Skript zum Kurs - temmel

Werbung
Vertiefungskurs Mathematik
am RNG Wangen i.A.
c
Alois
Temmel
6. Januar 2016
Inhaltsverzeichnis
1 Aussagenlogik
1.1 Schaltkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Verknüpfungen von Aussagen . . . . . . . .
1.3.1 Die Konjunktion A ∧ B . . . . . . .
1.3.2 Die Disjunktion A ∨ B . . . . . . . .
1.3.3 Die Negation ¬A . . . . . . . . . . .
1.3.4 Äquivalente Aussagen . . . . . . . .
1.3.5 Tautologie und Kontradiktion . . . .
1.4 Rechenregeln“ für Verknüpfungen . . . . .
”
1.4.1 Das Kommutativgesetz . . . . . . . .
1.4.2 Das Assoziativgesetz . . . . . . . . .
1.4.3 Das Distributivgesetz . . . . . . . . .
1.4.4 De Morgansche Regeln . . . . . . . .
1.5 Die Implikation . . . . . . . . . . . . . . . .
1.6 Normalformen . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.6.1 Die disjunktive Normalform (DNF) .
1.6.2 Die konjunktive Normalform (KNF) .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
2 Ein kleiner Ausflug in die Prädikatenlogik
2.1 Quantoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.1 Der Existenzquantor ∃ . . . . . . . . . . .
2.1.2 Der Allquantor ∀ . . . . . . . . . . . . . .
2.1.3 Die Negation von Aussagen mit Quantoren
1
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
4
4
4
5
5
5
6
6
7
7
7
7
8
8
8
9
9
10
.
.
.
.
10
10
11
11
11
2
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
3 Beweise in der Mathematik
3.1 Mathematische Sätze . . . . . . . . . . . . . . .
3.1.1 Der mathematische Satz . . . . . . . . .
3.1.2 Der Kehrsatz . . . . . . . . . . . . . . .
3.1.3 Die Kontraposition . . . . . . . . . . . .
3.2 Beweismethoden . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.1 Der direkte Beweis . . . . . . . . . . . .
3.2.2 Beweis durch Widerspruch (Der indirekte
3.2.3 Die Kontraposition . . . . . . . . . . . .
3.2.4 Beweis durch vollständige Induktion . .
4 Gleichungen und Ungleichungen lösen
4.1 Polynomgleichungen . . . . . . . . . .
4.1.1 Alte Bekannte . . . . . . . . . .
4.1.2 Polynomdivision . . . . . . . .
4.1.3 Theorie zu Polynomgleichungen
4.2 Betragsgleichungen . . . . . . . . . . .
4.2.1 Die Betragsfunktion . . . . . .
4.2.2 Betragsgleichungen . . . . . . .
4.3 Wurzelgleichungen . . . . . . . . . . .
4.3.1 Beispiele . . . . . . . . . . . . .
4.3.2 Zusammenfassung . . . . . . . .
4.4 Ungleichungen . . . . . . . . . . . . . .
4.4.1 Lösen von Ungleichungen . . . .
4.4.2 Lineare Ungleichungen . . . . .
4.4.3 Quadratische Ungleichungen . .
4.4.4 Bruchungleichungen . . . . . . .
4.4.5 Bekannte Ungleichungen . . . .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
Beweis)
. . . . .
. . . . .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
. .
. .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
12
12
12
12
13
13
14
15
16
16
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
19
19
19
21
22
24
24
25
26
26
29
30
30
30
31
31
33
5 Folgen, Reihen und Konvergenz
5.1 Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 Rekursive und explizite Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1 Rekursive Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.2 Explizite Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3 Konvergenz von Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.1 Die ε-nε -Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.2 Nullfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.3 Das Vergleichskriterium für Nullfolgen . . . . . . . . .
5.3.4 Jede Nullfolge ist beschränkt . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.5 Rechnen mit Nullfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.6 Folgen mit Grenzwert a . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.7 Konvergenzsätze - Rechengesetze für konvergente Folgen
5.3.8 Jede konvergente Folge ist beschränkt . . . . . . . . . .
5.4 Reihen als Folgen von Partialsummen . . . . . . . . . . . . . .
35
35
35
36
36
37
37
39
41
42
42
43
43
44
45
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
5.4.1
5.4.2
5.4.3
3
Definitionen und Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Rechnen mit konvergenten Reihen . . . . . . . . . . . . 46
Konvergenzkriterien und absolut konvergente Reihen . 47
6 Mengen und ihre Eigenschaften
6.1 Zur Definition von Mengen . . . . . . . . .
6.2 Bezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . .
6.3 Die leere Menge . . . . . . . . . . . . . . .
6.4 Die Potenzmenge . . . . . . . . . . . . . .
6.5 Mengenverknüpfungen, Boolesche Algebra
.
.
.
.
.
7 Relationen und Funktionen
7.1 Das Produkt zweier Mengen . . . . . . . . .
7.2 Relationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2.1 Ordnungsrelationen . . . . . . . . . .
7.2.2 Äquivalenzrelationen . . . . . . . . .
7.3 Funktion und Umkehrfunktion . . . . . . . .
7.3.1 Injektive und surjektive Funktionen .
7.3.2 Die Umkehrfunktion . . . . . . . . .
7.3.3 Spezielle Umkehrfunktionen . . . . .
7.4 Spezielle Funktionen und ihre Eigenschaften
7.4.1 Die trigonometrischen Funktionen . .
7.4.2 Die hyperbolischen Funktionen . . .
8 Ebene Kurven
8.1 Parameterdarstellung von Kurven . . . .
8.2 Der Tangentenvektor . . . . . . . . . . .
8.3 Polarkoordinatendarstellung von Kurven
8.4 Die Ableitung von Polarkoordinaten . . .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
9 Komplexe Zahlen
9.1 Zahlbereichserweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.2 Komplexe Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.3 Die Gaußsche Zahlenebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.4 Geometrische Interpretation beim Rechnen mit komplexen
Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.5 Die Eulersche Formel und die komplexe e-Funktion . . . . .
9.6 Gleichungen in den komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . .
9.6.1 Quadratische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . .
9.6.2 Die n-ten (Einheits-)Wurzeln . . . . . . . . . . . . .
9.6.3 Der Fundamentalsatz der Algebra . . . . . . . . . . .
.
.
.
.
.
50
50
51
53
53
55
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
58
58
58
60
60
61
62
62
63
66
66
69
.
.
.
.
73
73
76
78
80
82
. 82
. 82
. 83
.
.
.
.
.
.
84
85
85
85
87
87
4
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
1
1.1
Aussagenlogik
Schaltkreise
Es gibt prinzipiell zwei Arten wie man zwei Schalter S1 und S2 in einen
Stromkreis mit einer Lampe L und einer Stromquelle einbauen kann:
Reihenschaltung und Parallelschaltung.
Vereinfacht gesehen gibt es für die Schalter und die Lampe nur zwei Zustände,
nämlich an“ oder aus“. Bei dieser Vereinfachung (Idealisierung) werden
”
”
z.B. die Stromstärke oder eventuelle Energieverluste nicht berücksichtigt. Es
gibt nur die beiden Zustände an“ oder aus“ bzw. 1“ oder 0“. Der Zustand
”
”
”
”
der Lampe L hängt von den Zuständen der Schalter S1 und S2 ab. Dies kann
man mit sog. Schalttafeln verdeutlichen:
Reihenschaltung von S1 und S2 :
S1
1
1
0
0
S2
1
0
1
0
L
1
0
0
0
Parallelschaltung von S1 und S2 :
S1
1
1
0
0
S2
1
0
1
0
L
1
1
1
0
Mit diesen beiden Grundschaltungen können auch komplexe Schaltungen
analysiert werden.
1.2
Aussagen
Eine zentrale Idee der meisten Wissenschaften, speziell der Mathematik, ist
es, die Welt in Gedanken zu vereinfachen (zu idealisieren), damit man sog.
mathematische Modelle bilden kann und Theorien aufstellen kann. Wollte
man die Welt in all ihren Details erfassen, würde man feststellen, dass es
nichts Gleiches gibt, sondern alles individuell ist. So ist z.B. in der Mathematik von Rechtecken, Würfeln, Pyramiden usw. die Rede, obwohl es in der
realen Welt kein einziges ideales Rechteck gibt. Aber für diese Begriffe gibt
es in der Mathematik aussagekräftige Theorien wie z.B. Formeln zu Flächeninhalt, Volumen, usw.
Die stärkste Vereinfachung bzw. Idealisierung in Bezug auf Logik ist die Aussagenlogik. Ein zentraler Begriff in der Aussagenlogik ist die Elementaraussage oder auch kurz Aussage. Bei der Festlegung dieses Begriffs orientiert
man sich an den Schaltern, die nur zwei Zustände annehmen können.
Definition:
Ein Ausdruck, von dem grundsätzlich entschieden werden kann, ob er wahr
(w) oder falsch (f) ist, heißt Aussage.
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Beispiele:
Ausdruck
Ober, noch ein Bier!
15 > 13
2x = 7
Ach hätte ich bloß eine Freundin
Es gibt einen Planeten, der mit Nuß-Nougat-Creme gefüllt ist.
Es gibt keine natürliche Zahl n > 2 mit an + bn = cn ,
wobei a, b und c ebenfalls natürliche Zahlen sind.
Das Pferd ist ein treuer Freund des Menschen.
1.3
5
Aussage?
Nein
Ja
Nein
Nein
Ja
Ja
???
Verknüpfungen von Aussagen
Die Idee besteht darin, aus Aussagen neue Aussagen zu bilden ähnlich wie
bei den Schaltungen mit Schaltern.
1.3.1
Die Konjunktion A ∧ B
(lies: A UND B; vgl. Reihenschaltung)
Aus zwei Aussagen A und B soll eine neue Aussage A ∧ B entstehen, die nur
dann wahr ist, wenn A UND ( gleichzeitig“) B wahr sind. Dies veranschau”
licht man mit einer Wahrheitstafel:
A B A∧B
w w
w
w f
f
f w
f
f f
f
Durch diese Wahrheitstafel wird die Aussage A ∧ B definiert.
1.3.2
Die Disjunktion A ∨ B
(lies: A ODER B; vgl. Parallelschaltung)
Die neue Aussage A ∨ B wird durch folgende Wahrheitstafel definiert:
A B A∨B
w w
w
w f
w
f w
w
f f
f
Achtung:
Das ist nicht das entweder ... oder“!
”
Beispiel: Ich mag Spätzle oder Salat.
6
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
1.3.3
Die Negation ¬A
(lies: NON)
Beispiele:
A: 123456 ist eine Primzahl; ¬A: 123456 ist keine Primzahl
B: 4 > 3
¬B: 4 ≤ 3; 4 ist nicht größer als 3
C: Schnee ist weiß
¬C: ??? (Kommt es auf Schnee“ an oder auf weiß“?)
”
”
Vorschläge: Ruß ist schwarz; Schnee ist farbig; Schnee muss nicht weiß sein;
???
Besser ist es, den Vorsatz NICHT../Es stimmt nicht../NON..“ zu benutzen.
”
Die Negation ist durch folgende Wahrheitstafel definiert:
A ¬A
w
f
f
w
Beispiele:
A ¬A A ∧ (¬A)
A ¬A A ∨ (¬A)
w
f
f
w
f
w
f
w
f
f
w
w
Bemerkung: Vorerst muss man A ∧ (¬A) mit Klammer schreiben. Das ist wie
in der Algebra: Der Ausdruck muss eindeutig sein. Dies wird durch Klammern
geregelt. In diesem Fall könnte man die Klammer weglassen, aber z.B. im
Ausdruck A ∨ ¬(A ∧ B) nicht.
1.3.4
Äquivalente Aussagen
Definition:
Zwei zusammengesetzte Aussagen C und D heißen äquivalent, wenn ihre
Wahrheitswerte für jede Belegung der Elementaraussagen übereinstimmen.
Man schreibt dann: C ⇔ D.
Beispiel:
Es gilt A ∨ B ⇔ ¬(¬A ∧ ¬B).
Nachweis mit Wahrheitstafel:
A B
w w
w f
f w
f f
¬A ¬B
f
f
f
w
w
f
w
w
A∨B
w
w
w
f
¬A ∧ ¬B
f
f
f
w
¬(¬A ∧ ¬B)
w
w
w
f
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
7
Man kann die Äquivalenz zweier Aussagen auch als eigenständige Aussage
betrachten. Diese wird dann durch die folgende Wahrheitstafel definiert:
C
w
w
f
f
D
w
f
w
f
C⇔D
w
f
f
w
Die Aussage C ⇔ D wird C genau dann, wenn D“ gelesen und heißt
”
Bijunktion von C und D.
1.3.5
Tautologie und Kontradiktion
Definition:
Eine zusammengesetzte Aussage, die nur den Wahrheitswert w“ annehmen
”
kann, heißt Tautologie.
Beispiele:
a) A ∨ ¬A (Satz vom ausgeschlossenen Dritten, Tertium non datur)
b) (A ∨ B) ∨ (¬A ∧ ¬B)
Definition:
Eine zusammengesetzte Aussage, die nur den Wahrheitswert f“ annehmen
”
kann, heißt Kontradiktion.
Beispiel:
a) A ∧ ¬A (Satz vom Widerspruch)
1.4
Rechenregeln“ für Verknüpfungen
”
Entsprechend den Rechengesetzen
knüpfungen der Aussagenlogik auf
die folgenden Gesetze, die sich mit
lassen.
1.4.1
der Algebra, kann man auch die VerRechengesetze“ untersuchen. Es gelten
”
den zugehörigen Wahrheitstafeln prüfen
Das Kommutativgesetz
A ∧ B ⇔ B ∧ A und A ∨ B ⇔ B ∨ A
1.4.2
Das Assoziativgesetz
(A ∧ B) ∧ C ⇔ A ∧ (B ∧ C) und (A ∨ B) ∨ C ⇔ A ∨ (B ∨ C)
8
1.4.3
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Das Distributivgesetz
A ∧ (B ∨ C) ⇔ (A ∧ B) ∨ (A ∧ C)
und
A ∨ (B ∧ C) ⇔ (A ∨ B) ∧ (A ∨ C)
1.4.4
De Morgansche Regeln
¬(A ∧ B) ⇔ ¬A ∨ ¬B und ¬(A ∨ B) ⇔ ¬A ∧ ¬B
1.5
Die Implikation
Die Definitionen der bisherigen Verknüpfungen mit Wahrheitstafeln gingen
relativ glatt, weil diese Definitionen mit unserem Alltagsgebrauch übereinstimmen bzw. im Falle der Disjunktion das oder“ durch eine Präzisierung
”
( und/oder“) klargestellt werden konnte.
”
Etwas anders ist der Sachverhalt bei der sog. Implikation A ⇒ B (Lies: Aus
A folgt B; A impliziert B, A ist hinreichend für B; B ist notwendig für A)
A ⇒ B besteht aus der Voraussetzung A und der Folgerung B.
Das Problem besteht nun darin, dass wir in unserem System nicht inhaltlich
argumentieren wollen, sondern Verknüpfungen von Aussagen nur mit Wahrheitstafeln festlegen wollen! Das wird materielle Implikation genannt und
bedeutet, dass zwischen A und B kein inhaltlicher Zusammenhang bestehen
muss. Man beschränkt sich nur auf Wahrheitswerte.
Bespiele:
1) A : 2 < 5; B : 2 < 5 + 5
Hier würden wir anschaulich sagen: Aus A folgt B, weil man das inhaltlich
begründen kann.
2) A : 1 = 2; B: Der Mond ist viereckig.
Hier würden wir sagen: Aus A folgt niemals B, weil erstens kein inhaltlicher
Zusammenhang zwischen A und B besteht und zweitens B sowieso falsch ist.
Bemerkung: Der Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell (1872-1970)
hat es geschafft, einen inhaltlichen Zusammenhang herzustellen, etwa so:
Aus 1 = 2 folgt 0 = 1 (Äquvalenzumformung: -1)
Aus 0 = 1 folgt 0 = 4 (Äquivalenzumformung: ·4)
Der Mond ist rund, hat also 0 Ecken. Da aber 0 = 4, hat er 4 Ecken und ist
somit viereckig.
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
9
Definition:
Die Implikation A ⇒ B ist durch folgende Wahrheitstafel definiert:
A B A⇒B
w w
w
w f
f
f w
w
f f
w
1.6
1.6.1
Normalformen
Die disjunktive Normalform (DNF)
Bei zwei Elementaraussagen A und B gibt es 16 mögliche nicht-äquvalente
zusammengesetzte Aussagen. Anders ausgedrückt: man kann die folgende
Wahrheitstafel auf 16 verschiedene Arten ausfüllen:
A B ?
w w
w f
f w
f f
Manche dieser zusammengesetzten Aussagen haben Bezeichnungen wie z.B.
A ∨ B oder A ⇒ B. Die meisten haben jedoch keine Bezeichnung. Dies liegt
an folgendem Sachverhalt:
Satz
Jede zusammengesetzte Aussage zweier Elementaraussagen A und B lässt
sich als Disjunktion von Konjunktionen der Aussagen A, B, ¬A und ¬B
darstellen (Disjunktive Normalform).
Somit sind also die Junktoren ∨, ∧ und ¬ als Grundjunktoren aufzufassen.
(Vgl. die Grundschaltungen in der E-Lehre)
Dieser Satz soll nun an Hand eines Beispiels plausibel gemacht werden. Wenn
die Wahrheitstafel z.B. folgende Belegung hat:
A B ?
w w w
w f
f ,
f w w
f f
f
dann ist die zusammengesetzte Aussage wahr (w), wenn A und B wahr sind
(Zeile 1) oder wenn ¬A und B wahr sind (Zeile 3). Dies kann man sofort in
Kurzschreibweise hinschreiben:
(A ∧ B) ∨ (¬A ∧ B) .
10
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Natürlich funktioniert dieses Verfahren bei jeder anderen Belegung der obigen
Wahrheitstafel auch. Somit ist nicht nur gezeigt, dass es eine DNF gibt,
sondern auch wie man sie findet. Außerdem funktioniert dieses Verfahren
auch mit mehr als zwei Elementaraussagen.
1.6.2
Die konjunktive Normalform (KNF)
Zu jeder DNF gibt es eine äquivalente konjunktive Normalenform (KNF).
Auch dies soll an Hand des obigen Beispiels erläutert werden.
A B ?
w w w
w f f ,
f w w
f f f
Die zusammengesetzte Aussage ist nun falsch (f), wenn A wahr ist und ¬B
wahr ist oder wenn ¬A wahr ist und ¬B wahr ist. Kurz
(A ∧ ¬B) ∨ (¬A ∧ ¬B)
wahr ist. Da die zusammengesetzte Aussage aber falsch ist, muss diese Aussage noch negiert werden. Also
¬((A ∧ ¬B) ∨ (¬A ∧ ¬B))
bzw. nach Anwendung der de Morganschen Regeln
(¬A ∨ B) ∧ (A ∨ B) .
2
Ein kleiner Ausflug in die Prädikatenlogik
Ein Prädikat nennt man in der Logik den Teil einer Aussage, durch den
eine Eigenschaft von einem Objekt ausgesagt wird. Der der Eigenschaft entsprechende Begriff wird dem Objekt zugeordnet. In Anlehnung an diese Zuordnung wird folgende Schreibweise benutzt: Wird die Eigenschaft mit F
bezeichnet, so bedeutet F (x), dass x die Eigenschaft F hat.
Beispiel:
Ist F die Eigenschaft . . . größer als 100“, so ist z.B. F (53) falsch, aber F (128)
”
wahr.
2.1
Quantoren
Mit Quantoren können Aussagen darüber gemacht werden, ob ein Prädikat
auf keines, einige oder alle Objekte einer Grundmenge zutrifft.
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
2.1.1
11
Der Existenzquantor ∃
Setzt man in das Prädikat eine Objektvariable ein und stellt den Existenzquantor ∃ und dieselbe Variable davor, so wird damit behauptet, dass es
mindestens ein Objekt gibt, auf das das Prädikat zutrifft. Es muss also mindestens eine Aussage der Form geben, dass in das Prädikat ein Objekt eingesetzt wird und die Aussage wahr ist.
Beispiel:
∃x ∈ IN : F (x), wobei F (x) bedeutet: x > 100 .
oder
∃x ∈ IN : x > 100 .
Zu beachten ist, dass die gesamte Aussage wahr ist, wenn es mindestens ein
x ∈ IN gibt. Es darf auch mehr geben wie es hier z.B. der Fall ist.
2.1.2
Der Allquantor ∀
Der Allquantor sagt aus, dass ein Prädikat auf alle Objekte einer Grundmenge zutrifft.
Beispiel:
a) Alle Lehrer sind doof.“
”
Ist L die Menge aller Lehhrer, so kann man diese Aussage folgendermaßen
schreiben:
∀x ∈ L : doof(x) .
b)
∀x ∈ IN : x ≥ 0
heißt: Alle natürlichen Zahlen sind größer oder gleich Null.
2.1.3
Die Negation von Aussagen mit Quantoren
Für die Negation von Aussagen mit Quantoren gelten folgende Regeln:
¬∃x : F (x) ⇔ ∀x : ¬F (x)
und
¬∀x : F (x) ⇔ ∃x : ¬F (x) .
12
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
3
Beweise in der Mathematik
3.1
Mathematische Sätze
3.1.1
Der mathematische Satz
Ein mathematischer Satz hat immer die Form A ⇒ B .
Lies:
Wenn A, dann B.
oder
Aus A folgt B.
manchmal auch A ist hinreichend für B.
oder
B ist notwendig für A.
A heißt Voraussetzung, B heißt Behauptung.
Beispiel:
Wenn eine natürliche Zahl durch 6 teilbar ist, dann ist sie auch durch 3
teilbar.
Anmerkung:
Manchmal nennt man die zusammengesetzte Aussage A ⇒ B nur dann einen
mathematischen Satz, wenn sie wahr ist.
3.1.2
Der Kehrsatz
Zu jedem mathematischen Satz A ⇒ B gibt es den sog. Kehrsatz B ⇒ A.
Der Kehrsatz entsteht also dadurch, dass man die Voraussetzung und die
Folgerung vertauscht.
Beispiele:
a) Satz: Wenn ein Viereck ein Quadrat ist, dann sind alle Seiten gleich
lang. (Wahr)
Kehrsatz: Wenn ein Viereck vier gleich lange Seiten hat, dann ist es ein
Quadrat. (Falsch)
b) Satz: Wenn ein Viereck ein Parallelogramm ist, dann halbieren sich die
Diagonalen. (Wahr)
Kehrsatz: Wenn sich die Diagonalen in einem Viereck halbieren, dann
ist es ein Parallelogramm. (Wahr)
c) Satz: Wenn ein Viereck vier gleiche Winkel hat, dann ist es ein Quadrat.
(Falsch) Kehrsatz: Wenn ein Viereck ein Quadrat ist, dann hat es vier
gleiche Winkel. (Wahr)
Diese Beisiele zeigen: Der Wahrheitswert des Kehrsatzes hat nichts mit dem
Wahrheitswert des Satzes zu tun! Alles ist möglich.
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
3.1.3
13
Die Kontraposition
Beispiel:
A: Das Viereck ist ein Quadrat
B: Das Viereck hat vier gleich lange Seiten
Der Satz A ⇒ B ist wahr, aber der Kehrsatz B ⇒ A ist falsch. (s.o.)
Dennoch kann man aus der Wahrheit von A ⇒ B noch einen anderen Satz
folgern:
Wenn ein Viereck keine vier gleich langen Seiten hat, dann ist es kein Quadrat.
Dieser Satz ist ebenfalls wahr. Formal wäre dies die Aussage ¬B ⇒ ¬A.
Aussagenlogische Analyse:
A B ¬A ¬B A ⇒ B
w w
f
f
w
w f
f
w
f
f w w
f
w
f f
w
w
w
¬B ⇒ ¬A
w
f
w
w
Die Wahrheitstafel zeigt:
Die Aussage A ⇒ B und ¬B ⇒ ¬A sind äquivalent.
¬B ⇒ ¬A heißt Kontraposition zu A ⇒ B.
Dass die Kontraposition auch außerhalb der Mathematik verwendet wird,
zeigt folgendes (juristische) Beispiel:
A: Otto hat die Bank in Stuttgart ausgeraubt.
B: Otto war in Stuttgart.
A ⇒ B ist wahr. Wenn Otto seine Unschuld beweisen will, muss er nachweisen, dass er nicht in Stuttgart war, denn die Kontraposition ¬B ⇒ ¬A ist
ebenfalls wahr.
3.2
Beweismethoden
Den Nachweis, dass eine Aussage der Form A ⇒ B wahr ist, nennt man in
der Mathematik einen Beweis.
Ein Beweis ist in der Mathematik die als fehlerfrei anerkannte Herlei”
tung der Richtigkeit bzw. der Unrichtigkeit einer Aussage aus einer Menge
von Axiomen, die als wahr vorausgesetzt werden, und anderen Aussagen, die
bereits bewiesen sind.“ 1
1
http://de.wikipedia.org/wiki/Beweis %28Mathematik%29 (Stand: 23.10.2013)
14
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Indizien für die Wahrheit einer Aussage reichen also offenbar nicht aus (im
Gegensatz zu manch juristischen Beweisen). So ist die Feststellung, dass die
Zahlen 3, 5 und 7 Primzahlen sind, kein Beweis für die Aussage Alle un”
geraden Zahlen größer als 1 sind Primzahlen.“ Um nachzuweisen, dass eine
Aussage falsch ist, reicht es, ein Gegenbeispiel zu finden.
In der Mathematik gibt es mehrere Beweismethoden, von denen einige im
Folgenden vorgestellt werden. Dazu werden als Material die folgenden Definitionen benutzt.
Dabei stehen die Variablen n, m, k, l, i, j für natürliche Zahlen.
a) m heißt gerade, genau dann, wenn es ein n gibt mit m = 2 · n.
b) m heißt ungerade, genau dann, wenn es ein n gibt mit m = 2 · n + 1.
c) m teilt n (kurz: m|n), genau dann wenn es ein k gibt mit m · k = n.
d) m heißt Primzahl, genau dann wenn es kein n, k > 1 gibt mit n·k = m.
3.2.1
Der direkte Beweis
Der direkte Beweis “hangelt sich mit der Implikation Schritt für Schritt
vorwärts“.
Beispiel:
Satz:
Wenn eine natürliche Zahl durch 6 teilbar ist, dann ist sie auch durch 3
teilbar.
Beweis:
6|n
(Voraussetzung)
⇒ n=6·k
(Definition c))
⇒ n = (2 · 3) · k (wegen 6 = 2 · 3)
⇒ n = 3 · (2 · k) (elementare Rechenregeln)
⇒ n=3·j
(mit j = 2 · k)
⇒ 3|n
(Definition c))
t
u
Aussagenlogische Analyse:
Aus A wahr“ und A ⇒ B wahr“ wird gefolgert B wahr“.
”
”
”
Formal lautet dieser Schluss (A∧(A ⇒ B)) ⇒ B und heißt Abtrennungsregel.
Diese Aussage (A ∧ (A ⇒ B)) ⇒ B ist eine Tautologie (Nachweis mit
Wahrheitstafel).
Die Abtrennungsregel wird in den meisten direkten Beweisen, so wie im obigen, mehrfach verwendet:
Seien folgende Aussagen wahr: A, A ⇒ B1 , B1 ⇒ B2 , B2 ⇒ B3 , . . . ,
dann gilt z.B.: [A ∧ (A ⇒ B1 ) ∧ (B1 ⇒ B2 ) ∧ (B2 ⇒ B3 )] ⇒ B3 .
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
3.2.2
15
Beweis durch Widerspruch (Der indirekte Beweis)
Das Vorgehen beim indirekten Beweis ist folgendermaßen:
a) Man nimmt an, die Behauptung des Satzes sei falsch.
b) Man versucht dann durch logische Schlussfolgerungen einen Widerspruch abzuleiten (z.B.: 1=2).
c) Wenn die Schlussfolgerungen legitim und logisch korrekt waren, muss
die Annahme falsch gewesen sein und somit folgt die Behauptung des
Satzes.
Beispiel 1:
Satz:
√
2 ist keine Bruchzahl.
Beweis:
√
Angenommen 2 ist eine Bruchzahl.
√
n
und m 6= 1 (sonst
Dann gibt es teilerfremde Zahlen n, m ∈ IN mit 2 = m
√
wäre 2 eine ganze Zahl, was offensichtlich nicht der Fall ist).
n
n2
n
·m
= m
Dann ist allerdings auch m
2 nicht weiter kürzbar mit einem von 1
n2
verschiedenen Nenner. Das kann aber nicht sein, da m
2 = 2 sein muss. Also
hat man einen Widerspruch. Somit muss die Annahme falsch sein und damit
die Behauptung des Satzes wahr.
t
u
Beispiel 2:
Satz:
Es gibt unendlich viele Primzahlen.
Beweis:
Angenommen es gibt nur endlich viele Primzahlen p1 = 2, p2 = 3, p3 = 5,
p4 = 7, p5 = 11. . . . pn , wobei pn die größte Primzahl sei.
Dann kann die Zahl b = p1 · p2 · p3 · p4 · p5 · · · pn + 1 keine Primzahl sein, denn
b > pn und pn ist ja dann die größte Primzahl.
Andererseits muss sich b aber dann wegen der eindeutigen Primfaktorzerlegung multiplikativ aus den Primzahlen p1 , p2 , p3 , . . . , pn zusammensetzen.
Also muss b daher mindesntens durch eine der Primzahlen p1 , p2 , p3 , . . . , pn
teilbar sein.
Andererseits erhält man bei Division durch eine der Primzahlen immer Rest
1 (wegen der Addition von 1).
Somit hat man einen Widerspruch und der Satz ist bewiesen.
t
u
Aussagenlogische Analyse:
Man folgert aus einer Aussage A eine Aussage B und die Aussage
¬B. Daraus folgert man, dass A falsch ist. Formal ist dies der Schluss:
[A ⇒ (B ∧ ¬B))] ⇒ ¬A. Dieser Schluss ist eine Tautologie (Nachweis mit
Wahrheitstafel).
16
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
3.2.3
Die Kontraposition
Der mathematische Satz A ⇒ B und seine Kontraposition ¬B ⇒ ¬A sind
äquivalent. Somit kann man anstelle von A ⇒ B auch ¬B ⇒ ¬A beweisen.
Beispiel:
Satz:
Wenn n2 gerade ist, dann ist n gerade.
Beweis:
Zeige: Wenn n ungerade ist, dann ist n2 ungerade.
n = 2k + 1
(Voraussetzung mit Definition für ungerade“)
”
2
2
2
⇒ n = (2k + 1) = 4k + 4k + 1 (elementare Rechenregeln)
⇒ n2 = 2 · (2k 2 + 2k) + 1
(elementare Rechenregeln)
⇒ n2 = 2 · j + 1
(mit j = (2k 2 + 2k))
⇒ n2 ist ungerade
(per Definition)
t
u
Bemerkung:
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob der Beweis durch Widerspruch
und der Beweis der Kontradiktion dasselbe wären. Aussagenlogisch gibt es
allerdings einen Unterschied:
Beim Beweis durch Widerspruch wird der Schluss [A ⇒ (B ∧ ¬B))] ⇒ ¬A
verwendet.
Beim (direkten) Beweis der Kontradiktion verwendet man
¬B ∧ (¬B ⇒ ¬A) ⇒ ¬A.
Beide Schlüsse sind Tautologien, aber die linken Seiten von ⇒ ¬A“, nämlich
”
[A ⇒ (B ∧ ¬B))] und ¬B ∧ (¬B ⇒ ¬A) sind nicht äquivalent (Nachweis mit
Wahrheitstafel).
In der (Beweis-) Praxis wird allerdings zwischen Beweis durch Widerspruch“
”
und Beweis der Kontradiktion“ so gut wie nicht unterschieden.
”
3.2.4
Beweis durch vollständige Induktion
Die Beweismethode der vollständigen Induktion wird dann oft benutzt, wenn
gezeigt werden soll, dass eine Aussage bzw. ein Prädikat A(x) für alle
natürlichen Zahlen wahr ist.
Das Problem liegt nun darin, dass es unendlich viele natürliche Zahlen gibt,
sodass A(x) nicht für jede natürliche Zahl n explizit nachgewiesen werden
kann. Man benutzt nun folgenden Trick:
a) Zeige, dass A(1) wahr ist. (Induktionsanfang)
b) Beweise, dass A(n) ⇒ A(n + 1) wahr ist. (Induktionsschritt)
c) Daraus schließt man, dass A(n) für alle n ∈ IN wahr ist. (Induktionsschluss)
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
17
Dies soll erst einmal am sog. Dominoeffekt veranschaulicht werden:
http://de.wikipedia.org/wiki/Vollst%C3%A4ndige Induktion (Stand: 29.10.2013)
a) Stoße den ersten Stein an. (Induktionsanfang).
b) Beim Aufstellen der Steine musst du dafür gesorgt haben, dass wenn
ein beliebiger Stein (der n-te Stein) umfällt, auch sein Nachfolger (der
(n+1)-te Stein) umfällt. (Induktionsschritt)
c) Dann kannst du sicher sein, dass alle Dominosteine umfallen. (Induktionsschluss)
Der Unterschied zur vollständigen Induktion liegt bei dieser Veranschaulichung darin, dass es in der Realität nicht unendlich viele Dominosteine gibt.
Und selbst wenn es unendlich viele gäbe, bräuchten sie unendlich lang Zeit
um umzufallen. Allerdings ist der (gedankliche) Schluss A(n) ⇒ A(n + 1)
nicht an irgendwelche Zeiten gebunden, sondern findet (im Kopf) simultan
für alle unendlich viele natürliche Zahlen statt. Dies kann man mit dem Aufschreiben der natürlichen Zahlen mit dem Zeichen IN vergleichen. Mit IN
werden simultan unendlich viele natürliche Zahlen aufgeschrieben mit dem
Wissen, dass jede natürliche Zahl einen Nachfolger hat. Durch Aufzählen
{1; 2; 3; 4; 5; . . . } würde man zeitlich nie fertig werden.
Aussagenlogische Analyse:
Bei der vollständigen Induktion wendet man folgende Schlussregel an:
[A(1) ∧ (∀n ∈ IN : (A(n) ⇒ A(n + 1)))] ⇒ [∀n ∈ IN : A(n)]
Beispiel:
Satz:
Für die Summe der ersten n natürlichen Zahlen gilt
n
X
k=1
Beweis:
k=
n(n + 1)
.
2
18
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
a) Induktionsanfang:
Für n = 1 gilt die Behauptung, denn
1=
1 · (1 + 1)
.
2
b) Induktionsschritt:
Zeige:
n+1
X
(n + 1)((n + 1) + 1)
n(n + 1)
, dann gilt auch
Wenn
k=
k=
2
2
k=1
k=1
n
X
Dazu:
n
X
(n + 1)((n + 1) + 1)
=
k + (n + 1)
k=
2
k=1
k=1
n+1
X
=
=
=
=
=
n(n + 1)
+ (n + 1)
2
n(n + 1) 2(n + 1)
+
2
2
n(n + 1) + 2(n + 1)
2
(n + 1)(n + 2)
2
(n + 1)((n + 1) + 1)
2
c) Induktionsschluss:
Damit ist gezeigt, dass die Summenformel für alle n ∈ IN gilt.
t
u
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
4
19
Gleichungen und Ungleichungen lösen
4.1
Polynomgleichungen
Definition:
a) Ein Term der Form
Pn (x) = an xn + an−1 xn−1 + · · · · a1 x + a0
mit a0 , a1 , . . . ,an ∈ IR und a0 6= 0 heißt Polynom vom Grad n. Die
größte vorkommende Hochzahl n heißt Grad des Polynoms.
b) Eine Gleichung der Form
Pn (x) = 0
heißt Polynomgleichung.
Bemerkung:
Funktionen der Form f (x) = Pn (x) heißen Polynomfunktionen oder auch
ganzrationale Funktionen vom Grad n. D.h. das Lösen einer Polynomgleichung ist gleichbedeutend mit dem Auffinden von Nullstellen einer Polynomfunktion.
4.1.1
Alte Bekannte
Für einige Poloynomgleichungen kennt man schon aus dem regulären Mathematikunterricht Lösungsstrategien und Algorithmen.
Lineare Gleichungen: Lineare Gleichungen sind Polynomgleichungen vom
Grad 1. Diese löst man durch Äquivalenzumformung:
mx + c = 0 | − c
mx = −c | : m
c
x = −
m
Quadratische Gleichungen: Quadratische Gleichungen sind Gleichungen
der Form
ax2 + bx + c = 0
und somit Polynomgleichungen vom Grad 2. Diese löst man mit der
Lösungsformel für quadratische Gleichungen:
√
−b ± b2 − 4 · a · c
x1/2 =
2·a
20
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Biquadratische Gleichungen: Biquadratische Gleichungen sind Gleichungen der Form
ax4 + bx2 + c = 0
und somit spezielle Polynomgleichungen vom Grad 4. Diese löst man
durch Substitution und anschließende Anwendung der Lösungsformel
für quadratische Gleichungen:
Substitution: z = x2
Führt zu: az 2 + bz + c = 0
Weitere Methoden zum Lösen von Polynomgleichungen sind:
Nullproduktsatz: Ein Produkt kann nur dann Null sein, wenn mindestens
ein Faktor Null ist:
a·b=0⇔a=0∨b=0 .
Damit kann man z.B. die Lösungen der Gleichung
3(x − 2)3 · (x + 2) · x3 = 0
sofort ablesen: x1 = 2, x2 = −2 und x3 = 0.
Ausklammern einer x-Potenz: Ist in der Gleichung
an xn + an−1 xn−1 + · · · · a1 x + a0 = 0
a0 = 0, so kann man x ausklammern und erhält mit dem Nullproduktsatz sofort eine Lösung x1 = 0. Weitere Lösungen muss man dann in
der Gleichung
an xn−1 + an−1 xn−2 + · · · + a1 = 0
suchen.
Sind sogar die ersten Koeffizienten a0 , a1 , . . . , aj alle Null, so kann man
xj+1 ausklammern.
Freistellen einer Potenz: Kann man die Polynomgleichung so umstellen,
dass sie die Form
(x − d)n = c
hat, so gilt:
√
a) Ist n gerade und c ≥ 0, so ist x = n c + d.
Ist n gerade und c < 0, so gibt es keine Lösung.
√
b) Ist n ungerade und c ≥ 0, so ist x = n p
c + d.
Ist n ungerade und c < 0, so ist x = − n |c| + d.
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
4.1.2
21
Polynomdivision
Die Gleichung
(x2 + 4x + 4) · (x − 5) = 0
lässt sich relativ einfach mit dem Nullproduktsatz und der Lösungsformel für
quadratische Gleichungen lösen. (x1 = 5, x2 = −2)
Multipliziert man die linke Seite dieser Gleichung aus, so erhält man
(x2 + 4x + 4) · (x − 5) = x3 − x2 − 16x − 20 .
Dies ist äquivalent zu
(x3 − x2 − 16x − 20) : (x − 5) = x2 + 4x + 4 .
Die Frage ist nun:
Wie kann man die Divisionsaufgabe
(x3 − x2 − 16x − 20) : (x − 5)
lösen?
Dies soll am Beispiel des schriftlichen Dividierens veranschaulicht werden:
948 : 3 =
3
1
6
− 9
↑
48
9:3=3
↑
− 3
4 : 3 = 1 Rest 1
↑
18
18 : 3 = 6
− 18
0
Also ist
948 : 3 = 316 .
Übertragung dieses Verfahrens auf Polynome:
(x3 − x2 − 16x − 20)
: (x − 5) =
x2
+
4x
+
4
3
2
− (x − 5x )
↑
2
3
4x − 16x − 20
x : x = x2
↑
2
−
(4x − 20x)
4x2 : x = 4x
4x − 20
↑
−
(4x − 20)
4x : x = 4
0
Also ist
(x3 − x2 − 16x − 20) : (x − 5) = x2 + 4x + 4 .
22
4.1.3
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Theorie zu Polynomgleichungen
Satz 1:
Hat die Polynomfunktion f vom Grad n die Nullstelle u, so kann man f auch
in der Form
f (x) = (x − u) · g(x)
schreiben, wobei g(x) ein Polynom vom Grad n − 1 ist.
Beweis:
Sei f (x) = an xn + an−1 xn−1 + · · · · a1 x + a0 ein Polynom vom Grad n mit
Nullstelle u, d.h. f (u) = 0.
Dann ist
f (x) = f (x) − f (u)
= (an xn + an−1 xn−1 + · · · · a1 x + a0 ) − (an un + an−1 un−1 + · · · · a1 u + a0 )
= an (xn − un ) + an−1 (xn−1 − un−1 ) + · · · · a1 (x − u)
Jeder dieser Summanden enthält den Faktor (x − u), denn es gilt
x2 − u 2
x3 − u 3
x4 − u 4
=
(x − u) · (x + u)
=
(x − u) · (x2 + ux + u2 )
=
(x − u) · (x3 + ux2 + u2 x + u3 )
usw.
Also gilt
f (x) = (x − u) · g(x) .
Da f (x) den Grad n hat muss die rechte Seite auch den Grad n haben und
damit muss g(x) den Grad n − 1 haben.
t
u
Mathematisch ist das usw.“ im obigen Beweis etwas unbefriedigend. Des”
halb wird nun folgender Hilfssatz bewiesen:
Hilfssatz:
Es gilt
n
n
x − u = (x − u) ·
n−1
X
j=0
xn−1−j uj .
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
23
Beweis:
(x − u) ·
n−1
X
x
n−1−j j
u
=
j=0
n−1
X
(xn−j uj − xn−1−j uj+1 )
j=0
=
n−1
X
x
n−j j
u −
j=0
n
= x +
n−1
X
xn−1−j uj+1
j=0
n−1
X
x
n−j j
n
u −u −
j=1
= xn − un +
= xn − un +
n−2
X
xn−1−j uj+1
j=0
n−1
X
xn−j uj −
n−1
X
j=1
j=1
n−1
X
n−1
X
xn−j uj −
j=1
|
xn−1−(j−1) uj−1+1
xn−j uj
j=1
{z
=0
}
= xn − un
t
u
Bemerkung 1:
Der Faktor (x − u) heißt auch Linearfaktor.
Bemerkung 2:
Von Satz 1 gilt auch der Kehrsatz:
Wenn das Polynom f (x) die Form
f (x) = (x − u) · g(x)
hat, dann ist u eine Nullstelle von f .
Beweis: Einsetzen von u.
Eine Folgerung von Satz 1 ist
Satz 2:
Ein Polynom f (x) vom Grad n besitzt höchstens n Nullstellen.
Beweis durch Widerspruch:
Angenommen f (x) mit Grad n hat mehr als n Nullstellen.
Dann kann man f (x) als Produkt von mindestens n+1 Linearfaktoren schreiben.
Durch Ausmultiplizieren ergibt sich dann, dass f (x) mindestens den Grad
n + 1 hat.
Das ist ein Widerspruch zur Voraussetzung, dass f (x) den Grad n hat.
t
u
24
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Bemerkung:
Es gibt eine Zahlbereichserweiterung der reellen Zahlen IR zu den sog. komplexen Zahlen C
l . In diesem Zahlenbereich gilt:
Eine Polynomfunktion f (x) vom Grad n hat genau n Nullstellen. In der
Mathematik sagt man hierzu: Die komplexen Zahlen C
l sind algebraisch abgeschlossen.
Weitere Bemerkung:
Auch für Polynomgleichungen vom Grad 3 und vom Grad 4 gibt es Lösungsformeln ähnlich wie die Lösungsformel für quadratische Gleichungen, so dass
man diese Gleichungen allgemein lösen kann. Diese sind allerdings sehr komplex.
Für Polynomgleichungen, deren Grad größer als 4 ist, gibt es keine allgemeine Lösungsformel mehr.
Dies zu beweisen übersteigt allerdings das Niveau des Vertiefungskurses.
4.2
4.2.1
Betragsgleichungen
Die Betragsfunktion
Der Betrag einer Zahl x, kurz |x|, ist anschaulich auf der Zahlengeraden der
Abstand von x zur Null.
Beispiele:
|3| = 3; | − 28| = 28; |π| = π; | log(0, 001)| = 3; |0| = 0
In Worten: Ist x positiv oder Null, so ist der Betrag von x die Zahl x selbst.
Wenn x negativ ist, so ist der Betrag von x die entsprechende (positive)
Gegenzahl von x.
Die Betragsfunktion ist die Funktion f mit f (x) = |x|. Mit der eben in
Worten beschriebenen Fallunterscheidung kann man die Betragsfunktion
auch ohne Betragsstriche schreiben:
f (x) =
x , falls x ≥ 0
.
−x , falls x < 0
Das Schaubild der Betragsfunktion ist in folgendem Diagramm dargestellt:
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
25
Ist nun z.B. eine Funktion f gegeben durch f (x) = |2x − 4|, so kann man
diese ebenfalls betragsfrei schreiben:
2x − 4 , falls x ≥ 2
f (x) =
.
4 − 2x , falls x < 2
4.2.2
Betragsgleichungen
Eine Betragsgleichung ist eine Gleichung, in der der Betrag eines Termes
vorkommt. Anhand des folgenden Beispiels soll ein Lösungsverfahren für Betragsfunktionen vorgestellt werden.
|x − 2| = 3
Um diese Gleichung lösen zu können, muss man sie betragsfrei schreiben.
Dies erfordert allerdings eine Fallunterscheidung. Die beiden Fälle unterscheiden sich dadurch, dass der Betragsinhalt positiv oder negativ ist. Um
zu sehen, was in welchem Bereich vorliegt, berechnet man in einer Nebenrechnung, wo der Inhalt größer oder gleich 0 ist.
x−2 ≥ 0 | +2
x ≥ 2
Im Bereich mit x ≥ 2 ist demnach der Inhalt des Betrages positiv oder gleich
0, die Betragsstriche können dann einfach weggelassen werden. Dieser Bereich
stellt in unserer Rechnung den ersten Fall dar. Der zweite Fall beinhaltet
dann alle anderen reellen Zahlen, also x < 2. In diesem Bereich muss der
Betragsinhalt dann mit (−1) multipliziert werden. Mit diesen beiden Fällen
führt man dann die weiteren Rechnungen durch.
|x − 2| = 3
für x ≥ 2:
x−2 = 3 | +2
x = 5
26
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
für x < 2:
−(x − 2)
−x + 2
−x
x
=
=
=
=
3
3 | −2
1 | · (−1)
−1
Natürlich muss man vor Bestimmung der Lösungsmenge prüfen, ob die gefundenen Werte innerhalb der jeweils untersuchten Bereiche liegen. Da 5 ≥ 2
und 1 < 2 ist, ist das in diesem Beispiel gegeben. Die Lösungsmenge der
Gleichung lautet also
L = {−1; 5} .
4.3
Wurzelgleichungen
√
√
Da sich selbst Wurzeln wie z.B. x2 + 9 oder x2 − 16 nicht vereinfachen
lassen (Merke: Bei + oder − unter der Wurzel
darf man die Wurzel√nicht aus
√
jedem
Summanden einzeln ziehen! Z.B. 9 + 16 6= 3 + 4, sondern 9 + 16 =
√
25 = 5), muss man bei Gleichungen mit Wurzelausdrücken die Wurzeln im
Normalfall durch Quadrieren eliminieren.
4.3.1
Beispiele
Beispiel 1:
√
x = 4 | ()2
x = 16
Also ist L = {16}.
Beispiel 2:
√
x = −4 | ()2
x = 16
Aber für die Lösungsmenge gilt L = {}, denn setzt man 16 in die ursprüngliche Gleichung ein, so erhält man 4 = −4.
ACHTUNG!
Quadrieren ist keine Äquivalenzumformung!
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
27
Dazu noch ein weiteres Beispiel.
Beispiel 3:
x = −x
Diese Gleichung hat die Lösungsmenge L = {0}.
Durch Quadrieren erhält man
x2 = (−x)2
x2 = x2
Diese Gleichung hat die Lösungsmenge L = IR.
Es sind also durch das Quadrieren zusätzliche Scheinlösungen“ hinzugekom”
men, die aber keine Lösungen der ursprünglichen Gleichgung sind.
Dies hat zur Folge, dass man in der Praxis am Ende immer eine Probe
mit der ursprünglichen Gleichung machen muss!
Beispiel 4:
√
2x + 1
2x + 1
2x + 1
0
=
=
=
=
x − 17 | ()2
(x − 17)2
x2 − 34x + 289 | − 2x − 1
x2 − 26x + 288
Diese Gleichung löst man mit der Lösungsformel für quadratische Gleichungen und erhält x1 = 24 und x2 = 12. Jetzt muss man noch überprüfen, ob
dies auch Lösungen der ursprünglichen Wurzelgleichung sind.
Die Probe mit x1 = 24 ergibt
√
2 · 24 + 1 = 27 − 17
√
49 = 7
7 = 7 ist wahr.
Somit ist x1 = 24 eine Lösung.
Die Probe mit x2 = 12 ergibt
√
2 · 12 + 1 = 12 − 17
√
25 = −5
5 = −5 ist falsch.
Somit ist x2 = 12 keine Lösung.
Insgesamt gilt also für die Lösungsmenge L = {24}.
28
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Beispiel 5:
√
8x + 1 + 2x
√
8x + 1
8x + 1
8x + 1
0
0
=
=
=
=
=
=
4x − 11 | − 2x
2x − 11 | ()2
(2x − 11)2
4x2 − 44x + 121 | − 8x − 1
4x2 − 52x + 120 | : 4
x2 − 13x + 30
Diese Gleichung löst man wieder mit der Lösungsformel für quadratische
Gleichungen und erhält x1 = 3 und x2 = 10. Die Probe ergibt schließlich
L = {10}.
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
29
Beispiel 6:
√
√
√
=
6− 2−x | + 2−x
√
=
6 | ()2
= 6 | −3
= 3| :2
3
=
| ()2
2
9
(x + 1)(2 − x) =
4
9
−x2 + x + 2 =
4
1
= 0 | · (−4)
−x2 + x −
4
4x2 − 4x + 1 = 0
√
x+1
√
√
x+1+ 2−x
√
√
x+1+2· x+1· 2−x+2−x
√
√
2· x+1· 2−x
√
√
x+1· 2−x
Die Lösungsformel für quadratische Gleichungen liefert x = 0, 5 und die
Probe bestätigt diese Lösung, sodass für die Lösungsmenge gilt L = {0, 5}.
4.3.2
Zusammenfassung
Bei Wurzelgleichungen steht die Variable immer unter mindestens einer Wurzel und unter Umständen auch zusätzlich noch außerhalb.
Lösungsverfahren:
a) Die Wurzel wird (die Wurzeln werden) auf einer Seite der Gleichung
isoliert.
b) Die Gleichung wird quadriert.
c) Ist jetzt noch eine Wurzel, unter der die Variable steht, enthalten, ab
a) wiederholen.
d) Die Gleichung mit bekannten Verfahren, wie z.B. der Lösungsformel
für qadratische Gleichungen, nach x auflösen.
e) Alle erhaltenen Lösungen müssen mit der ursprünglichen Gleichung
überprüft werden, da durch Schritt b) zusätzliche Scheinlösungen“
”
entstehen können.
30
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
4.4
Ungleichungen
Eine Ungleichung besteht, ähnlich wie eine Gleichung, aus zwei Termen, die
durch eines der Vergleichszeichen <, >, ≤ oder ≥ verbunden sind. Ebenso wie
Gleichungen stellt eine Ungleichung eine Suchvorschrift für üblicherweise x
dar, so dass durch die Belegung der Variablen x eine wahre Aussage entsteht.
4.4.1
Lösen von Ungleichungen
Um Ungleichungen zu lösen, kann man fast genauso vorgehen, wie bei Gleichungen. Die Idee besteht ebenso darin, die ursprüngliche Ungleichung durch
Äqivalenzumformungen so umzuformen, dass man am Ende eine Ungleichung erhält, an der man die Lösungsmenge direkt ablesen kann.
Zur Erinnerung:
Eine Äquivalenzumformung ist eine Umformung, bei der sich die Lösungsmenge nicht ändert.
Typische Äquivalenzumformungen sind:
a) Addition einer Zahl a ∈ IR auf beiden Seiten.
(Für a < 0 schließt das die Subtraktion mit ein.)
b) Multiplikation einer positiven Zahl a ∈ IR auf beiden Seiten.
Achtung bei Multiplikation mit einer negativen Zahl:
Bei Multiplikation mit einer negativen Zahl kehrt sich das Ungleichungszeichen um. D.h. aus <“ wird >“ bzw. aus ≤“ wird ≥“ und umgekehrt.
”
”
”
”
Dies soll das folgende einfache Beispiel verdeutlichen:
x < 5 und − x > −5
sind äquivalent (Multiplikation mit −1).
Oder
3 < 5 und − 3 > −5
sind äquivalent.
Man unterscheidet bei Ungleichungen genau wie bei Gleichungen folgende
unterschiedliche Gleichungstypen.
4.4.2
Lineare Ungleichungen
Beispiel:
x
2−x
+5≥
3
2
Die Lösungsmenge erhält man durch elementare Äquivalenzumformungen.
L = {x ∈ IR| x ≤
34
}.
5
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
4.4.3
31
Quadratische Ungleichungen
Beispiel:
−x2 + x + 2 < 0
Man betrachtet den linken Term als Funktionsterm einer quadratischen Funktion und bestimmt mit Hilfe der Lösungsformel für quadratische Gleichungen deren Nullstellen. Das Vorzeichen des Koeffizienten vor x2 bestimmt, ob
die zugehörige Parabel nach oben oder nach unten geöffnet ist. (Negatives
Vorzeichen: nach unten geöffnet; positives Vorzeichen: nach oben geöffnet.)
Damit kann man sich überlegen, für welche Bereiche die Parabel oberhalb
bzw. unterhalb der x-Achse liegt.
Für das Beispiel gilt: Nullstellen: x1 = −1, x2 = 2. Die Parabel ist nach
unten geöffnet. Damit
L = {x ∈ IR| x < 1 ∨ x > 2}
4.4.4
Bruchungleichungen
Beispiel:
x
≥ 2; D = IR\{2}
x−2
Bruchungleichungen sind deshalb problematisch, da man mit einem Term
multiplizieren muss, der die Variable x enthält, hier (x − 2). Ob (x − 2)
positiv oder negativ ist, hängt davon ab, was man für x einsetzt. Deshalb
muss man, wie schon bei den Betragsgleichungen, eine Fallunterscheidung
vornehmen.
x
≥ 2| · (x − 2)
x−2
für x > 2:
x ≥ 2(x − 2)
x ≥ 2x − 4 | − 2x
−x ≥ −4 | · (−1)
x≤4
für x < 2:
x ≤ 2(x − 2)
x ≤ 2x − 4 | − 2x
−x ≤ −4 | · (−1)
x≥4
32
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Auf den ersten Blick erhält man zwei Lösungen, die sich widersprechen. In
Wahrheit gilt aber die Lösung x ≤ 4 nur für den Fall, dass x > 2 ist. Für
die zweite Lüsung gilt entsprechend, dass sie nur gültig ist im Bereich x < 2.
Man bekommt also zwei Teillösungsmengen für den jeweiligen Gültigkeitsbereich.
Um die jeweilige Teillösungsmenge zu bestimmen, muss man eine UNDVerknüfung zwischen dem Ergebnisterm und der zugehörigen Bedingung
für den Gültigkeitsbereich bilden. Dies soll in folgender Grafik veranschaulicht werden.
Die Bedingung für den ersten Fall ist hier x > 2, in der Grafik rot dargestellt.
Das Ergebnis für diesen Fall ist x ≤ 4, in der Grafik blau dargestellt. Somit
erhält man für den ersten Fall die erste Teillösungsmenge
L1 = {x ∈ IR | 2 < x ≤ 4} .
Für den zweiten Fall, nämlich x < 2 erhält man folgende Grafik.
Hier erhält man als Ergebnis x ≥ 4 also
L2 = {x ∈ IR | x ≥ 4 ∧ x < 2} = {} .
Da es keine Zahl gibt, die einerseits kleiner als 2 und andererseits größer oder
gleich 4 ist, ist die zweite Teillösungsmenge L2 die leere Menge. Somit ist die
gesamte Lösungsmenge L gleich der ersten Teillösungsmenge L1 .
L = {x ∈ IR | 2 < x ≤ 4}
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
4.4.5
33
Bekannte Ungleichungen
Die Bernoullische Ungleichung
Aus h > −1 folgt
(1 + h)n ≥ 1 + nh für alle n ∈ IN .
Beweis:
Durch vollständige Induktion:
a) Induktionsanfang: Für n = 1 gilt (1 + h)1 = 1 + 1 · h, also auch
(1 + h)1 ≥ 1 + 1 · h.
b) Induktionsannahme: Sei für ein n ∈ IN (1 + h)n ≥ 1 + nh.
c) Induktionsschritt: Zeige, dass dann auch gilt (1 + h)n+1 ≥ 1 + (n + 1) · h
(1 + h)n
(1 + h)n+1
(1 + h)n+1
(1 + h)n+1
≥
≥
≥
≥
1 + nh | · (1 + h) (das ist positiv, da h > −1)
(1 + nh) · (1 + h)
1 + h + nh + nh2
1 + (n + 1)h + nh2
Da nh2 ≥ 0, gilt 1 + (n + 1)h + nh2 ≥ 1 + (n + 1)h und damit
(1 + h)n+1 ≥ 1 + (n + 1)h .
d) Induktionsschluss: Damit gilt die Ungleichung für alle n ∈ IN.
t
u
Die Dreiecksungleichung:
Für Zahlen a, b ∈ IR gilt
|a + b| ≤ |a| + |b| .
Beweis:
|a + b|2 =
=
≤
=
=
(a + b)2
a2 + 2ab + b2
a2 + 2 · |ab| + b2
|a|2 + 2 · |a| · |b| + |b|2
(|a| + |b|)2
Da sowohl |a + b| ≥ 0 als auch |a| + |b| ≥ 0, folgt daraus die Behauptung.
t
u
Bemerkung: Daraus folgt auch
n
n
X
X
ak ≤
|ak | .
k=1
k=1
34
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung
Für Zahlen a, b ∈ IR gilt
v
v
u n
u n
n
X
uX
uX
|ak bk | ≤ t
a2k · t
b2k
k=1
k=1
k=1
Beweis:
Sei A die erste und B die zweite Quadratwurzel auf der rechten Seite. Falls
A = 0 oder B = 0, sind auch alle ak bzw bk gleich Null. Dann gilt 0 = 0 und
die Behauptung stimmt.
Für A, B > 0 macht man die Substitution αk := |aAk | und βk := |bBk | . Damit
geht die Behauptung in die äquivalente Ungleichung
n
X
α k βk ≤ 1
k=1
über. Es gilt
n 2
n
n
n q
X
X
αk βk2
1X 2 1X 2 1 1
2 2
+
αk +
βk = + = 1
αk βk ≤
=
αk βk =
2
2
2
2
2 2
k=1
k=1
k=1
k=1
k=1
n
X
Das ≤“-Zeichen in dieser Zeile folgt aus Aufgabe 2 auf dem Übungsblatt 3.
”
Damit ist die Behauptung bewiesen.
t
u
Mit der Bemerkung nach der Dreiecksungleichung folgt damit
v
v
u n
n
n
X
u
X
uX
u
t
ak b k ≤
a2k · t
b2k .
k=1
k=1
k=1
Für den Fall n = 3 bedeutet dies
|~a • ~b| ≤ |~a| · |~b| ,
wobei ~a, ~b ∈ IR3 Vektoren sind und ~a • ~b das Skalarprodukt von ~a und ~b ist.
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
5
35
Folgen, Reihen und Konvergenz
5.1
Folgen
Eine Folge ist eine Auflistung von üblicherweise unendlich vielen fortlaufend
nummerierten Zahlen an (n ∈ IN, an ∈ IR). Eine Folge ist also eine Funktion,
die jeder natürlichen Zahl n eine (reelle) Zahl an zuordnet.
f : IN → IR
n 7→ an
Die gesamte Folge, also die Funktion f , wird mit (an )n∈IN oder auch kurz mit
(an ) bezeichnet.
Beispiele
a) Die Folge der ungeraden Zahlen:
1; 3; 5; 7; 9; . . .
b) Die Folge der Quadratzahlen:
1; 4; 9; 16; 25; . . .
c) Die Fibonacci-Folge:
1; 1; 2; 3; 5; 8; 13; 21; 34; . . .
5.2
Rekursive und explizite Folgen
Die Darstellung einer Folge wie z.B.
1; 3; 5; 7; . . .
(die Folge der ungeraden Zahlen) ist unter mathematischen Aspekten sehr
ungenau, denn diese Art der Darstellung lässt zu viel Interpretationsspielraum. So weiß man z.B., ohne den verbalen Zusatz, dass es sich um die
ungeraden Zahlen handelt, nicht, was . . .“ genau bedeuten soll.
”
Beispiel:
3; 1; 4; 1; 5; . . .
Wie geht es weiter?
1. Möglichkeit:
3; 1; 4; 1; 5; 1; 6; 1; 7; . . .
36
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
2. Möglichkeit:
3; 1; 4; 1; 5; 9; 2; 6; 5; 3; 5; . . .
(Dezimalziffern der Kreiszahl π).
Natürlich gibt es hier eigentlich unendlich viele Möglichkeiten, diese Zahlenfolge fortzusetzen.
Um Folgen mathematisch konkret zu definieren, gibt es prinzipiell zwei unterschiedliche Möglichkeiten.
5.2.1
Rekursive Folgen
Bei rekursiven Folgen wird das n-te Folgenglied an durch die vorigen
Folgenglieder a1 , . . . , an−1 definiert.
Beispiele:
a) Die Folge der ungeraden Zahlen:
a1 = 1
(an ) :
an+1 = an + 2
b) Die Folge der Quadratzahlen
a1 = 1
(an ) :
an+1 = an + 2n + 1, vgl. Übungsblatt 3; Aufgabe 4
c) Fibonacci-Folge
(an ) :


a1 = 1
a2 = 2

an+1 = an + an−1
Man beachte, dass bei der rekursiven Darstellung so viele Folgenglieder
ausdrücklich angegeben werden müssen, dass mit der Rekursionsformel das
nächste Folgenglied ausgerechnet werden kann.
5.2.2
Explizite Folgen
Bei expliziten Folgen wird das n-te Folgenglied direkt durch die Nummer n
definiert.
Beispiele:
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
37
a) Die Folge der ungeraden Zahlen:
an = 2n − 1; n ∈ IN
(an ) :
b) Die Folge der Quadratzahlen
(an ) :
an = n2 ; n ∈ IN
c) Fibonacci-Folge
√ !n
1+ 5
−
2
1
(an ) : an = √
5
√ !n !
1− 5
; n ∈ IN
2
(Formel von Moivre-Binet)
5.3
5.3.1
Konvergenz von Folgen
Die ε-nε -Definition
Unter den (überabzählbar) vielen Folgen sind solche Folgen von besonderem
Interesse, bei denen sich die Folgenglieder an einer Zahl a, dem sog. Grenzwert
immer mehr annähern. Man sagt hierzu, die Folge konvergiert gegen den
”
Grenzwert a“. Die Kurzschreibweise hierfür lautet:
an −→ a bzw. kurz an → a
n→∞
oder
lim an = a .
n→∞
Die mathematische Definition hierfür lautet:
Definition:
Eine Folge (an ) hat genau dann den Grenzwert a (konvergiert gegen a), wenn
gilt
∀ε > 0 ∃nε ∈ IN : n > nε ⇒ |a − an | < ε .
D.h. für jeden (noch so kleinen) Abstand ε gibt es eine Nummer nε , die von ε
abhängt (deshalb nε ), sodass ab dieser Nummer nε die Folgenglieder an von
a einen kleineren Abstand als ε haben.
Beispiel;
Gegeben sei die Folge (an ) durch
(an ) : an =
1
.
n
38
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Intuitiv (d.h. gefühlsmäßig) ist schon klar, dass die Folgenglieder der Zahl 0
immer näher kommen. Also
1
lim = 0 .
n→∞ n
Der formal korrekte Beweis hierfür lautet
Sei ein beliebiger Abstand ε > 0 gegeben. Dann gilt
⇔
⇔
⇔
⇔
|0 − an | < ε
an < ε
1
<ε
n
1<ε·n
1
n>
ε
Was bedeutet das? Ist irgendein noch so kleiner Abstand ε > 0 gegeben, z.B.
ε = 0, 000001, so ist ab der Nummer 11 = 1000000 also für nε = 1000001
1000000
der Abstand |0 − n1 | kleiner als 0, 000001. Also kommen die Folgenglieder
an = n1 der Zahl 0 beliebig nahe.
Bemerkungen
a) Um die Konvergenz bei dieser Definition nachzuweisen, muss man den
Grenzwert a schon wissen bzw. vermuten. Was passiert z.B., wenn man
bei der obigen Folge den (falschen) Grenzwert 1“ vermutet?
”
Sei ε > 0 gegeben.
|1 − an | < ε
1 ⇔ 1 − < ε
n
1
<ε
n
1
⇔ 1<ε+
n
1
⇔ 1−ε<
n
1
, weil, wenn ε genügend klein ist, 1 − ε > 0 ist
⇔ n<
1−ε
⇔ 1−
Das heißt aber, dass es kein nε gibt, ab dem der Abstand zwischen den
Folgengliedern an und dem vermuteten Grenzwert 1 kleiner ist als ε.
Diese Bedingung ist nur für n = 1 erfüllt.
Ist hier z.B. ε = 0.000001, so muss
n < 1, 000001
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
39
sein.
Für n = 2 gilt schon
1−
1
1
= > 0, 000001 . Das ist ein Widerspruch.
2
2
b) Diese Definition liefert leider keine Möglichkeit, den eventuellen Grenzwert zu finden!
Mathematisch von besonderem Interesse sind die sog. Nullfolgen.
5.3.2
Nullfolgen
Definition:
Eine Folge (an ) heißt Nullfolge, wenn sie den Grenzwert 0 hat. Also wenn
gilt
lim an = 0 .
n→∞
bzw. eine Folge ist Nullfolge, genau dann wenn gilt
∀ε > 0 ∃nε ∈ IN : n > nε ⇒ |an | < ε .
Ein weiteres wichtiges Beispiel
Ist 0 < q < 1 so gilt
lim q n = 0
n→∞
Beweis:
Sei ε > 0, dann gilt
q n < ε | log(·)
⇔ n · log(q) < log(ε)
log(ε)
⇔ n>
log(q)
Also muss nε >
log(ε)
log(q)
gelten, damit der Abstand ε von an = q n kleiner ist als ε.
Ebenso gilt:
Ist −1 < q < 1 so gilt
lim q n = 0
n→∞
40
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Beweis:
Sei ε > 0, dann gilt
|q n | < ε | log(·)
⇔ |q|n < ε | log(·)
⇔ n · log(|q|) < log(ε)
log(ε)
⇔ n>
log(|q|)
Also muss nε >
als ε.
log(ε)
log(|q|)
gelten, damit der Abstand ε von an = q n kleiner ist
Wie wichtig es ist, die Konvergenz einer Folge mit dieser Definition nachzuweisen, zeigen die folgenden Beispiele.
a)
n!
20n
Die Berechnung der ersten Folgenglieder mit dem Taschenrechner liefert
(an ) : an =
a1 = 0, 05; a2 = 0, 005; a3 = 7, 5·10−4 ; a4 = 1, 5·10−4 ; a5 = 3, 75·10−5 ;
. . . ; a20 ≈ 2, 32 · 10−8 ; . . .
Intuitiv vermutet man, dass diese Folge gegen Null konvergiert. Dies
ist jedoch ein Trugschluss, denn
a60 ≈ 7217, 3; a61 ≈ 22012, 78 .
b)
2n
n!
Auch hier liefert die Berechnung der ersten Folgenglieder
(an ) : an =
4
2
4
4
a1 = 2; a2 = 2; a3 = ; a4 = ; a5 = ; a6 = ;
3
3
15
45
a7 ≈ 0, 0254; a8 ≈ 0, 00635; . . .
und lässt vermuten, dass es sich um eine Nullfolge handelt. Aber wer
garantiert, dass die Folgenglieder ab z.B. n = 100 nicht wieder anwachsen, wie bei Beispiel a)? Die Überprüfung mit dem Taschenrechner
liefert ERROR! Offenbar übersteigt das die Rechenkapazität des Taschenrechners.
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
41
Dazu folgende Überlegungen.
Für n ≥ 3 gilt:
|an+1 | = an+1 =
Also
2n+1
2 · 2n
2
1
=
=
· an ≤ an .
(n + 1)!
(n + 1) · n!
n+1
2
1
1 1
an+1 ≤ an ≤ · · an−1 ≤ · · ·
2
2 2
Daraus folgt
n−3
1
an ≤
· a3
2
n−3
4
1
·
=
2
3
n
1
4
=
·8·
2
3
n
1
32
=
·
2
3
n
n
Da 21 eine Nullfolge ist, geht auch 12 ·
n
an ≤ 12 · 32
ist auch an eine Nullfolge.
3
32
3
gegen Null. Da aber
ACHTUNG!
Hier hat man intuitiv Regeln benutzt, die mathematisch noch nicht
bewiesen sind. Dies soll nun aber geschehen.
5.3.3
Das Vergleichskriterium für Nullfolgen
Das wohl wichtigste Kriterium für Nullfolgen ist das Vergleichskriterium.
Ist (bn ) schon als Nullfolge bekannt und ist ab einer bestimmten Nummer N ,
also für n > N
|an | ≤ bn ,
so ist auch (an ) eine Nullfolge.
BEWEIS:
Nach Voraussetzung gibt es zu jedem ε > 0 eine nε sodass bn = |bn | < ε,
falls n > nε . Wählt man nun Nε = max{N, nε }, so ist für n > Nε einerseits
n > N also |an | ≤ bn und andererseits n > nε , also bn < ε. Damit ist für
n > Nε
|an | ≤ bn < ε .
t
u
42
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
5.3.4
Jede Nullfolge ist beschränkt
Ist (an ) eine Nullfolge, so gibt es zu jedem ε > 0 ein nε mit |an | < ε für
n > nε . Insbesondere gibt es dann für ε = 1 ein n1 , so dass |an | < 1 für
alle n > n1 . Wählt man nun aus allen Zahlen |a1 |; |a2 |; . . . ; |an1 |; 1 das
Maximum und nennt dieses M , also M := max{|a1 |; |a2 |; . . . ; |an1 |; 1}, so
gilt |an | < M für alle n ∈ IN.
t
u
5.3.5
Rechnen mit Nullfolgen
a) Ist (an ) eine Nullfolge, so ist auch (c · an ) eine Nullfolge.
b) Ist (an ) eine Nullfolge und ist (bn ) nach oben und unten beschränkt, so
ist auch (an · bn ) eine Nullfolge.
c) Sind (an ) und (bn ) Nullfolgen, so sind auch
(an + bn ), (an − bn ), (an · bn ) und (c · an + d · bn )
Nullfolgen.
p
d) Ist (an ) eine Nullfolge, so ist auch ( |an |) eine Nullfolge.
BEWEIS:
a) Zu jedem ε0 > 0 gibt es ein nε0 mit |an | < ε0 , falls n > nε0 . Damit gilt
|c · an | = |c| · |an | < |c| · ε0 .
Sei nun irgendein ε > 0 gegeben, so setze ε0 =
ε
.
|c|
Dann gilt für n > nε0
|c · an | < ε .
b) Ist (an ) Nullfolge und |bn | < M für alle n ∈ IN, so ist |an · bn | < M · |an |
für alle n ∈ IN. Die Folge (|an |) ist Nullfolge, also nach (a) auch die
Folge (M · |an |). Nach dem Vergleichskriterium ist also auch die Folge
(an · bn ) Nullfolge.
c) Sind (an ) und (bn ) Nullfolgen und ist ε > 0 eine beliebige vorgegebene Zahl, so gibt es ein nε und ein mε mit |an | < ε für n > nε
und |bn | < ε für n > mε . Für n > Nε := max{nε ; mε } ist dann
|can + dbn | ≤ |c| · |an | + |d| · |bn | < (|c| + |d|) · ε. Damit ist dann aber
auch, wie bei (a), (can + dbn ) eine Nullfolge.
Sind (an ) und (bn ) Nullfolgen, so ist insbesondere die Folge (bn ) beschränkt und somit die Folge (an · bn ) nach (b) eine Nullfolge.
d) Ist ε > 0 p
vorgegeben, so wähle Nε = nε2 so, dass |an | < ε2 für n > nε2 .
Dann ist |an | < ε für n > Nε .
t
u
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
43
Beim Beweis für
lim q n = 0, falls |q| < 1
n→∞
ist der Logarithmus noch etwas undurchsichtig“. Mit dem Vergleichskrite”
rium kann man das besser“ beweisen:
”
1
1
− 1 bzw. |q| = h+1
gilt h > 1. Mit der BernoulMit der Substitution h := |q|
lischen Ungleichung (vgl. 4.3.5) gilt dann:
1
1
=
= (1 + h)n ≥ 1 + nh ≥ nh
n
n
|q |
|q|
und somit
1 1
· .
h n
Mit dem Vergleichskriterium und dem Punkt (a) der Rechenregeln für Nullfolgen folgt, dass (q n ) eine Nullfolge ist.
|q n | ≤
5.3.6
Folgen mit Grenzwert a
SATZ:
Eine Folge (an ) hat den Grenzwert a, genau dann, wenn die Folge (a − an )
eine Nullfolge ist. Oder kurz
lim an = a ⇔ lim (a − an ) = 0 .
n→∞
n→∞
BEWEIS:
Ist limn→∞ an = a, dann gibt es zu jedem ε > 0 ein nε mit |a − an | < ε für
alle n > nε . D.h. aber, dass (a − an ) Nullfolge ist.
Ist umgekehrt (a − an ) Nullfolge, bedeutet das, dass es für jedes ε > 0 ein nε
gibt mit |a − an | < ε. D.h. aber, dass limn→∞ an = a.
t
u
Folgen, die einen Grenzwert besitzen, heißen auch konvergente Folgen.
5.3.7
Konvergenzsätze - Rechengesetze für konvergente Folgen
Aus den Rechengesetzen für Nullfolgen und dem letzten Satz folgt für konvergente Folgen:
a) Ist limn→∞ an = a, so ist
lim (c · an ) = c · a .
n→∞
b) Gilt limn→∞ (an ) = a und limn→∞ (bn ) = b, so gilt
lim (an ± bn ) = a ± b
n→∞
lim (an · bn ) = a · b .
n→∞
44
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
c) Gilt zudem bn 6= 0 und limn→∞ bn = b 6= 0, so gilt
an
a
lim
=
.
n→∞ bn
b
d) Ist limn→∞ an = a, so gilt
lim
n→∞
p
p
|an | = |a| .
Als Beispiel soll hier nur b) mit +“ ausführlich bewiesen werden:
”
Es gilt laut Voraussetzung:
lim an = a und
n→∞
lim bn = b .
n→∞
Also gilt:
Für jedes ε0 > 0 gibt es ein naε0 ∈ IN mit |a − an | < ε0 , falls n > naε0 und ein
nbε0 mit |b − bn | < ε0 , falls n > nbε0 .
Für nε0 := max{naε0 ; nbε0 } gilt dann, falls n > nε0 :
|a − an | < ε0 ∧ |b − bn | < ε0 .
Damit gilt
|(a + b) − (an + bn )| =
≤
<
=
|(a − an ) + (b − bn )|
|a − an | + |b − bn | (Dreiecksungleichung)
ε 0 + ε0
2 · ε0
Ist nun für die Folge (an + bn ) ein ε gegeben, dann wähle ε0 := 2ε .
Für nε = nε0 gilt dann
|(a + b) − (an − bn )| < 2 · ε0 = ε ,
t
u
falls n > nε0 =: nε .
5.3.8
Jede konvergente Folge ist beschränkt
Gilt
lim an = a ,
n→∞
so ist (an ) beschränkt.
Beweis:
lim an = a ⇔
n→∞
lim (a − an ) = 0
n→∞
⇒ |a − an | < M (Beschränktheit für Nullfolgen)
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
45
Daraus folgt
|an | = |an − a + a|
≤ |an − a| + |a| (Dreiecksungleichung)
< M + |a|
t
u
5.4
5.4.1
Reihen als Folgen von Partialsummen
Definitionen und Beispiele
Ist (an )n∈IN eine beliebige Folge von Zahlen, so heißt der formale Ausdruck
∞
X
ak = a0 + a1 + a2 + . . .
k=0
eine Reihe. Die einzelnen ak sind die Glieder dieser Reihe. Natürlich ist
es unmöglich, unendlich viele Additionen tatsächlich durchzuführen. Daher
betrachtet man die Folge (sn )n∈IN der endlichen Partialsummen
n
X
ak
k=0
und untersucht deren Verhalten für n → ∞. Existiert der Grenzwert s :=
limn→∞ sn , so heißt die Reihe konvergent und s ist ihre Summe. Besitzt
die Folge (sn )n∈IN keinen Grenzwert, so die Reihe divergent.
Beispiele
Die geometrische Reihe
∞
X
qk
k=0
besitzt für beliebiges q ∈ IR die Partialsummen
sn =
n
X
qk .
k=0
Für diese gilt
sn =
1 − q n+1
.
1−q
Dies kann man (als Übungsaufgabe) mit vollständiger Induktion beweisen.
Ist |q| < 1, so gilt q n |{z}
−→ 0, und man erhält mit den Grenzwertsätzen für
n→∞
Folgen
∞
X
k=0
qk =
1
.
1−q
46
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Für |q| ≥ 1 ist die geometrische Reihe divergent.
Die harmonische Reihe
∞
X
1
k=1
k
ist divergent, obwohl ihre Glieder eine Nullfolge bilden, denn es gilt
∞
X
1
k=1
k
=1+
1 1 1 1
1 1
1
+ + + + ··· + + + ··· +
+...
2 |3 {z 4} |5 {z 8} |9
16
{z
}
≥ 12
≥ 12
≥ 12
und damit ist die Folge der Partialsummen unbeschränkt.
Es gilt allerdings folgender
Satz:
P
Ist die Reihe ∞
k=0 ak konvergent, dann bilden die Glieder ak eine Nullfolge,
denn für n → ∞ gilt: an = sn − sn−1 → s − s = 0.
Die Umkehrung dieses Satzes gilt offenbar nicht, wie das Beispiel der harmonischen Reihe zeigt.
5.4.2
Rechnen mit konvergenten Reihen
Aus den Rechenregeln für endliche Summen und den Grenzwertsätzen für
Folgen folgt:
Ist
∞
∞
X
X
ak = a,
bk = b, α, β ∈ IR ,
k=0
k=0
so gilt
∞
X
(αak + βbk ) = αa + βb .
k=0
Achtung: Für die Multiplikation gilt der entsprechende Satz nicht wie das
folgende Gegenbeispiel zeigt.
Es ist
∞ k
∞ k
X
X
1
1
1
1
3
=
=
.
1 = 2 und
1 =
2
3
2
1− 2
1− 3
k=0
k=0
Aber
∞ k
X
1
k=0
6
=
1
1−
1
6
=
6
3
6= 2 · = 3 .
5
2
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
5.4.3
47
Konvergenzkriterien und absolut konvergente Reihen
Die folgenden Kriterien sind Hilfmittel zur Überprüfung, ob Reihen überhaupt konvergieren. Sie dienen nicht dazu, den Grenzwert bzw. die Summe der Reihe zu finden. Dies ist im Einzelfall sehr schwierig oder sogar
unmöglich.
Da dieser Vertiefungskurs keine Vorlesung für MINT-StudentInnen ist, wird
hier auf die Beweise der Konvergenzkriterien für Reihen verzichtet. Allerdings
ist es sicherlich sinnvoll diese Konvergenzkriterien zu kennen bzw. wenigstens
von ihnen gehört zu haben. Eine weitere Vertiefung findet dann sicher im
Studium statt.
Das Leibniz-Kriterium für alternierende Reihen
Bilden die positiven Zahlen a0 , a1 , a2 , . . . eine monoton fallende Nullfolge,
so ist die Reihe
∞
X
(−1)k ak
k=0
konvergent. Alternierend heißt, dass die Reihenglieder jeweils das Vorzeichen wechseln.
Beispiel:
Nach dem Leibniz-Kriterium ist die Reihe
∞
X
1 1 1
1
(−1)k+1 · = 1 − + − + · · ·
k
2 3 4
k=1
konvergent. Bemerkung:
P∞
k+1
k=1 (−1)
·
1
k
= ln 2.
Das Leibniz-Kriterium motiviert folgende
Definition:
Eine Reihe
∞
X
ak
k=0
heißt absolut konvergent, wenn die zugehörige Betragsreihe
∞
X
|ak |
k=0
mit positiven Gliedern konvergiert.
Beispiel:
Die alternierende Reihe
∞
X
k=1
(−1)k+1 ·
1
k
48
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
ist zwar konvergent, aber nicht absolut konvergent.
Majorantenktiterium
P
Ist die Reihe ∞
k=0 bk konvergent und gilt ab einer bestimmten Nummer N
|ak | ≤ bk , so konvergiert die Reihe
∞
X
ak .
k=0
Die Reihe
P∞
k=0 bk
heißt dann Majorante für die Reihe
Beispiel:
Die Reihe
P∞
k=0
ak .
∞
X
1
k!
k=0
ist konvergent.
Denn es gilt: k! = k · (k − 1) · (k − 2) · · · · · 3 · 2 · 1.
Ist N > 2, so gilt:
Für k ≥ N gilt
k−N
k
k
N
1
1
1
1
1
1
1
2
1
=
·
=
=M·
.
k! N ! · N + 1 · · · · k ≤ N ! · 2
N!
2
2
Entsprechend zum Majorantenkriterium gibt es ein Minorantenkriterium
Minorantenktiterium
P
Ist die Reihe ∞
k=0 bk divergent und gilt ab einer bestimmten Nummer N
|ak | ≥ bk , so divvergiert die Reihe
∞
X
ak .
k=0
Die Reihe
P∞
k=0 bk
heißt dann Minorante für die Reihe
Beispiel:
Die Reihe
ist divergent.
Denn es gilt √1k ≥
P∞
k=0
ak .
∞
X
1
√
k
k=1
1
k
und damit ist die harmonische Reihe eine Minorante.
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
49
Quotientenkriterium
Gibt es eine Konstante C < 1 und eine Nummer N , sodass für alle k ≥ N
gilt
ak+1 ak ≤ C ,
dann ist die Reihe
∞
X
ak
k=0
absolut konvergent.
Beispiel:
Die Reihe
∞
X
1
kk
k=1
ist konvergent.
Denn es gilt
1
(k+1)k+1
1
kk
=
k
k+1
k
·
1
1
1
=
1 k ·
k+1
(1 + k ) k + 1
Der erste Faktor konvergiert gegen 1e , der zweite gegen 0, also konvergiert
der ganze Ausdruck gegen 0. Damit konvergiert die Reihe nach dem Quotientenkriterium.
Wurzelkriterium
Gibt es eine Konstante C < 1 und eine Nummer N , sodass für alle k ≥ N
gilt
p
k
|ak | ≤ C
dann ist die Reihe
∞
X
ak
k=0
absolut konvergent.
Beispiel:
Die Reihe
k
∞ X
2k + 3
k=1
3k + 2
ist absolut konvergent.
Denn hier gilt
p
2 + k3
2k + 3
2
k
|ak | =
=
.
2 →
3k + 2
3
3+ k
p
Daher gibt es für 0 < ε < 31 ein nε := N mit n |an | < 23 + ε < 1 falls n > N .
50
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
6
Mengen und ihre Eigenschaften
6.1
Zur Definition von Mengen
In der naiven Mengenlehre “ legt man meist den von Georg Cantor 2 im
”
Jahre 1895 in Beiträge zur Begründung der Mengenlehre“ umschriebenen
”
Begriff der Menge zugrunde:
Unter einer Menge verstehen wir jede Zusammenfassung M von
”
bestimmten, wohlunterschiedenen Objekten m unserer Anschauung oder unseres Denkens (welche Elemente von M genannt werden) zu einem Ganzen.“
Dies kann man sicherlich nicht als eine Definition des Begriffes Menge ansehen, denn der zu erklärende Begriff wird nicht auf klare und präzise, schon
vorhandene Begriffe zurückgefühert. Was heißt z.B. Zusammenfassung zu
”
einem Ganzen“? Die hier gegebene Umschreibung ist allenfalls dazu geeignet,
gewisse Vorstellungen des Begriffs Menge“ zu wecken.
”
In der formalen Mengenlehre wird erst gar nicht der Versuch gemacht,
zu sagen, was eine Menge ist, sondern es wird nur gesagt, was über die Beziehungen von Mengen (und Klassen) zueinander angenommen werden soll.
Diese Annahmen, die Axiome der Mengenlehre, sind dann der Grundstein
für den logischen Aufbau der Mengenlehre. Man vergleiche dazu den axiomatischen Aufbau der Geometrie (Inzidenzgeometrie) seit David Hilbert.3
In Hilberts Axiomatisierung der Geometrie wird auch nicht definiert, was ein
Punkt oder eine Gerade ist, sondern es werden Axiome aufgestellt, die die
Beziehung zwischen diesen Begriffen regeln.
Hier soll uns diese naive Definition“ einer Menge als Ausgangspunkt
”
genügen. Allerdings muß man sich darüber im Klaren sein, dass dies unter
Umständen zu Widersprüchen führen kann, denn es ist nicht immer nachvollziehbar, alle“ Dinge einer gewissen Art zu sammeln und zusammenzufassen:
”
wenn man alle zu haben glaubt, sind es evtl. doch nicht alle. Beispielsweise
kann man zwar alle Mengen wohlunterscheiden, aber man kann sie nicht zu
einer neuen Menge zusammenfassen. Diese müsste ja selbst in sich enthalten
sein. (Es geht auch nicht alle Säcke dieser Welt in einen Sack zu stopfen, von
evtl. Problemen mit der Größe abgesehen.)
2
3
Georg Cantor: 1845 - 1918
David Hlibert: 1862 - 1943
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
6.2
51
Bezeichnungen
Die hier eingeführten Bezeichnungen dürften jedem Mathematiker geläufig
sein. Der Vollständigkeit halber werden sie trotzdem behandelt.
Definitionen
a) Die fundamentale Beziehung eines Dinges“ a zu einer Menge M zu
”
gehören bezeichnen wir nach G. Peano4 mit
a∈M
lies: a ist Element von M
Entsprechend heißt a 6∈ M , dass a nicht in M enthalten ist.
b) Seien M und N zwei Mengen. Man sagt N ist in M enthalten“ oder
”
N ist Teilmenge von M“ und schreibt dafür
”
N ⊆M
genau dann, wenn für jedes a ∈ N auch a ∈ M gilt. Also
N ⊆ M :⇔ (a ∈ N ⇒ a ∈ M )
c) Zwei Mengen M, N werden als gleich definiert und man schreibt
N =M
genaudann, wenn jedes Element der einen auch Element der anderen
Menge ist. Also
M = N :⇔ N ⊆ M
und M ⊆ N.
d) Man sagt N ist echte Teilmenge von M“ und schreibt
”
N ⊂M
genau dann, wenn N ⊆ M und N 6= M
Die Relationen ⊆“ und ⊂“ sind transitiv. D.h. aus N ⊆ M und M ⊆ A
”
”
folgt N ⊆ A. Entspechendes gilt für ⊂“.
”
4
Guiseppe Peano: 1858 - 1932
52
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Beispiele:
Bereits bekannte Mengen sind
a) die Menge IN der natürlichen Zahlen.
b) die Menge ZZ der ganzen Zahlen.
c) die Menge Q
l der rationalen Zahlen.
d) die Menge IR der reellen Zahlen.
e) die Menge C
l der komplexen Zahlen.
Nach der Gleichheitsdefinition 3.) ist eine Menge durch die Angabe ihrer
Elemente eindeutig bestimmt. Wir können dies z.B. dadurch zum Ausdruck
bringen, dass wir die Elemente der Menge zwischen geschwungenen Klammern auflisten.
{2, 3, 5, 7}
ist die Menge mit den Elementen 2,3,5,7.
Ist E(x) eine Aussageform, so bezeichnet
{x ∈ M |E(x)}
die Menge aller Elemente von M mit der Eigenschaft E(x).
Beispiele:
a)
{x ∈ IR|x2 − 4x = 0} = {0, 4}
b)
{n ∈ ZZ|n ist gerade} = {0, 2, −2, 4, −4, . . . }
Die Punkte bedeuten hier, dass noch weitere Elemente hinzukommen.
Es muß allerdings aus dem Kontext immer klar hervorgehen, welche
Elemente das sind.
Bei dieser Angabe von Mengen muß immer eine Grundmenge“ M zugrun”
deliegen, sonst kann dies eventuell zu Widersprüchen führen: Die Menge
{x|x ist Menge}
gibt es nicht, wie wir vorher schon bemerkt haben.
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
6.3
53
Die leere Menge
Liegt eine Grundmenge M vor, so können wir die Menge ∅M folgendermaßen
definieren:
∅M := {x ∈ M |x 6= x}.
Da die Eigenschaft x 6= x“ für kein Element aus M zutrifft, enhält ∅M kein
”
Element. Sie wird dementsprechend die leere Menge“ von M genannt.
”
Ist P irgendeine Aussage (Eigenschaft), so gilt stets
x ∈ ∅M ⇒ P (x),
denn x ∈ ∅M “ ist für jedes x falsch, und aus einer falschen Aussage kann
”
man jede beliebige Aussage folgern. ( Q ⇒ P“ ist gleichbedeutend mit
”
(nicht Q) oder P .“) Sind also M, N zwei Mengen, so gilt stets
”
x ∈ ∅M ⇒ x ∈ ∅N
und
x ∈ ∅N ⇒ x ∈ ∅M .
Also gilt
∅M = ∅N
für alle Mengen M, N .
Alle leeren Mengen sind somit gleich und werden deshalb einfach nur mit ∅
oder {} bezeichnet ohne die Angabe der Grundmenge.
6.4
Die Potenzmenge
Die Potenzmenge ℘(M ) einer Menge M ist diejenige Menge, die als Elemente
alle Teilmengen von M enthält:
℘(M ) := {N |N ⊆ M }
BEMERKUNG:
Hier ist nicht klar, welche Grundmenge man nehmen soll. Eigentlich müsste man dafür die Menge aller Mengen nehmen, die es ja
aber nicht gibt. In der formalen Mengenlehre wird axiomatisch
vorausgesetzt, dass die Potenzmenge ℘(M ) einer Menge M stets
wieder eine Menge ist.
Es gilt offensichtlich
M ∈ ℘(M ),
denn M ⊆ M.
Aber auch
∅ ∈ ℘(M )
54
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
denn x ∈ ∅ ⇒ x ∈ M (nach derselben Argumentation wie oben). Also
∅ ⊆ M.
Beispiel:
℘({1, 2, 3}) = {∅, {1}, {2}, {3}, {1, 2}, {1, 3}, {2, 3}, {1, 2, 3}}
Satz 1:
Wenn M eine Menge mit n (n ∈ IN) Elementen ist, so ist ℘(M ) eine Menge
mit 2n Elementen.
Beweis: Induktion nach n:
IA: n = 1:
M = {x} ⇒ ℘(M ) = {∅, {x}}
Also ist die Anzahl= 2 = 21 .
IV: Die Behauptung stimme für n.
IS: Man nehme aus M ein Element x heraus. Was übrigbleibt ist
eine n-elementige Teilmenge von M , die nach Induktionsvoraussetzung 2n Teilmengen besitzt, die alle auch Teilmenge
von M sind. Was noch fehlt sind die Teilmengen von M , die
x enthalten. Diese entstehen aber gerade duch Kombination
(Vereinigung s.u.) der 2n Teilmengen von oben mit x. Also
haben wir insgesamt 2 · 2n = 2n+1 Teilmengen von M .
t
u
Eine weitere Beweisidee, die auch später nochmals aufgegriffen wird und
die auch den Funktionsbegriff voraussetzt ist die folgende:
Ist N ⊆ M irgendeine Teilmenge von M , so können wir von
jedem x ∈ M entscheiden, ob es Element von N ist oder nicht.
Wir können also eine Funktion definieren
1 falls x ∈ N
χN (x) =
0 falls x 6∈ N
die sog. Indikatorfunktion oder charakteristische Funktion von N .
Umgekehrt ist durch jede Funktion χ : M → {0, 1} eindeutig eine
Teilmenge von M festgelegt:
N := {x ∈ M |χ(x) = 1}
Um festzustellen, wieviel Teilmengen es in M gibt, muß man also
herausfinden, wieviel solche Funktionen χ : M → {0, 1} es gibt.
Oder anders ausgedrückt: Wieviel Möglichkeiten gibt es, n Stel”
len “ mit 0 oder mit 1 zu belegen. Das sind aber gerade 2n : 2 für
die erste Stelle; für jede dieser zwei wieder zwei für die 2. Stelle;
usw.
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
55
t
u
Satz 2:
Die Anzahl aller k-elementigen Teilmengen einer n-elementigen Menge M
n!
(k, n ∈ IN) ist nk := (n−k)!·k!
.
Beweis: (Kombinatorisch) Für die Auswahl einer k-elementigen
Teilmenge von M hat man folgende Möglichkeiten
Für das 1. Element n Möglichkeiten.
Für das 2. Element (n − 1) Möglichkeiten
..
.
Für das k. Element (n − k + 1) Möglichkeiten.
Hierbei wurde allerdings die Reihenfolge berücksichtigt. Wir sprachen vom 1., 2., usw. Element. Bei Mengen kommt es aber auf die
Reihenfolge der Elemente nicht an. Wir haben also zuviel gezählt
und müssen duch die Anzahl der möglichen Reihenfolgen, nämlich
k! dividieren. Also ist die Anzahl
n!
n
n · (n − 1) · · · · · (n − k + 1)
=
=
.
k!
(n − k)! · k!
k
t
u
6.5
Mengenverknüpfungen, Boolesche Algebra
In diesem Abschnitt soll das Hinzufügen“ und das Wegnehmen“ von Ele”
”
menten, wie das im letzten Abschnitt schon geschah formalisiert werden.
Definition
Seien A und B zwei Mengen.
a)
A ∪ B := {x|x ∈ A oder x ∈ B}
heißt die Vereinigungsmenge“ oder auch die Summe“ von A und B.
”
”
(lies: A vereinigt B).
b)
A ∩ B := {x|x ∈ A und x ∈ B}
heißt die Schnittmenge“ von A und B. (lies: A geschnitten B).
”
c)
A \ B := {x ∈ A|x 6∈ B}
Lies: A ohne B.
56
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
d) Liegt eine Grundmenge M zugrunde, so definieren wir:
AM := M \ A
heißt das Komplement“ von A bzgl. M . Wenn keine Mißverständnisse
”
zu befürchten sind, schreibt man auch einfach nur A.
Es gelten folgende Aussagen, die wir auch als Rechenregeln für die Verknüpfungen ∪“ und ∩“ auffassen können. Die einfachen Beweise sollen hier
”
”
nicht ausgeführt werden.
a) Kommutativgesetz:
A ∪ B = B ∪ A;
A∩B =B∩A
b) Assoziativgesetz:
(A ∪ B) ∪ C = A ∪ (B ∪ C);
(A ∩ B) ∩ C = A ∩ (B ∩ C)
c) Distributivgesetz:
A ∪ (B ∩ C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪ C)
A ∩ (B ∪ C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C)
d)
(A ∩ B) ∪ B = B,
(A ∪ B) ∩ B = B
(A ∩ A) ∪ B = B;
(A ∪ A) ∩ B = B
e)
Eine Struktur bestehend aus einer Menge mit den Operationen ∪, ∩, “,
”
die den Rechenregeln (Axiomen) 1.) bis 5.) genügen heißt eine Boolesche
”
Algebra“ 5 . Ist also M irgendeine Menge, so ist die Potenzmenge ℘(M ) auf
kanonische Weise eine Boolesche Algebra.
5
George Boole: 1815 - 1864
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
57
Noch anzuführen wären die
De Morganschen Regeln6
A∪B = A∩B
A∪B = A∩B
Auch hier lassen wir die Beweise weg. Es sei jedoch angemerkt, dass es häufig
der Anschauung sehr dienlich ist, sich solche Aussagen in einem sog. Venn Diagramm (Mengenbild) klarzumachen. Man muß sich allerdings vor Augen
halten, dass dies dann kein formaler Beweis ist.
Beispiel: A ∪ B = A ∩ B
6
Augustus de Morgan: 1806 - 1871
58
7
7.1
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Relationen und Funktionen
Das Produkt zweier Mengen
Sind A, B zwei Mengen, so heißt die Menge
A × B := {(a, b)|a ∈ A,
b ∈ B}
das kartesische Produkt“ (oder einfach Produkt) von A und B. Die Elemente
”
von A × B sind also die geordneten Paare (a, b) mit a ∈ A und b ∈ B. Man
beachte dabei, dass das geordnete Paar (a, b) eine andere Begriffsbildung ist
als die Menge {a, b}. Bei letzterer kommt es im Gegensatz zum geordneten
Paar auf die Reihenfolge nicht an.
Für drei Mengen A, B, C definiert man das Produkt durch
A × B × C := (A × B) × C.
Ein Element aus A × B × C wird dann allerdings anstelle von ((a, b), c) mit
(a, b, c) bezeichnet. Für n Mengen A1 , A2 , . . . , An (n ∈ IN) definiert man das
Produkt rekursiv durch
A1 × · · · × An := (A1 × · · · × An−1 ) × An
und schreibt für die Elemente wieder kurz (a1 , . . . , an ) statt
(· · · ((a1 , a2 ), a3 ), . . . an ). Gilt A1 = A2 = · · · = An = A, so schreiben
wir An statt A × A × · · · × A (n mal). Also
An := A
{z· · · × A}
| ×A×
n mal
Ein dazu sicherlich bekanntes Beispiel ist IR2 = IR × IR.
BEMERKUNG:
Sind die Mengen A und B endlich und besteht A aus m und B aus n Elementen, so folgt aus einer einfachen kombinatorischen Überlegung, dass das
Produkt A × B aus m · n Elementen besteht. Die Paarmenge“ A × B hat
”
also tatsächlich den Charakter eines Produkts.
7.2
Relationen
Sind A und B zwei Mengen, so kann man festlegen, welche Elemente aus A
in Beziehung stehen mit Elementen aus B. Anders ausgedrückt wählt man
durch diese Festlegung eine Teilmenge R des Produktes A × B aus. Dies
motiviert folgende
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
59
Definition:
Eine (zweistellige) Relation R zwischen zwei Mengen A und B ist eine
Teilmenge des kartesischen Produkts A × B. Also
R⊆A×B .
Im Hinblick auf Funktionen als spezielle Relationen nennt man A die Quellmenge und B die Zielmenge von R.
Häufig sind A und B dieselben Mengen. Dann nennt man die Relation R
homogen. Gilt hingegen A 6= B, so heißt die Relation R heterogen.
Beispiele:
Ein erstes, nicht mathematisches Beispiel ist das folgende:
Der Fluss x fließt im Land y“
”
Eine mögliche Darstellung von Relationen sind sog. Pfeildiagramme. Hier
sieht das Pfeildiagramm folgendermaßen aus:
Eine weitere Darstellungsform ist die Relationsmatrix:
Der Aufbau der Relationsmatrix ist selbsterklärend.
60
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
In diesem Beispiel einer heterogenen Relation sind die Mengen A und B
folgende:
A = {Donau; N il; Elbe; Rhein}
B = {U kraine; Deutschland; Irland; N iederlasnde} .
7.2.1
Ordnungsrelationen
Ordnungsrelationen sind Verallgemeinerungen der
kleiner-gleich“”
Beziehung. Sie erlauben es, Elemente einer Menge miteinander zu vergleichen. Eine Ordnungsrelation ist eine homogene Relation R ⊆ M × M auf
einer Menge M , die zusätzlich noch die Eigenschaft hat, dass sie transitiv
ist.
Definition:
Eine Relation R ⊆ M × M ist transitiv, genau dann, wenn gilt
(a; b) ∈ R ∧ (b; c) ∈ R ⇒ (a; c) ∈ R .
Zum Beispiel ist die Relation Fluss x1 ist mindestens so lang wie Fluss x2“
”
eine Orndungsrelation auf A = {Donau; N il; Elbe; Rhein}.
BEMERKUNG:
Bei einer Ordnungsrelation R ist statt (a; b) ∈ R häufig auch die etwas anschaulichere Schreibweise a ≤ b üblich.
Definition:
Eine Ordnungsrelation heißt Totalordnung oder Totale Ordnung, wenn
zusätzlich zur Transitivität die folgenden Forderungen für alle a, b, c ∈ M
erfüllt sind:
Reflexivität:
Antisymmetrie:
Totalität:
7.2.2
a≤a
a≤b∧b≤a⇒a=b
a≤b∨b≤a
Äquivalenzrelationen
Definition:
Eine homogene Relation R ⊆ M × M heißt Äquivalenzrelation, wenn die
folgenden Forderungen für alle a, b, c ∈ M erfüllt sind:
Reflexivität:
Symmetrie:
Transitivität:
(a; a) ∈ R
(a; b) ∈ R ⇒ (b; a) ∈ R
(a; b) ∈ R ∧ (b; c) ∈ R ⇒ (a; c) ∈ R
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
61
Zum Beispiel ist die Relation Fluss x1 ist gleich lang wie Fluss x2“ eine
”
Äquivalenzrelation auf A = {Donau; N il; Elbe; Rhein}.
7.3
Funktion und Umkehrfunktion
Der folgende auf Dirichlet 7 zurückgehende Funktionsbegriff fasst eine
Funktion als Zuordnung auf wie man sie auch aus dem regulären Mathematikunterricht kennt.
Definition:
Unter einer Funktion“ f von einer Menge A in eine Menge B
”
versteht man eine Vorschrift“, die jedem Element x ∈ A genau
”
ein Element y ∈ B, das mit f (x) bezeichnet wird, zuordnet.
Schreibweise:
f : A → B; x 7→ y = f (x)
A heißt Definitionsmenge, B heißt Zielmenge und die Menge
Wf := {y ∈ B|es gibt ein x ∈ A mit f (x) = y} heißt Wertemenge von f .
Man beachte, dass eine Funktion nicht etwa die Zusammenfassung aller
Funktionswerte ist, das wäre die Menge Wf , sondern als neues Objekt bestehend aus Definitionsmenge, Zielmenge und Zuordnungsvorschrift aufzufassen
ist; sozusagen als Punkt“ in einem Funktionenraum“. In der modernen De”
”
finition des Funktionsbegriffs nach N. Bourbaki 8 tritt dies deutlicher zum
Vorschein, denn hier wird eine Funktion als Relation R ⊆ A × B mit speziellen Eigenschaften aufgefasst. Dabei geht allerdings der Aspekt der Zuordnung
völlig verloren.
Definition: (Nach N. Bourbaki)
Eine Funktion f von A in B ist eine Teilmenge von A × B mit
den folgenden Eigenschaften:
a) Linkstotalität:
Für alle x ∈ A existiert ein y ∈ B mit (x, y) ∈ f ⊆ A × B.
b) Rechtseindeutigkeit:
Aus (x, y1 ) ∈ f und (x, y2 ) ∈ f folgt stets y1 = y2 .
7
Peter Gustav Lejeune-Dirichlet: 1805 - 1859
Nicolas Bourbaki: Pseudonym einer Gruppe französischer Mathematiker, die sich
zum Ziel setzten, durch konsequente Anwendung der axiomatischen Methode die Fundamente der Mathematik neu zu ordnen.
8
62
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Eine Funktion ist somit also ein Element der Potenzmenge ℘(A × B) von
A × B. Schreibt man x 7→ y statt (x, y), so wird es etwas deutlicher, wie diese
Definition mit der Zuordnungsdefinition nach Dirichlet zusammenhängt.
7.3.1
Injektive und surjektive Funktionen
Eine Funktion f : A → B nennt man injektiv, wenn aus f (x1 ) = f (x2 )
stets x1 = x2 folgt, oder anders ausgedrückt, wenn die Gleichung f (x) = y
für y ∈ B höchstens eine Lösung x ∈ A besitzt.
BEISPIELE:
a) Die Funktion f : IR → IR; x 7→ x3 ist injektiv.
b) Die Funktion f : IR → IR; x 7→ x2 ist nicht injektiv.
Eine Funktion f : A → B nennt man surjektiv, wenn es zu jedem y ∈ B ein
x ∈ A gibt mit f (x) = y. D.h. jedes Element y ∈ B muss als Funktionswert
bzw. als Bild vorkommen.
Eine Funktion f : A → B nennt man bijektiv, wenn sie sowohl injektiv als
auch surjektiv ist.
Anschauliche Beispiele mit Mengendiagrammen:
7.3.2
Die Umkehrfunktion
Diese Diagramme verdeutlichen anschaulich auch den folgenden
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
63
Satz:
Sei f : A → B; x 7→ y = f (x) eine Funktion. f ist genau dann
bijektiv (oder eineindeutig), wenn es eine Funktion g : B → A
gibt mit den Eigenschaften
1.) f (g(y)) = y
2.) g(f (x)) = x
für alle y ∈ B
für alle x ∈ A
Die Funktion g heißt Umkehrfunktion von f und wird auch mit
f −1 bezeichnet.
7.3.3
Spezielle Umkehrfunktionen
a) Die Wurzelfunktion
Die Quadratfunktion
f : IR → IR, f (x) = x2
ist weder injektiv noch surjektiv. Damit es eine Umkehrfunktion gibt,
muss die Funktion aber bijektiv sein. Um die Surjektivität zu erreichen,
schränkt man die Zielmenge (hier das rechte IR) auf die Wertemenge
von f ein. Wf = IR+
0.
Um die Injektivität zu erreichen muss man die Ausgangsmenge (hier
das linke IR) so einschränken, dass jeder Funktionswert nur einmal vorkommt. Dafür gibt es im Allgemeinen viele Möglichkeiten, aber auch
in der Mathematik wählt man eine naheliegende Möglichkeit aus. Hier
ist es sinnvoll, die Ausgangsmenge ebenfalls auf IR+
0 einzuschränken,
sodass man formal folgende neue“ Funktion erhält:
”
+
∗
2
f ∗ : IR+
0 → IR0 , f (x) = x .
Diese ist bijektiv mit der Umkehrfunktion
+
∗ −1
f ∗ −1 : IR+
(y) =
0 → IR0 , f
√
y.
Im Schaubild bedeutet die Umkehrung von
+
∗
2
f ∗ : IR+
0 → IR0 , f (x) = x
die Vertauschung von x- und y-Achse. Dies entspricht aber einer Spiegelung an der ersten Winkelhalbierenden. Man erhält also auch das
Schaubild von f ∗ −1 durch Spiegelung des Schaubildes von f ∗ an der
ersten Winkelhalbierenden.
64
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
b) Die trigonometrischen Funktionen und ihre Umkehrfunktionen
(a) Die Arkussinusfunktion
f
: IR → IR, f (x) = sin(x)
f∗
: [− π2 ; π2 ] → [−1; 1], f ∗ (x) = sin(x)
f ∗ −1 : [−1; 1] → [− π2 ; π2 ], f ∗ −1 (y) = arcsin(y)
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
65
(b) Die Arkuskosinusfunktion
f
: IR → IR, f (x) = cos(x)
∗
f
: [0; π] → [−1; 1], f ∗ (x) = cos(x)
−1
f∗
: [−1; 1] → [0; π], f ∗ −1 (y) = arccos(y)
(c) Die Arkustangensfunktion
f
: IR\{x ∈ IR| x = − π2 + k · π; k ∈ ZZ} → IR, f (x) = tan(x)
f∗
: (− π2 ; π2 ) → IR, f ∗ (x) = tan(x)
∗ −1
: IR → (− π2 ; π2 ), f ∗ −1 (y) = arctan(y)
f
66
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
c) Die Logarithmusfunktion
f
: IR → IR, f (x) = ex
f∗
: IR → IR+ , f ∗ (x) = ex
−1
f∗
: IR+ → IR, f ∗ −1 (y) = ln(y)
7.4
7.4.1
Spezielle Funktionen und ihre Eigenschaften
Die trigonometrischen Funktionen
Die trigonometrischen Funktionen oder auch Dreicksfunktionen wurden ursprünglich als Verhältnisse am rechtwinkligen Dreieck definiert. Die Verallgemeinerung wird dann am Einheitskreis bewerkstelligt. Dabei ist folgendes
festgelegt:
sin(x) ist die Hochkoordinate eines Punktes auf dem Einheitskreis, dessen
Radius vom Startpunkt (1|0) den Winkel x (im Bogenmaß) überstrichen
hat.
Entspechend ist cos(x) die Rechtskoordinate des Punktes und tan(x) der
Quotient aus Hochkoordinate und Rechtskoordinate.
Die Sinusfunktion
• Definitionsbereich: IR
• Wertebereich: [−1; 1]
• Differenzierbarkeit: Überall auf IR differenzierbar mit sin0 (x) = cos(x).
• Nullstellen: kπ; k ∈ ZZ
• Umkehrfunktion (vgl. S.64): arcsin(y) mit arcsin0 (y) = √ 1
1−y 2
(−1; 1)
; y ∈
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
67
• Besonderheiten: sin ist 2π-periodisch und eine ungerade Funktion, d.h.,
es gilt sin(−x) = − sin(x).
Die Kosinusfunktion
• Definitionsbereich: IR
• Wertebereich: [−1; 1]
• Differenzierbarkeit: Überall auf IR differenzierbar mit cos0 (x) =
− sin(x).
• Nullstellen:
π
2
+ kπ; k ∈ ZZ
• Umkehrfunktion (vgl. S.65): arccos(y) mit arccos0 (y) = − √ 1
1−y 2
; y ∈
(−1; 1)
• Besonderheiten: cos ist 2π-periodisch und eine gerade Funktion, d.h.,
es gilt cos(−x) = cos(x).
Die Tangensfunktion
• Definitionsbereich: IR\{kπ + π2 | k ∈ ZZ}
• Wertebereich: IR
• Differenzierbarkeit: Diffenernzierbal auf IR differenzierbar mit tan0 (x) =
1 + tan2 (x) = cos12 (x) .
• Nullstellen: kπ; k ∈ ZZ
• Umkehrfunktion (vgl. S.65): arctan(y) mit arctan0 (y) =
1
;
1+y 2
y ∈ IR
• Besonderheiten: tan ist π-periodisch und eine ungerade Funktion, d.h.,
es gilt tan(−x) = tan(x).
Additionstheoreme für trigonometrische Funktionen
• sin2 (x) + cos2 (x) = 1
• sin(x ± y) = sin(x) cos(y) ± cos(x) sin(y)
• cos(x ± y) = cos(x) cos(y) ∓ sin(x) sin(y)
68
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Exemplarisch soll hier das Additionstheorem
sin(x + y) = sin(x) cos(y) + cos(x) sin(y)
bewiesen werden, wobei die Winkel hier im Gradmaß angegeben werden, was
eher gewohnt ist:
Die Strecke OS hat die Länge 1 (Einheitskreis) und die Dreiecke OP S, OAS,
OBA und CAS sind rechtwinklig.
Damit gilt für die Summe der Winkel
α + β + δ = 90o = α∗ + β + δ
also
α∗ = α
Damit gilt
sin(α + β) = r + s
= sin(α) · k + cos(α) · t
= sin(α) · cos(β) + cos(α) · sin(β)
Nebenrechnung:
Aus den Dreiecken OBA und OAS ergibt sich:
r = sin(α) · k; mit k = cos(β) · 1
= sin(α) · cos(β)
Aus den Dreiecken CAS und OAS ergibt sich:
s = cos(α) · t; mit t = sin(β) · 1
= cos(α) · sin(β)
t
u
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
69
Mit Hilfe der Additionstheoreme kann man auch die folgenden Formeln beweisen:
Doppelwinkelformeln
• sin(2x) = 2 sin(x) cos(x) =
2 tan(x)
1+tan2 (x)
• cos(2x) = cos2 (x) − sin2 (x) = 1 − 2 sin2 (x) = 2 cos2 (x) − 1 =
• tan(2x) =
1−tan2 (x)
1+tan2 (x)
2 tan(x)
1−tan2 (x)
Halbwinkelformeln
q
x
• sin 2 = ± 1−cos(x)
2
• cos
x
2
• tan
x
2
=±
q
1+cos(x)
2
q
= ± 1−cos(x)
1+cos(x)
Dabei wechselt das Vorzeichen bei sin und cos alle 360o bzw. 2π und bei tan
alle 180o bzw. π.
7.4.2
Die hyperbolischen Funktionen
Die Sinus Hyperbolicus Funktion
1
sinh(x) = (ex − e−x )
2
• Definitionsbereich: IR
• Wertebereich: IR
• Differenzierbarkeit: Überall auf IR differenzierbar mit
sinh0 (x) = cosh(x).
• Nullstellen: x = 0
• Umkehrfunktion: arcsinh(y) = ln(y +
p
y 2 + 1)
• Besonderheiten: sinh ist eine ungerade Funktion, d.h., es gilt
sinh(−x) = − sinh(x).
70
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Die Kosinus Hyperbolicus Funktion
1
cosh(x) = (ex + e−x )
2
• Definitionsbereich: IR
• Wertebereich: [1; ∞)
• Differenzierbarkeit: Überall auf IR differenzierbar mit
cosh0 (x) = sinh(x).
• Nullstellen: keine
• Umkehrfunktion: arccosh(y) = ln(y +
p
y 2 − 1)
• Besonderheiten: sinh ist eine gerade Funktion, d.h., es gilt cosh(−x) =
cosh(x).
Die Tangens Hyperbolicus Funktion
tanh(x) =
ex − e−x
sinh(x)
= x
cosh(x)
e + e−x
• Definitionsbereich: IR
• Wertebereich: (−1; 1)
• Differenzierbarkeit: Überall auf IR differenzierbar mit
tanh0 (x) = 1 − tanh2 (x) = cosh12 (x) .
• Nullstellen: x = 0
• Umkehrfunktion: arctanh(y) = 12 ln
1+y
1−y
• Besonderheiten: tanh ist eine ungerade Funktion, d.h., es gilt
tanh(−x) = − tanh(x).
Additionstheoreme für hyperbolische Funktionen
• cosh2 (x) − sinh2 (x) = 1
• sinh(x ± y) = sinh(x) cosh(y) ± cosh(x) sinh(y)
• cosh(x ± y) = cosh(x) cosh(y) ± sinh(x) sinh(y)
• tanh(x ± y) =
tanh(x)±tanh(y)
1±tanh(x)·tanh(y)
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
71
Bemerkung:
Der Name hyperbolische“ Funktionen hängt mit dem ersten Additionstheo”
rem
cosh2 (x) − sinh2 (x) = 1
zusammen. Setzt man X = cosh(x) und Y = sinh(x) so liegen alle Punkte
(X|Y ) mit X 2 − Y 2 = 1 auf einer Hyperbel mit den beiden Winkelhalbierenden als Asypmtoten.
Analog dazu liegen die Punkte (X|Y ) mit X 2 + Y 2 = 1 auf einem Kreis (vgl.
das erste Additionstheorem für trigonometrische Funktionen; S.67).
Schaubilder der hyperbolischen Funktionen
72
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Anwendungen
Die Form einer frei hängenden Kette ähnelt zwar sehr stark einer Parabel, selbst Galileo Galilei hatte schon vorgeschlagen, frei hängende Ketten
als Schablonen für Parabeln zu benutzen, aber man kann inzwischen zeigen, dass eine frei hängende Kette die Form des Schaubildes einer KosinusHyperbolicus-Funktion hat. Aus diesem Grund nennt man den Graphen der
Kosinus-Hyperbolicus-Funktion auch Kettenlinie“.
”
Auch in der Architektur spielt die Kettenlinie eine, im wahrsten Sinne des
Wortes, tragende Rolle. So hat z.B. auch der Gateway Arch in St. Louis,
Missouri, USA die Form einer Kettenlinie, also die Form des Graphen einer
Kosinus-Hyperbolicus-Funktion.
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
8
73
Ebene Kurven
8.1
Parameterdarstellung von Kurven
Ähnlich zur Parameterdarstellunng von Geraden
~x = p~ + t · ~v
bzw. in Koordinaten
x(t)
y(t)
=
p1 + t · v 1
p2 + t · v 2
~ in Abhängigkeit eines Parameters
kann man in der x-y-Ebene den Vektor R
t darstellen:
x(t)
~
R(t)
=
.
y(t)
~ dabei als Ortsvektor eines Massepunktes in Abhängigkeit von
Man kann R(t)
der Zeit t interpretieren und erhält so eine Kurve in der x-y-Ebene.
x(t) und y(t) sind dabei Funktionen, die vom Parameter t abhängen.
Beispiele:
a) Kreis mit Radius r um den Mittelpunkt (x0 |y0 ):
x0
r cos(t)
x0 + r cos(t)
~
R(t) =
+
=
y0
r sin(t)
y0 + r sin(t)
74
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
b) Ellipse mit den Halbachsen a und b um den Mittelpunkt (x0 |y0 ):
x0
a cos(t)
x0 + a cos(t)
~
R(t) =
+
=
y0
b sin(t)
y0 + b sin(t)
c) Zykloide: Bahnkurve eines Punktes auf einem rollenden Kreis:
Vektor zum Kreismittelpunkt
~ 1 (t) = r · t
R
1
Vektor vom Kreismittelpunkt zur Kreislinie
cos(− π2 − t)
~
R2 (t) = r ·
sin(− π2 − t)
Insgesamt
~
~ 1 (t) + R
~ 2 (t) = r ·
R(t)
=R
t
1
+r·
Mit cos(− π2 − t) = cos( π2 + t) = − sin(t)
und sin(− π2 − t) = sin( π2 + t) = − cos(t) folgt:
t − sin(t)
~
R(t) = r ·
1 − cos(t)
cos(− π2 − t)
sin(− π2 − t)
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
75
Betrachtet man einen Punkt mit Abstand d vom Mittelpunkt erhält
man die Parameterdarstellung:
rt
−
d
sin(t)
~
R(t)
=
r − d cos(t)
Zykloide mit r = 1 und d = 1, 35.
Zykloide mit r = 1 und d = 0, 7.
d) Relativ einfach ist die Parametrisierung eines Graphen einer Funktion
f : x 7→ f (x), denn hier kann man als Parameter t einfach den x-Wert
nehmen:
t
~
R(t) =
f (t)
76
8.2
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Der Tangentenvektor
Zu zwei Zeitpunkten t und t + ∆t betrachten wir die zugehörigen Ortsvekto~
~ + ∆t). Der Differenzenvektor ∆R
~ = R(t
~ + ∆t) − R(t)
~
ren R(t)
und R(t
gibt
~
dann an, wie der Massepunkt während der Zeitspanne ∆t von R(t) nach
~ + ∆t) im Mittel verschoben“ wurde.
R(t
”
Der Differenzenquotient
o
~
~ + ∆t) − R(t)
~
∆R
R(t
1 n~
~
=
=
R(t + ∆t) − R(t)
∆t
∆t
∆t
gibt dann an, mit welcher Geschwindigkeit (unter Berücksichtigung der Richtung) der Massepunkt im Mittel bei geradliniger gleichmäßiger Bewegung von
~
~ + ∆t) im Mittel verschoben“ wurde.
R(t)
nach R(t
”
Für die Komponenten erhält man
!
x(t+∆t)−x(t)
1
x(t + ∆t)
x(t)
∆t
−
=
.
y(t+∆t)−y(t)
y(t + ∆t)
y(t)
∆t
∆t
Sind die Komponentenfunktionen x(t) und y(t) differenzierbar, so erhält man
als Grenzwert:
! x(t+∆t)−x(t)
1
x(t
+
∆t)
x(t)
lim
ẋ(t)
˙
∆t→0
∆t
~
R(t) = lim
=
−
=
y(t + ∆t)
y(t)
ẏ(t)
∆t→0 ∆t
lim∆t→0 y(t+∆t)−y(t)
∆t
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
77
Die Ableitungsvorschrift überträgt sich auf die beiden Komponenten der Parameterdarstellung der Kurve.
Im Spezialfall einer Geraden mit der Parameterdarstellung
x(t)
p
+
t
·
v
1
1
~
R(t)
=
=
y(t)
p2 + t · v2
ist
~˙
R(t)
=
ẋ(t)
ẏ(t)
=
v1
v2
genau der Geschwindigkeitsvektor
~v =
v1
v2
.
ẋ(t)
Bei einer ungeradlinigen Bewegung ist der Vektor Ṙ(t) =
tangential
ẏ(t)
zur Kurve und gibt den momentanen Geschwindigkeitsvektor an.
Beispiel:
Parameterdarstellung einer Zykloide:
t
−
sin(t)
~
R(t)
=r·
1 − cos(t)
~˙
R(t)
=r·
1 − cos(t)
sin(t)
Die beiden Komponentenfunktionen sind beliebig oft differenzierbar, trotzdem hat die Kurve bei t = k · 2π eine Spitze. Dort ist der Tangentenvektor
~˙
gleich dem Nullvektor. Deshalb ist oft die Bedingung R(t)
6= 0 sinnvoll. Eine
˙~
Kurve mit R(t) 6= 0 heißt reguläre“ Kurve. Z.B. ist die Zykloide mit r = 1
”
und d = 0, 6 regulär:
78
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
8.3
Polarkoordinatendarstellung von Kurven
In vielen Fällen, z.B. beim Radar der Schifffahrt, ist es sinnvoll, die Koordinaten eines Punktes in der Ebene durch sog. Polarkoordinaten anzugeben.
Dabei wird der Abstand r vom Ursprung und der Winkel ϕ zur positiven
x-Achse angegeben.
Bewegt sich der Punkt auf einer Kurve um das Zentrum, den Ursprung, so
kann man auch Kurven in der sog. Polarkoordinatendarstellung beschreiben.
In vielen Fällen lässt sich der Abstand r sogar als Funktion r(ϕ) des Winkels
ϕ auffassen.
Beispiele:
a) Der Kreis:
Für eine Kreisbahn um den Ursprung mit Radius r gilt dann in Polarkoordinaten:
~ (ϕ) = (r; ϕ), ϕ ∈ [0; 2π) bzw. r(ϕ) = r = konst.
R̄
b) Die lineare Spirale:
~ (ϕ) = (aϕ; ϕ), ϕ ∈ IR , bzw. r(ϕ) = aϕ .
R̄
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
c) Die logarithmische Spirale:
~ (ϕ) = (keaϕ ; ϕ), ϕ ∈ IR , bzw. r(ϕ) = keaϕ .
R̄
d) Für einen Kreis mit Mittelpunkt M (2|0) und dem Radius 2 gilt
r(ϕ) = 4 · cos(ϕ) .
(Nachweis als Übungsaufgabe)
79
80
8.4
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Die Ableitung von Polarkoordinaten
Ist eine Kurve in Polarkoordinaten gegeben
r(t)
~ =
R
,
ϕ(t)
so kann man natürlich, wie in kartesischen Koordinaten auch, den Ableitungsvektor
ṙ(t)
˙~
R=
ϕ̇(t)
bilden, der in einem r-ϕ-Koordinatensystem auch tangential zur Kurve liegt.
Um festzustellen, wie dieser Tangentialvektor in kartesischen Koordinaten
ausschaut, muss man ihn in kartesische Koordinaten transformieren.
Es gilt
x(t)
r(t) · cos(ϕ(t))
=
y(t)
r(t) · sin(ϕ(t))
oder kurz
x
y
=
r · cos(ϕ)
r · sin(ϕ)
.
Mit der Produktregel und der Kettenregel fürs Ableiten folgt daraus
ẋ
ṙ · cos(ϕ) − r · sin(ϕ) · ϕ̇
=
ẏ
ṙ · sin(ϕ) + r · cos(ϕ) · ϕ̇
bzw. in Matrixschreibweise
ẋ
cos(ϕ) −r · sin(ϕ)
ṙ
=
·
.
ẏ
sin(ϕ) r · cos(ϕ)
ϕ̇
Dabei ist
J=
cos(ϕ) −r · sin(ϕ)
sin(ϕ) r · cos(ϕ)
die sog. Jacobi-Matrix, die angibt, wie sich die Tangentialvektoren im r-ϕKoordinatensystem ins kartesische x-y-Koordinatensystem transformieren.
Um dies zu verdeutlichen sollen hier zwei einfache Beispiele betrachtet werden.
Beispiel 1
Der Kreis
r
= konst.
ṙ = 0
⇒
ϕ(t) = t ∈ IR
ϕ̇ = 1
Damit gilt
− sin(t)
ẋ
cos(ϕ) −r · sin(ϕ)
0
=
·
=r·
.
ẏ
sin(ϕ) r · cos(ϕ)
1
cos(t)
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
81
0
Anschaulich bedeutet das, der Tangentialvektor
wird bei der Koor1
dinatentransformation um den Winkel ϕ = t gedreht und um den Faktor r
verlängert.
Beispiel 2
Ein vom Ursprung ausgehender Halbstrahl
r(t) = t ∈ IR+
ṙ = 1
⇒
ϕ = konst.
ϕ̇ = 0
Damit gilt
ẋ
ẏ
=
cos(ϕ) −r · sin(ϕ)
sin(ϕ) r · cos(ϕ)
·
Anschaulich bedeutet das, der Tangentialvektor
natentransformation um den Winkel ϕ gedreht.
1
0
=
1
0
cos(t)
sin(t)
.
wird bei der Koordi-
82
9
9.1
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Komplexe Zahlen
Zahlbereichserweiterungen
Den ersten großen“ Zahlbereich, den man kennenlernt sind die natürlichen
”
”
Zahlen“ IN. In diesem Zahlbereich ist z.B. die Gleichung
5+x=3
nicht lösbar. Die Mathematiker erfinden“ dafür eine neue Zahl“ (-2), die
”
”
diese Gleichung löst. Man gelangt dadurch zum Bereich der ganzen Zahlen
ZZ.
Gleichungen der Form
5·x=3
gehen in den ganzen Zahlen nicht auf. Die Mathematiker erfinden“ eine Zahl
”
3
, die diese Gleichung löst. Man gelangt dadurch zum Zahlbereich der ratio5
nalen Zahlen Q
l .
Man stellt fest, dass die rationalen Zahlen zwar dicht auf dem Zahlenstrahl
sind, d.h., dass zwischen zwei beliebig nahe beieinanderliegenden rationalen Zahlen unendlich viele rationale Zahlen liegen, aber es muss noch mehr
Zahlen geben. Z.B. lässt sich die Gleichung
x2 = 2
√
in Q
l nicht lösen, da 2 sich nicht mehr als Bruch darstellen lässt. Man
gelangt zum Rechenbereich der reellen Zahlen IR.
9.2
Komplexe Zahlen
Im Bereich der reellen Zahlen IR ist die Gleichung
x2 = −1
nicht lösbar.
Die Mathematiker erfinden“ eine Zahl i, die diese Gleichung löst. Alle Rech”
nenregeln, die man kennt, sollen dabei weiterhin gelten. Dass das zu keinen
Widersprüchen führt, muss zwar eigentlich mathematisch bewiesen werden,
soll aber hier nicht weiter ausgeführt werden.
Also gilt
i2 = −1 .
i heißt imaginäre Einheit“. Wenn man mit i rechnet, stellt man fest, dass
”
jeder Rechenausdruck auf die Form
z = a + bi
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
83
zurückzuführen ist.
Die Menge
C
l := {z = a + bi|a, b ∈ IR}
mit den üblichen Rechenoperationen nennt man die Menge der komplexen
Zahlen und wird mit C
l abgekürzt.
a heißt Realteil von z, kurz Re(z), b heißt Imaginärteil von z, kurz Im(z).
9.3
Die Gaußsche Zahlenebene
Durch das Zahlenpaar (a|b) ist die komlpexe Zahl z = a + bi eindeutig bestimmt. (a|b) kann man als Koordinaten eines Punktes P in der Ebene auffassen. Man erhält so die sog. Gaußsche Zahlenebene9 (vgl. die Zahlengerade
für IR).
Für z = a + bi ist
|z| =
√
a2 + b 2
der Betrag von z und entspricht in der Zahlenebene dem Abstand des Punktes P (a|b) vom Ursprung. Ebenfalls von besonderer Bedeutung ist die zu z
komplex konjugierte Zahl
z̄ = a − bi .
Mit ihr gilt z · z̄ = |z|2 , denn
(a + bi)(a − bi) =
=
=
=
a2 − (bi)2
a2 − b 2 i 2
a2 + b 2
|z|2
In der Zahlenebene entspricht die Konjugation einer Spiegelung an der
Realachse.
9
Carl Friedrich Gauß, 1777-1855
84
9.4
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Geometrische Interpretation beim Rechnen mit
komplexen Zahlen
Die Addition einer komlpexen Zahl z = a + bi entspricht
inder Zahlenebene
a
einer Verschiebung mit dem Verschiebungsvektor ~v =
.
b
Schwieriger ist es, die Multiplikation mit einer komplexen Zahl in der Zahlenebene zu interpretieren. Mit ein paar Rechnungen kann man aber z.B.
schnell erkennen, dass die Multiplikation mit der imaginären Einheit i einer
Drehung um 90o bzw. π2 entspricht. Um die Multiplikation mit einer beliebigen komplexen Zahl z = a + bi zu verstehen, ist es sinnvoll, die Zahl bzw.
ihren entsprechenden Punkt P in der Zahlenebene in Polarkoordinaten (r; ϕ)
anzugeben, wobei
r = |z| der Betrag von z ist und ϕ der Winkel zwischen
a
dem Ortsvektor
von P und der positiven Realachse.
b
Damit gilt dann
z = r · (cos(ϕ) + i sin(ϕ)) .
Werden nun zwei Zahlen
z1 = r1 · (cos(ϕ1 ) + i sin(ϕ1 ))
z2 = r2 · (cos(ϕ2 ) + i sin(ϕ2 ))
multipliziert, so erhält man
z1 · z2 = r1 · (cos(ϕ1 ) + i sin(ϕ1 )) · r2 · (cos(ϕ2 ) + i sin(ϕ2 ))
= r1 · r2 · (cos(ϕ1 ) cos(ϕ2 ) + i cos(ϕ1 ) sin(ϕ2 ) + i sin(ϕ1 ) cos(ϕ2 ) − sin(ϕ1 ) sin(ϕ2 ))
= r1 · r2 · (cos(ϕ1 ) cos(ϕ2 ) − sin(ϕ1 ) sin(ϕ2 ) + i(cos(ϕ1 ) sin(ϕ2 ) + sin(ϕ1 ) cos(ϕ2 ))
Mit den Additionstheoremen für trigonometrische Funktionen (S.67) folgt
= r1 r2 · (cos(ϕ1 + ϕ2 ) + i sin(ϕ1 + ϕ2 )).
Das bedeutet geometrisch:
Die Multiplikation mit einer komplexen Zahl z = r · (cos(ϕ) + i sin(ϕ)) entspricht in der Zahlenebene einer Drehstreckung mit dem Ursprung O als
Zentrum, dem Drehwinkel ϕ und dem Streckfaktor r.
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
85
Besonders einfach wird die Multiplikation mit der sog. Eulerschen Formel
eiϕ = cos(ϕ) + i sin(ϕ) .
Dann gilt nämlich für z1 = r1 eiϕ1 und z2 = r2 eiϕ2
z1 · z2 = r1 · r2 · eiϕ1 · eiϕ2
= r1 r2 · ei(ϕ1 +ϕ2 ) .
9.5
Die Eulersche Formel und die komplexe e-Funktion
Die Eulersche Formel
eiϕ = cos(ϕ) + i sin(ϕ) .
fällt hier tatsächlich etwas vom Himmel. Die Ausführungen zur Multiplikation zweier komplexer Zahlen zeigt zwar die Analogie zu den Potenzrechenregeln, dass diese aber gerade mit der Basis e (der Eulerschen Zahl) stimmen
ist tatsächlich bemerkenswert. Dies hat Leonhard Euler10 1748 in seinen Introductio in analysin infinitorum bewiesen bzw. veröffentlicht.
Manche Mathematiker bezeichnen die Eurlersche Formel auch als einen der
schönsten Sätze der Mathematik.11
Des Weiteren lässt sich zeigen, dass für z = a + bi ∈ C
l die Funktion
f :C
l→C
l ; f (z) = ez := ea · (cos(b) + i sin(b))
die einzig sinnvolle Erweiterung der reellen Exponentialfunktion auf die komplexen Zahlen darstellt. Sie spielt in der Schwingungs- und Wellenlehre eine
zentrale Rolle.
9.6
9.6.1
Gleichungen in den komplexen Zahlen
Quadratische Gleichungen
Quadratwurzeln
Die Gleichung
z2 = w
hat für w = reiϕ 6= 0 genau zwei Lösungen, nämlich
√ ϕ
z1 = rei 2 und z2 = −z1 .
10
L. Euler, 1707 - 1783
Pierre Basieux, Die Top Ten der mathematischen Sätze, Rowohlt Taschenbuch Verlag
GmbH, 2000, S. 71 ff
11
86
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
Andere Lösungen gibt es nicht, denn aus z 2 = w und z12 = w folgt
0 = z 2 − z12 = (z + z1 )(z − z1 ) .
Also ist z = z1 oder z = −z1 = z2 .
Die Gleichung z 2 = 0 hat nur die Lösung z = 0.
Quadratische Ergänzung
Für die Gleichung
az 2 + bz + c = 0; a, b, c ∈ C
l
führen wir eine quadratische Ergänzung durch
az 2 + bz + c
b
c
z2 + z +
a
a
2
2
c
b
b
z+
− 2+
2a
4a
a
2
b
z+
2a
2
b
z+
2a
= 0| :a
= 0 | quadr. Erg.
= 0
=
c
b2
−
2
4a
a
=
b2 − 4ac
.
4a2
Ist nun z0 eine Lösung der Gleichung
z02
b2 − 4ac
=
,
4a2
so sind
b
b
+ z0 und z2 = − − z0
2a
2a
Lösungen der ursprünglichen Gleichung
z1 = −
az 2 + bz + c = 0 .
Ist b2 − 4ac = 0, so fallen die beiden Lösungen zusammen und es gilt z1 =
b
z2 = − 2a
.
Dies zeigt insbesondere den folgenden
Satz:
Jede quadratische Gleichung besitzt in C
l mindestens eine Lösung.
bzw.
Jede quadratische Funktion in C
l lässt sich in Linearfaktoren zerlegen.
A. Temmel; Vertiefungskurs Mathematik
87
Bemerkung:
In IR war dies nicht so. Z.B. hat die Funktion f mit f (x) = x2 + 1 in IR
keine Nullstellen und somit auch keine Linearfaktordarstellung.
9.6.2
Die n-ten (Einheits-)Wurzeln
Für n ∈ IN hat die Gleichung
zn = 1
genau n Lösungen, nämlich
2π
zk = ei n k ; k = 0, 1, 2, . . . , (n − 1) .
Dass dies Lösungen sind, sieht man sofort. Dass es nicht mehr Lösungen gibt,
folgt aus nachstehender Überlegung:
Ist z = reiϕ und z n = 1, so gilt
rn einϕ = 1 .
Somit r = 1 und nϕ = 2π · k. Die zk nennt man auch die n-ten Einheitswurzeln.
Ist w = reiϕ (r > 0), so hat die Gleichung
zn = w
genau n Lösungen, nämlich
√
ϕ
2π
z0 = n r · ei n und zk = z0 · ei n k ; k = 1, 2, . . . , (n − 1) .
9.6.3
Der Fundamentalsatz der Algebra
Die bisherigen Überlegungen zu Gleichungen und deren Lösungen in C
l sind
Spezialfälle des sog. Fundamentalsatzes der Algebra. Dieser soll hier nur genannt werden ohne ihn zu beweisen. Das würde den Rahmen des Vertiefungskurses sprengen:
Satz:
Für jedes Polynom p mit komplexen Koeffizienten a0 , a1 , . . . , an
p(z) = an z n + an−1 z n−1 + · · · + a1 z + a0
vom Grad n ≥ 1 gibt es komplexe Zahlen z1 , z2 , . . . , zn mit
p(z) = an · (z − z1 )(z − z2 ) · · · (z − zn ) für alle z ∈ C
l .
D.h. in anderen Worten: Jedes Polynom lässt sich in C
l in Linearfaktoren
zerlegen bzw. jede Polynomfunktion in C
l hat mindestens eine Nullstelle.
Man sagt hierzu auch die komplexen Zahlen C
l sind algebraisch abgeschlossen, denn dies ist nun der erste Zahlenbereich, in dem jede (algebraische)
Gleichung lösbar ist. Algebraisch heißt, man benutzt nur die Addition und
die Multiplikation als Rechenoperationen.
Herunterladen