕ) + k x0 cos(ωe t + ϕ) = Fe cos(ωe t) x0 cos(ωe t + ϕ)(−mωe2 + k) = Fe cos(ωe t) 1 cos(ωe t) . ⇒ x0 = F e cos(ωe t + ϕ) k − mωe2 Die rechte Seite ist nur für ϕ = nπ unabhängig von t. Für ϕ = 0 ist mit ω02 = k/m x0 = Fe 1 . 2 m ωo − ωe2 Für ωe < ω0 ist die Auslenkung xs (t) in Phase mit der zeitabhängigen Kraft Fe cos(ωe t), für ωe > ω0 ist die Auslenkung gegenphasig. Für diese spezielle Lösung der Bewegungsgleichung ist die Summe aus kinetischer und potentieller Energie T +V = m 2 k 2 k m 2 2 2 ẋ + x − Fe x cos(ωe t) = x0 ωe sin (ωe t) + x20 cos2 (ωe t) − Fe x0 cos2 (ωe t) . 2 2 2 2 13 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 D.h. T + V ist nicht konstant, sondern oszilliert als Funktion der Zeit. Die äußere Kraft erzwingt die Schwingung mit der Kreisfrequenz ωe , wobei dem Oszillator periodisch Energie zu- und wieder abgeführt wird. Zentralkräfte (Anmerkung: Allgemein werden Kräfte der Form ~r F~ = f (~r, ~r˙ , t)~er = f (~r, ~r˙ , t) r Zentralkräfte genannt. Man kann zeigen, dass diese nur konservativ sind, wenn f nicht von ~r˙ und p 2 nicht von t abhängt und nur eine Funktion des Abstandes vom Ursprung r = |~r| = x + y 2 + z 2 ist.) Wir betrachten hier F~ = f (r)~er . (8) ~ = ~r × F~ = 0, da Für eine solche Zentralkraft verschwindet das Drehmoment, d.h. M ~ = ~r × p~ konstant, denn es ist d L ~ = d ~r × p~ + ~r × d p~ = F~ k ~r. Damit ist der Drehimpuls L dt dt dt ~. m~r˙ × ~r˙ + ~r × F~ = ~r × F~ = M ~ stehen, findet die BeweDa ~r und p~ zu jedem Zeitpunkt senkrecht auf dem konstanten L ~ gung ein einer Ebene statt (z.B. in der x-y-Ebene, wenn L = L~ez ist, siehe Skizze). Ist eine solche Zentralkraft konservativ? Dazu berechnen wir ~ × F~ . rotF~ = ∇ Die x-Komponente ist rotF~ x = ∂Fz ∂Fy − . ∂y ∂z Weiter ist ∂Fy y ∂ = f (r) ∂z ∂z r = d f (r) dr r ! ∂r y = ∂z d f (r) dr r ! z y = r d f (r) dr r ! zy ∂Fz = , r ∂y da 1 xi ∂r ∂ 2xi = (x21 + x22 + x23 )1/2 = = . 2 2 2 1/2 ∂xi ∂xi 2 (x1 + x2 + x3 ) r (9) Analoges gilt für die anderen Komponenten. Daher ist eine Zentralkraft gemäß Gl. (8) rotationsfrei und somit konservativ. 14 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Das Potential einer solchen Zentralkraft hängt nur vom Abstand vom Kraftzentrum ab, denn es ist − Z~r F~ (~r 0 ) · d~r 0 = − ∞ Zr f (r0 )dr0 = V (r) , ∞ da F~ parallel zu ~er ist. 1.3 Mathematischer Einschub II: Krummlinige Koordinatensysteme Bisher wurden Vektoren meistens in kartesischen Koordinaten, bei denen die Koordinatenlinien Geraden und die Basisvektoren ortsunabhängig sind, angegeben, z.B. Ortsvektor x ~r = y = x~ex + y~ey + z~ez . z (10) Oft sind krummlinige Koordinaten besser an die Symmetrien eines Problem angepasst. Typischerweise vereinfacht die Wahl geeigneter Koordinaten die Lösung eines Problems stark. Anstatt als Funktion von x, y und z können Vektoren ganz allgemein als Funktion von drei Variablen qi , i = 1, 2, 3 beschrieben werden, d.h. ~r(x, y, z) → ~r(q1 , q2 , q3 ) . (11) Die Einheitsvektoren sind bestimmt durch ~eqi = ∂~ r ∂qi ∂~ r | | ∂q i (12) . BILD Bsp. Kugelkoordinaten r = (x2 + y 2 + z 2 )−1/2 , θ = arc cos(z/r) und ϕ = arc tan(y/x) ~r = r sin θ cos ϕ~ex + r sin θ sin ϕ~ey + r cos θ~ez = r(sin θ cos ϕ, sin θ sin ϕ, cos θ) . (13) 15 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Für q1 = r ist ∂~r = (sin θ cos ϕ, sin θ sin ϕ, cos θ) , ∂r ∂~ r = 1, ∂r ⇒ ~er = (sin θ cos ϕ, sin θ sin ϕ, cos θ) . (14) Für q2 = θ ist ∂~r = r(cos θ cos ϕ , cos θ sin ϕ, − sin θ) , ∂θ ∂~ r = r, ∂θ ⇒ ~eθ = (cos θ cos ϕ , cos θ sin ϕ, − sin θ) . (15) Für q3 = ϕ ist ∂~r = r(− sinθ sinϕ , sinθ cos ϕ, 0) , ∂ϕ ∂~ r = rsinθ , ∂ϕ ⇒ ~eϕ = (− sinϕ , cos ϕ, 0) . (16) Die Basisvektoren ändern sich als Funktion des Ortes! Für den Ortsvektor gilt ~r = r~er . ~er , ~eθ und ~eϕ stehen senkrecht aufeinander, d.h., die Skalarprodukte ~er · ~eθ = ~er · ~eϕ = ~eθ · ~eϕ = 0 verschwinden. Die Kugelkoordinaten sind also krummlinig-orthogonale Koordinaten. Außerdem bilden ~er , ~eθ und ~eϕ in die Reihenfolge ein Rechtssystem. Anmerkung: Wenn man Linien-, Flächen- und Volumenintegrale in krummlinigen Koordinaten auswertet, müssen die Bogen-, Flächen- und Volumenelemente transformiert werden und auch Ableitungen, also z.B. der Nabla-Operator, müssen transformiert werden. BILD Z.B. Flächenelement in x-y-Ebene in kartesischen Koordinaten dF = dx dy. Flächenelement in ebenen Polarkoodinaten (z = 0 bzw. Θ = π/2) dF = r dϕ dr. 16 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Für das Volumenelement in Kugelkoordinaten gilt dr dθ dϕ = r2 sin θ dr dθ dϕ, wobei dV = dx dy dz = ∂(x,y,z) ∂(r,θ,ϕ) ∂(x,y,z) ∂(r,θ,ϕ) = ∂x ∂r ∂x ∂θ ∂x ∂ϕ ∂y ∂r ∂y ∂θ ∂y ∂ϕ ∂z ∂r ∂z ∂θ ∂z ∂ϕ die Funktionaldeterminante ist. In Kugelkoordinaten gilt beispielsweise ~ A(r, θ, ϕ) = ∂A ~er + 1 ∂A ~eθ + 1 ∂A ~eϕ grad A(~r) = ∇ ∂r r ∂θ r sin θ ∂ϕ siehe z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/Formelsammlung Nabla-Operator Eine Herleitung ist beispielsweise in Nolting, Grundkurs Theoretische Physik 1 (Springer) zu finden. 17 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 1.4 Planetenbewegung als Einkörperproblem Johannes Kepler hat die nach ihm genannten Gesetze 1609 aus astronomischen Beoachtungsdaten von Tycho Brahe abgeleitet ohne die Newtonschen Gesetze zu kennen. 1. Keplersches Gesetz: Die Planeten bewegen sich auf Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht. 2. Keplersches Gesetz: Der Fahrstrahl von der Sonne zum Planeten überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen. 3. Keplersches Gesetz: Die Quadrate der Umlaufszeiten verhalten sich wie die Kuben der großen Halbachsen. Ellipsen: BILD Die Ellipse ist ein Kegelschnitt mit einer großen Halbachse a und einer kleinen Halbachse b. Für die Abstände r und r0 von den Brennpunkten F und F’ gilt 2a = r + r0 . Definition: Exzentrizität ε = ae < 1. Von der mittleren Skizze liest man ab a2 = b2 + e2 . Von der rechten Skizze liest man ab (2e)2 + p2 = (2a − p)2 ⇒ p= a2 − e 2 b2 = . a a 18 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 BILD Wir brauchen im folgenden die Ellipsengleichung in der Form r= p 1 − ε cos ϕ r0 = , p . 1 − ε cos ϕ0 (∗) Dass diese Gleichungen eine Ellipse beschreiben, zeigen wir wie folgt: Es gilt x cos ϕ = r x0 cos ϕ = 0 . r 0 und Hieraus folgt r(1 − ε cos ϕ) = p = r − εx und r0 (1 − ε cos ϕ0 ) = p = r0 − εx0 . Also r = p + εx r0 = p + εx0 , und was auf b2 e 2 + r + r = 2p + ε (x + x ) = 2(p + εe) = 2 | {z } a a 0 0 ! = 2 2 b + e2 = 2a a 2e führt. Also beschreiben Gln. (∗) für 0 < ε < 1 eine Ellipse. Für ε = 0, 1, > 1 beschreiben Gln. (∗) einen Kreis, eine Parabel bzw. eine Hyperbel. Wir behandeln das sogenannte Kepler-Problem zunächst als Einkörperproblem, d.h. wir betrachten die Bewegung einer Masse m im Gravitationspotential einer ruhenden Masse M . Im nächsten Abschnitt wird das Problem als Zweikörperproblem analysiert und gezeigt, ob bzw. wann die Behandlung als Einkörperproblem eine gute Näherung darstellt. Die Bewegungsgleichung für die Masse m (Planet mit Ortsvektor ~r) im Feld der ruhenden Masse M (Sonne, befindet sich im Ursprung) lautet γmM ~r . F~ = m~¨r = − 2 r r (17) 19 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Ausgehend hiervon wollen wir nun untersuchen, unter welchen Voraussetzungen die Keplerschen Gesetze gelten. Wir beginnen mit dem 2. Keplerschen Gesetz: BILD 1 ~r × ~v dt 2 ~ ~˙ = dA = 1 ~r × ~v ⇒A dt 2 ˙~ ~. ⇒ 2mA = m ~r × ~v = ~r × p~ = L ~ = dA (18) ~˙ konstant ist. Dies ist gleichbedeutend damit, dass der Der Flächensatz bedeutet, dass A ~ erhalten ist, d.h. das Drehmoment M ~ = ~r × F~ verschwindet. Drehimpuls L Da die Gravitation ein Zentralkraftfeld darstellt, also F~ ∝ ~r und ~r × ~r = 0 ist, verschwindet ~ und der Drehimpuls L ~ und somit auch A ~˙ sind konstant. M 20 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 ~ = ~r × p~ konstant ist, stehen ~r und p~ für alle Zeiten senkrecht auf L. ~ Daher liegt Wenn L ~ gegeben ist. die Bahn in einer festen Ebene, deren Normalenrichtung durch L BILD Beschreibung der Bahnkurve in ebenen Polarkoordinaten (Kugelkoordinaten mit θ = π/2): ~ k ~ez erhalten, dann findet die Bewegung in der x-y-Ebene statt, denn es muß ~r ·~ez = 0 Ist L und p~ · ~ez = 0 gelten. D.h. ~r(t) = (x(t), y(t), 0) = r(t) (cos ϕ(t), sinϕ(t), 0) = r(t)~er (t), wobei ~er (t) natürlich von ϕ(t) abhängt. Wir betrachten nun d d (r(t)~er (t)) = ~v (t) = ~r(t) = dt dt ! ! d d r(t) ~er (t) + r(t) ~er (t) . dt dt Es ist d d ~er = (cos ϕ, sinϕ, 0) = ϕ̇(−sinϕ, cos ϕ, 0) = ϕ̇~eϕ . dt dt Hieraus folgt ~v (t) = ṙ~er + r ϕ̇ ~eϕ ~ = ~r × p~ = m~r × (ṙ~er + r ϕ̇~eϕ ) = r2 m ϕ̇~ez , ⇒L da ~er × ~eϕ = −~eθ gilt und für θ = π/2 ist −~eθ = ~ez . Weiter ist v 2 = ~v · ~v = (ṙ~er + r ϕ̇ ~eϕ ) · (ṙ~er + r ϕ̇ ~eϕ ) = ṙ2 + r2 ϕ̇2 . Hieraus folgt 1 T = m(ṙ2 + r2 ϕ̇2 ) . 2 Verwenden wir ϕ̇ = ~ |L| , mr2 so kann die Gesamtenergie geschrieben werden als 1 2 L2 E = T + V (r) = mṙ + + V (r) . 2 2mr2 21 (19) Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Die beiden letzten Terme werden oft zu einem effektiven Potential zusammengefasst L2 Vef f (r) = V (r) + 2mr 2 . Für gegebene Energie E, kann man mit einer graphischen Darstellung von Vef f (r) die möglichen Bahnen qualitativ diskutieren, siehe Skizze. BILD ~ zeigt in die positive z-Richtung. Dann ist ϕ̇(t) > 0 für alle Sei ϕ̇(t = 0) > 0, d.h. L ~ keine Erhaltungsgröße sein könnte. Da ϕ als Funktion von t streng t, da andernfalls L monoton steigt, kann man anstatt t auch ϕ als unabhängige Variable zur Beschreibung der Bewegung verwenden. Aus ṙ = dr dϕ dϕ dt und ϕ̇ = dϕ L = dt m r2 folgt ṙ = dr L . dϕ mr2 Damit wird die Energie zu 2 1 L E = T + V (r) = m(ṙ2 + r2 ϕ̇2 ) + V (r) = 2 2m 2 dr dϕ r4 + 1 + V (r) r2 zu einer Funktion der Variablen r und ϕ. Im folgenden wird gezeigt, dass eine Ellipsenbahn nur für das Potential V (r) = − c1 + c2 r durchlaufen wird (und zeigen somit das 1. Keplersche Gesetz). Hierfür gehen wir von der Bahnkurve einer Ellipse r= p 1 − ε cos ϕ aus. Hieraus folgt dr p =− (−ε (− sin ϕ)) . dϕ (1 − ε cos ϕ)2 22 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Da p = r(1 − ε cos ϕ) 1 r4 dr dϕ !2 = folgt dr r2 = − ε sin ϕ dϕ p und 2 ε2 sin 2 ϕ 2 1 − cos ϕ = ε . p2 p2 Wir lösen die Ellipsengleichung nach cos ϕ auf p 1 1− ε r cos ϕ = . Hiermit folgt 1 dr r4 dϕ !2 = ε2 − (1 − p/r)2 ε2 − 1 + 2p/r − p2 /r2 ε2 − 1 2 1 = = + − 2. 2 2 2 p p p pr r Einsetzen in die Formel für die Gesamtenergie ergibt L2 E = T + V (| ~r |) = 2m ε2 − 1 2 + 2 p pr ! + V (r) . Da E zeitlich konstant ist, muß für jede Ellipsenbahn gelten L2 V (r) = const. − . mpr Üblicherweise setzt man V (r) = 0 für r → ∞ (Normierung), d.h. V (r) = − L2 . mpr Hieraus ergibt sich E = T + V (r) = L2 ε2 − 1 . 2m p2 Für eine Ellipse ε < 1 und einen Kreis ε = 0 ist die Energie kleiner als Null. Die Energie verschwindet für eine Parabelbahn ( = 1) und wird positiv für Hyperbelbahnen ( > 1). Die Parabelbahn beschreibt den Grenzfall, dass der Massenpunkt im Unendlichen eine verschwindende kinetische Energie hat, während ein Massenpunkt, der im Unendlichen eine endliche kinetische Energie hat, eine Hyperbelbahn durchläuft. Ellipsen- und Kreisbahnen gehören zu Massenpunkten, die im Potential gebunden sind. Der Unterschied zwischen gebundenen und ungebundenen Bahnen läßt sich am effektiven Potential diskutieren (siehe oben). 23 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Für die Ellipse gilt ε2 − 1 = e2 e 2 − a2 b2 − 1 = = − a2 a2 a2 und p = b2 a ⇒ 1 a2 = . p2 b4 Hieraus ergibt sich E = − L2 1 < 0. 2m b2 Benutzen wir das Gravitationsgesetz V (r) = − γmM L2 1 = − , mp r r so ergibt sich L2 γmM b2 − = − . 2m 2 a (∗∗) Hieraus folgt E= − γM m , 2a d.h. die Energie hängt nur von der großen Halbachse a ab. Im Prinzip können wir aus der Bahngleichung auch die Zeitabhängigkeit der Koordinaten berechnen. In dem Ausdruck ~ = L = m r2 (ϕ) ϕ̇ = m r2 (ϕ) |L| dϕ . dt können wir die Variablen trennen und erhalten t(ϕ) = Z t 0 ϕ mZ 2 dt = r (ϕ)dϕ Lϕ mit r(ϕ) = p . 1 − ε cos ϕ 0 Die Umkehrfunktion von t(ϕ) ist ϕ(t) und daraus erhalten wir dann r(ϕ(t)). Damit ist rein mathematisch das Keplerproblem bereits vollständig gelöst. Allerdings gibt es für das Integral keinen geschlossenen expliziten Ausdruck. 24 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Die Umlaufzeit T kann aber bereits elementar berechnet werden. Aus (∗∗) folgt b L = 2m 2 s γM . a Eingesetzt in den Flächensatz ergibt sich s ~ ~˙ = 1 ~r × ~r˙ = L = 1 b γM ~ez . A 2 2m 2 a Also gilt nach einem Umlauf A~ez = ZT ~˙ dt = A 0 ZT 0 s 1 1 γM 1 ~r × ~r˙ dt = ~r × ~r˙ T = b T~ez . 2 2 2 a Andererseits ist die Fläche einer Ellipse πab = A, also 2π a b T = b s a 2π a3/2 = √ . γM γM Dies ist das 3. Keplersche Gesetz T 2 ∝ a3 . Aus der Umlaufzeit T , der großen Halbachse a und der Gravitationskonstanten γ kann die Masse der Sonne M bestimmt werden; die Masse des Planeten geht nicht ein. 1.5 Planetenbewegung als Zweikörperproblem Bisher sind wir davon ausgegangen, dass der Planet sich in dem Gravitationsfeld der ruhenden Sonne bewegt. Nach dem Prinzip von actio = −reactio verursacht aber die Sonne nicht nur eine beschleunigte Bewegung des Planeten, sondern umgekehrt verursacht der Planet auch eine beschleunigte Bewegung der Sonne. Im folgenden vernachlässigen wir den Einfluß aller anderen Planeten und betrachten die Bewegung zweier Massen m1 und m2 an den Orten ~r1 und ~r2 . BILD 25 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Die Bewegungsgleichungen lauten ~r1 − ~r2 ~r m1~¨r1 = −γm1 m2 = −γm1 m2 3 , 3 |~r1 − ~r2 | r ~r2 − ~r1 ~r m2~¨r2 = −γm1 m2 = γm1 m2 3 , 3 |~r2 − ~r1 | r (20) (21) mit der Relativkoordinate ~r = ~r1 − ~r2 und r = | ~r1 − ~r2 |. ~ = m1~r1 + m2~r2 = m1~r1 + m2~r2 R m1 + m2 M ist der Schwerpunkt und M = m1 + m2 die Gesamtmasse. Da die folgenden Umformungen für viele Zweiteilchenprobleme verwendet werden können, wollen wir Gln. (20) und (21) etwas verallgemeinern und gehen aus von m1~¨r1 = −f (r)~r , m2~¨r2 = f (r)~r . (22) (23) Addieren dieser Gleichungen ergibt ¨~ m1~¨r1 + m2~¨r2 = M R = 0. Da sich wegen actio = −reactio die beiden Kräfte kompensieren, wirkt auf den Schwerpunkt keine Kraft, d.h. er wird nicht beschleunigt und bewegt sich geradlinig gleichförmig. Dividieren von Gl. (23) durch m2 und subtrahieren Gl. (22) geteilt durch m1 führt auf ~¨r = ~¨r1 − ~¨r2 = − 1 1 + f (r)~r . m1 m2 Einführen der reduzierten Masse µ durch 1 µ = 1 m1 + 1 m2 führt auf µ~¨r = −f (r)~r . Auf den Relativabstand wirkt dasselbe Kraftfeld, aber die Bewegung erfolgt mit der verringerten reduzierten Masse µ = m1Mm2 . Für die Gravitationskraft ist f (r) = γm1 m2 r13 = γµM r13 . Daher fällt in diesem Fall µ aus der Bewegungsgleichung heraus ~r ~¨r = −γM 3 . r Dies ist fast dieselbe Bewegungsgleichung wie für das Keplersche Einkörperproblem; nur die Masse der Sonne ist durch die Gesamtmasse ersetzt. Da in unserem Sonnensystem die Planetenmassen kleiner als 10−3 Sonnenmassen sind, werden die Keplerschen Gesetze nur im Detail modifiziert (denn µ weicht nur wenig von der Planetenmasse ab). 26 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Die Bewegung der Planeten ist allerdings nicht vollständig beschrieben, da 1. die Planeten sich durch die Gravitationswechselwirkung gegenseitig anziehen 2. alle um den mit der Sonne gemeinsamen Schwerpunkt kreisen 3. weder die Sonne noch die Planeten und Monde wirklich starre Körper sind, sodass es wegen der Gezeitenkräfte zu nichtzentralen Wechselwirkungen untereinander kommt etc. ... Für dieses (oder generell solche) Vielkörperproblem gibt es keine exakten Lösungen (schon das Dreikörperproblem ist ungelöst). Es existieren aber Näherungsverfahren, die die Berechnung der Planetenbahnen mit praktisch beliebiger Genauigkeit erlauben. 1.6 Beschleunigte Bezugssysteme Wir betrachten zwei Bezugssysteme S und S 0 . Bei S handele es sich um ein Inertialsystem. S und S 0 seinen relativ zueinander beliebig beschleunigt. BILD Vektoren in S und S 0 werden beschrieben durch (xi entspricht x, y, z) ~r = 3 X xi~ei und ~r 0 = 3 X x0i~ei 0 . (24) i=1 i=1 Für den Ortsvektor zur Masse m gilt ~r = ~r0 + ~r 0 = ~r0 + 3 X x0i~ei 0 . (25) i=1 Nun berechnen wir die Geschwindigkeiten. In S 0 ist ~r˙ 0 = 3 X ẋ0i~ei 0 , (26) i=1 da die BeobachterIn sich mit S 0 mitbewegt. 27 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 In S ist ~r˙ = ~r˙0 + 3 X ẋ0i~ei 0 + x0i~ei˙ 0 . (27) i=1 Diese drei Terme beschreiben die Relativgeschwindigkeit zwischen S und S 0 , die Geschwindigkeit in S 0 und die Geschwindigkeit, die sich aufgrund der Relativdrehung zwischen S und S 0 ergibt. Der letzte Term, kann durch die momentane Winkelgeschwindigkeit ω ~ (t) geschrieben werden als 3 X x0i~ei˙ 0 = ω ~ × ~r 0 . (28) i=1 Ineinander eingesetzt ergibt sich ~r˙ = ~r˙0 + ~r˙ 0 + ω ~ × ~r 0 . (29) Dies kann umgeschrieben werden als d d0 d (~r − ~r0 ) = ~r 0 = ~r 0 + ω ~ × ~r 0 = ~r˙ 0 + ω ~ × ~r 0 , dt dt dt (30) 0 d wobei dt bedeutet, dass die Zeitableitung in S 0 gemäß Gl. (26) ausgeführt wird. Symbolisch hat man also (die Operatorgleichung) d d0 = +ω ~×. dt dt (31) Die Zeitableitung in S setzt sich zusammen aus der in S 0 und einem Zusatzterm, der die Relativdrehung zwischen S und S 0 beschreibt. Nun wenden wir diese Regel nochmal an und leiten die Geschwindigkeit nach der Zeit ab d ˙0 d d d ˙ ~r − ~r˙0 = ~r + ω ~ × ~r 0 = ~r˙ 0 + (~ω × ~r 0 ) dt dt dt dt 0 0 0 0 ¨ ˙ ˙ ˙ = ~r + (~ω × ~r ) + (ω ~ × ~r ) + (~ω × ~r ) + (~ω × (~ω × ~r 0 )) = ~r¨0 + (~ω × (~ω × ~r 0 )) + 2(~ω × ~r˙ 0 ) + (ω ~˙ × ~r 0 ) . (32) Da m~¨r = F~ ist, ergibt sich die Bewegungsgleichung im Nichtinertialsystem S 0 als m~r¨0 = F~ − m~r¨0 + F~C + F~Z − m(ω ~˙ × ~r 0 ) , (33) mit der Zentrifugalkraft F~Z = −m(~ω × (~ω × ~r 0 )) (34) und der Corioliskraft F~C = −2m(~ω × ~r˙ 0 ) . (35) 28 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 F~Z und F~C werden Trägheitskräfte (manchmal auch Scheinkräfte) genannt, die in S 0 aufgrund dessen beschleunigter Bewegung auftauchen. Außerdem tauchen in Gl. (33) noch zwei weitere Beiträge m~r¨0 und −m(ω ~˙ × ~r 0 ), die die Beschleunigung der Ursprünge von S und S 0 relativ zueinander und Kräfte durch zeitliche Änderungen der Winkelgeschwindigkeit beschreiben. Mit der bac − cab−Regel ~a × ~b × ~c = ~b (~a · ~c) − ~c (~a · ~b) kann F~Z noch umgeformt werden zu F~Z = −m(~ω × (~ω × ~r 0 )) = −m (~ω (~ω · ~r 0 ) − ~r 0 (~ω · ω ~ )) . Wenn ω ~ · ~r 0 = 0 ist, so gilt F~Z = mω 2~r 0 , d.h. F~Z wirkt radial nach außen. Die Corioliskraft wirkt nur wenn ~r˙ 0 6= 0 ist. Diese Kraft rührt daher, dass sich während der Bewegung das Bezugssystem mit ω ~ dreht. Bsp.: − Eine horizontale Nord-(Süd-)Strömung von Wasser oder Luft erfährt eine horizontale Ost-(West-)Ablenkung. − Auf der Nordhalbkugel existiert eine Rechtsabweichung der Geschwindigkeit (z.B. von Geschossen). − Die Pendelebene eines frei schwingenden Pendels dreht sich (Foucaultsches Pendel). ... BILD Mehr Beispiele und Visualisierungen finden Sie z.B. unter http://de.wikipedia.org/wiki/Corioliskraft Die Einführung von beschleunigten Bezugssystemen ist trotz der auftretenden Scheinkräfte oft praktisch, wenn die Bewegung im beschleunigten System viel einfacher ist als im Inertialsystem. 29 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 2 Spezielle Relativitätstheorie Bisher wurde die Newtonsche Mechanik behandelt, die die Bewegungen makroskopischer Körper mit Geschwindigkeiten, die sehr viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit sind, korrekt beschreibt. Für höhere Geschwindigkeiten müssen relativistische Effekte berücksichtigt werden. Im folgenden werden die Grundzüge der speziellen Relativitätstheorie vorgestellt, die auf nichtbeschleunigte (inertiale) Bezugssysteme anwendbar ist. Auf die allgemeine Relativitätstheorie, die die Geometrie der Raumzeit in der Anwesenheit von Beschleunigungen beschreibt, wird am Ende dieses Abschnittes nur kurz eingegangen. 2.1 Die Galilei-Transformation Ein Inertialsystem ist ein nichtbeschleunigtes Bezugssystem, in dem sich ein Massenpunkt auf den keine Kraft wirkt geradlinig gleichförmig bewegt. Wir betrachten nun die Transformation zwischen zwei Intertialsystemen; einem Bezugsystem S und einem anderen Bezugsystem S 0 , das sich relativ zu S mit einer konstanten Geschwindigkeit ~v bewegt. Der Einfachheit halber (dies ist keine Einschränkung der Allgemeinheit und führt nur zur Vereinfachung der Rechnungen) nehmen wir an, dass zum Zeitpunkt t = t0 = 0 die Ursprünge und die Richtungen der Koordinatenachsen von S und S 0 zusammenfallen und die Relativgeschwindigkeit nur eine Komponente in x-Richtung hat, also ~v = v~ex . BILD Die Beziehungen zwischen den Koordinaten in S und S 0 lauten offensichtlich x = x0 + vt y0 = y , z0 = z , t0 = t . ⇔ x0 = x − vt , (36) Diese Formeln beschreiben eine spezielle Galilei-Transformation (bei der allgemeinen Galilei-Transformation ist die Richtung der konstanten Relativgeschwindigkeit beliebig und es kann eine zusätzliche konstante Verschiebung vorhanden sein). t = t0 bedeutet, dass es in der nichtrelativistischen Mechanik eine absolute Zeit gibt, d.h. man kann sich vorstellen, dass Uhren in allen Bezugssystemen exakt miteinander synchronisiert 30 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 sind. In S lautet die Newtonsche Bewegungsgleichung m d2 ~r = F~ . dt2 In S 0 ist ~r 0 = ~r − ~v t0 = ~r − ~v t. Damit ist m (37) d2 ~r 0 dt0 2 = d2 0 ~r = F~ 0 = F~ . dt0 2 d2 ~r 0 dt2 = d2 ~r dt2 und es gilt daher in S 0 (38) Dies bedeutet, dass die Newtonschen Gleichungen forminvariant unter Galilei-Transformation sind und dass mechanische Prozesse somit in allen Inertialsystemen gleich ablaufen. 2.2 Die Lichtgeschwindigkeit Historisch gesehen war es lange Zeit unklar, ob sich Licht mit einer endlichen Geschwindigkeit oder unendlich schnell ausbreitet. Erste erfolgreiche Bestimmungen der natürlich endlichen Lichtgeschwindigkeit gelangen durch die Beobachtung von Himmelskörpern (Rømer, 1676, Jupitermond; Bradley, 1725, Parallaxe). Erste terrestrische Messungen wurden im 19 Jhd. durchgeführt (Fizeau; Foucault; Michelson). Diese Untersuchungen zeigten, dass sich Licht im Vakuum mit einer Geschwindigkeit von etwa c ≈ 2, 998 · 108 ms (also fast 300000 km/s) ausbreitet. 1864 zeigten die Maxwell-Gleichungen, die das theoretische Fundament der Elektrodynamik darstellen, dass sich elektromagnetische Wellen im Vakuum mit der Geschwindigkeit c = √10 µ0 ausbreiten. Diese Übereinstimmung ist kein Zufall, da viele nachfolgende Experimente gezeigt haben, dass Licht als eine hochfrequente elektromagnetische Welle beschrieben werden kann. (Anmerkung: Die Maxwell-Gleichungen sind nicht forminvariant bei Galilei-Transformationen, sondern unter Lorentz-Transformationen, die später besprochen werden. Dies ist ein unverständlicher Unterschied zwischen den Grundgleichungen der Mechanik und der Elektrodynamik) 2.3 Der Michelson-Versuch In diesem Experiment (Michelson, 1881, Potsdam; Michelson und Morley, 1887, Cleveland/Ohio) wurde der Einfluß der Erdbewegung auf die Ausbreitung von Licht untersucht. Es war bekannt, dass sich die Erde mit einer Geschwindigkeit von etwa v = 30 km/s um die Sonne herum bewegt. Weiter wurde angenommen, dass sich Licht in einem ruhenden Medium, dem sogenannten Äther ausbreitet. Nach der Galilei-Transformation sollte sich das Licht relativ zum Äther mit c ± v ausbreiten, wenn es in bzw. entgegen der Bewegungsrichtung der Erde ausgesandt wird, bzw. mit c in Richtungen senkrecht zur 31 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Bewegungsrichtung der Erde. Um den aus der Erdbewegung resultierenden Ätherwind nachzuweisen wurde folgende Anordnung (Interferometer) verwendet: Ein Lichtstrahl wird in einem halbdurchlässigen Spiegel (S0 ) in zwei Strahlen aufgespalten. Die beiden Strahlen durchlaufen unterschiedliche Wege und werden zur Interferenz gebracht. Die Strahlen interferieren konstruktiv (hell), wenn sich die Weglängen um ein Vielfaches der Wellenlänge unterscheiden, bzw. destruktiv (dunkel), wenn die Weglängendifferenz eine ungerade Zahl halber Wellenlängen ist. BILD Laufzeit S0 → S1 → S0 : l1 l1 2cl1 2l1 1 + = 2 = . t1 = 2 c+v c−v c −v c 1 − vc22 Laufzeit S0 → S2 → S0 : 2l0 2x = , mit l02 = l22 + x2 , t2 = v c x2 l22 + x2 1 =⇒ = =⇒ x2 = l22 2 1 2 2 v c c ( v2 − 2l2 1 q =⇒ t2 = . c 1 − v22 (39) 1 ) c2 = v2 2 l2 2 2 c (1 − vc2 ) , (40) c Hieraus ergibt sich eine Weglängendifferenz l1 l2 ∆ = c(t1 − t2 ) = 2 −q v2 1 − c2 1− v2 c2 . (41) Wird nun die Apparatur um 90o gedreht, so vertauschen sich die Lichtwege relativ zum Äther und es ergibt sich l2 l1 q ∆0 = c(t01 − t02 ) = 2 − 2 1 − vc2 1− v2 c2 32 . (42) Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Der Unterschied der Weglängendifferenzen ist 1 1 −q S = ∆0 − ∆ = 2(l1 + l2 ) v2 1 − c2 1− v2 c2 . (43) Einschub: Taylorentwicklung Satz von Taylor: Eine Funktion f sei in (x0 − α, x0 + α)(α > 0)(n + 1)-mal differenzierbar. Dann gilt für x ∈ (x0 − α, x0 + α) f (x) = n X l=0 f (l) (x0 ) (x − x0 )l + Rn (x) l! (44) mit f (n+1) (ξ) (x − x0 )n+1 Rn (x) = (n + 1)! (45) mit ξ ∈ (x, x0 ) Bsp.: f (x) = 1 , 1+x f 0 (x0 ) = − x0 = 0 (46) 1 |x=x0 = −1 (1 + x)2 (47) ⇒ f (x) = f (0) (x0 )x0 + f (1) (x0 )x1 + O(x2 ) = 1 − x + O(x2 ) (48) d.h. für x 1 gilt 1 ≈1−x 1+x (49) Analog läßt sich zeigen, dass für kleine x gilt √ 1 1 ≈1− x 2 1+x (50) Wendet man dies auf den Unterschied der Weglängendifferenzen an, so ergibt sich wegen v c 1 1 −q S = ∆0 − ∆ = 2(l1 + l2 ) v2 1 − c2 1− 1 v2 v2 ≈ 2(l1 + l2 ) 1 + 2 − 1 − 2 c 2c ! v2 c2 v2 = (l1 + l2 ) 2 . c 33 (51) Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Dies bedeutet, dass für v 6= 0 das gemessene Interferenzmuster von der Orientierung der Apparatur abhängen sollte. (Da v/c ≈ 10−4 ist, ist S ≈ 10−8 (l1 + l2 ), d.h. man sollte möglichst lange Interferometerarme verwenden) Entgegen den Erwartungen, zeigen die Experimente keine orientierungsabhängige Interferenz! Die gemessene Interferenz erweist sich als unabhängig von der Orientierung. Dieses experimentelle Ergebnis kann durch verschiedene Annahmen erklärt werden (z.B. Erde nimmt Äther mit, Lorentz-Kontraktion in Bewegungsrichtung, ...). Diese Annahmen stehen allerdings entweder im Widerspruch zu anderen Experimenten oder stellen nicht leicht einzusehende ad-hoc Hypothesen dar. Das Michelson-Experiments wird meist so interpretiert, dass man keine absolute Geschwindigkeit relativ zu einem absoluten Ruhesystem (dem Äther) messen kann. Das (“negative”) Ergebnis des Michelson-Experiments ist im Rahmen von Einsteins Relativitätstheorie (1905) leicht verständlich. Die spezielle Relativitätstheorie geht von zwei Postulaten aus. 1) Äquivalenzpostulat: In allen Intertialsystemen gelten dieselben Naturgesetze, d.h. alle Intertialsysteme sind gleichberechtigt. (diese Annahme wird oft auch als Forderung nach Homogenität und Isotropie des Raumes und Homogenität der Zeit formuliert) 2) Die Vakuumlichtgeschwindigkeit c hat in allen Inertialsystemen den gleichen Wert. Die zweite Annahme bedeutet, dass in allen Inertialsystemen die Maxwell-Gleichungen gelten und erklärt damit sofort das Ergebnis des Michelson-Experiments. 2.4 Zeitdilatation und Längenkontraktion Wir betrachten eine Lichtpulsuhr. BILD Ist die Uhr in Ruhe, so ist die Periodendauer τ = 34 2L . c Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 BILD Bewegt sich die Uhr senkrecht zur Verbindungslinie der zwei Spiegel, so ist die Periode gegeben durch (siehe Michelson-Experiment) q1 = qτ 2, τ 0 = 2L c 2 1− v2 c 1− v2 c d.h. man findet, dass bewegte Uhren langsamer gehen! Dieser Effekt der Zeitdilatation sollte genauso auftreten, wenn sich die Uhr parallel zur Verbindungslinie der zwei Spiegel bewegt. BILD Die Länge der bewegten Uhr nennen wir L0 . Die Periode dieser bewegten Uhr ist dann 0 (siehe Michelson-Experiment) τ 0 = 2Lc 1v2 . Damit die Periode einer Lichtpulsuhr un1− c2 abhängig q von der Bewegungsrichtung ist (Relativitätsprinzip), muss also gelten 2 0 L = L 1 − vc2 , d.h. bewegte Körper erscheinen verkürzt (Lorentz- oder Längenkontraktion). Beispiel: µ-Mesonen BILD µ-Mesonen (Myonen) entstehen in der Atmosphäre durch kosmische Strahlung in etwa 30 km Höhe und zerfallen in Ruhe mit einer Halbwertszeit von τ = 2.2 · 10−6 s. Im Rah35 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 men der klassischen Mechanik könnte das Myon in dieser Zeit die Distanz l = 660 m zurücklegen, wenn es sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, d.h. man dürfte auf der Erdoberfläche keine µ-Mesonen detektieren. Dies ist aber im Widerspruch zur Beobachtung! Falls das Myon sich mit v = 0.998 c bewegt, ist der Faktor γ = √ 1 1−v 2 /c2 ≈ 50. Im Ruhesystem des Myons beträgt seine Lebensdauer τ (die Zeit, die im Ruhesystem vergeht, nennt man auch Eigenzeit), aber wegen der Längenkontraktion ist der Weg zur Erdoberfläche um 1/γ verkürzt. Im Ruhesystem der Erde ist dieselbe Strecke zwar 30 km, aber wegen der Zeitdilatation ist die Lebensdauer des Myons um den Faktor γ vergrößert. In beiden Bezugssystemen kann man berechnen, dass etwa die Hälfte der Myonen die Erdoberfläche erreichen, wenn auch mit unterschiedlicher Begründung. Nach diesen Überlegungen erscheinen Zeitdilatation und Längenkontraktion eng miteinander verknüpft zu sein und unterschiedliche Blickwinkel desselben Effektes darzustellen. 2.5 Die Lorentz-Transformation Die Einsteinschen Postulate können benutzt werden, um die korrekten relativistischen raum-zeitlichen Transformationsformeln zu bestimmen. Wir betrachten hierfür zwei Intertialsysteme S und S 0 . S 0 bewege sich relativ zu S mit einer konstanten Geschwindigkeit ~v = v~ex . Außerdem seien zum Zeitpunkt t = t0 = 0 die Ursprünge und die Richtungen der Koordinatenachsen von S und S 0 identisch. BILD Aufgrund der Homogenität von Raum und Zeit kommen nur lineare Beziehungen für die raum-zeitlichen Transformationsformeln in Frage. Außerdem sollten aufgrund der Isotropie des Raumes, Richtungen senkrecht zur Relativbewegung unbeeinflußt sein. Wir gehen daher von folgendem Ansatz für die Transformationsformeln aus x0 = Ax + Bt , y0 = y , z0 = z , t0 = Cx + Dt . (52) 36 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Betrachten des Ursprungs von S 0 liefert x0 = 0 = Ax + Bt = Avt + Bt ⇒ B = −vA x0 = A(x − vt) . ⇒ (53) Betrachten des Ursprungs von S liefert x = 0 ⇒ x0 = −vt0 = −Avt ⇒ t0 = Cx + At . ⇒ t0 = At ⇒ D=A (54) A und C können aus der Forderung nach Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bestimmt 0 0 0 0 werden. Wenn in S gilt x2 + y 2 + x2 = c2 t2 , so muss in S 0 gelten x 2 + y 2 + x 2 = c2 t 2 . Da y = y 0 und z = z 0 ist, reicht es die Lichtausbreitung eindimensional in x-Richtung zu betrachten, d.h. 0 0 0 = x2 − c2 t2 = x 2 − c2 t 2 = (A(x − vt))2 − c2 (Cx + At)2 v2 = x2 (A2 − c2 C 2 ) + 2xt(−vA2 − c2 AC) − c2 t2 A2 (− 2 + 1) . c 1 2 2 Koeffizientenvergleich für den Term −c t liefert A = q 2 . (55) 1− v2 c Koeffizientenvergleich für den Term xt ergibt C = − cv2 A 2 = − qv/c 2 1− v2 . c Die Formeln für die Lorentz-Transformation lauten somit x − vt x0 + vt0 q x0 = q und x = , 2 2 1 − vc2 1 − vc2 y0 = y , z0 = z , t − cv2 x 0 q t = 2 1 − vc2 und t = t0 + q 1 v 0 x c2 2 − vc2 . (56) Schon vor Entwicklung der Relativitätstheorie zeigte Lorentz (1892), dass die MaxwellGleichungen invariant unter diesen Transformationsformeln sind. (Anmerkung: Bei der Herleitung der Lorentz-Transformation unter Verwendung von Gl. (55) 0 0 wurde nur benutzt, dass x2 −c2 t2 = x 2 −c2 t 2 ist und nicht, dass für Lichtausbreitung beide Ausdrücke gleich Null sind. Dies bedeutet, dass s2 = c2 t2 − x2 invariant unter LorentzTransformationen ist.) Die Lorentz-Transformation vermischt die Raum- und Zeitkoordinaten miteinander. Zudem ist t0 6= t, d.h. es gibt keine absolute Zeit mehr! Dies bewirkt beispielsweise, dass die Beurteilung der Gleichzeitigkeit von Ereignissen vom Bezugssystem abhängt. Im Limes vc → 0 geht die Lorentz-Transformation in die Galilei-Transformation über. Signifikante Unterschiede zwischen beiden Transformationen treten auf, wenn v gegenüber c nicht vernachlässigt werden kann. Dies ist für makroskopische Körper nur sehr schwer erreichbar und daher sind relativistische Effekte im alltäglichen Leben kaum beobachtbar. 37 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Die Lorentz-Transformation beinhaltet die Längenkontraktion und die Zeitdilatation; hierzu einige einfache Gedankenexperimente: a. Ein Maßstab der Länge l wird in ~ey -Richtung in S ausgelegt und seine Länge wird in S 0 gemessen. Der Maßstab hat in S die y-Koordinaten y1 = 0 und y2 = l. Zur Zeit t = t0 = 0 sind die beiden Enden des Maßstabes bei den BeobachterInnen in S 0 an den y-Koordinaten y10 = 0 und y20 = l, da y 0 = y gilt. Der Maßstab in ~ey -Richtung (ebenso in ~ez -Richtung und jede Richtung in der ~ey -~ez -Ebene) hat in beiden Inertialsystemen dieselbe Länge. b. Derselbe Maßstab der Länge l wird in S in ~ex -Richtung ausgelegt und seine Länge wird in S 0 gemessen. Der Maßstab hat in S die Koordinaten x1 = 0 und x2 = l. In S 0 werden beide Koordinaten des Maßstabes zur selben Zeit t0 , also z.B. zur Zeit t0 = 0 gemessen. 0 0 x0 x0 x = √x +vt2 2 liefert für diesen Fall x1 = 0 = √ 1 2 2 und x2 = l = √ 2 2 2 . Hieraus 1−v /c 1−v /c q x01 ergibt sich 0 = und l 1 − v 2 /c2 = Längenkontraktion. x02 , 0 d.h. l = 1−v /c x02 − x01 q = l 1 − v 2 /c2 , also die c. Der Maßstab wird in ~ex -Richtung in S 0 ausgelegt und seine Länge wird in S gemessen. Der Maßstab hat in S 0 die Koordinaten x01 = 0 und x02 = l. In S werden beide Koordinaten des bewegten Maßstabes zur selben Zeit t, also z.B. zur Zeit t = 0 gemessen. x0 = √ x−vt2 2 liefert hier x01 = 0 = √ x1 2 2 und x02 = l = √ x2 2 2 . Hieraus ergibt sich 1−v /c 1−v /c q 0 l = x2 − x1 = l 1 − den Faktor sind. q v 2 /c2 . 1−v /c Der Maßstab in ~ex -Richtung erscheint in beiden Fällen um 1 − v 2 /c2 verkürzt, wenn er bewegt ist, da beide Intertialsysteme äquivalent d. Das Problem mit der Gleichzeitigkeit Die BeobachterInnen in S schauen zu, wie die BeobachterInnen in S 0 das Resultat aus b. gemessen haben. q Diese haben an dem für sie bewegten Maßstab die Koordinaten 0 0 x1 = 0 und x2 = l 1 − v 2 /c2 gemessen. x01 = 0 wird zur zur Zeit t01 = 0 gemessen, also 0 0 2 t +vx /c wegen t1 = √1 12 2 bei t1 = 0. In S 0 messen die BeobachterInnen die Koordinaten x02 1−v /c zur Zeit t20 = 0, also in S zur Zeit t20 + vx02 /c2 t2 = q 1 − v 2 /c2 q = vl 1 − v 2 /c2 /c2 q 1 − v 2 /c2 = vl c2 (57) Ohne die Relativitätstheorie zu kennen, müssen die BeobachterInnen in S annehmen, dass die Längenkontraktion ein Meßfehler ist, weil Anfang und Ende des bewegten Maßstabes zu zwei verschiedenen Zeiten gemessen wurden. In Wahrheit sitzt das Problem aber tiefer, da man für gegeneinander bewegte Inertialsysteme generell keine gemeinsame Zeit finden kann. 38 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 e. Im Ursprungspunkt von S steht eine Pendeluhr, deren Pendel bei t1 = 0 und bei t2 = T tickt (einen Nulldurchgang macht). In S 0 ist der erste Tick bei t10 = 0, der zweite T −vx/c2 = √ T 2 2 . Aufgrund der Zeitdilatation ist in S 0 der Pendelschlag der Uhr t20 = √ 2 2 1−v /c 1−v /c q um den Faktor γ = 1/ 1 − v 2 /c2 verlängert. v γ 1/γ 0.01 c 1.000 05 0.999 95 0.1 c 1.005 0.995 0.9 c 2.294 0.436 0.99 c 7.092 0.141 0.999 c 22.37 0.0447 Anwendung der Lorentz-Transformation: Addition von Geschwindigkeiten BILD 0 In S 0 gelte u0 = xt0 . In S ist u = xt Wie groß ist u als Funktion von u0 und der Relativgeschwindigkeit v? Mit t0 + c2vx x0 + vt0 q x= q und t = 2 2 1 − vc2 1 − vc2 (58) folgt u= x x0 + vt0 = 0 v 0. t t + c2 x (59) Mit x0 = u0 t0 ergibt sich u= u0 + v 0 . 1 + vu 2 c (60) Also u 6= u0 + v, d.h. Geschwindigkeiten werden nicht wie bei der Galilei-Transformation einfach addiert. c+v Für u0 = c ergibt sich u = 1+ v = c (Konstanz der Lichtgeschwindigkeit); c ist die maximal c erreichbare Geschwindigkeit. Für u0 c ergibt sich u ≈ u0 + v, also das Ergebnis der nichtrelativistischen GalileiTransformation. 39 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 2.6 Raum-Zeit-Mannigfaltigkeit und Minkowski-Diagramme Relativistische Vorgänge lassen sich am besten im vierdimensionalen Minkowski-Raum, der sich aus den drei Raumdimensionalen und einer weiteren Dimension ct zusammensetzt (oft wird ict statt ct verwendet), darstellen. Der Einfachheit halber beschränken wir die folgenden Betrachtungen auf eine Raumdimension x, d.h. einen zweidimensionalen Minkowski-Raum. BILD Wie nach Herleitung der Lorentz-Transformation bereits festgestellt wurde, ist s2 = c2 t2 − x2 eine Größe, die unter Lorentz-Transformation invariant ist. s2 = 0 beschriebt die Ausbreitung eines Lichtsignals gemäß x = ±ct. Wir betrachten nun wieder zwei relativ zueinander bewegte Systeme S und S 0 und nehmen an, dass die Koordinatenursprünge von S und S 0 zur Zeit t = t0 = 0 übereinstimmen. Dann ist die Zeitachse von S 0 bestimmt durch x0 = 0 = qx−vt 2 , d.h. x = vt bzw. ct = vc x. 1− v2 c Da > 1 ist, liegt die Zeitachse von S 0 immer zwischen dem Lichtsignal und der Zeitachse von S. t− v x Die Raumachse von S 0 ist bestimmt durch t0 = 0 = q c2 2 , d.h. ct = vc x. Da vc < 1 ist, liegt c v 1− v2 c die Raumachse von S 0 also stets zwischen der Raumachse von S und dem Lichtsignal. Der Winkel zwischen der x- und der ct0 -Achse ist bestimmt durch tan χ = vc . Der Winkel zwischen der x- und der x0 -Achse ist bestimmt durch tan ϕ = vc . Der Winkel ϕ taucht noch einmal zwischen der ct- und der ct0 -Achse auf. Ein Ereignis E wird durch einen Punkt im Minkowski-Raum beschrieben. Die Raum-ZeitKoordinaten ergeben sich in den verschiedenen Bezugssystemen durch die Achsenabschnitte. Zu beachten ist noch, dass die Einheiten der Achsen in S und S 0 nicht identisch sind. 0 Betrachten wir z.B. alle Raum-Zeit-Vektoren der Länge s2 = s 2 = −1, d.h. c2 t2 − x2 = 0 0 c2 t 2 − x 2 = −1, so führt dies auf die Eichhyperbel x2 = c2 t2 + 1. Der Schnittpunkt dieser Kurve mit der x0 -Achse definiert die Längeneinheit dieser Achse. 0 Analog liefert die Betrachtung von s2 = s 2 = 1 die Beziehung c2 t2 = x2 + 1 mit der sich die t0 -Achse eichen läßt. 40 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 BILD Für v 6= 0 zeigen die Raum- und Zeitachsen von S und S 0 nicht in dieselbe Richtung. Man sieht leicht, dass zwei Ereignisse, die in S oder S 0 zu derselben Zeit aber an verschiedenen Orten stattfinden, in dem jeweils anderen System zu unterschiedlichen Zeiten passieren! Ebenso finden Ereignisse, die in S oder S 0 am selben Ort aber zu verschiedenen Zeiten stattfinden, in dem jeweils anderen System zu unterschiedlichen Zeiten statt! Man muß diese Unterschiede berücksichtigen und genaue Meßvorschriften angeben, wenn z.B. Uhren, Maßstäbe, etc. in verschiedenen Bezugssystemen verglichen werden. BILD s = 0 beschreibt gerade die Ausbreitung von Licht, also die Winkelhalbierende im MinkowskiDiagramm. Ist s2 > 0, so ist (ct)2 > x2 und man spricht von einem zeitartigen Abstand, wobei t > 0 bzw. t < 0 der Zukunft bzw. der Vergangenheit entspricht. Ist s2 < 0, so ist x2 > (ct)2 und man spricht von einem raumartigen Abstand. Mit diesem Bereich ist keine Kommunikation möglich, da sich wegen | xt | > c Signale mit Überlichtgeschwindigkeit ausbreiten müßten. 41 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 2.7 Relativistische Masse BILD Zwei gleiche Massen (mA = mB ) fliegen in S mit entgegengesetzten Geschwindigkeiten, sodass der gemeinsame Schwerpunkt (CM) bei xCM = 0 liegt. Wir wählen v = vB , damit S 0 das Ruhesystem für die Masse B ist. Von B aus gesehen ist der Schwerpunkt der beiden Massen bei x0CM = −vt 0 . Die Masse A, die in S am Ort x = −vt ist, hat in S 0 die Geschwindigkeit |vA0 | = | 1+v2v2 /c2 |. 0 0 In S 0 ist der Abstand CM − B = vt 0 , während der Abstand A − CM = (vA0 − v) t 0 etwas kleiner ist. Daher muss gelten m0A (vA0 − v) t 0 = m0B vt 0 (61) bzw. m0A v = = 0 0 mB vA − v v 2v 1+v 2 /c2 −v = ... = c2 + v 2 . c2 − v 2 (62) Diese Gleichung ist noch nicht sehr nützlich, da sie die Geschwindigkeit v bezüglich des Schwerpunktes der Massen enthält. Viel interessanter ist die Abhängigkeit der Masse von vA0 , dem Betrag der Geschwindigkeit der Masse A in S 0 . Dazu benutzen wir " m0B m0A #2 #2 (1 − v 2 /c2 )2 1 + 2v 2 /c2 + v 4 /c4 − 4v 2 /c2 c2 − v 2 = = = c2 + v 2 (1 + v 2 /c2 )2 (1 + v 2 /c2 )2 (1 + v 2 /c2 )2 − 4v 2 /c2 4v 2 /c2 vA02 = = 1 − = 1 − . (1 + v 2 /c2 )2 (1 + v 2 /c2 )2 c2 " (63) Es gilt daher m0A = q m0B 1 − vA02 /c2 (64) . Ein Körper, der in seinem Ruhesystem die Ruhemasse m0 hat, hat also in einem Bezugssystem, in dem er sich mit v bewegt, die Masse m0 m(v) = q = γm0 , (65) 1 − v 2 /c2 d.h. die relativistische Masse steigt mit zunehmender Geschwindigkeit. 42 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 2.8 Relativistische Kraft und Äquivalenz von Energie und Masse Auch in der Relativitätstheorie gilt d F~ = p~ , dt (66) d.h. ohne eine Kraft ist der Impuls erhalten. Allerdings ist der relativistische Impuls (67) p~ = m(v) ~v = γm0~v . Für ~v = v~ex führt dies auf folgende eindimensionale Betrachtung dm dv dv v+m dv dt dt d (mv) = F = dt ! ! dm dv v+m . dv dt = (68) Bei konstanter Kraft ist die Beschleunigung nicht mehr konstant, sondern nimmt aufgrund der Massenzunahme immer weiter ab. Betrachten wir nun die kinetische Energie Z s T = F ds = 0 = Z v = 0 m0 ṽ 0 " ! ! Z v dv dm dm v+m ds = ṽ + m ṽdṽ dv dt dṽ 0 Z s − 21 (−2) ṽ/c2 (1 − ṽ 2 /c2 )3/2 m0 c2 (1 − ṽ 2 /c2 )1/2 #v = 0 ! Z v m0 m ṽ 0 ṽdṽ = + dṽ (1 − ṽ 2 /c2 )1/2 (1 − ṽ 2 /c2 )3/2 0 m0 c2 − m0 c2 = mc2 − m0 c2 , (1 − v 2 /c2 )1/2 (69) Entwickeln des relativistischen Ausdrucks mc2 = q m0 c2 1 3 v4 ≈ m0 c2 + m0 v 2 + m0 2 + ... . 2 8 c 1 − v 2 /c2 (70) führt auf 1 3 v4 T ≈ m0 v 2 + m0 2 + ... , 2 8 c (71) also den klassischen Ausdruck und die niedrigste relativistische Korrektur. In der Relativitätstheorie sind ganz allgemein Energie und Masse zueinander äquivalent. So ist E0 = m0 c2 das Energieäquivalent der Ruhemasse, d.h. die Ruheenergie. Für die Gesamtenergie, d.h. die Summe aus Ruhe- und kinetischer Energie gilt der berühmte Zusammenhang E = mc2 . (72) 43 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Beispiel: Paarerzeugung Ein Elektron-Positron-Paar kann mit einem Lichtquant (Photon E = hν = h̄ω) erzeugt werden. Die Ruheenergie eines Elektrons und eines Positrons ist jeweils ≈ 511 keV . Daher ist der Prozess hν =⇒ e− + e+ (73) ist nur mit hinreichend hochfrequenten Photonen hν ≥ 1022 keV möglich. Beispiel: Kernfusion/Kernspaltung BILD Kernfusion: Zwei Deuteriumkerne verschmelzen zu einem Heliumkern. Die Masse des neuen Kernes ist kleiner als die Summe der Massen der Ausgangskerne. Multipliziert mit c2 entspricht dieser Massendefekt ∆m den Differenzen der Bindungsenergien, also 1 mP . ∆E = ∆m c2 = EHe − 2ED ≈ 28 M eV − 5 M eV = 23 M eV ≈ 40 Kernfusionsreaktoren versuchen diesen Energiegewinn ∆E zu nutzen. Offensichtlich gibt es Kerne mit besonders großer Bindungsenergie: “magische” Protonenzahlen, magische Neutronenzahlen, doppelt magische Kerne. In Sternen finden Fusionen in verschiedenen Lebenszyklen statt: erst wird Wasserstoff zu Helium “verbrannt”, dann werden höhere Elemente erbrütet, bei Eisen (56 F e) ist dann Schluss. Kernspaltung: Man kann auch Energie gewinnen, wenn man schwächer gebundenen schwere Kerne in leichtere Kerne spaltet. Auch hier ist die Masse der Tochterkerne um den Betrag ∆m = ∆E/c2 kleiner als die Masse der Ausgangskerne. 44 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 2.9 Energie-Impuls-Relation Der relativistische Impuls ist P~ = m ~v = γ m0 ~v . (74) Die Energie ist E = m c2 = γ m0 c2 . (75) Jetzt bilden wir E 2 − c2 P~ 2 = m20 c4 (1 − v 2 /c2 ) m20 c4 − m20 v 2 c2 = = m20 c4 . 1 − v 2 /c2 1 − v 2 /c2 (76) Dies liefert die relativistische Energie-Impuls-Beziehung E 2 = m20 c4 + c2 P~ 2 . (77) Als Konsequenz haben auch Teilchen ohne Ruhemasse einen Impuls. Z.B. für Lichtquanten (Photonen) gilt PP hoton = h̄ω EP hoton = . c c (78) Es gibt zwei Sorten Teilchen: ruhemasselose freie Teilchen haben in jedem Inertialsystem im Vakuum die Geschwindigkeit c, während Teilchen mit Ruhemasse (“massive Teilchen”) in jedem Inertialsystem eine Geschwindigkeit haben, die kleiner als c ist. 2.10 Allgemeine Relativitätstheorie Die allgemeine Relativitätstheorie postuliert die Äquivalenz von schwerer und träger Masse. Ferner postuliert sie, dass sich ein Inertialsystem im Schwerefeld nicht von einem beschleunigten Bezugssystem unterscheiden läßt. Dies führt zum Beispiel auf: Lichtablenkung im Gravitationsfeld (Gravitationslinsen) Rotverschiebung des Lichtes im Gravitationsfeld (messbar mit Mössbauer-Effekt) Schwarze Löcher Wenn die Masse eines Sternes zu groß wird, so kollabiert er zu einem Schwarzen Loch, einem Gebilde, für das innerhalb des “Schwarzschild”-Radius RS = γM die potentielc2 le Energie eines Photons kleiner als h̄ω wird. Damit kann noch nicht einmal Licht den Schwarzschild-Radius verlassen und das Schwarze Loch kann nur noch durch seine Gravitation entdeckt werden. 45 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 3 3.1 “Nachschlag zu Wellen´´ Gruppengeschwindigkeit und Phasengeschwindigkeit von Wellen Die “Dispersionsrelation” ω(k) beschreibt die Abhängigkeit der Frequenz von der Wellenzahl. Wir gehen davon aus, dass ω(k) eine stetig differenzierbare Funktion von k ist. Im Folgenden überlagern wir zwei harmonische Wellen gleicher Amplitude, aber mit etwas unterschiedlichen Wellenzahlen k1 und k2 und deshalb auch mit etwas unterschiedlichen Frequenzen ω1 = ω(k1 ) und ω2 = ω(k2 ). Die zwei Wellen sind gegeben durch y1 (x, t) = y0 cos(k1 x − ω1 t) und y2 (x, t) = y0 cos(k2 x − ω2 t) . Mit Hilfe des Additionstheorems ! α−β α+β cos cosα + cos β = 2 cos 2 2 ! erhalten wir y(x, t) = y1 (x, t) + y2 (x, t) ! ! ω1 + ω2 ω1 − ω2 k1 − k2 k1 + k2 x− t cos x− t . = 2 y0 cos 2 2 2 2 (79) Die Überlagerung zweier Wellen mit derselben Amplitude aber etwas unterschiedlicher Wellenzahl stellt eine Welle der Wellenzahl 21 (k1 + k2 ) dar, deren Amplitude durch die Einhüllende (envelope) mit der Wellenzahl 21 (k1 − k2 ) moduliert ist (Schwebung). BILD 46 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Die Maxima der Amplitude innerhalb der Wellengruppe sind gegeben durch ω1 + ω2 k1 + k2 x− t = nπ , 2 2 (80) mit einer ganzen Zahl n. Da k1 und k2 sich nur wenig unterscheiden, können wir in Gl. (80) nähern k1 ≈ k2 ≈ k und ω1 ≈ ω2 ≈ ω. Hieraus folgt für die Maxima kx − ωt = nπ , ω nπ nπ ⇒ x = t− = cph t − , k k k (81) mit der Phasengeschwindigkeit cph = ω . k Mit der Phasengeschwindigkeit bewegen sich die Punkte fester Phase, also Maxima, Minima, und Nulldurchgänge der Wellenamplitude. Die Nullstelle der Einhüllenden liegen bei ω1 − ω2 1 k1 − k2 x− t = (n + )π , 2 2 2 (82) Hier benutzen wir k1 − k2 = dk und ω1 − ω2 = dω und erhalten dk dω 1 x− t = (n + )π , 2 2 2 (n + 12 )2π (n + 21 )2π dω ⇒ x = t− = cgr t − , dk dk dk (83) mit der Gruppengeschwindigkeit cgr = dω , dk mit der sich die Einhüllende bewegt. Hat man eine lineare Beziehung zwischen ω und k, also ω = c0 k, so stimmen Gruppengeschwindigkeit und Phasengeschwindigkeit überein und es gilt cph = cgr = c0 , d.h. alle Geschwindigkeiten sind unabhängig von k. Beispiele hierfür sind das Licht im Vakuum und (in guter Näherung) der Schall. Ist der Zusammenhang zwischen ω und k nicht linear, so ist cgr 6= cph und beide Geschwindigkeiten hängen von k ab. Man spricht in diesem Fall davon, dass Dispersion vorliegt. 47 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Wellenpakete Wenn wir nicht Wellen einzelner diskreter Wellenzahlen überlagern, sondern ein Kontinuum von Wellenzahlen k und zugehörigen Frequenzen ω(k) mit der Gewichtung A(k), so bekommen wir Wellenpakete y(x, t) = Z∞ A(k) cos(kx − ω(k)t) dk . 0 Nur wenn eine lineare Dispersionsrelation ω(k) = c0 k vorliegt, bewegt sich dieses Wellenpaket ohne Formänderung mit der Geschwindigkeit c0 y(x, t) = Z∞ A(k) cos (kx − c0 kt) dk = 0 Z∞ A(k) cos (k [ x − c0 t]) dk 0 = y(x − c0 t, t = 0) . (84) BILD Wellenpakete (allerdings mit quadratischer Dispersionsrelation ω ∝ k 2 ) werden wir im 3. Semester in der Quantenmechanik ausgiebig studieren. Aufgrund der quadratischen Dispersionsrelation von Materiewellen ändern diese als Funktion der Zeit ihre Form. Z.B. verbreitert sich eine lokalisierte Welle mit zunehmender Zeit. Wellenpakete sind auch das Grundelement bei der digitalen Datenübertragung in optischen Wellenleitern. Damit die Wellengruppe nicht verläuft (und sich einzelne Gruppen nicht überholen) muss ω = c0 k extrem genau für den gesamten relevanten Spektralbereich gelten. 3.2 Dispersionsrelationen Für Licht im Vakuum gilt ω = c0 k, mit der Vakuumlichtgeschwindigkeit c0 , streng, d.h. man hat eine dispersionsfreie Ausbreitung. Auf die Oberfläche von Flüssigkeiten wirken die Schwerkraft und die Oberflächenspannung. Außerdem sind die Tiefe der Flüssigkeit h und die Amplitude der Welle relevant. Für kleine Amplituden und große Wellenlängen, also kleine k, kann man die Oberflächenspannung näherungsweise vernachlässigen. Man spricht von Schwerewellen für die gezeigt werden kann, dass r g ω = tanh(hk) , cph = k k 48 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 mit der Erdbeschleunigung g, gilt, d.h., Schwerewellen sind nicht dispersionsfrei. Bei Schwerewellen geht keine Materialeigenschaft der Flüssigkeit in die Dispersionsrelation ein. Die Wasserpartikel bewegen sich auf Kreisbahnen, siehe BILD In tiefen Flüssigkeiten ist die Wellenlänge klein gegen die Tiefe, d.h. λ = 2π/k h, also hk 1. Dann gilt tanh(hk) ≈ 1, und somit g 1 g und cgr = . (85) ω = g k ⇒ cph = k 2 k Wenn wie hier Wellen mit größerer Wellenlänge (kleinerem k) eine größere Phasengeschwindigkeit haben, redet man von “normaler Dispersion”. Außerdem ist in diesem Beispiel die Phasengeschwindigkeit größer als die Gruppengeschwindigkeit, d.h. die Wellengruppe kommt langsamer voran als die einzelnen Wellen. Läuft eine Wasserwelle an den Strand, so wird die Dispersionsrelation ortsabhängig, die transversale Schwingung (Schwingungsrichtung senkrecht auf Ausbreitungsrichtung) transformiert sich in eine longitudinale (Schwingungsrichtung parallel zu Ausbreitungsrichtung), die hochgradig nichtlinear ist. r r q Sogenannte Kapillarwellen (Kräuselwellen) haben sehr viel kleinere Wellenlängen als Schwerewellen. Mit der Oberflächenspannung α und der Dichte ρ gilt s ω= α 3 k ρ s ⇒ cph = α k ρ und cgr 3 = 2 s α 3 k = cph . ρ 2 (86) In diesem Fall ist die Welle mit der kleineren Wellenlänge schneller als die mit der größeren und die Wellengruppe ist schneller als die Linie gleicher Phase. Dies ist also ein Beispiel für die anomale Dispersion. BILD Bei Schallwellen in Festkörpern gilt für große Wellenlängen cph = cgr . Das ändert sich aber, wenn die Wellenlänge kleiner und vergleichbar mit dem Atomabstand a wird. 49 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 3.3 Schwingungen einer eingespannte Saite Eine Saite der Massendichte σ (Einheit kg/m) sei bei x = 0 und x = L eingespannt. Die Saite werde transversal in die y-Richtung so ausgelenkt, dass ihre Auslenkung an den Einspannstellen verschwindet, y(0, t) = y(L, t) = 0. Die Saite wird durch die Kraft F gespannt und habe eine vernachlässigbare Biegesteifigkeit. Die Auslenkung sei sehr klein y(x, t) L. Zur Untersuchung der Kraftverhältnisse betrachten wir ein infinitesimal kleines Stück der Saite zwischen x und x + dx mit der Masse dm = σdx. BILD BILD Da die Saite transversal schwingen soll, ist der Betrag der Spannungskraft F in der Saite konstant. Die Richtung der Kraft ist gleich der Richtung des Saitenelementes. An das Saitenelement greifen die Kräfte F~ (x) und F~ (x + dx) an. Deren Summe muss gleich der Beschleunigungskraft dm ÿ(x, t) sein, die das Saitenelement erfährt. Für die Kraftkomponenten gilt Fy (x) = −F sin θ(x) , Fy (x + dx) = +F sin θ(x + dx) , Fx (x) = −F cos θ(x) , Fx (x + dx) = +F cos θ(x + dx) . 50 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Auf das Saitenelement mit der Masse dm = σ dx wirkt also insgesamt in longitudinaler Richtung die Kraft Flong = Fx (x + dx) + Fx (x) = F (cos θ(x + dx) − cos θ(x)) . Wegen der kleinen Auslenkungen ist θ 1, d.h. cos θ(x) = 1 − (1/2)θ(x)2 + . . . ≈ 1. Also verschwindet die resultierende Kraft in x-Richtung, Fx (x + dx) + Fx (x) ≈ 0; es gibt also keine longitudinalen Beschleunigungen. In transversaler Richtung wirkt auf das Saitenelement die Gesamtkraft Ftrans = Fy (x + dx) + Fy (x) = F (sin θ(x + dx) − sin θ(x)) . Wegen Fy (x) ∂y(x, t) Fy (x) = sin θ(x) ≈ tan θ(x) = = F Fx (x) ∂x und dm ∂ 2 y(x, t) = Ftrans ∂t2 ist die Bewegungsgleichung für das Massenelement dm = σdx gegeben durch ∂ 2 y(x, t) = F σdx ∂t2 ∂y(x + dx, t) ∂y(x, t) − ∂x ∂x ! bzw. ∂ 2 y(x, t) σ = F ∂t2 ∂y(x+dx,t) ∂x − dx ∂y(x,t) ∂x . Im Limes dx → 0 wird hieraus σ ∂ 2 y(x, t) ∂ 2 y(x, t) = F , ∂t2 ∂x2 (87) bzw. 2 ∂ 2 y(x, t) 2 ∂ y(x, t) = c ∂t2 ∂x2 mit c2 = F . σ (88) Dies ist eine partielle Differentialgleichung 2. Ordnung (es treten 2. Ableitungen auf), homogen (es tritt kein Summand auf, der nicht die Funktion y oder eine ihrer Ableitung enthält), linear (y und deren Ableitungen kommen nur in 1. Potenz vor), mit konstanten Koeffizienten (c hängt nicht von (x, t) ab). 51 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Zur Lösung dieser linearen und homogenen Differentialgleichung kann man folgende Eigenschaft nutzen: Sind y1 (x, t), y2 (x, t), . . . , yn (x, t) Lösungen einer homogenen und linearen Differentialgleichung, so sind es es auch alle Linearkombinationen y(x, t) = n X cl yl (x, t) mit konstanten Koeffizienten cl . l=1 (und natürlich existiert auch die triviale Lösung y(x, t) = 0.) Wir suchen nicht irgendwelche Lösungen dieser partiellen Differentialgleichung, sondern diejenigen Lösungen, die die physikalischen Randbedingungen der Saite erfüllen, also y(0, t) = y(L, t) = 0 . Aus der Theorie der partiellen Differentialgleichungen, aber auch aus der physikalischen Erfahrung wissen wir, dass wir außerdem noch Anfangsbedingungen vorgeben können, z. B. können wir für eine bestimmte Zeit t0 verlangen ∂y(x, t0 ) = g(x) , ∂t also die Anfangsauslenkung und -geschwindigkeit vorgeben. Oft ist man mit Lösungen zufrieden, die die erste Bedingung mit t0 = 0 und die zweite mit g(x) = 0 erfüllen. Ist die Saite zur Zeit t = 0 ausgelenkt mit y(x, t0 ) = f (x) und y(x, t = 0) = f (x) und ∂y(x, t = 0) = 0, ∂t so muss natürlich die Randbedingung erfüllt sein, d.h. es muss gelten f (0) = f (L) = 0. Die mathematische Theorie der Differentialgleichungen macht genauere Aussagen dazu welche Anfangsbedingungen bei gegebenen Randbedingungen möglich sind. 3.4 Lösung der Wellengleichung durch Separationsansatz Nun wollen wir die eindimensionale Wellengleichung 2 ∂ 2 y(x, t) F 2 ∂ y(x, t) = c mit c2 = (89) 2 2 ∂t ∂x σ lösen. Weil die partiellen Ableitungen nach x und t getrennt sind, verwenden wir den “Separationsansatz” (90) y(x, t) = X(x)T (t) . Einsetzen in die partielle Differentialgleichung ergibt 2 ∂ 2 X(x)T (t) 2 ∂ X(x)T (t) = c . ∂t2 ∂x2 52 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Hieraus folgt X(x) d2 T (t) d2 X(x) 2 = c T (t) . dt2 dx2 Multiplizieren mit 1 X(x)T (t) (X(x)T (t) 6= 0) ergibt 1 d2 T (t) 1 d2 X(x) 2 = c . T (t) dt2 X(x) ∂x2 Da die linke Seite der Gleichung die Variable t nicht enthält und die rechte die Variable x nicht enthält, müssen beide Seiten gleich einer Konstanten sein, die (im Vorgriff auf das spätere Resultat) −ω 2 genannt wird 1 d2 X(x) 1 d2 T (t) 2 = c = −ω 2 . 2 2 T (t) dt X(x) ∂x Wir haben also zwei gewöhnliche lineare (Schwingungs-)Differentialgleichungen 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten zu lösen d2 T (t) = −ω 2 T (t) und dt2 d2 X(x) = −k 2 X(x) , dx2 (91) (92) mit ω = ck. An dieser Stelle verwenden wir aus der Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen den Satz: Eine homogene lineare Differentialgleichung 2. Ordnung d d2 y(x) + g(x) y(x) + h(x)y(x) = y 00 (x) + g(x)y 0 (x) + h(x)y(x) = 0 2 dx dx hat zwei linear unabhängige Lösungen y1 (x) und y2 (x). Alle Lösungen dieser Differentialgleichung sind als Linearkombinationen von y1 (x) und y2 (x) darstellbar y(x) = a1 y1 (x) + a2 y2 (x) . Zwei Lösungen sind linear unabhängig, falls die Wronski-Determinante nicht verschwindet, also W (y1 , y2 ) = det y1 (x) y2 (x) y10 (x) y20 (x) = y1 (x)y20 (x) − y2 (x)y10 (x) 6= 0 . Für lineare homogene Differentialgleichungen n.ter Ordnung gilt, dass genau n nichttriviale linear unabhängige Lösungen existieren. 53 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Da wir gerade dabei sind: Schon bei den erzwungenen Schwingungen sind wir inhomogenen Differentialgleichungen 2. Ordnung begegnet. Für diese gilt der Satz: Mit einer irgendwie gefundenen (geratenen, ...) “speziellen” Lösung yS (x) der inhomogenen linearen Differentialgleichung 2. Ordnung yS00 (x) + g(x)yS0 (x) + h(x)yS (x) = k(x) kann man alle Lösungen dieser inhomogenen Differentialgleichung darstellen als Linearkombination von yS (x) mit den Lösungen y1 (x) und y2 (x) der zugehörigen homogenen Differentialgleichung (also mit k(x) = 0) gemäß y(x) = yS (x) + a1 y1 (x) + a2 y2 (x) . Der Beweis erfolgt durch Einsetzen der Lösung in die inhomogene Differentialgleichung. (Die spezielle inhomogene Lösung yS (x) darf natürlich nicht mit einer Konstanten multipliziert werden, da sie dann keine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung mehr ist.) Nun zurück zu unserem Problem d2 T (t) = −ω 2 T (t) und 2 dt d2 X(x) = −k 2 X(x) , dx2 (93) (94) mit ω = ck. Funktionen, die sich durch zweifaches Ableiten bis auf einen Faktor reproduzieren sind sin, cos oder exp. Wir probieren aus und schreiben die Lösung als X(x) = a1 sin kx + a2 cos kx . Sind die beiden Lösungen linear unabhängig? W (y1 , y2 ) = det y1 (x) y2 (x) y10 (x) y20 (x) = sin(kx) cos0 (kx) − cos(kx) sin0 (kx) = sin(kx)(−k sin(kx)) − cos(kx)(k cos(kx)) = −k 6= 0 . 54 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Analog lösen wir die andere Differentialgleichung durch T (t) = b1 sin ωt + b2 cos ωt . Jetzt wollen wir die Randbedingungen betrachten. Es muss gelten y(x = 0, t) = (a1 sin(0) + a2 cos(0)) (b1 sin ωt + b2 cos ωt) = 0 . Dies ist für beliebige Zeiten t nur erfüllbar, falls a2 = 0 ist. Die andere Randbedingung lautet y(x = L, t) = a1 sin(kL) (b1 sin ωt + b2 cos ωt) = 0 . Diese Bedingung ist für beliebige Zeiten t nur erfüllbar, falls a1 sin(kL) = 0, also durch kL = n π mit ganzzahligem n. Auf der Saite können also wegen den Randbedingungen nur bestimmte Eigenmoden schwingen. Für diese gilt kn = n π L und ωn = n πc L bzw. λ = 2π 2L = . kn n Diese harmonischen Schwingungen (= Lösungen zu fester Kreisfrequenz) existieren mit Wellenlängen λn = 2L/n und (n − 1) Knoten (Nullstellen). BILD Zusammengefasst bekommen wir als Normalschwingungen folgende Lösungen der Differentialgleichung mit Randbedingungen Yn1 (x, t) = an cos(ωn t) sin(kn x) , Yn2 (x, t) = bn sin(ωn t) sin(kn x) , (95) (96) mit ωn = n πc und kn = n Lπ . Diese Lösungen sind stehende Wellen mit einer harmoniL schen Zeitabhängigkeit. 55 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Wir fordern nun als Anfangsbedingung, dass die Saite zur Zeit t = 0 ausgelenkt und in Ruhe ist, also y(x, t) = f (x) und t=0 ∂y(x, t) = 0. ∂t t=0 Wegen dtd sin(ωn t)|t=0 = ωn cos(ωn 0) = ωn 6= 0, muss bn = 0 sein. Die an können ungleich Null sein, da dtd cos(ωn t)|t=0 = −ωn sin(ωn 0) = 0 ist, was die Anfangsbedingung erfüllt. Mit den physikalischen Randbedingungen und der von uns gewählten Anfangsbedingung sind die Lösungen also Yn (x, t) = an cos(ωn t) sin(kn x) mit ωn = n πc L und kn = n π . L Durch Überlagern dieser Normalschwingungen können wir jede “vernünftige” Anfangsbedingung erfüllen, indem wir f (x) = X an sin(kn x) n bilden, d.h. die vorgegebene Auslenkung nach den Normalschwingungen entwickeln. Die mit den Rand- und Anfangsbedingungen verträgliche Lösung der Wellengleichung ist dann y(x, t) = X an cos(ωn t) sin(kn x) . n Im folgenden Abschnitt, betrachten wir die Entwicklung von im Intervall [0, 2L] periodischen Funktionen. Hierfür wird die Saitenschwingung zu einer in x periodischen Schwingung ergänzt, so dass die Periodenlänge gleich 2L und die Schwingung ungerade bezüglich der Stellen x = 0 und x = L ist, d.h. f (x + L) = −f (x) . 56 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 3.5 Fourierreihen f (x) sei eine im Intervall 0 ≤ x ≤ 2L stückweise stetige und periodische Funktion und besitze in diesem Intervall höchstens endlich viele Unstetigkeitsstellen mit höchstens endlicher Sprungweite. Mit diesen (“Dirichletschen”) Bedingungen kann f (x) nach Fourier (J. Fourier, “Theorie analytique de la chaleur”, 1822) entwickelt werden, gemäß ∞ a0 X + an cos n Lπ x + bn sin n Lπ x , f (x) = 2 n=1 (F1) mit 2L 1Z a0 = f (x) dx , L 0 2L 1Z an = f (x) cos n Lπ x dx L 2L 1Z f (x) sin n Lπ x dx . bn = L und 0 (F2) 0 Dieser Satz wird im folgenden nicht streng bewiesen, aber ein wenig genauer analysiert. Zunächst zeigen wir die Orthogonalitätsrelationen der trigonometrischen Funktionen. Es gilt (δn,m ist das Kronecker-Delta-Symbol für das gilt δn,m = 1 für n = m und δn,m = 0 für n 6= m) Z2L cos nπx L cos mπx L dx = L δn,m , Z2L sin n Lπ x sin mLπ x dx = L δn,m , 0 0 Z2L sin n Lπ x cos mLπ x dx = 0 . 0 Der Integrand des ersten Integrals läßt sich wegen des Additionstheorems cos α cos β = 1 1 cos (α + β) + cos (α − β) 2 2 umformen in cos n Lπ x cos mLπ x 1 (n + m) π x = cos 2 L ! 1 (n − m) π x + cos 2 L ! . Nun ist aber Z2L 0 (n + m) π x cos L ! dx = 2L δn,−m und Z2L 0 57 (n − m) π x cos L ! dx = 2L δn,m . Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Da n und m positive natürliche Zahlen sind, gibt es also nur für n = m einen Beitrag Z2L cos nπx L cos nπx L 2L 1Z dx = 1 + cos 2nLπ x dx = L . 2 0 0 Die anderen Relationen können analog bewiesen werden. Anmerkung: Sieht man das Integral als Skalarprodukt zwischen Winkelfunktionen an, so sind in diesem Sinne die Funktionen cos n Lπ x und sin mLπ x auf dem Intervall [0, 2L] orthogonal zueinander (so wie die Einheitsvektoren ~ei orthogonal aufeinander sind, d.h. es gilt ~ei · ~ej = δi,j ). Mit diesen Hilfsmitteln beweisen wir nicht das Fouriersche Theorem selber, sondern etwas bescheidener, den Satz: Wenn f (x) nach (F1) entwickelt werden kann, dann müssen die Entwicklungskoeffizienten an und bn durch die Formeln (F2) gegeben sein. Hierfür multiplizieren wir (F1) auf beiden Seiten mit cos mLπ x und integrieren über 2L, so ergibt sich Z2L f (x)cos 0 mπx dx L = 2L Z2L ∞ X a0 Z mπx cos L dx + an cos mLπ x cos n Lπ x dx 2 n=1 0 0 + ∞ X n=1 bn Z2L cos mLπ x sin n Lπ x dx 0 = am L , also die Formel für am . Die Formel für bm erhält man analog. Insgesamt gelten also die Formeln für die Entwicklungskoeffizienten gemäß (F2). Da alle Integranden in (F2) 2L periodisch sind, kann man anstatt von 0 bis 2L über ein beliebiges Intervall der Länge 2L integrieren, z.B. von −L nach +L. Daher kann man aus (F2) sofort ablesen, dass für ungerade Funktionen (f (−x) = −f (x)) an = 0 für alle n ist und für gerade Funktionen (f (−x) = f (x)) ist bn = 0 für alle n. 58 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Beispiel: Symmetrisch gezupfte Saite BILD Die Saite werde “symmetrisch gezupft”, siehe Skizze. Da f (x) eine periodische Funktion sein muss, damit sie nach Fourier entwickelbar ist, müssen wir sie periodisch fortsetzen. Da f (x) nicht aber die erste Ableitung von f (x) an der Stelle L verschwindet, müssen wir f (x) so fortsetzen, dass f (x) ungerade wird, also an = 0. Es sind aber auch nur diejenigen bn von Null verschieden, für die gilt sin nπ(L + x) nπ(L − x) = − sin , L L also nur ungerade n. Dann ist das Integral von 0 bis 2L aber gerade zweimal gleich dem Integral von 0 bis L. Dies nützen wir aus, da wir das Integral ja nur in Stücken geschlossen integrieren können. Im Intervall [0, L] gilt f (x) = 2 hx L 0≤x≤ , L 2 . 2h L−x L , L 2 ≤x≤L Also berechnen wir L bn = = 2Z f (x) sin n Lπ x dx, L 2 L 0 L/2 Z 0 L 2hx 2 Z 2h nπx sin L dx + (L − x) sin n Lπ x dx . L L L L/2 Das erste Integral wird partiell integriert L/2 4 Z x sin n Lπ x dx h 2 L 0 R f (x)g 0 (x)dx = [f (x)g(x)]ba − L/2 4 L 4 −h 2 x cos n Lπ x +h 2 L nπ L 0 = b a 4h nπ = 0 + 2 2 sin nπ 2 59 . L nπ Rb 0 f (x)g(x)dx a L/2 Z 1 cos n Lπ x dx 0 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Das zweite Integral berechnet man analog und erhält 8h nπ bn = 2 2 sin nπ 2 . Damit erhalten wir als Ergebnis (für ungerade n ist sin = nπ 2 = (−1)(n+1) ) πx πct 3πx 3πct 8h 1 1 sin cos − 2 sin cos 2 2 π 1 L L 3 L L y(x, t) 1 5πx 5πct + 2 sin cos 5 L L + ... . Die Abbildung zeigt die Fourier-Reihe der Sägezahn-Funktion mit den Fourierkomponenten zu n = 1,3,5, und der Reihe, aufsummiert bis nmax = 3,5,10,200. Die Reihe konvergiert mit bn ∼ 1/n2 , da die Funktion f (x) stetig ist. Bei der gezupften Saite werden neben der Grundschwingung also auch die Oberschwingungen mit ungeradem n angeregt, wegen der Randbedingungen fehlen die Obertöne mit geradem n. Wegen der Obertöne ist diese Schwingung nicht mehr harmonisch, also keine Normalschwingung. 60 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Beispiel: Für die periodisch fortgesetzte Stufenfunktion ergibt sich an = 0 und bn = 1/n für ungerade n. Die Reihe konvergiert langsamer als bei der Sägezahnfunktion, da f (x) unstetig ist. An der Unstetigkeitsstelle kommt es zu einem Überschwinger von fast 18% der Sprunghöhe. Mit fortschreitender Konvergenz (Zahl der Oberwellen) wird die Breite des Überschwingers kleiner, seine Höhe ändert sich aber nicht. Dieser Effekt heißt Gibbssches Phänomen und tritt an jeder Unstetigkeitsstelle auf, siehe z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/Gibbssches Ph%C3%A4nomen 61 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 62 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 4 Lagrangesche und Hamiltonsche Formulierungen der Mechanik In diesem Kapitel sollen die Grundprinzipien der Massenpunktmechanik dargestellt werden und neuartige Formulierungen der Bewegungsgleichungen entwickelt werden. Auch wenn der Gültigkeitsbereich der neuen Formalismen nicht über den der Newtonschen Gleichungen hinausgeht, ist die Verwendung der neuen Formalismen aus verschiedenen Gründen und oft auch für konkrete Probleme (z.B. mit Symmetrien, eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten, ...) vorteilhaft. Zudem haben einige der vorgestellten Prinzipien eine übergeordnete Bedeutung, da sie nicht nur auf mechanische Probleme sondern auch auf andere Gebiete der Physik anwendbar sind. 4.1 Zwangskräfte und Lagrangesche Multiplikatoren Wir wollen die Bewegung von Massenpunkten beschreiben, die im Raum einschränkt ist. Beispielsweise von einem Massenpunkt, der sich nur auf einer Fläche, die durch f (x, y, z, t) = 0 definiert ist, bewegen kann. Oder von einem Massenpunkt, der sich nur auf einer festgelegten Bahn, die durch zwei Gleichungen f1 (x, y, z, t) = 0 und f2 (x, y, z, t) = 0 beschrieben wird, bewegt. Man kann nun entweder die Bewegung des Massenpunkts unter Einwirkung der äußeren Kraft F~ mit den Zwangsbedingungen fi = 0 berechnen. Alternativ kann man die Einschränkungen der Bewegung durch sogenannte Zwangskräfte F~ (Z) i beschreiben, die zusätzlich zu den äußeren Kräften auf den Massenpunkt wirken. Die Bewegungsgleichung lautet dann m~¨r = F~ + X F~ (Z) i . i Die Zwangskräfte sind allerdings zunächst noch unbekannt, da sie von der Bewegung des Massenpunkts abhängen. Bei der Zwangsbedingung f (x, y, z, t) = 0 steht die Zwangskraft senkrecht auf der durch f definierten Fläche, da sie den Massenpunkt ja gerade auf dieser Fläche hält. Es ist also ~ (x, y, z, t) , F~ (Z) = λ∇f wobei λ ein sogenannter Lagrangescher Multiplikator ist. 63 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Somit lauten die zu lösenden Gleichungen ~ m~¨r = F~ + λ∇f und f = 0. Das sind vier Gleichungen für die vier Variablen ~r und λ. In Komponenten lauten die Bewegungsgleichungen mẍ = Fx + λ ∂f , ∂x mÿ = Fy + λ ∂f , ∂y mz̈ = Fz + λ ∂f . ∂z (97) Wenn die Zwangsbedingung eine zeitunabhängige Fläche beschreibt, f (x, y, z) = 0, dann ist der Lösungsweg einfach. Wir differenzieren f nach der Zeit, d.h. wir bilden die totale Zeitableitung ∂f ∂f ∂f ∂f d f (x, y, z) = ẋ + ẏ + ż + = 0. dt ∂x ∂y ∂z ∂t |{z} =0 In die zweite totale Zeitableitung von f ∂ 2f ∂ 2f ∂ 2f ∂ 2f ∂ 2f ∂ 2f d2 f = ẍ + ÿ + z̈ + 2 ẋ ẏ + 2 ẋ ż + 2 ẏ ż = 0 dt2 ∂x2 ∂y 2 ∂z 2 ∂x∂y ∂x∂z ∂y∂z setzen wir für ẍ, ÿ und z̈, die Bewegungsgleichungen, Gl. (97), ein und können dann auflösen nach λ = λ(x, y, z, ẋ, ẏ, ż). Damit ist der Lagrangesche Parameter λ eine bekannte Funktion der Koordinaten und der Geschwindigkeiten, mit der die Bewegungsgleichungen gelöst werden können. Beispiel: Massenpunkt auf der Ebene z = 0 Wir fordern für einen Massenpunkt in einem beliebigen Potential V (~r) die Zwangsbedingung f (x, y, z) = z(t) = 0. Das ergibt die Bewegungsgleichung ~ = λ∇f ~ m~¨r + ∇V bzw. in Komponenten mẍ + ∂V = 0, ∂x mÿ + ∂V = 0, ∂y mz̈ + ∂V ∂f = λ . ∂z ∂z} | {z (Z) Fz Nach unserem Lösungsschema ist ∂f ∂f = 0, = 0, ∂x ∂y df ∂f ∂f ∂f ∂f = 0 = ẋ + ẏ + ż = ż = ż, dt ∂x ∂y ∂z ∂z d2 f d = ż = z̈ = 0 . 2 dt dt f (x, y, z) = z(t) = 0, 64 ∂f = 1, ∂z Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 In die letzte Gleichung setzen wir die Bewegungsgleichung ein d2 f dt2 = 0 = z̈ = λ ∂f −1 ∂V + m ∂z m ∂z ⇒ λ=+ ∂V . ∂z Hieraus ergibt sich mẍ + ∂V ∂x = 0, mÿ + ∂V = 0, ∂y Fz(Z) = + z(t) = 0 , ∂V . ∂z In der x-y-Ebene kann sich der Massenpunkt also frei bewegen. Die z-Komponente der äußeren Kraft F~ wird exakt durch die Zwangskraft Fz(Z) kompensiert und der Massenpunkt bleibt daher bei z = 0. Dies kennen wir aus dem täglichen Leben, denn die Zwangskraft, mit der der Fußboden unserer Schwerebeschleunigung entgegenwirkt, kompensiert diese Kraft exakt. Ein etwas komplizierteres Beispiel: Beispiel: Massenpunkt auf einer schiefen Ebene im Schwerefeld Die Zwangsbedingung f (x, y, z) = z − x tan α , führt zu Bewegungsgleichungen ∂f = − λ tan α , (∗) ∂x ∂f = λ = 0, ∂y ∂f = λ − mg = λ − mg . (∗∗) ∂z mẍ = λ mÿ mz̈ Die totalen Zeitableitungen von f sind df = 0 dt BILD d2 f = 0 dt2 Multiplikation der letzten Zeile mit m ergibt −mẍ tan α + mz̈ = 0 . Einsetzen der Bewegungsgleichungen (*) und (**) führt auf −(−λ tan α) tan α + (−mg + λ) = 0 . 65 ∂f ∂f ∂f ẋ + ẏ + ż ∂x ∂y ∂z = ż − ẋ tan α , = = z̈ − ẍ tan α . Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Auflösen nach λ ergibt λ(1 + tan2 α) − mg = 0 , was wegen 1+ cos 2 α + sin 2 α 1 sin2 α = = cos 2 α cos 2 α cos2 α umgeformt werden kann in λ − mg = 0 cos2 α ⇒ λ = mg cos 2 α . Damit ist λ bestimmt und kann in die Bewegungsgleichungen eingesetzt werden mẍ = −mg sin α cos α , mÿ = 0 , mz̈ = −mg + mg cos2 α = − mg sin 2 α . Anmerkung: Zwangsbedingungen, die man in der Form f (x, y, z, t) = 0 angeben kann, nennt man holonom. Ein Beispiel für eine nicht holonome Zwangsbedingung ist die Bewegung innerhalb einer Kugel, also x2 + y 2 + z 2 ≤ R2 . Bei den holonomen Zwangsbedingungen unterscheidet man zwischen = 0 ist, und holonom-skleronom, wenn ∂f ∂t ∂f holonom-rheonom, wenn ∂t 6= 0 ist. 4.2 Gleichgewicht der Kräfte und virtuelle Arbeit Ein Gleichgewicht ist durch ~r˙ = 0 und ~¨r = 0 gekennzeichnet. In einem System mit Zwangskräften muss also F~ + F~ (Z) = 0 gelten, d.h. die Gleichgewichtsbedingung lautet ~ = 0. F~ + λ∇f Beispiel: Die Bewegung eines Massenpunkts im Schwerefeld Fx = 0, Fy = 0, Fz = − mg, sei auf die Kugel f (x, y, z) = x2 + y 2 + z 2 − R2 = 0 beschränkt. Dann ist ∂f = 2x, ∂x ∂f = 2y, ∂y ∂f = 2z. ∂z 66 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Die Gleichgewichtsbedingung ~ = 0 F~ + λ∇f wird zu 2λx = 0, 2λy = 0, −mg + 2λz = 0 ⇒ λ= mg . 2z Der Massenpunkt ist also nur für x = 0, y = 0, im Gleichgewicht. Dann ist aber wegen der Kugelgleichung z = ±R, d.h. es ist λ = ± mg und somit 2R F~ (Z) GG = λ2z~ez = +mg~ez = −F~ . Im Gleichgewicht kompensiert die Zwangskraft gerade genau die Schwerkraft. Virtuelle Verrückung Der Ort des Massenpunkts wird um eine kleine “virtuelle Verrückung” (δx, δy, δz) = δ~r räumlich verschoben, wobei keine Translation in der Zeit erfolgt (δt = 0). Die Verrückung soll klein sein und in alle Richtungen erfolgen, die mit den Zwangsbedingungen verträglich sind. Das “virtuelle” dieser Verrückung sieht man für zeitabhängige Zwangsbedingungen sofort: Bei einer reellen Bewegung des Massenpunkts würde die Zwangsbedingung gemäß f (x, y, z, t) −→ f (x + dx, y + dy, z + dz, t + dt) verändert und es gilt f (x, y, z, t) = f (x + dx, y + dy, z + dz, t + dt) = 0. Daher verschwindet das totale Differential von f df = ∂f ∂f ∂f ∂f dx + dy + dz + dt = 0 . ∂x ∂y ∂z ∂t Bei einer virtuellen Verrückung dagegen soll δ~r = (δx, δy, δz) zur Zeit t mit der Zwangsbedingung zur Zeit t verträglich sein, also muss gelten ~ · δ~r = ∂f δx + ∂f δy + ∂f δz = 0 . ∇f ∂x ∂y ∂z ~ senkrecht auf der durch f definierten Fläche steht, gilt Da die Zwangskraft F~ (Z) = λ∇f F~ (Z) · δ~r = 0 für jede virtuelle Verrückung, d.h. bei jeder virtuellen Verrückung verschwindet die Arbeit der Zwangskraft. 67 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Im Gleichgewicht gilt außerdem F~ + F~ (Z) = 0, also muss für jede virtuelle Verrückung im Gleichgewicht ∆W = F~ · δ~r = 0 gelten, d.h. im Gleichgewicht verschwindet bei jeder virtuellen Verrückung die Arbeit der äußeren Kraft. Wegen F~ + F~ (Z) = 0 gilt für jede virtuellen Verrückung im Gleichgewicht zudem ~ ) · δ~r = 0 (F~ + λ∇f bzw. (Fx + λ ∂f ∂f ∂f )δx + (Fy + λ )δy + (Fz + λ )δz = 0 . ∂x ∂y ∂z Falls die Kraft konservativ ist, also ein zeitunabhängiges Potential hat, so wird die Gleichgewichtsbedingung ~ ) · δ~r = − δV . F~ · δ~r = 0 = − (∇V ~ auf allen virtuellen VerrückunDer Massenpunkt ist in einer Gleichgewichtsposition, wenn ∇V gen orthogonal ist. Dies kann zum Beispiel für den Massenpunkt auf der Kugeloberfläche leicht nachgeprüft werden. 4.3 Das d’Alembertsche Prinzip Wir starten wieder von der Bewegungsgleichung des Massenpunkts F~ + F~ (Z) − m~¨r = 0 , die wir skalar mit δ~r multiplizieren δ~r · F~ − δ~ F~ (Z)} +mδ~r · ~¨r = 0 . | r ·{z =0 Also gilt für alle virtuellen Verrückungen (F~ − m~¨r) · δ~r = 0 . Für einen freien Massenpunkt, für den δ~r beliebig ist, ist die obige Gleichung äquivalent zur Newton-Gleichung F~ − m~¨r = 0. Für ein System, bei dem δ~r Einschränkungen unterworfen ist, gilt diese Äquivalenz allerdings nicht. Die Nützlichkeit des d’Alembertschen Prinzips soll durch einige einfache Beispiele demonstriert werden. 68 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Beispiel: Flaschenzug im Gleichgewicht: Das Problem ist eindimensional, deshalb verzichten wir auf die Vektornotation. Zwei Massen m und M sind durch ein Seil über einen Flaschenzug so miteinander verbunden, dass δz1 = − 31 δz2 gilt. Die Massen von Seil und Flaschenzug werden vernachlässigt. Die Gleichgewichtsbedingung ∆W = F1 δz1 + F2 δz2 = 0 läßt sich auflösen zu F1 = 3F2 oder wegen F1 = mg und F2 = M g zu M = 3m. BILD Atwoodsche Fallmaschine Zwei Massen sind über ein masseloses Seil und eine masselose Rolle aneinander gekoppelt. Im Schwerefeld der Erde gilt F1 = −m1 g , F2 = −m2 g . Nach dem d’Alembertschen Prinzip ist (F1 − m1 z̈ 1 )δz1 + (F2 − m2 z̈ 2 )δz2 = 0 Wegen der Zwangsbedingung δz1 = −δz2 muss auch z̈ 1 = −z̈ 2 gelten, d.h. (−m1 g − m1 z̈ 1 )δz1 − (−m2 g + m2 z̈ 1 )δz1 = 0 , −m1 g + m2 g − m1 z̈ 1 − m2 z̈ 1 = 0 , z̈ 1 = m2 − m1 g = a. m1 + m2 Diese Bewegungsgleichung integrieren wir sofort und erhalten ż 1 (t) = at + v0 , a 2 z1 (t) = t + v0 t + z0 . 2 BILD 69 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Zur Bestimmung des Kräftegleichgewichtes kann das d’Alembertsche Prinzip auch in vielen Fällen verwendet werden, die wenig mit der Bewegung eines Massenpunkts zu tun haben. Beispiel: Wie hoch steigt die Flüssigkeit in einer Kapillare? Eine Flüssigkeit mit der Oberflächenspannung σ benetze die Kapillare vollständig. Um den Flüssigkeitsspiegel in der Kapillare um die Höhe δh anzuheben, wird die virtuelle Arbeit δW1 = δV ρg = πr2 ρ g δh aufgebracht. Bei vollständiger Benetzung des Rohres ändert sich dabei die freie Oberfläche um δA = −2π r δh . BILD Dies entspricht einer Änderung der Oberflächenenergie um δW2 = δA σ = −2π r δh σ . Das Prinzip der verschwindenden virtuellen Arbeit ergibt die Gleichgewichtsbedingung ⇒ 4.4 BILD δW1 + δW2 = 0 , π r2 h ρ δh g − 2π r σ δh = 0 , 2σ 1 2π r σ δh = . h= 2 π r ρ g δh ρg r Das Hamiltonsche Prinzip Wir wollen die Frage untersuchen, wodurch sich die von einem Massenpunkt durchlaufene “wahre” Bahn von anderen möglichen Bahnen unterscheidet. Der Massenpunkt bewege sich auf der Bahnkurve ~r(t) von ~r(t0 ) nach ~r(t1 ). Die Bewegung auf dieser wahren Bahn genügt den Bewegungsgleichungen mit Zwangsbedingungen. Wir wollen eine davon abweichende Bahnkurve ~r 0 (t) betrachten, die sich von ~r(t) nur um die infinitesimale Verschiebung δ~r(t) unterscheidet ~r 0 (t) = ~r(t) + δ~r(t) . 70 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Anfangsort und Anfangszeit sowie Endort und Endzeit der Bahn sollen fest vorgegeben sein und nicht variiert werden. D.h. es ist ~r 0 (t0 ) = ~r(t0 ) und ~r 0 (t1 ) = ~r(t1 ), also δ~r(t0 ) = δ~r(t1 ) = 0 . Bei gebundenen Systemen müssen die δ~r(t) mit den Zwangsbedingungen verträglich sein. Wir untersuchen alle Bahnkurven ~r 0 (t), die diesen Bedingungen genügen. In Komponenten (xi = x, y, z für i = 1, 2, 3) ist ~r(t) = (x1 (t), x2 (t), x3 (t)) und ~r˙ (t) = (ẋ1 (t), ẋ2 (t), ẋ3 (t)) . Alle Bahnkoordinaten sollen zweimal stetig differenzierbare Funktionen der Zeit t sein. Dann ist auch δ~r(t) zweimal stetig differenzierbar und es gilt d 0 d d δxi (t) = xi (t) − xi (t) = ẋ0i − ẋi = δ ẋi (t) , dt dt dt also d d δxi (t) = δ xi (t) = δ ẋi (t) . dt dt Der Wert einer Funktion der Koordinaten des Massenpunkts, also Φ(x1 , x2 , x3 ; ẋ1 , ẋ2 , ẋ3 , t) ändert sich bei der virtuellen Verrückung um δΦ = Φ(x1 + δx1 , x2 + δx2 , x3 + δx3 ; ẋ1 + δ ẋ1 , ẋ2 + δ ẋ2 , ẋ3 + δ ẋ3 , t) − Φ(x1 , x2 , x3 ; ẋ1 , ẋ2 , ẋ3 , t) ∂Φ ∂Φ ∂Φ ∂Φ ∂Φ ∂Φ δx1 + δx2 + δx3 + δ ẋ1 + δ ẋ2 + δ ẋ3 ≈ ∂x1 ∂x2 ∂x3 ∂ ẋ1 ∂ ẋ2 ∂ ẋ3 ! 3 X ∂Φ ∂Φ = δxi + δ ẋi . ∂ ẋi i=1 ∂xi δΦ unterscheidet sich von einem totalen Differential dΦ durch das Fehlen eines Termes mit der partiellen Ableitung nach t. Wir betrachten nun das d’Alembertsche Prinzip 3 X (Fi − mẍi )δxi = 0 . (∗) i=1 Wegen d (ẋi δxi ) = ẍi δxi + ẋi δ ẋi ist dt d d 1 2 ẍi δxi = (ẋi δxi ) − ẋi δ ẋi = (ẋi δxi ) − δ ẋ , dt dt 2 i da δ(ẋ2i ) = (ẋi + δ ẋi )2 − ẋ2i = ẋi 2 + 2ẋi δ ẋi + (δ ẋi )2 − ẋ2i = 2ẋi δ ẋi + (δ ẋi )2 ≈ 2ẋi δ ẋi , d.h. wir berücksichtigen nur den in δ ẋi linearen Anteil. 71 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Damit ist 3 N X 1 d X mẋi 2 mẋi δxi − δ mẍi δxi = dt 2 i=1 i=1 i=1 3 X ! . Mit (∗) ergibt sich die Lagrangesche Zentralgleichung 3 3 N X X d X 1 mẋi 2 + mẋi δxi = δ Fi δxi = δT + δW dt i=1 i=1 i=1 2 ! mit der Variation der kinetischen Energie δT und der Variation der geleisteten Arbeit δW . Wir integrieren die Gleichung to t0 bis t1 Zt1 t0 t Z1 3 3 t1 X d X mẋi δxi dt = mẋi δxi = (δT + δW )dt . dt i=1 i=1 t ! 0 t0 Da δxi an beiden Integrationsgrenzen verschwindet, folgt hieraus das verallgemeinerte Hamiltonsche Prinzip Zt1 (δT + δW ) dt = 0 . t0 Falls ein Potential existiert (das sogar zeitabhängig sein darf), so gilt δW = 3 X Fi δxi = − i=1 3 X ∂V δxi = −δV i=1 ∂xi und damit δ Zt1 Zt1 t0 t0 (T − V ) dt = δ L dt = 0 , mit der Lagrange-Funktion L = T − V . Das Verschwinden der Variation bedeutet, dass das Zeitintegral über die Lagrange-Funktion extremal ist. Dies bezeichnet man als das Hamiltonsche Prinzip Zt1 L(xi , ẋi , t) dt = Extremum . t0 Dieses Integral hat die Dimension einer Wirkung (Energie mal Zeit) und wird auch Wirkungsintegral genannt. Von allen möglichen Bahnen die bei ~r(t0 ) zur Zeit t0 beginnen und bei ~r1 zur Zeit t1 enden, ist die wahre Bahn diejenige, für die dass Wirkungsintegral extremal wird. 72 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Anmerkungen: a) Ähnliche integrale Extremalprinzipien sind auch für andere Bereiche der Physik wichtig. Z.B. das Fermatsche Prinzip in der geometrischen Optik, der Pfadintegral-Formalismus der Quantenmechanik, ... b) Auch wenn wir für die Herleitung hier kartesische Koordinaten verwendet haben, gilt das Ergebnis in beliebigen (verallgemeinerten) Koordinaten. Es muss nur möglich sein, T und V in diesen Koordinaten anzugeben. Dies ist ein großer Vorteil verglichen mit der Newtonschen Bewegungsgleichung, die in krummlinigen Koordinatensystemen recht komplizierte Gestalt haben. 4.5 Die Eulerschen Gleichungen Der Einfachheit halber beschränken wir uns bei der folgenden Herleitung auf eine Dimension und geben am Ende an, wie das Resultat im drei Dimensionen lautet. Es wurde gezeigt, dass die Lösung der Bewegungsgleichungen zu einer Extremalwertaufgabe umformuliert werden kann. Wir drehen jetzt die Fragestellung um und fragen, welcher Bedingung eine Funktion F (x, ẋ, t) genügen muss, damit I= Zt1 F (x, ẋ, t)dt = Extremum t0 gilt, mit den Nebenbedingungen x(t0 ) = x0 und x(t1 ) = x1 . Dazu definieren wir x̄(t) = x(t) + εξ(t) mit zeitunabhängigem ε und ξ(t0 ) = ξ(t1 ) = 0. ˙ Hieraus folgt x̄˙ (t) = ẋ(t) + εξ(t). BILD Für festes ξ(t) bilden wir I(ε) = Zt1 ˙ t) dt . F (x + εξ, ẋ + εξ, t0 73 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Dann ist eine notwendige Bedingung dafür, dass I ein Extremum bei ε = 0 hat, dass d =0 I(ε) dε ε=0 (∗∗) ist und zwar für alle zulässigen Funktionen ξ(t). Da die Integrationsgrenzen nicht von dem Parameter ε abhängen, können wir die Reihenfolge von Integration bezüglich t und Differentiation bezüglich ε vertauschen. Den Integranden entwickeln wir als ˙ t) ≈ F (x, ẋ, t) + ε ∂F ξ(t) + ε ∂F ξ(t) ˙ . F (x + εξ, ẋ + εξ, ∂x ∂ ẋ Damit wird (∗∗) zu t1 Z d =0= I(ε) dε ε=0 t0 ∂F ∂F ξ + ξ˙ ∂x ∂ ẋ ! dt . Der zweite Term lässt sich partiell integrieren Zt1 t0 t1 t t1 Z Z 1 ˙ξ ∂F dt = ξ ∂F − ξ d ∂F dt = − ξ d ∂F dt , |{z} ∂ ẋ ∂ ẋ t0 dt ∂ ẋ dt ∂ ẋ |{z} int. t0 t0 diff. da ξ(t0 ) = ξ(t1 ) = 0 ist. Wir bekommen also als notwendige Extremalbedingung 0= Zt1 t0 d ∂F ∂F − ξ(t) ∂x dt ∂ ẋ ! dt . Dies muss für alle ξ(t) gelten, die die Nebenbedingung erfüllen. Das kann nur erfüllt sein, wenn der Klammerausdruck im Integranden selbst verschwindet, denn wäre ∂F d ∂F − = η(t) 6= 0 ∂x dt ∂ ẋ dann könnten wir ξ(t) = cη(t) wählen und hätten Zt1 t0 ξ(t)η(t)dt = c Zt1 η 2 (t)dt 6= 0 . t0 Das Extremum wird also für diejenige Bahnkurve x(t) erreicht, für die Eulersche Gleichung gilt d ∂F ∂F − = 0. dt ∂ ẋ ∂x 74 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 In drei Dimensionen kann analog gezeigt werden, dass I= Zt1 F (x1 , x2 , x3 ; ẋ1 , ẋ2 , ẋ3 , t)dt = Extremum t0 ist, wenn d ∂F ∂F − =0 dt ∂ ẋi ∂xi für alle i = 1, 2, 3 gilt. Bei konservativen mechanischen Systemen führt das Hamiltonsche Prinzip Zt1 L dt = Extremum t0 wegen L=T −V = 3 1X mẋ2i − V (x1 , x2 , x3 ) 2 i=1 zu den Lagrange-Gleichungen ∂L d ∂L − = 0. dt ∂ ẋi ∂xi Wegen ∂L = mẋi , ∂ ẋi d ∂L = mẍi , dt ∂ ẋi ∂L ∂V =− = Fi ∂xi ∂xi gilt d ∂L ∂L − = mẍi − Fi , dt ∂ ẋi ∂xi d.h. die Lagrangeschen Bewegungsgleichungen stimmen mit den Newtonschen Gleichungen überein. 75 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Anders als die Newtonschen Gleichungen, sind die Lagrange-Gleichungen aber forminvariant gegenüber Koordinatentransformationen. D.h., wenn man die kinetische Energie und das Potential in irgendwelchen verallgemeinerten Koordinaten q1 (t), q2 (t), q3 (t) und Geschwindigkeiten q̇1 (t), q̇2 (t), q̇3 (t) ausdrücken kann, so gilt sofort, dass die Bahn durch Zt1 L(q1 , q2 , q3 , q̇1 , q̇2 , q̇3 , t) dt = Extremum t0 bzw. durch Lösen der Lagrange-Gleichungen d ∂L ∂L − =0 dt ∂ q̇i ∂qi bestimmt werden kann. Verallgemeinerte Koordinaten bedeutet, dass die qi keine Längen sein müssen, sondern irgendwelche die Bewegung beschreibende Größen sein können, z.B. Winkel, ... Bei einer freien Bewegung, kann sich der Massenpunkt in alle drei Raumrichtungen bewegen und hat daher 3 Freiheitsgrade. Allgemein ist für einen Massenpunkt die Anzahl der Freiheitsgrade f = 3 − k, wenn k die Anzahl der Zwangsbedingungen ist. Beispiel: Fadenpendel Ein ebenes Fadenpendel hat nur einen Freiheitsgrad, q1 = ϕ. Es ist T = m 2 2 l ϕ̇ , 2 V = l m g(1 − cos ϕ) und damit L= m 2 2 l ϕ̇ − l m g(1 − cos ϕ) . 2 Die Lagrange-Gleichungen d ∂L ∂L − =0 dt ∂ ϕ̇ ∂ϕ sind daher d m l2 ϕ̇ − (−l m g(+ sin ϕ)) = 0 dt BILD 76 ⇒ ml2 ϕ̈ + l m g sin ϕ = 0 ⇒ ϕ̈ = g sin ϕ . l Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Beispiel: Zentralkraftfelder Aufgrund der Drehimpulserhaltung findet die Bewegung in einer Ebene statt. Man hat also zwei Freiheitsgrade q1 = r und q2 = ϕ. Es ist T = m 2 (ṙ + r2 ϕ̇2 ) , 2 V = V (r) , also L=T −V = m 2 (ṙ + r2 ϕ̇2 ) − V (r) . 2 Hieraus erhalten wir zwei Lagrange-Gleichungen d ∂L ∂L − =0 dt ∂ q˙i ∂qi für i = 1, 2, die lauten mr̈ = −mrϕ̇ + ∂V , ∂r d (mr2 ϕ̇) = 0 = mr2 ϕ̈ + 2mrṙϕ̇ . dt Diese Beispiele zeigen, dass man mit dem Lagrange-Formalismus die Bewegungsgleichungen sehr leicht in verallgemeinerten Koordinaten angeben kann. 4.6 Generalisierter Impuls und zyklische Variablen Sei L(qi ; q̇i , t) gegeben. Dann nennt man pi = ∂L ∂ q̇i den zur verallgemeinerten Koordinate qi konjugierten verallgemeinerten Impuls. (Wenn es sich bei qi nicht um eine kartesische Koordinate handelt, so ist pi auch kein Linearimpuls; z.B. ist pi ein Drehimpuls, wenn qi ein Winkel ist.) Die Lagrange-Gleichungen können nun geschrieben werden als d ∂L d ∂L = pi = ṗi = . dt ∂ q˙i dt ∂qi ∂L Falls die Lagrange-Funktion L von einer Koordinate qi nicht abhängt, also ∂q = 0 ist, so i nennt man diese Koordinate zyklisch. Somit gilt für den zu einer zyklischen Koordinate konjugierten Impuls ṗi = 0 ⇒ pi = const. , 77 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 d.h. der zu einer zyklischen Koordinate konjugierte Impuls ist eine Erhaltungsgröße (man spricht auch von Konstante der Bewegung). Zyklische Koordinaten ergeben sich aus Symmetrien des Problems. Es gilt ganz generell, dass Symmetrien zu Erhaltungssätzen führen, z.B. Translationsinvarianz (Konstanz des Potentials) führt zur Impulserhaltung, Rotationssymmetrie führt zur Drehimpulserhaltung, Translationssymmetrie in der Zeit (Zeitunabhängigkeit des Potentials) führt zur Energieerhaltung, ... 4.7 Die Hamilton-Funktion und die Hamiltonschen Bewegungsgleichungen Sei L(qi ; q̇i , t) gegeben. Die Lagrange-Gleichungen schreiben wir als ṗi = ∂L . ∂qi Das totale Differential von L ist gegeben durch 3 X ∂L ∂L ∂L dL = dt + dqi + dq̇i ∂t ∂ q̇i i=1 ∂qi ! 3 X ∂L = dt + (ṗi dqi + pi dq̇i ) . ∂t i=1 (∗∗) Nun ist d(pi q̇i ) = pi dq̇i + q̇i dpi also 3 X d(pi q̇i ) = i=1 3 X (pi dq̇i + q̇i dpi ) . (∗) i=1 Damit ist dann (wir subtrahieren (∗∗) von (∗)) 3 X d ! pi q̇i − L i=1 | {z =H 3 X 3 X ∂L = (pi dq̇i + q̇i dpi ) − dt − (ṗi dqi + pi dq̇i ) ∂t i=1 i=1 } = − 3 X ∂L dt + (−ṗi dqi + q̇i dpi ) . ∂t i=1 Dieser Ausdruck ist das vollständige Differential der Hamilton-Funktion H(q1 , q2 , q3 , p1 , p2 , p3 , t) = 3 P pi q̇i − L. Also gilt auch i=1 3 ∂H X ∂H ∂H dH = + dqi + dpi ∂t ∂qi ∂pi i=1 ! . 78 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Ein Vergleich der beiden letzen Gleichungen ergibt ∂H ∂L =− , ∂t ∂t ∂H = −ṗi , ∂qi ∂H = q̇i . ∂pi Die beiden letzten Gleichungen heißen Hamiltonsche Gleichungen (oder auch kanonische Bewegungsgleichungen). Die Hamilton-Funktion H(qi , pi , t) = 3 X pi q̇i − L(qi , q̇i , t) i=1 hängt ab von den verallgemeinerten Koordinaten qi und Impulse pi und evtl. von der Zeit t. Auf der rechten Seite der obigen Gleichung, müssen die Geschwindigkeiten q̇i als Funktionen von qi und pi ausgedrückt werden. Den Übergang von L(qi , q̇i , t) zu H(qi , pi , t) bezeichnet man als Legendre-Transformation. Falls für die Kraft ein zeitunabhängiges Potential existiert, so ist H(x1 , x2 , x3 , p1 , p2 , p3 ) = 3 X (pi ẋi ) − L = i=1 3 X p2i +V =T +V =E, i=1 2m bzw. für verallgemeinerte Koordinaten und Impulse H(qi , pi ) = T + V = E , d.h. in diesem Fall ist die Hamilton-Funktion konstant und gleich der mechanischen Gesamtenergie. Beispiel: Bewegung eines Massenpunkts im Potential In kartesischen Koordinaten ist L= 3 mX ẋi 2 − V , 2 i=1 also pi = ∂L = mẋi . ∂ ẋi Damit ist H= 3 X p2i + V (x1 , x2 , x3 , t) , i=1 2m und die Hamiltonschen Gleichungen lauten ṗi = − ∂H = Fi (t) ∂xi und ẋi = ∂H pi = , ∂pi m was ineinander eingesetzt die Newtonsche Gleichung ergibt, also mẍi = Fi (t) . 79 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Für einfache Beispiele sieht man leicht, dass die Lagrange- und die Hamilton-Gleichungen mit den Newtonschen Gleichungen identisch sind. Die Lagrange- und die Hamilton-Gleichungen sind allerdings anders als die Newtonschen Gleichungen in beliebigen verallgemeinerten Koordinaten gültig. Dadurch können diese neuen Formalismen leichter Zwangsbedingungen berücksichtigen und sind generell vorteilhaft für die Beschreibung komplizierter Systeme. Der Hamilton-Operator (eine quantisierte Version der Hamilton-Funktion) ist Teil der Schrödinger-Gleichung und hat daher eine zentrale Bedeutung in der Quantenmechanik! 4.8 Zeitentwicklung und Poisson-Klammern Betrachten wir f (qi , pi , t) eine beliebige Funktion der Koordinaten qi , der Impulse pi und der Zeit t. (Anmerkung: Der durch die qi und pi aufgespannte Raum heißt Phasenraum. f bezeichnet man daher als Phasenraumfunktion.) Die totale Zeitableitung von f ist X ∂f ∂qi ∂f ∂pi d f (qi , pi , t) = + dt ∂qi ∂t ∂pi ∂t i ! + ∂f ∂t ! = X = X i i ∂f ∂f ∂f q˙i + ṗi + ∂qi ∂pi ∂t ∂f ∂H ∂f ∂H − ∂qi ∂pi ∂pi ∂qi ! + ∂f . ∂t Man definiert folgenden Ausdruck als die Poisson-Klammer zweier Funktionen F und G {F, G} = X i ∂F ∂G ∂F ∂G − ∂qi ∂pi ∂pi ∂qi ! . Hiermit kann man schreiben d ∂f f (qi , pi , t) = {f, H} + , dt ∂t d.h. bis auf eine eventuelle explizite Zeitabhängigkeit, ist die zeitliche Änderung einer Funktion f gleich seiner Poisson-Klammer mit H. Interessanterweise gilt in der Quantenmechnik eine sehr ähnliche Aussage. 80 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 4.9 Erweiterung auf Systeme von Massenpunkten Wir betrachten ein System aus N Massenpunkten mit Massen mi in einem Inertialsystem. Die Massenpunkte befinden sind an den Orten ~ri . Ohne Zwangsbedingungen hat ein solches System f = 3N Freiheitsgrade. Es gilt das Newtonsche Axiom (t) mi~¨ri = F~i , i = 1, 2, . . . , N , (t) wobei die Kräfte F~i einen Einteilchen- und einen Wechselwirkungsanteil haben, gemäß (t) F~i = F~i + BILD N X F~i k . k=1 k6=i In kartesischen Komponenten ist (t) Fi,x = Fi,x + N X Fik,x . k=1 k6=i Der erste Index von F~i k bezeichnet den Massenpunkt, der die Kraft erfährt, der zweite Index gibt den Massenpunkt an, der diese Kraft verursacht. Wegen actio = −reactio muss für die Wechselwirkungskräfte gelten F~i k = −F~k i . 81 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Schwerpunktsatz und Impulssatz Wir addieren alle Bewegungsgleichungen für das Massenpunktsystem N X mi~¨ri = i=1 N X F~i + i=1 N X N X i=1 F~i k . k=1 k6=i Die Doppelsumme über die inneren Kräfte verschwindet, da zu jedem Summand F~i k ein Summand F~k i = – F~i k vorhanden ist. Hieraus folgt N X mi~¨ri = i=1 N X F~i . i=1 Mit der Gesamtmasse N X mi = M i=1 N X ~ = 1 mi~ri und dem Schwerpunktsvektor R M i=1 ~ erhalten wir eine Bewegungsgleichung für den Schwerpunkt R ¨~ MR = F~ , mit F~ = N X F~i . i=1 Der Schwerpunkt bewegt sich wie ein Massenpunkt der Masse M , auf den die Gesamtkraft F~ wirkt. Die inneren Kräfte F~i k beeinflussen die Bewegung des Schwerpunkts nicht. Führt man die Impulse p~i = mi~r˙ i und den Gesamtimpuls P~ = N X p~i i=1 ein, so kann man die Bewegungsgleichung für den Schwerpunkt auch in eine für den Gesamtimpuls umschreiben ¨~ ˙ MR = P~ = F~ . Wenn die Gesamtkraft verschwindet (abgeschlossenes System), so ist ¨~ MR = 0 also ~ ~ ~˙ R(t) = R(0) + R(0)t . In diesem Fall bekommen wir aus dem Schwerpunktsatz 6 Erhaltungsgrößen (Integrale ~ ~˙ der Bewegung); die 3 Komponenten von R(0) und die drei Komponenten von R(0). 82 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Der Drehimpulssatz Wir starten noch einmal mit der Bewegungsgleichung für den Massenpunkt i mi~¨ri = F~i + N X F~i k . k=1 k6=i Wir multiplizieren beide Seiten der Gleichung mit ~ri × und summieren über alle i N X mi~ri × ~¨ri = i=1 N X ~ri × F~i + i=1 N X N X i=1 ~ri × F~i k . (∗) k=1 k6=i Wegen d ~ri × ~r˙ i = ~r|˙ i × ~r˙ +~ri × ~¨ri {z }i dt =0 und mit ~ i = mi~ri × ~r˙ i = ~ri × p~i L ~ = L und N X ~i L i=1 können wir die linke Seite von (∗) schreiben als N X N d X ~i = d L ~ = L ~˙ . L mi~ri × ~¨ri = dt i=1 dt i=1 Der erste Term der rechten Seite von (∗) ist ebenfalls schnell identifiziert als N X ~ri × F~i = N X ~i = M ~ . M i=1 i=1 Den zweiten Term der rechten Seite von (∗) untersuchen wir etwas genauer. Da Summationsindizes umbenannt werden dürfen, ist N X N X i=1 ~ri × F~i k = k=1 k6=i N X N X k=1 ~rk × F~k i = − k=1 i6=k N X N X k=1 ~rk × F~i k = k=1 i6=k N X N 1X (~ri − ~rk ) × F~i k 2 i=1 k=1 k6=i Falls für die zwischen zwei Massenpunkten wirkende Wechselwirkungskraft F~i k k (~ri − ~rk ) gilt (was der Normalfall ist), so verschwinden die Vektorprodukte in der obigen Gleichung und es ist N X N X N X N 1X ~ri × F~i k = (~rk − ~ri ) × F~k i = 0 . 2 i=1 k=1 i=1 k=1 k6=i k6=i In diesem Fall gilt also d~ ~ , L = M dt 83 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 d.h. die zeitliche Änderung des Gesamtdrehimpulses ist gleich der Summe der Drehmomente der äußeren Kräfte. ~ = 0 ist Für M d~ L = 0, dt also der Gesamtdrehimpuls erhalten und seine drei Komponenten stellen dann drei Erhaltungsgrößen dar. Der Energiesatz Wir starten ein drittes Mal mit der Bewegungsgleichung für den Massenpunkt i mi~¨ri = F~i + N X F~i k , k=1 k6=i multiplizieren beide Seiten skalar mit ~r˙ i und summieren über alle Massenpunkte N X mi~r˙ i · ~¨ri = i=1 N X ~r˙ i · F~i + i=1 N X N X i=1 ~r˙ i · F~i k . k=1 k6=i Wir identifizieren mi~r˙ i · ~¨ri = 2 d1 mi~r˙ i dt 2 und erhalten N N N X N X X 2 d 1X mi~r˙ i = ~r˙ i · F~i + ~r˙ i · F~i k . dt 2 i=1 i=1 i=1 k=1 k6=i Auf der linken Seite steht die Zeitableitung der gesamten kinetischen Energie rechten Seite die Leistung der äußeren und inneren Kräfte N N X N X X dW = F~i · d~r˙ i + F~i k · d~r˙ i dt i=1 i=1 k=1 k6=i bzw. dW = N X i=1 F~i · d~ri + N X N X i=1 F~i k · d~ri . k=1 k6=i Integriert über die Zeit ergibt sich Z t2 t1 Z t2 dT dW dt = T (t2 ) − T (t1 ) = T2 − T1 = dt = W . dt dt t1 84 dT , dt auf der Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Die Änderung der kinetischen Energie ist gleich der von allen Kräften (inneren und äußeren Kräften) geleisteten Arbeit. Wenn die Kräfte ein Potential haben, also eine skalare Funktion V (~r1 , ~r2 , . . . ~rN ) existiert, so dass (t) Fi,x = − ∂V , ∂xi (t) Fi,y = − ∂V , ∂yi (t) Fi,z = − ∂V , ∂zi ist, wobei (t) Fi,x = Fi,x + N X etc. Fik,x k=1 k6=i die Summe der inneren und äußeren Kräfte für den Massenpunkt i ist, dann ist die von den inneren und äußeren Kräften geleistete Arbeit dW = N X ~ Fi + i=1 = − N X F~i k · d~ri k=1 k6=i N X i=1 ∂V ∂V ∂V dxi + dyi + dzi ∂xi ∂yi ∂zi ! = −dV . Wenn sich das Massenpunktsystem von t1 nach t2 entwickelt, sich die Massenpunkte also von (~r1 (t1 ), ~r2 (t1 ), . . . ~rN (t1 )) nach (~r1 (t2 ), ~r2 (t2 ), . . . ~rN (t2 )) bewegen, dann ist die geleistete Arbeit W = Z2 X N 1 i=1 ~ Fi + N X F~i k ri · d~ k=1 k6=i = −V (~r1 (t2 ), ~r2 (t2 ), . . . ~rN (t2 )) + V (~r1 (t1 ), ~r2 (t1 ), . . . ~rN (t1 )) = −V2 + V1 . Für solche konservativen Massenpunktsysteme gilt also der Energiesatz E = T + V = const. 85 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 ~ + ~ri0 kann die kinetische Energie geschrieben werden als Mit ~ri = R N N 1X 1X ~˙ + ~r˙ i0 T = mi~r˙ i 2 = mi R 2 i=1 2 i=1 = Nun ist N P i=1 2 N N N 2 X X 02 0 1X ~˙ + 1 ~˙ · mi R mi~r˙ i + R mi~r˙ i . 2 i=1 2 i=1 i=1 mi~ri0 = 0, also auch N P i=1 0 mi~r˙ i = 0. Damit verschwindet der letzte Term und wir erhalten so eine Aufteilung in die kinetische Energie des Massenschwerpunkts und die kinetische Energie der Relativbewegung N 02 1 ~˙ 2 1 X mi~r˙ i . T = MR + 2 2 i=1 Lagrange- und Hamilton-Formalismus für Massenpunktsysteme Auch für Massenpunktsysteme kann man das d’Alembertsche Prinzip, das Hamiltonsche Prinzip, sowie die Lagrange- und die Hamilton-Funktionen sowie die entsprechenden Bewegungsgleichungen herleiten und verwenden. Im wesentlichen sind die Umformungen analog zu denen für einen Massenpunkt, wobei allerdings Summationen über alle Massenpunkte i = 1, ..., N eingefügt werden müssen. Daher werden hier nur einige Ergebnisse angegeben und kurz erläutert. Seit L(qi , q̇i , t) die Lagrange-Funktion für ein System von N Massenpunkten. Ohne Zwangsbedingungen hat man dann f = 3N Freiheitsgrade, also 3N verallgemeinerte Koordinaten qi und 3N verallgemeinerte Geschwindigkeiten q̇i zu bestimmen. Wenn k Zwangsbedingungen vorliegen, ist die Anzahl der Freiheitsgrade und damit die Anzahl der Koordinaten qi und Geschwindigkeiten q̇i auf f = 3N − k reduziert. Aus dem Hamiltonschen Prinzip Zt1 L dt = Extremum t0 folgen die Lagrange-Gleichungen d ∂L ∂L − = 0, ∂qi dt ∂ q̇i i = 1, . . . , f . Durch Lösung dieser f Differentialgleichungen 2.Ordnung erhält man die 2f Funktionen qi (t) und q̇i (t). 86 Zrenner/Meier, Physik A, WS2008/2009 Zur Einführung der Hamilton-Funktion definiert man die generalisierten Impulse pi = ∂L , ∂ q̇i i = 1, . . . , f und verwendet die Legendre-Transformation f X d (pi q̇i ) − L i=1 f X ∂L = − dt − (pi dqi − q̇i dpi ) = dH , ∂t i=1 (∗) um das totale Differential der Hamilton-Funktion H(qi , pi , t) = f X pi q̇i − L i=1 zu erhalten. Vergleich von f X ∂H ∂H ∂H dt + dqi + dpi dH = ∂t ∂qi ∂pi i=1 ! mit dH in (∗) ergibt die kanonischen Bewegungsgleichungen q̇i = ∂H , ∂pi ṗi = − ∂H , ∂qi sowie ∂H = − ∂L . Durch Lösen der 2f Differentialgleichungen 1.Ordnung erhält man die ∂t ∂t 2f Funktionen qi (t) und pi (t). Wenn ein zeitunabhängiges Potential existiert, so ist L = T − V und H = T + V = E, d.h. die Hamilton-Funktion ist konstant und gleich der mechanischen Gesamtenergie. Ausblick: Der Hamilton-Formalismus ist die Basis der theoretischen Physik, die z.B. in der Statistischen Physik verwendet wird und nach Verallgemeinerung (Funktionen werden zu Operatoren, etc.) die Grundlage der Quantenmechanik darstellt. 87 Inhaltsverzeichnis 1 Theoretische Betrachtungen zur Newtonschen Mechanik 1.1 Mathematischer Einschub I: Vektoren, Ableitungen, ... . . . . . 1.2 Potential und Energieerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Mathematischer Einschub II: Krummlinige Koordinatensysteme 1.4 Planetenbewegung als Einkörperproblem . . . . . . . . . . . . 1.5 Planetenbewegung als Zweikörperproblem . . . . . . . . . . . 1.6 Beschleunigte Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 9 15 18 25 27 2 Spezielle Relativitätstheorie 2.1 Die Galilei-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Lichtgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Der Michelson-Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Zeitdilatation und Längenkontraktion . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Die Lorentz-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Raum-Zeit-Mannigfaltigkeit und Minkowski-Diagramme . . . . 2.7 Relativistische Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8 Relativistische Kraft und Äquivalenz von Energie und Masse 2.9 Energie-Impuls-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10 Allgemeine Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 30 31 31 34 36 40 42 43 45 45 . . . . . 46 46 48 50 52 57 . . . . . . . . . 63 63 66 68 70 73 77 78 80 81 . . . . . . . . . . 3 “Nachschlag zu Wellen´´ 3.1 Gruppengeschwindigkeit und Phasengeschwindigkeit von Wellen 3.2 Dispersionsrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Schwingungen einer eingespannte Saite . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Lösung der Wellengleichung durch Separationsansatz . . . . . . 3.5 Fourierreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Lagrangesche und Hamiltonsche Formulierungen der Mechanik 4.1 Zwangskräfte und Lagrangesche Multiplikatoren . . . . . . . . . . . . . 4.2 Gleichgewicht der Kräfte und virtuelle Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Das d’Alembertsche Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Das Hamiltonsche Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Die Eulerschen Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Generalisierter Impuls und zyklische Variablen . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Die Hamilton-Funktion und die Hamiltonschen Bewegungsgleichungen . 4.8 Zeitentwicklung und Poisson-Klammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9 Erweiterung auf Systeme von Massenpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .