Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte HG. VON DER KOMMISSION FÜR BAYERISCHE LANDESGESCHICHTE Gerhard Nestler / Stefan Schaupp / Hannes Ziegler (Hg.), Vom Scheitern der Demokratie. Die Pfalz am Ende der Weimarer Republik, Karlsruhe 2010, G. Braun Buchverlag, 412 Seiten, 42 Abbildungen. Rezensiert von Helmut Gembries (Speyer) Die seit 1816 zu Bayern gehörende Pfalz zählte zu den Teilen Deutschlands, die von den Belastungen des Waffenstillstands vom November 1918 und des Versailler Friedensvertrags besonders betroffen waren. Als Folge dieser Belastungen - so die verbreitete Auffassung - litt sie auch stärker als andere deutsche Wirtschaftsräume unter der Weltwirtschaftskrise, die gemeinhin als eine der Hauptursachen für den Untergang der Weimarer Republik gilt. Der Sammelband, in dem eine Autorin und elf Autoren, darunter die Herausgeber, Ursachen und Verlauf des Scheiterns der Demokratie zwischen 1929 und 1933 in der Pfalz darstellen, kann deshalb einige Aufmerksamkeit beanspruchen. Dies umso mehr, als alle Autoren durch frühere Arbeiten zur pfälzischen Regionalgeschichte ausgewiesen sind. Fast die Hälfte der Beiträge sind Wahlen, Parteien und Fragen der politischen Radikalisierung gewidmet. Die Wirtschaftskrise und ihre Wahrnehmung sind Gegenstand dreier Aufsätze. Von den anderen Beiträgen untersuchen zwei das Verhältnis der Kirchen und der Justiz zum Nationalsozialismus und zwei den Wandel des politischen und kulturellen Klimas in den Krisenjahren vor dem Januar 1933. Die Mehrzahl der Aufsätze will den historisch Interessierten mit der komprimierten Darstellung bekannter Forschungsergebnisse informieren. Grundlegend neue Fakten, Sichtweisen oder Bewertungen sind eher selten. Aber auch die Ausführungen verschiedener Autoren zu gleichen Fragekomplexen öffnen gelegentlich andere Sichtweisen als die bisher bekannten. Die Auswahl der Themen wirkt allerdings zufällig. Arbeitslosigkeit, ihre sozialen Folgen oder öffentliche oder private Unterstützungsmaßnahmen für die Betroffenen werden nicht zu Gegenständen eigener Untersuchungen gemacht. In seiner Darstellung der pfälzischen Parteienlandschaft und der Wahlen bestätigt Ernst Otto Bräunche, dass die bürgerlich-nationalen Parteien ab 1928 mehr und mehr Wähler an die Nationalsozialisten verloren und die SPD einen erheblichen Teil ihrer Wählerstimmen an die KPD abgab, einen kleineren Teil auch an die NSDAP. Weitgehend stabil blieb nur das katholische Lager. Den Aufstieg der NSDAP zur Massenpartei mit der Weltwirtschaftskrise erklären zu wollen, greift Hans Fenske zufolge zu kurz. Ausschlaggebend war für den Freiburger Emeritus und Verfasser mehrerer Studien zur Parteiengeschichte ihre Präsentation als junge dynamische Kraft, die unbedingt entschlossen war, nach außen die Revision des Friedensvertrags durchzusetzen und im Innern eine gerechte, aber nicht gleichmacherische Volksgemeinschaft aufzubauen. Damit konnte die Partei schon 1930, Copyright © 2011 by Kommission für bayerische Landesgeschichte 1/5 mehr noch 1932 Wähler in allen Bevölkerungskreisen der Pfalz gewinnen. Unterdessen hielt das pfälzische Zentrum an seinem Bekenntnis zur Weimarer Verfassung fest, wie Gerhard Nestler in seinem Aufsatz darstellt, ohne zu entscheiden, ob das Zentrum "in der Pfalz fast eine reine Arbeiter- oder Mittelstandspartei" (S. 273) oder "auch Anfang der 30er Jahre in weiten Teilen noch eine Honoratiorenpartei" (S. 274) war. Der Wendung der Gesamtpartei nach rechts mit ihrer Kritik am parlamentarischen Regierungssystem und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung sowie der Erwägung einer Koalition mit der NSDAP im Sommer 1930 folgte es nicht. Fenske und Nestler stellen übereinstimmend fest, dass die nationalsozialistische Propaganda auch bei der katholischen Bevölkerung Wirkung zeigte, namentlich bei Landwirten und jüngeren Männern. Wenn dennoch zwei Drittel der katholischen Pfälzer weiterhin die konfessionellen Parteien wählten, will Thomas Fandel dies in den wenigsten Fällen als Ausdruck demokratischer Gesinnung gedeutet sehen. Gewohnt an die maßgebende Rolle der Geistlichkeit auch in politischen Fragen, folgten sie lediglich den Vorgaben ihrer Kirche und der Ortspfarrer, für die - vielfach als deren Mitglieder oder Funktionsträger - BVP und Zentrum Instrumente zur politischen Durchsetzung katholischer Anliegen waren. Der protestantischen Landeskirche der Pfalz standen vergleichbare Instrumente schon aus Gründen evangelischen Selbstverständnisses nicht zur Verfügung. Ihre mehrheitlich national-konservative Pfarrerschaft begegnete der NSDAP aus theologischen Erwägungen bis 1933 mit Ausnahme weniger jüngerer Pfarrer zumeist distanziert bis ablehnend, wie Fandel in seinem Beitrag ausführt. Sie konnten oder wollten aber nicht verhindern, dass die NSDAP in den vorwiegend protestantischen Dörfern und Städten der Pfalz ihre größten Wahlerfolge erzielte. Verstand doch die NSDAP den Eindruck zu erwecken, sie verteidige auch protestantische Interessen gegen katholische Machtansprüche und führe mit der Anordnung von Gottesdiensten für ihre Gliederungen verloren geglaubte Kirchenmitglieder in die Kirche zurück. Zu bedauern ist auch in diesem Zusammenhang, dass die liberalen Parteien und die im Vergleich zum Zentrum stärker deutsch-national ausgerichtete BVP - bis 1924 die einzige katholische Partei der Pfalz - keine eigene Darstellung gefunden haben. SPD, KPD und sozialistische Splitterparteien fasst Klaus Becker unter dem Begriff der Arbeiterparteien zusammen. Seine Ausführungen stützen sich wegen fehlender anderer Quellen fast ausschließlich auf die sozialdemokratische "Pfälzische Post" und die kommunistische "Arbeiter-Zeitung". Neben eher knappen Hinweisen auf die politische Taktik der Parteien handeln sie von Parteiübertritten, organisatorischen Fragen, Mitgliederzahlen und Wahlergebnissen. Dass auch die KPD den Kampf gegen die Republik und die Auseinandersetzungen mit ihren politischen Gegnern mit einer großen Gewaltbereitschaft führte, bleibt allerdings außer acht. Das Ausmaß politischer Gewalt zwischen Nationalsozialisten, Kommunisten und Sozialdemokraten sucht Stefan Schaupp "in zunächst deskriptiver Weise" am Beispiel der Stadt und des Bezirksamts Frankenthal zu erfassen, gelangt aber kaum über diesen Ansatz hinaus. Die ausführlichen Schilderungen der Zusammenstöße, des polizeilichen Einschreitens, der Gerichtsverhandlungen mit erwartungsgemäß widersprüchlichen Zeugenaussagen und der Urteile können - Personen- und Ortsnamen geändert - so auch für andere Regionen Deutschlands gelten. Einen Versuch, die ergangenen Urteile in Relation zu dem jeweils geltenden Strafrahmen zu betrachten und so seine Behauptung Copyright © 2011 by Kommission für bayerische Landesgeschichte 2/5 einer zu großen Nachsicht von Polizei und Justiz gegenüber den Nationalsozialisten zu belegen, unternimmt Schaupp leider nicht. Zu einer ähnlichen Einschätzung wie Schaupp gelangt Paul Warmbrunn in seinem Beitrag über die pfälzische Justiz. Er bescheinigt den meist national-konservativen Richtern und Staatsanwälten der Pfalz, in den vierzehn Jahren ihres Bestehens kein angemessenes Verhältnis zur Republik von Weimar gefunden zu haben. Politisch blieben sie nahezu ausnahmslos an den Parteien des rechten Spektrums orientiert. Dementsprechend gering war Warmbrunn zufolge ihre Bereitschaft zu einem energischen Einschreiten gegen die NSDAP, auch wenn ihnen keine eindeutige Parteinahme zu ihren Gunsten nachzuweisen ist, wie er einräumt. Mitglieder der NSDAP wurden bis zum 30. Januar 1933 knapp fünf Prozent der Juristen im pfälzischen Justizdienst. Dagegen wahrten - so Warmbrunn - die Präsidenten des Oberlandesgerichts Zweibrücken und der Landgerichte Distanz gegenüber der NSDAP. Nur der Präsident des Landgerichts Frankenthal trat - am 1. Mai 1933 - der Partei bei. Besondere Beachtung unter den Beiträgen des vorliegenden Sammelbandes verdient der Aufsatz Susan Beckers über die von ihr so genannte Sonderkrise der Pfalz in den Jahren der Weltwirtschaftskrise. Becker stellt die in der Forschung vorherrschende Deutung dieser Krise in Frage, nach der die französische Besetzung und der Versailler Vertrag mit der Abtretung Elsass-Lothringens und der Errichtung des Saargebiets sowie den wiederholten Verkehrs- und Zollsperren gegenüber dem rechtsrheinischen Deutschland zu einem Verlust traditioneller Absatzgebiete der pfälzischen Wirtschaft geführt haben. Der Verlust von Absatzgebieten und der inflationsbedingte Kapitalverlust sollen, so die weitere Deutung, schon früh eine Krise der pfälzischen Wirtschaft ausgelöst und so zu dem besonders schweren Verlauf der Weltwirtschaftskrise in der Pfalz geführt haben. Die Verfasserin, Leiterin des Unternehmensarchivs der BASF, kann für die wichtigsten Industriezweige der Pfalz, die Metall-, Schuh- und chemische Industrie, nachweisen, dass die Absatzverluste als Folge der neuen Raumordnung - außer bei einigen westpfälzischen Unternehmen - verhältnismäßig gering waren. Die meisten Unternehmen begegneten diesem Absatzverlust ab 1923 mit Rationalisierungsmaßnahmen, mit dem Aufbau leistungsfähiger Vertriebsorganisationen oder mit der Errichtung von Zweigwerken im Saargebiet, das heißt im französischen Zollgebiet. Schwerer wiegt für Susan Becker die klein- und mittelbetriebliche Struktur der pfälzischen Wirtschaft in Verbindung mit einer schwachen Kapitalausstattung vieler Betriebe. Der Mangel an Eigenkapital zwingt die Betriebe in der Weltwirtschaftskrise, bei sinkenden Erträgen, hohen Außenständen und fast gleich bleibenden Betriebskosten die nur schwer und zu hohen Zinsen erhältlichen Kredite nachzufragen. Einschränkungen der Produktion und Insolvenzen lassen die Zahl der Arbeitslosen bis zum Frühjahr 1932 auf 90 000 steigen. Aber nicht für alle Schwierigkeiten pfälzischer Unternehmen gilt ein Zusammenhang mit der Sonderkrise, wie Becker feststellt. Der Grund für die ersten Entlassungen bei der BASF schon im Sommer 1929 ist ein Überangebot an Stickstoff auf dem Weltmarkt. Für den erheblichen Auftragsrückgang, den ein Frankenthaler Maschinenbauunternehmen 1929 und 1930 beklagt, sind eine veraltete Produktpalette und weitere unternehmerische Fehlentscheidungen verantwortlich. Gestützt auf diese Ergebnisse will Becker bei der Analyse der pfälzischen Sonderkrise neben den exogenen die strukturellen Faktoren stärker berücksichtigt und auch interne Faktoren nicht außer acht gelassen sehen. Copyright © 2011 by Kommission für bayerische Landesgeschichte 3/5 Erwartungen zusätzlicher Informationen über die "Krisen vor dem Börsenkrach" als Vorstufe der pfälzischen Sonderkrise erfüllen sich nicht. Nach knapp zwei Seiten gibt Hannes Ziegler anhand der Berichte der Speyerer Regierungspräsidenten nach München eine Übersicht über die wirtschaftliche und politische Entwicklung ab 1930. Die Vertiefung der angeschnittenen Fragen bleibt anderen Autoren überlassen. In der vielfältigen Presselandschaft der Pfalz, in der fast 80 Zeitungen ein breites politisch-gesellschaftliches Spektrum repräsentierten, wurde die Weltwirtschaftskrise zunächst kaum registriert, erst recht nicht in ihrer Bedeutung erkannt. Ein Bewusstsein für die globalen Zusammenhänge der Finanzwelt sieht Erich Schunk, der die Berichterstattung über die Weltwirtschafts- und Republikkrise verfolgt, in den Redaktionen nur rudimentär entwickelt. Erst mit der Verschärfung der Krise wurden die Probleme deutlicher erkannt. Nachrichten und Kommentare waren aber vielfach geprägt von ideologischen und moralischen Deutungen und Appellen oder erschöpften sich in Polemik. Zur Lösung der Krise sprach sich die bürgerlich-nationale Presse, gelegentlich auch die katholische, für eine autoritäre Führung, aber gegen die NSDAP aus. Ihr sagte sie an der Jahreswende 1932/1933 sogar den Niedergang voraus, wofür es Schunk zufolge durchaus Anhaltspunkte gab. Ähnlich neu wie Susan Becker die Sonderkrise betrachtet Wilhelm Kreutz die so genannten Befreiungsfeiern anlässlich des vorzeitigen Abzugs der französischen Besatzungstruppen im Juni 1930. In einem Rückblick auf die unterschiedlichen Erwartungen, die in Frankreich und in Deutschland mit der Locarnopolitik und dem Young-Plan verbunden waren, sieht er mit der Berufung des Kabinetts Brüning im März 1930 die Wende zu einer nationalistischen Revisionspolitik vollzogen. Dementsprechend waren die Feiern des Sommers von martialischen Reden und der Forderung nach einer vollständigen Revision des Versailler Vertrags geprägt. Dass keiner der Repräsentanten des öffentlichen Lebens und der demokratischen Parteien - NSDAP und KPD lehnten eine Beteiligung an dem von ihnen so bezeichneten Befreiungsrummel ab - Frankreich für seine Bereitschaft zum Abzug seiner Truppen dankte, löste dort erhebliche Verstimmung aus. Die nationalistisch-revisionistische Stimmung der Befreiungsfeiern trug denn auch in Verbindung mit den ersten Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und dem Sturz des ersten Präsidialkabinetts Brüning zu dem beträchtlichen Wahlerfolg der NSDAP im September 1930 bei. Unter diesem Aspekt gelten die Befreiungsfeiern Kreutz nicht als Ende der Nachkriegszeit, sondern als Beginn der Vorkriegszeit. Die Wirkung dieser Stimmung im kulturellen Leben, wie sie sich etwa in der Kritik an dem Triptychon Hans Purrmanns für den Speyerer Kreistagssaal äußerte, zeichnet Wolfgang Diehl nach. Seine Darstellung schließt auch die Festkultur ein und zeigt die Feste als Gelegenheit politischer Manifestation. Der Versuch der Liberalen, mit der Einhundertjahrfeier des Hambacher Fests und dem damaligen Reichstagsabgeordneten der DDP Theodor Heuss als Festredner den Geist von Hambach zu beschwören, löste heftige Angriffe der NSDAP und der katholischen Parteien aus. Weit größeren Zulauf erhielten nationalistische und militärische Festveranstaltungen wie der Pfälzer Kriegerappell, zu dem im September 1930 75 000 Teilnehmer nach Landau kamen. Im "Echo de Paris" warnte daraufhin ein Kommentar, wenn auch verklausuliert, vor Deutschland und einem neuen Krieg, nach dem niemand sagen könne, es habe an Warnzeichen gefehlt. Mit dem Zitat dieser Warnung belegt Diehl, dass schon Copyright © 2011 by Kommission für bayerische Landesgeschichte 4/5 Zeitgenossen den Eindruck hatten, in einer neuen Vorkriegszeit zu leben. Es bestätigt Kreutz in seiner Einschätzung der Befreiungsfeiern als Wendemarke zwischen Nach- und Vorkriegszeit. So macht der Sammelband trotz der Ausblendung wichtiger Themen und trotz der genannten Schwächen einzelner Beiträge mit den meisten seiner Aufsätze deutlich, dass nicht die besondere Lage der Pfalz nach dem Ersten Weltkrieg, nicht die Weltwirtschaftskrise und auch nicht allein die Wähler der NSDAP das Scheitern der Demokratie herbeiführten. Die Weimarer Demokratie ist auch in der Pfalz gescheitert an überzogenen Erwartungen einer Revision des Versailler Vertrags, die sie nicht erfüllen konnte, an dem Kampf der Parteien der Weimarer Koalition untereinander statt des gemeinsamen Kampfs gegen die NSDAP, an der Abkehr nahezu aller Parteien von den Grundlagen der parlamentarischen Demokratie. Ihr Ruf nach autoritärer Führung - so legt der Sammelband nahe - hat mehr als alles andere zum Zerfall der Demokratie beigetragen. Erschienen am 11.02.2011 http://www.kbl.badw.de/zblg-online/rezension_1747.pdf Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Schriftleitung: Prof. Dr. Alois Schmid Geschäftsführung: Dr. Stephan Deutinger Alfons-Goppel-Str. 11 D-80539 München Tel. 089/23031-1171/1172 Fax 089/23031-1333 Email: [email protected] URL: http://www.kbl.badw.de/zblg-online Copyright © 2011 by Kommission für bayerische Landesgeschichte 5/5