PD. Dr. P.H. Lesky Universität Stuttgart Wintersemester 2001/02 Mathematik I für Informatiker und Softwaretechniker WS 2001/02 1 Grundlegende Begriffsbildungen: Die Sprache der Mathematik 1.1 Wo fangen wir an? Systematischer Aufbau der Mathematik: Alles soll begründet werden, d.h. auf etwas anderes zurückgeführt werden, was wieder begründet werden muss, also auf etwas anderes zurückgeführt werden muss, . . . Vereinfachung: Wir verwenden ohne weitere Begründung die elementare Aussagenlogik und Mengenlehre. 1.2 Zur Logik Wir machen mathematische Aussagen, z.B. 2 + 2 = 4. Eine Aussage A ist entweder wahr oder falsch (tertium non datur, Aristotelische Logik, zweiwertige Logik). Es kann aber sein, dass man nicht weiß, ob eine Aussage wahr oder falsch ist. ¬A: Verneinung der Aussage A: A ¬A w f f Verknüpfung von Aussagen: w ∧ logisches und ∨ logisches oder ⇒ folgt ⇐ wird impliziert von ⇔ genau dann wenn Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 2 Wahrheitstafel zum Beweis von Sätzen: A B A ⇒ B ¬A ¬B ¬B ⇒ ¬A w w w f f w w f f f w f f w w w f w f f w w w w Die 3. und 6. Spalte sind gleich. Dies beweist: 1.1 Satz: : (A ⇒ B) ⇔ (¬B ⇒ ¬A) ist wahr. Genauso: (A ⇒ B) ∧ (B ⇒ A) ⇔ (A ⇔ B) ist wahr. 1.3 Notwendige und hinreichende Bedingung Falls A ⇒ B wahr ist, heißt A hinreichende Bedingung für B, B notwendige Bedingung für A. 1.2 Beispiel: Wenn es regnet, dann sind die Straßen nass}. | {z | {z } notwendig hinreichend “Die Straßen sind nass” ist nicht hinreichend für Regen. Sie können auch anders nass geworden sein. Sind sie aber nicht nass, so regnet es auch nicht. 1.4 Beweismethoden Die meisten Aussagen lassen sich auf die Form A ⇒ B bringen. 1.3 Beispiel: Es gibt unendlich viele Primzahlen. P = Menge der Primzahlen ⇒ P unendlich. Die meisten Beispiele zeigen, dass A ⇒ B wahr ist. Ist A falsch, ist nichts zu zeigen. Also muss man zeigen: Ist A wahr, dann auch B. 1) Direkter Beweis: Aus A wahr folgere Schritt für Schritt, dass B wahr ist. 1.4 Beispiel: n X |k=1 1 n = k(k + 1) n+1 {z } A ⇒ n+1 X |k=1 1 n+1 = k(k + 1) n+2 {z } B Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 3 ist wahr: n+1 X k=1 1 k(k + 1) = n X k=1 1 1 + k(k + 1) (n + 1)(n + 2) = n 1 + n + 1 (n + 1)(n + 2) = n(n + 2) + 1 (n + 1)(n + 2) = n2 + 2n + 1 (n + 1)(n + 2) = (n + 1)2 (n + 1)(n + 2) = n+1 n+2 A wahr 2) Indirekter Beweis: Zeige ¬B ⇒ ¬A ist wahr: Ist B falsch, dann auch A. 1.5 Beispiel: Zeige |x − 4| ≤ 1 ⇒ x < 5 ist wahr: x ≥ 5 ⇒ x − 4 ≥ 1 ⇒ |x − 4| ≥ 1. 3) Widerspruchsbeweis: Zeige: A ∧ ¬B führt zum Widerspruch (d.h. auf eine falsche Aussage). Also ist mit A auch B wahr, d.h. A ⇒ B ist wahr. √ 2 ist irrational: x = 2 ⇒ x irrational. √ p Annahme: A ∧ ¬B : x = 2 ∧ x = teilerfremd q 1.6 Beispiel: √ ⇒ 2= p2 q2 ⇒ 2q 2 = p2 ⇒ 2 Teiler von p2 ⇒ p gerade (denn ungerade · ungerade = ungerade), p = 2k, k ∈ Z ⇒ p2 = 4k 2 ⇒ q2 = p2 2 = 2k 2 ⇒ 2 Teiler von q 2 ⇒ 2 Teiler von q ⇒ 2 Teiler von p und von q. Widerspruch zu p, q teilerfremd Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 4 1.5 Quantoren ∀ Für alle (∀x ∈ N : x2 ∈ N bedeutet: Für alle x ∈ N gilt x2 ∈ N). ∃ Es existiert/gibt (∃x : x ≤ 4). ∃! Es existiert genau ein (∃!x : x − 3 = 5). Sei M Menge. Aussage: ∀x ∈ M : A(x) ist wahr. Verneinung: ∃x ∈ M : A(x) ist falsch. Aussage: ∃x ∈ M : A(x) ist wahr. Verneinung: ∀x ∈ M : A(x) ist falsch. Also: Quantoren werden “herumgedreht” und die Aussagen verneint. 1.7 Beispiel: Es gibt unendlich viele Primzahlen. ∀n ∈ N ∃p > n : p Primzahl, d.h. ∀n ∈ N ∃p > n ∀ 1 < m < p : m ist nicht Teiler von p. Verneinung: ∃n ∈ N ∀p > n : p ist nicht Primzahl oder ∃n ∈ N ∀p > n ∃ 1 < m < p : m ist Teiler von p. 1.6 Mengen Wir lassen die Begriffe “Menge” und “ist Element von” undefiniert und zeigen (unvollständig), wie man daraus die Mathematik aufbaut. Wir schreiben m ∈ M , falls m Element der Menge M ist und m ∈ / M , falls m kein Element von M ist. Beschreibung von Mengen: 1) Explizit: A := {1, 2, 3, 4} = {2, 1, 3, 4}, B := {1, 2, {1, 2}}. 2) Durch charakteristische Eigenschaften: M = {n : n ist Primzahl }. 3) ∅: Leere Menge, enthält kein Element. 1.7 Relationen zwischen Mengen Teilmenge: A ⊆ B :⇔ ∀x ∈ A : x ∈ B oder: x ∈ A ⇒ x ∈ B. Obermenge: A ⊇ B :⇔ B ⊆ A. Gleichheit: A = B :⇔ A ⊆ B ∧ B ⊆ A oder x ∈ A ⇔ x ∈ B. N.B.: Für jede Menge A gilt ∅ ⊆ A : x ∈ ∅ ⇒ x ∈ A (ex falso quodlibet). Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 5 1.8 Neue Menge aus alten Seien A, B Mengen A ∩ B := {x : x ∈ A ∧ x ∈ B} Durchschnitt. A ∪ B := {x : x ∈ A ∨ x ∈ B} Vereinigung. A \ B := {x : x ∈ A ∧ x 6∈ B} Differenz. Falls B ⊆ A : A \ B heißt auch Komplement von B in A. Veranschaulichung durch Venn-Diagramm. A, B heißen disjunkt, falls A ∩ B = ∅. P(A) := {M : M ⊆ A} Potenzmenge von A. A × B := { (x, y) : x ∈ A ∧ y ∈ B} Kartesisches Produkt (nach René Descartes) | {z } geordnetes Paar, 6=(y,x) 1.8 Beispiel: N × N = {(n, m) : n ∈ N, m ∈ N} “Gitterpunkte”. 1.9 Bemerkung: Was ist ein geordnetes Paar? Zurückführung auf Mengenlehre: (x, y) := {x, {x, y}}. Insbesondere: (x, y) = (x0 , y 0 ) ⇔ x = x0 ∧ y = y 0 . 1.9 Russelsche Antinomie Der naive Umgang mit Mengen ist gefährlich: In einem Dorf wohnen u.a. Männer. Einige rasieren sich selbst, andere nicht. Der Barbier dieses Dorfes rasiert alle Männer, die sich nicht selbst rasieren. Gehört er zu den Selbstrasierern oder nicht? Russel: Sei M die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst als Element enthalten. 1.10 Abbildungen 1.10 Definition: Eine Abbildung f ist eine Vorschrift, die jedem Element einer Menge A genau ein Element der Menge B zuordnet. Manchmal heißt f auch Funktion. Wir schreiben: f :A→B oder f : A → B : x 7→ y = f (x) oder f : A 3 x 7→ y ∈ B oder f : x 7→ y, falls A, B klar. Nicht “die Funktion y = f (x)” (Warum?) A heißt Definitionsbereich, B Bildbereich von f . N.B.: Nicht auf Aussagenlogik zurückgeführt. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 6 1.11 Definition: Falls y = f (x), heißt y das Bild von f an der Stelle x. Die Menge {y ∈ B | ∃x ∈ A : y = f (x)} = {f (x) : x ∈ A} =: f (A) ⊆ B heißt das Bild von f . Ist y = f (x), so heißt x ein Urbild von y. Für C ⊆ B heißt die Menge {x ∈ A : f (x) ∈ C} =: f −1 (C) ⊆ A das Urbild von C. 1.12 Beispiel: f : R → R : x 7→ x2 = f (x) f (1) = 1: Bild von f an x = 1. f (R) := R+ 0 := [0, ∞[: Bild von f . 1, −1: Urbilder von 1, f −1 ({1}) = {−1, 1}. C =]1, 4] : f −1 (C) = [−2, −1[ ∪ ]1, 2]. C =] − 1, 0[: f −1 (C) = ∅. 1.13 Definition: Zwei Abbildungen f : A → B, f 0 : A0 → B 0 heißen gleich, falls A = A0 und ∀x ∈ A : f (x) = f (x0 ) ∈ B ∩ B 0 (manchmal fordert man noch B = B 0 ). f : A → B heißt 1) injektiv, falls f (x) = f (x0 ) ⇒ x = x0 , 2) surjektiv, falls f (A) = B, d.h. ∀y ∈ B ∃x ∈ A : y = f (x), 3) bijektiv, falls f injektiv und surjektiv. Bemerkungen und häufige Missverständnisse: 1) [0, 2π] 3 x 7→ sin x, R 3 x 7→ sin x sind verschiedene Abbildungen. 2) f muss auf ganz A definiert sein: f : R → R : x 7→ 1 x ist keine Abbildung. √ 3) Der Funktionswert muss eindeutig sein (“wohldefiniert”) f : R+ 0 → R : x 7→ ± x ist keine Abbildung. 4) Unterschied injektiv ↔ wohldefiniert ist schwer. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 7 1.11 Operationen mit Abbildungen (“Aus alt mach neu”) 1.14 Definition: Sei f : A → B. Ist A0 ⊆ A, so heißt f0 : A0 → B : x 7→ f0 (x) := f (x) Einschränkung von f auf A0 ; f heißt auch Fortsetzung von f0 auf A. 1.15 Beispiel: A = R, f : x 7→ x2 ; 2 A0 = R + 0 , f0 : x 7→ x . 1.16 Definition: Ist f : A → B bijektiv, so heißt f −1 : B → A : f (x) 7→ x die Umkehrabbildung oder inverse Abbildung zu f . N.B.: Injektiv und surjektiv nötig. N.B. f −1 6= x1 ! + 2 f : R+ 0 → R0 : x 7→ x . √ + f −1 : R+ x. 0 → R0 : x 7→ 1 f : R+ → R+ : x 7→ 1 . x2 1.17 Definition: f : A → A : x 7→ x heißt identische Abbildung: f =: idA . 1.18 Definition: (Verknüpfung von Funktionen): Ist f : A → B, B ⊆ B 0 , g : B 0 → C, so heißt g ◦ f : A → C : x 7→ g(f (x)) =: (g ◦ f )(x) die Verknüpfung oder Hintereinanderausführung von g und f . 1.19 Beispiel: f ◦ f −1 = idA f −1 ◦ f = idB ∀x ∈ A : f (f −1 (x)) = x . ∀x ∈ B : f −1 (f (x)) = x . 1.20 Bemerkungen: Neben “Menge” ist “Abbildung” der fundamentale Begriff in der Mathematik. • 17./18. Jahrhundert (Leibniz/Newton): Funktion = sin x, Polynom, . . . • Beginn 19. Jahrhundert: Funktion = beliebige Zuordnung. N.B: Die Frage ist nicht: Was ist eine Funktion wirklich? Sondern: Wie definiere ich den Begriff der Funktion zweckmäßig? (Organisation von Komplexität) Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 8 1.12 Abbildung und Mengenlehre Idee: f : A → B : Graph ⊆ A × B. 1.21 Definition: Eine Abbildung f : A → B ist eine Teilmenge G = G(f ) ⊆ A × B, so dass ∀x ∈ A ∃! y ∈ B : (x, y) ∈ G(f ). Falls (x, y) ∈ G, schreibe y = f (x) oder f : x 7→ y. Damit ist alles auf die Mengenlehre zurückgeführt. 1.13 Relationen Abbildungen sind spezielle Relationen: 1.22 Definition: Seien A, B Mengen. Eine (2-stellige) Relation ist eine Teilmenge R ⊆ A×B. Für (a, b) ∈ R schreibt man auch aRb und sagt: Zwischen a und b besteht eine Relation R (relatio = Beziehung, Verhältnis). 1.23 Beispiele: 1) Abbildungen 2) “Sortiere” Bücher nach Sachgebieten: B = Menge von Büchern S = Menge von Sachgebieten R = {(b, s) ∈ B × S: Buch b gehört zum Sachgebiet s} N.B.: Ein Buch kann zu mehreren Sachgebieten gehören. 3) “Kleinergleich” auf N: Kleinergleich = {(m, n) ∈ N × N : ∃k ∈ N0 : n = m + k}. Für (m, n) ∈ Kleinergleich schreibe m ≤ n. 4) N/3N := {(m, n) ∈ N × N : |n − m| durch 3 teilbar }. Schreibe auch m = n mod 3 (kongruent modulo 3). Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 9 1.14 Spezielle Relationen 1.24 Definition: R ⊆ A × A heißt reflexiv, falls ∀x ∈ A : (x, x) ∈ R, symmetrisch, falls (x, y) ∈ R ⇒ (y, x) ∈ R, antisymmetrisch, falls (x, y) ∈ R ∧ (y, x) ∈ R ⇒ x = y, transitiv, falls (x, y) ∈ R ∧ (y, z) ∈ R ⇒ (x, z) ∈ R. 1.25 Definition: R ⊆ A × A heißt Ordnungsrelation, falls R reflexiv, antisymmetrisch und transitiv ist. Für (x, y) ∈ R schreibe x ≤ y. (A, ≤) heißt geordnete Menge. Es gilt also: x ≤ x, x ≤ y ∧ y ≤ x ⇒ x = y, x ≤ y ∧ y ≤ z ⇒ x ≤ z. 1.26 Beispiel: Kleinergleich auf N. 1.27 Definition: R ⊆ A × A heißt Äquivalenzrelation, falls R reflexiv, symmetrisch und transitiv ist. Für (x, y) ∈ R schreibe x ∼ y oder x ∼R y. Es gilt also: x ∼ x, x ∼ y ⇒ y ∼ x, x ∼ y ∧ y ∼ z ⇒ x ∼ z. 1.28 Beispiele: 1) N/3N 2) Sei f : A → B. Setze Gleichesbild := {(x, y) ∈ A × A : f (x) = f (y)}. 1.15 Äquivalenzrelation = Klasseneinteilung 1.29 Definition: Sei A Menge, A ⊆ P(A), so dass [ B=A B∈A Dann heißt A Partition für A. und ∀B, C ∈ A : B 6= C ⇒ B ∩ C = ∅. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 10 1.30 Beispiel: A = N, A = {A1 , A2 , A3 } mit A1 = {1, 4, 7, . . .}, A2 = {2, 5, 8, . . .}, A3 = {3, 6, 9, . . .}. 1.31 Satz: Auf A wird durch x ∼ y :⇔ ∃B ∈ A : x ∈ B ∧ y ∈ B eine Äquivalenzrelation definiert. Beweis: Wegen A = [ B existiert für x ∈ A ein B ∈ A mit x ∈ B ⇒ x ∼ x, B∈A x ∼ y ⇒ y ∼ x klar, x ∼ y ∧ y ∼ z ⇒ B1 = B2 ⇒ x, z ∈ B1 ⇒ x ∼ z. | {z } | {z } x,y∈B1 y,z∈B2 In Beispiel 1.29 ergibt sich als Äquivalenzrelation N/3N. 1.32 Satz: Jede Äquivalenzrelation ist von dieser Form. Beweis: Sei ∼ Äquivalenzrelation auf A. Für x ∈ A sei [x] := {y ∈ A : y ∼ x} die Äquivalenzklasse von x. Jedes y ∈ [x] heißt Repräsentant von [x]. A := {[x] : x ∈ A} bildet eine Partition von A. 1.33 Beispiele: 1) Gleichesbild: Äquivalenzklassen = Mengen von Punkten mit demselben Bild. 2) N/3N : [1] = {1, 4, 7, . . .} = [4] = . . . , [2] = {2, 5, 8, . . .}, [3] = {3, 6, 9, . . .}. 3) Fast jede Begriffsbildung bzw. Abstraktion braucht mehr oder weniger präzise auch Äquivalenzklassen: Laubbaumarten = Äquivalenzrelation auf Menge der physikalisch vorhandenen Bäume Klassifizierung von Rechnern als “Arbeitsplatzrechner”, “Server”, . . . Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 11 1.16 Die natürlichen Zahlen Was sind die natürlichen Zahlen? Peano: Charakterisierung durch Eigenschaften/Axiome. 1.34 Definition: (Peano 1889) Die natürlichen Zahlen bilden eine Menge N, auf der eine Abbildung Nachfolger: N → N erklärt ist mit folgenden Eigenschaften: (N1) ∃!1 ∈ N : 1 ∈ / Nachfolger (N) (Es existiert genau eine Zahl, die nicht Nachfolger einer anderen Zahl ist). (N2) Nachfolger ist injektiv (Nachfolger(n1 ) = Nachfolger(n2 ) ⇒ n1 = n2 ) (N3) Ist M ⊆ N, so dass 1 ∈ M und n ∈ M ⇒ Nachfolger(n) ∈ M , dann ist M = N. (Enthält eine Teilmenge M ⊆ N die 1 und mit jeder Zahl auch ihren Nachfolger, dann ist M = N) “Induktionsaxiom”, “Dominoprinzip”. Man schreibt: Nachfolger(n) =: n + 1, Nachfolger(1) =: 2, Nachfolger(2) =: 3, . . .. Aus diesen Axiomen lassen sich alle bekannten Regeln für die natürlichen Zahlen beweisen (z.B. n + m = m + n). 1.35 Bemerkungen: 1) Wir lassen N mit 1 anfangen. Das ist Konvention. Es ginge auch mit 0. Wir schreiben N0 := N ∪ {0}. 2) Es stellen sich folgende Fragen: • Existenz? • Folgt daraus wirklich alles? • Eindeutigkeit? 3) Giuseppe Peano (1858 Piemont - 1932 Turin): Grundlagen/Analysis. Symbole ∈, ∩, ∪, ⊆ eingeführt. Peano-Kurve: Stetige und surjektive Abbildung von einem Intervall auf das Innere eines Dreiecks. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 12 1.17 Beweis durch vollständige Induktion Für n ∈ N sei A(n) eine Aussage, die wahr oder falsch sein kann, z.B. 1 + 2 + ... + n = n(n+1) , 2 n(n + 1) + 41 ist Primzahl. Ziel: Zeige A(n) ist wahr für alle n ∈ N. Folgendes Verfahren kann zum Ziel führen: Zeige: 1) A(1) ist wahr (Induktionsanfang) 2) ∀n ∈ N : A(n) ⇒ A(n + 1) (Induktionsschritt) (Falls A(n) wahr (“Induktionsannahme”), dann ist A(n + 1) wahr (“Induktionsbehauptung”). Induktionsschluss: Dann ist A(n) wahr für alle n ∈ N. Beweis: Sei M := {n ∈ N : A(n) ist wahr } ⊆ N. Dann 1 ∈ M und n ∈ M ⇒ n + 1 ∈ M . Also M = N nach (N3). 1.36 Beispiele: 1) A(n) : 1 + 2 + . . . + n = • A(1) := 1 = 1+1 2 n(n+1) . 2 ist wahr (Induktionsanfang). • Falls 1 + 2 + . . . + n = n(n+1) 2 (A(n) wahr), dann n(n + 1) n(n + 1) + 2(n + 1) +n+1 = 2 2 (n + 2)(n + 1) = . 2 1 + 2 + ... + n + n + 1 = Also: A(n + 1) wahr. • Induktionsschluss: ∀n ∈ N : 1 + 2 + . . . + n = n(n+1) . 2 2) A(n) : n(n + 1) + 41 ist Primzahl. A(1) : 43 ist Primzahl, aber A(40) ist falsch: 40 · 41 + 41 = 412 ist keine Primzahl. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 13 3) Sei q 6= 1. A(n) : q 0 +q 1 + . . . + q n = |{z} 1−q n+1 . 1−q :=1 • A(1) : q 0 + q 1 = 1 + q = (1+q)(1−q) 1−q • Falls q 0 + q 1 + . . . + q n = 1−q n+1 1−q = 1−q 2 1−q : A(1) ist wahr. (Induktionsannahme), dann 1 − q n+1 1 − q n+1 + q n+1 (1 − q) + q n+1 = 1−q 1−q n+2 1−q = . 1−q q 0 + q 1 + . . . + q n + q n+1 = Also: A(n + 1) ist wahr. • Induktionsschluss: ∀n ∈ N : q 0 + q 1 + . . . + q n = 1.37 Diskussion: 1−q n+1 . 1−q 1) Unterscheide: A(n) ist wahr, dann auch A(n+1) von A(n) ⇒ A(n+1). 2) Dominoprinzip: Wenn Dominosteine hintereinander aufgestellt sind und es gilt: • Der erste Stein fällt um. • Wenn ein Stein umfällt, dann auch der nächste. Dann fallen alle Dominosteine um. 3) Leichte Abwandlungen, z.B: • A(5) wahr, • A(n) ⇒ A(n + 1) wahr für n ≥ 5. Oder: • A(1) wahr, • A(1) ∧ A(2) ∧ . . . ∧ A(n) ⇒ A(n + 1) wahr. 4) Warum funktioniert das? Antwort: Weil wir N so definiert haben, dass das funktioniert (nicht aus metaphysischen Gründen). 1.18 Folgen 1.38 Definition: Sei M Menge. Eine Folge in M (oder Folge mit Werten in M ) ist eine Abbildung N 3 n 7→ an ∈ M . Wir schreiben meist (an )n∈M oder einfach (an ). (Ausführlich a : N → M : n 7→ a(n) =: an ) 1.39 Beispiele: Folge der ungeraden Zahlen: an = 2n − 1. Folge der Primzahlen: pn := n-te Primzahl. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 14 1.19 Rekursive Definition (Wichtig beim Programmieren) 1.40 Prinzip: Definiere einen Ausdruck, eine Formel, ein Folgenglied für alle n ∈ N durch 1) Festsetzung für n = 1. 2) Festsetzung für n + 1 auf die für 1, 2, . . . , n zurückführen. 1.41 Beispiele: 1! := 1 1) n! (Fakultät): (und 0! := 1 aus Konvention), (n + 1)! := (n + 1) n!. Das heißt: n! = 1 · 2 · · · n. 2) Sei (an ) eine Folge von Zahlen. Setze 1 X ak := a1 , k=1 Also: n X n+1 X ak := k=1 n X ak + an+1 . k=1 ak = a1 + a2 + . . . + an . k=1 Analog: n Y ak = a1 · a2 · · · an . k=1 3) Die Fibonacci-Zahlen (Kaninchenproblem) f1 := 1, f2 := 1, fn+1 := fn + fn−1 für n ≥ 2. 4) Addition und Multiplikation aus Peano-Axiomen: Für n ∈ N setze n + 1 := Nachfolger(n), n + Nachfolger(m) := Nachfolger(n + m). Damit ist n + m für alle n, m ∈ N definiert. Analog: n·1 := n, n·(m+1) := n·m+n. Damit ist n·m für alle n, m ∈ N definiert. Jetzt können alle Rechengesetze bewiesen werden, z.B. 3 + 5 = 5 + 3, n(l + m) = n · l + n · m, . . .. 1.20 Der binomische Satz 1.42 Definition: (Binomialkoeffizient) Für n ∈ N, k ∈ {0, 1, . . . , n} sei ! n n! n · (n − 1) · · · (n − k + 1) := = . (n − k)! · k! 1 · 2···k k Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 15 1.43 Beispiele: 26 ! 3 1.44 Eigenschaften: 2) Für k ≥ 1 : 3) k n ! = 26·25·24 , 1·2·3 n 1) n ! k−1 n + = ! k 0 ! n = 1. (klar aus Definition). n−k ! n+1 = ! 26 = 1, 26 ! k ! 26 . Beweis durch Nachrechnen (Ü). k ∈ N. Beweis aus 2) durch vollständige Induktion: Aus lassen sich mit 2) alle n ! k n 0 ! = n n ! = 1 darstellen (Pascalsches Dreieck): .k=0 n=0 .k=1 1 n=1 1 n=2 1 n=3 1 n=4 1 2 3 4 .k=2 1 1 3 6 1 4 1 1.45 Bemerkung: Blaise Pascal (1623 Clemont-Ferrand – 1662 Paris). 1645 erste kommerziell vertriebene Rechenmaschine (ca. 50 Stück) zur Vereinfachung der Berechnung von Steuern. Einflussreichster religiöser Denker Frankreichs. 1.46 Binomischer Satz: (Buffon 1727) Für beliebige Zahlen a, b und für n ∈ N gilt ! n X n (a + b)n = an−k bk k k=0 ! ! n n an−2 b2 + . . . + bn . = an + an−1 b + 1 2 Mit Pascalschem Dreieck 1 1 1 1 1 1 2 3 4 (a + b)4 = a4 + 4a3 b + 6a2 b2 + 4ab3 + b4 . Beweis durch vollständige Induktion (Ü). 1 3 6 1 4 1 Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 16 1.21 Vergleich von Mengen: Mächtigkeit 1.47 Vorbemerkung: {1, 2, 3} und {4, 5, 6} haben gleich viele Elemente. Aber N und {2n : n ∈ N}? Oder ] − 1, 1[ und R? Es ist schwierig, unendliche Mengen zu vergleichen. 1.48 Definition: 1) Zwei Mengen A, B heißen (!) gleich groß oder gleich mächtig, falls es eine bijektive Abbildung f : A → B gibt. 2) A heißt endlich, falls es ein n ∈ N und eine Bijektion f : A → {1, 2, . . . , n} gibt oder falls A = ∅. 3) A heißt unendlich, falls A nicht endlich. 4) A heißt abzählbar unendlich, falls A gleich mächtig wie N. 5) A heißt überabzählbar, falls A unendlich und nicht abzählbar unendlich. 1.49 Beispiele: 1) G := {n ∈ N : n gerade }. G ⊆ N, G 6= N, aber G, N sind gleich mächtig: f : N → G : n 7→ 2n ist Bijektion. 2) Wir werden sehen: R ist überabzählbar. 3) Man kann zeigen: A ist genau dann unendlich, wenn A gleich mächtig wie eine echte Teilmenge von sich ist. 4) N × N, N sind gleich mächtig: (1, 1) → (2, 1) (3, 1) → (4, 1) . % . (1, 2) (2, 2) (3, 2) ↓ % . (1, 3) (2, 3) (3, 3) . (1, 4) Nummerierung in angegebener Reihenfolge ergibt eine Bijektion von N auf N × N (Cantorsches Diagonalverfahren). Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 17 1.22 Darstellung natürlicher Zahlen Zehnersystem: Stelle alle Zahlen mit den zehn Ziffern 0, 1, . . . , 9 dar: 1, 2, . . . 9 10, 11, 12, . . . 19 20, .. . 21, 22, . . . 29 100, 101, 102, . . . 109 z.B. 13 = 1 · 10 + 3 · 1 z.B. 108 = 1 · 102 + 0 · 101 + 8 · 100 Entsprechend geht das auch mit weniger oder mehr Ziffern. 1.50 Definition: Sei g ∈ N und Z = {z0 , z1 , . . . , zg−1 } eine Menge mit g Elementen. Die Darstellung n = (aN aN −1 . . . a0 )g := N X aj g j , j=0 wobei N ∈ N, a0 , . . . , aN ∈ Z, z0 g j := 0 · g j , z1 g j = 1 · g j , . . . , zg−1 g j := (g − 1) · g j , heißt g-adische Entwicklung von n ∈ N; g heißt Ziffernbasis, und z0 , . . . , zg−1 heißen Ziffern. 1.51 Beispiele: 1) Zweier-System: g = 2, Z = {0, 1}: 10112 = (1 · 23 + 0 · 22 + 1 · 21 + 1 · 20 )10 = (8 + 0 + 2 + 1)10 = 1110 . 2) Hexadezimalsystem: g = 16, z = {0, 1, . . . , 9, A, B, C, D, E, F }: D2A16 = D g 2 + 2 g 1 + A g 0 = (13 · 256 + 2 · 16 + 10 · 1)10 = 337010 . 1.52 Bemerkung: Babylonier hatten 1600 v.Chr. ein Zahlensystem mit g = 60, Mayas hatten 665 n.Chr. ein Zahlensystem mit g = 20. 1.53 Satz: Seien g, Z fest. Jede Zahl n ∈ N besitzt eine eindeutige g-adische Darstellung: Es existieren eindeutig bestimmte Zahlen N ∈ N und a0 , . . . , aN ∈ Z, so dass n = (aN aN −1 . . . a0 )g ∧ aN 6= z0 . 1.23 Teilbarkeit 1.54 Definition: Sei n ∈ N0 . Dann heißt m ∈ N Teiler von n : m|n, falls ∃k ∈ N0 : n = k · m; n heißt teilbar durch m. Insbesondere: 0 ist durch alle m ∈ N teilbar. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 18 1.55 Satz: Teiler ist Ordnungsrelation. 1.56 Hilfssatz: Seien n, m, l, k ∈ N0 , d ∈ N. Dann gilt d|n ∧ d|m ⇒ d|(k · n + l · m). 1.57 Definition: Für n ∈ N sei D(n) := {d ∈ N : d|n} die Menge der Teiler von n. Für n, m ∈ N heißt ggT(n, m) := max{k ∈ D(n) ∩ D(m)} der größte gemeinsame Teiler von n und m. 1.58 Beispiele: 1) D(30) = {1, 2, 3, 5, 6, 10, 15, 30}, D(24) = {1, 2, 3, 4, 6, 8, 12, 24}, D(30) ∩ D(24) = {1, 2, 3, 6}, ggT(30, 24) = 6 2) ggT(6, 30) = 6 1.59 Satz: (Teilen mit Rest): Seien n, m ∈ N mit n > m. Dann gibt es eindeutig bestimmte Zahlen q ∈ N, r ∈ N0 mit n = q · m + r ∧ r ≤ m − 1. 1.60 Beispiele: 1) n = 30, m = 24 : 30 = |{z} 1 ·24 + |{z} 6 q 2) 3310 : 42 = 78 Rest 34 : r 3310 = 78 · 42 + 34. 1.61 Hilfssatz: (Teilen mit Rest erhält den ggT): Ist n = q · m + r wie oben, so gilt ggT(n, m) = ggT(m, r). 1.62 Beispiel: 30 = 1 · 24 + 6 |{z} r=ggT(30,24) . Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 19 1.63 Satz: (Euklidischer Algorithmus): Seien n, m ∈ N mit n > m. Dann existieren eindeutig bestimmte Zahlen K ∈ N, r0 , r1 , . . . , rK ∈ N mit r0 = n, r1 = m, rk−1 = qk · rk + rk+1 mit qk ∈ N und 0 < rk+1 ≤ rk − 1, rK−1 = qK · rK + 0, und es gilt rK = ggT(m, n). 1.64 Beispiele: 1) ggT(210, 25): 210 = 8 · 25 + 10 25 = 2 · 10 + 5 10 = 2 · 5 + 0 ⇒ ggT(210, 25) = 5 2) ggT(132, 11) : 132 = 12 · 11 + 0 ⇒ ggT(132, 11) = 11. 1.65 Euklid: 365 v.Chr.–300 v.Chr. in Alexandria. Er schrieb die “Elemente” (13 Bücher), das bedeutendste mathematische Buch aller Zeiten. Seit Erstdruck 1482 über 1000 Ausgaben. Enthält Geometrie (R2 , R3 ) und Zahlentheorie. Grundlage der rigorosen Mathematik. 1.66 Hilfssatz: Seien k, m, n ∈ N. Dann gilt ggT(km, kn) = k ggT(m, n). 1.67 Folgerung: k|m ∧ k|n ⇒ k|ggT(m, n). 1.24 Primzahlen 1.68 Definition: p ∈ N mit p ≥ 2 heißt Primzahl, wenn D(p) = {1, p}. 1.69 Euklidischer Hilfssatz: p Primzahl ∧ p|n1 · n2 · · · nk ⇒ ∃j ∈ {1, . . . , k} : p|nj . (Teilt eine Primzahl ein Produkt, dann teilt sie mindestens einen der Faktoren). 1.70 Fundamentalsatz der Arithmetik: Sei n ∈ N, n ≥ 2. Dann lässt sich n als Produkt von Primzahlen darstellen: n = p1 · p2 · · · pk , p1 , . . . , pk Primzahlen. Die Darstellung ist bis auf die Reihenfolge eindeutig. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 20 1.71 Satz: Es gibt unendlich viele Primzahlen. 1.72 Bemerkung: Primzahlsatz (1896 Hadamard, Vallée Poussin) π(n) := Anzahl der Primzahlen ≤ n 2 2.1 ⇒ π(n) = 1. n→∞ n/ ln n lim Zahlenkörper Ziele Einführung von R (reelle Zahlen), C (komplexe Zahlen), F (Primzahlkörper). Systematisch zu R: Konstuiere die ganzen Zahlen aus N Konstruiere die rationalen Zahlen Q (“Brüche”) aus Z Konstruiere die reellen Zahlen R aus Q Für uns zu lang. Wir führen R axiomatisch ein. 2.2 Die Axiome der Addition und Multiplikation R Die Addition ist eine Abbildung R × R → R : (x, y) 7→ x + y mit folgenden Eigenschaften: (A1) ∀x, y, z ∈ R : x + (y + z) = (x + y) + z (Assoziativgesetz) (A2) ∃0 ∈ R ∀x ∈ R : x + 0 = x [= 0 + x] (Existenz der Null = neutrales Element bezüglich Addition) (A3) ∀x ∈ R ∃ − x ∈ R : x + (−x) = 0 [= −x + x] (Inverses Element bezüglich Addition) (A4) ∀x, y ∈ R : x + y = y + x (Kommutativgesetz) Die Multiplikation ist eine Abbildung R × R → R : (x, y) 7→ x · y =: xy mit folgenden Eigenschaften: (M1) ∀x, y, z ∈ R : x · (y · z) = x · y) · z (Assoziativgesetz) Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 21 (M2) ∃1 ∈ R ∀x ∈ R : x · 1 = x [=: 1 · x] (Existenz der Eins = neutrales Element bezüglich Multiplikation) (M3) ∀x ∈ R \ {0} ∃x−1 : x · x−1 = 1 [= x−1 · x] (Inverses Element bezüglich Multiplikation) (M4) ∀x, y ∈ R : x · y = y · x (Kommutativgesetz) Verbindung zwischen Addition und Multiplikation: (D) ∀x, y, z ∈ R : x · (y + z) = x · y + x · z (Distributivgesetz) 2.1 Bemerkung: Wegen (A4) bzw. (M4) kann man [. . .] in (A2), (A3) bzw. (M2), (M3) weglassen. 2.2 Folgerungen: 1) 0 ist durch (A2) eindeutig bestimmt: Sei 00 ∈ R : (A2) ∀x ∈ R : x + 00 = x = 00 + x ⇒ 0 = 00 + 0 = 00 . 2) 1 ist durch (M2) eindeutig bestimmt: Sei 10 ∈ R : (M 2) ∀x ∈ R : x · 10 = x = 10 · x ⇒ 1 = 10 · 1 = 10 . HALT! Axiom F: Mathematiker sind faul (oder ökonomisch). Sie tun (fast) nie etwas zweimal (oder öfter). 2.3 Gruppen Abstrahiere (R, +), (R \ {0}, ·): Gruppenbegriff 2.3 Definition: Sei G Menge und ◦ : G × G → G eine Abbildung (“Verknüpfung”). (G, ◦) heißt Gruppe, falls (G1) ∀g, h, j ∈ G : g ◦ (h ◦ j) = (g ◦ h) ◦ j (Assoziativgesetz) (G2) ∃e ∈ G ∀g ∈ G : g ◦ e = g = e ◦ g (Neutrales Element) (G3) ∀g ∈ G ∃g −1 ∈ G : g ◦ g −1 = e = g −1 ◦ g (Inverses Element) Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 22 (Es reicht, statt (G2) und (G3) zu fordern: ∃e ∈ G ∀g ∈ G : e ◦ g = g und ∀g ∈ G ∃g −1 ∈ G : g −1 ◦ g = e. Hieraus folgen (G2) und (G3)). (G, ◦) heißt kommutative Gruppe oder abelsche Gruppe, falls zusätzlich (G4) ∀g, h ∈ G : g ◦ h = h ◦ g (Kommutativgesetz) 2.4 Beispiele: 1) (R, +), (R \ {0}, ·) sind kommutative Gruppen. 2) Die Menge der Drehungen in einer Ebene um einen festen Punkt ist eine kommutative Gruppe. 3) Die Menge der Drehungen des Raumes um einen festen Punkt ist eine nicht kommutative Gruppe. 4) Menge der Permutationen einer festen Menge mit mehr als zwei Elementen: Nicht kommutative Gruppe. Gruppen und ihre Theorie (Gruppentheorie) sind wichtig für viele Gebiete (z.B. Symmetrien). 2.5 Folgerungen: In jeder Gruppe gilt 1) e ist eindeutig 2) g −1 ist eindeutig 3) e−1 = e (R, +) (R \ {0}, ·) 0 1 −x x−1 −0 = 0 1−1 = 1 4) ∀g, h ∈ G ∃!x ∈ G : g ◦ x = h a + x = b (nämlich x = g −1 ◦ h) a·x=b ⇒ x = (−a) + b ⇒ x = a−1 · b 5) ∀g ∈ G : (g −1 )−1 = g −(−x) = x 6) (g ◦ h)−1 = h−1 ◦ g −1 −(x + y) = (−y) + (−x) (x · y)−1 = y −1 · x−1 (x−1 )−1 = x 2.6 Definition: (Potenzen) Sei g ∈ G. Schreibe g ◦ g ◦ . . . ◦ g =: g n | {z } n−mal (oder rekursiv). Wegen (G1) kann man Klammern setzen oder wegelassen. Es gilt g n ◦ g m = g ◦ . . . ◦ g ◦ g ◦ . . . ◦ g = g n+m . | {z } | {z } n−mal m−mal Falls (G, ◦) kommutativ: (g ◦ h)n = g n ◦ hn . Setze g −n := (g −1 )n (n ∈ N), Dann gelten alle Regeln für m, n ∈ Z. Falls (G, ◦) = (R, +) : gn = ˆ n·x (G, ◦) = (R \ {0}, ·) : g n = ˆ xn . g 0 := e. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 23 2.7 Schreibweisen in R: Für x + (−y) : x − y. x Für x · y −1 : oder x : y (y 6= 0). y −1 1 Für y : (y 6= 0). y 2.8 Folgerungen: Für a, b, c, d ∈ R gilt 1) 2) 2.4 a b · = a · c−1 · b · d−1 = (a · b) · (c−1 · d−1 ) c d a·b = a · b · (c · d)−1 = (c, d 6= 0) c·d a b : = (a · c−1 ) · (b · d−1 )−1 = a · c−1 · (d−1 )−1 · b−1 c d = a · c−1 · d · b−1 = (a · d) · (c · b)−1 a·d = (b, c, d 6= 0) c·b Körper Es gibt noch andere Mengen außer R, die alle Axiome in 2.2 erfüllen, z.B. Q und C (= komplexe Zahlen). Solche Mengen nennt man Körper: 2.9 Definition: (K, +, ·) ist ein Körper, falls (K, +) und (K \ {0}, ·) kommutative Gruppen sind und falls (D) gilt. Alles was aus Kapitel 2.2 abgeleitet werden kann, gilt in allen Körpern. 2.10 Rechenregeln: Seien x, y ∈ K beliebig. Dann gilt 1) 0 · x = 0 2) x · y = 0 ⇒ x = 0 ∨ y = 0 3) (−x) · y = −(x · y) 4) (−x) · (−y) = x · y Mit vollständiger Induktion lassen sich alle Rechenregeln auf Ausdrücke mit endlich vielen Zahlen übertragen, z.B. x · (a + b + c) = x · a + x · b + x · c. Unendliche Summen und Produkte sind etwas ganz anderes! Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 24 2.5 Andere Körper • (Q, +, ·) ist ein Körper. • F := {0, 1} mit + 0 1 · 0 0 1 0 0 0 1 1 0 1 0 1 0 1 ist ein Körper (Üb.). • Rechnen mit Äquivalenzklassen: Betrachte auf N die Relation N/5N = {(n, m) ∈ N × N : |n − m| durch 5teilbar} mit Äquivalenzklassen [1] = {1, 6, 11, . . .} = [6] = [11] = . . . [2] = {2, 7, 12, . . .} = [7] = .. . [5] = {5, 10, 15, . . .} Definiere [k] + [l] := [k + l] [k] · [l] := [k · l] Z.B. [1] + [3] = [4] [4] + [4] = [8] = [3] [4] · [3] = [12] = [2] [3] · [2] = [6] = [1], d.h. [2] = 1 [3] Behauptung: ({[1], [2], . . . , [5]}, +, ·) ist ein Körper. 2.11 Satz: Es sei p eine Primzahl. Dann gibt es einen Körper mit p Elementen. Beweis: Sei Fp := {[1], [2], . . . , [p]} die Menge der Äquivalenzklassen bezüglich N/pN: [n] = {k ∈ N : |k − n| durch pteilbar }. Definiere für n, m ∈ N [n] + [m] := [n + m] ∈ Fp , [n] · [m] := [n · m] ∈ Fp . Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 25 1) Die Definition ist unabhängig vom Repräsentanten: [k] = [n] ⇔ k = n ± q1 p, q1 ∈ N [l] = [m] ⇔ l = m ± q2 p, q2 ∈ N ⇒ k + l = n + m((±q1 ) + (±q2 ))p ⇒ [k + l] = [n + m] Genauso: k · l = n · m + ((±q1 )m + (±q2 )n + (±q1 ) · (±q2 )) · p ⇒ [k · l] = [n · m]. 2) Körperaxiome: Durch Nachrechnen. Alle Rechengesetze, die aus 2.2 hergeleitet werden, gelten auch in Fp ! 2.12 Bemerkung: Man schreibt n ≡ m (mod p), falls [n] = [m] bezüglich N/pN: n kongruent m modulo p. 2.6 Die Axiome der Ordnung auf R Auf R ist eine Relation < (kleiner) definiert, so dass: (O1) ∀a, b ∈ R: Genau eine der Beziehungen a < b, a = b, b < a ist wahr. (O2) ∀a, b, c ∈ R : a < b ∧ b < c ⇒ a < c (Transitivität). (O3) ∀a, b, c ∈ R : a < b ⇒ a + c < a + c. (O4) ∀a, b, c ∈ R : a < b ∧ c > 0 ⇒ ac < bc 2.13 Bemerkungen: 1) Für a < b schreibe auch b > a (größer). 2) a ∈ R heißt positiv, falls a > 0, R+ := {a ∈ R : a > 0}, + R+ 0 := R ∪ {0}. 3) Definiere a ≤ b :⇔ a < b ∨ a = b, a ≥ b :⇔ a > b ∨ a = b; ≤, ≥ sind vollständige Ordnungsrelationen auf R. 4) Ein Ausdruck der Form a < b, a ≤ b, a > b, a ≥ b heißt Ungleichung. 5) Ist auf einem Körper (K, +, ·) eine Relation definiert, die (O1) - (O4) erfüllt, so heißt (K, +, ·, <) angeordneter Körper. 6) Endliche Körper können nicht angeordnet werden (später). Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 26 2.14 Folgerungen: (U1) a < b ⇔ 0 < b − a ⇔ b − a > 0 (O3) (O3) (a < b ⇒ a + (−a) < b + (−a) ⇔ 0 < b − a ⇒ Q + a < b − a + a ⇔ a < b). (U2) a < b ∧ x < y ⇒ a + x < b + y. Insbesondere: a < 0 ∧ x < 0 ⇒ a + x < 0; 0 < b ∧ 0 < y ⇒ 0 < b + y. (U3) a > 0 ⇔ −a < 0. (U4) 0 < a < b ∧ 0 < x < y ⇒ ax < by. (U5) a < 0 ∧ x < y ⇒ ax > ay. Insbesondere: a < 0 ∧ x < 0 ⇒ ax > 0; a < 0 ∧ 0 < y ⇒ 0 > ay, d.h. Multiplikation von Ungleichungen mit negativen Zahlen vertauscht < und >. (U6) a 6= 0 ⇒ a2 > 0. Insbesondere: 1 = 12 > 0. Auf (Fp , +, ·) gibt es keine Ordnung: [1] > 0 = [p], aber [p] = [1] + . . . + [1] > 0. (U7) a > 0 ⇒ 1 a > 0; a < 0 ⇒ (U8) 0 < a < b ⇒ 1 a > 1b . (U9) 0 < a < b ⇒ b a > 1. 2.7 1 a < 0. N, Z, Q in R 1) Identifiziere N als Teilmenge von R: Definiere f : N → R durch f (1N ) := 1R , f (n + 1N ) := f (n) + 1R . ˜ := f (N) = {f (n) : n ∈ N}. Nach dem Induktionsaxiom ist f für alle n ∈ N definiert. Sei N ˜ erfüllt Peano-Axiome. Zeige: N f ist injektiv: Z.z. n 6= m ⇒ f (n) 6= f (m) O.B.d. A n > m, also n = m + k ⇒ f (m) < f (m + 1)(= f (m) + 1) < f (m + 2) < . . . < f (m + k) = f (n) (O1) ⇒ f (n) 6= f (m) ˜ Damit übertragen sich die Peano-Axiome sofort auf N. ˜ N.B: Dass alles gut geht, liegt an der Ordnung. Identifiziere N und N. 2) Setze Z := {k ∈ R | ∃n, m ∈ N : k = n − m}. 3) Setze Q := {x ∈ R | ∃p, q ∈ Z, q 6= 0 : x = pq }. Wir übertragen Arithmetik und Ordnung von R auf diese Teilmengen, soweit das geht. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 27 2.15 Satz (Bernoulli-Ungleichung): Für x ∈ R, x ≥ −1 und n ∈ N0 gilt (1 + x)n ≥ 1 + nx. Jacob Bernoulli: 1654 - 1705 (Basel). Begriff des Integrals. Wahrscheinlichkeitsrechnung (Münzwurf = Bernoulli-Experiment). 2.8 Das Archimedische Axiom (A) Für x, y ∈ R, x > 0, existiert ein n ∈ N mit nx > y. Ein geordneter Körper, in dem (A) gilt, heißt archimedisch geordneter Körper. (A) lässt sich nicht aus den anderen Axiomen ableiten, es gibt auch nicht archimedisch geordnete Körper (“Nicht Standard Analysis”). 2.16 Folgerungen: Aus (A) folgt 1) ∀x ∈ R ∃n ∈ N : n > x 2) ∀x ∈ R+ 0 ∃!n ∈ N0 : n ≤ x < n + 1 3) ∀ε > 0 ∃n ∈ N : 1 n <ε 1 4) x ∈ R+ 0 ∧ (∀n ∈ N : x < n ) ⇒ x = 0 5) ∀b > 1 ∀x > 0 ∃n ∈ N : bn > x 6) ∀b ∈ {x ∈ R : 0 < x < 1} ∀ε > 0 ∃n ∈ N : bn < ε Archimedes von Syrakus: 287 v.Chr.-212 v.Chr. Einer der größten Mathematiker seiner Zeit. Sein Wissensstand wurde erst in der Zeit von Newton und Leibniz wieder erreicht (ca. 1900 Jahre später). Archimedischer Punkt. 2.9 Absolutbetrag Für x ∈ R : |x| := ( x für x ≥ 0 −x für x < 0 . |x| heißt Betrag oder Ablolutbetrag von x. Insbesondere gilt |x| ≥ x, |x| = | − x| ≥ −x. 2.17 Satz (Eigenschaften von |.|): Für x, y ∈ R gilt (B1) |x| ≥ 0; |x| = 0 ⇔ x = 0 Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 28 (B2) |x · y| = |x| · |y| (B3) |x + y| ≤ |x| + |y| (“Dreiecksungleichung”, ∆-Ungleichung) 2.18 Definition: Körper (K, +, ·) mit einem Betrag, d.h. einer Funktion |.| : K → R+ 0 mit (B1), (B2), (B3) heißen bewertete Körper (z.B. auch C). 2.19 Folgerungen: In jedem bewerteten Körper gilt 1) |1| = | − 1| = 1, insbesondere | − x| = |x|. 2) | xy | = |x| |y| falls y 6= 0. 3) |x − y| ≥ ||x| − |y|| (≥ |x| − |y|), |x + y| ≥ ||x| − |y|| (∆-Ungleichung nach unten). 2.10 Abstände Auf R (oder jedem anderen bewerteten Körper) definiere den Abstand zwischen x und y durch d(x, y) := |x − y|. Der Abstand erfüllt (x, y, z ∈ R) (M1) d(x, y) ≥ 0; d(x, y) = 0 ⇔ x = y (Positivität, Definitheit). (M2) d(x, y) = d(y, x) (Symmetrie). (M3) d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y) (∆-Ungleichung). 2.20 Definition: Sei X Menge. Ein Abstand oder eine Metrik auf X ist eine Abbildung d : X × X → R, die (M1), (M2), (M3) erfüllt. (X, d) heißt metrischer Raum. 2.21 Bemerkung: Es gilt auch eine ∆-Ungleichung nach unten: ∀x, y, z ∈ X : d(x, y) ≥ |d(x, z) − d(z, y)|. 2.22 Beispiele: 1) X = R, d(x, y) = |x − y| 2) X beliebige ( Menge, 0 für x = y d(x, y) := 1 sonst (Diskrete Metrik) Diese Metrik “sieht” nicht, ob Elemente näher oder weiter auseinander sind. p 3) X = R2 = R × R, d((x1 , y1 ), (x2 , y2 )) = (x1 − x2 )2 + (y1 − y2 )2 (euklidischer Abstand). 4) X = R2 , d((x1 , y1 ), (x2 , y2 )) = max{|x1 − x2 |, |y1 − y2 |} Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 29 2.11 Konvergenz Eine erste Bekanntschaft mit dem wichtigsten Begriff der Analysis. 2.23 Definition: Sei (X, d) metrischer Raum. Die Folge (xn )n∈N in X heißt konvergent gegen x ∈ X, falls ∀ε > 0 ∃nε ∈ N ∀n > nε : d(xn , x) < ε. In diesem Fall schreiben wir n→∞ x = lim xn , xn −→ x, xn → x für n → ∞; n→∞ x heißt Grenzwert oder Limes der Folge. Besitzt eine Folge keinen Grenzwert, so heißt sie divergent. 2.24 Bemerkungen: 1) d(xn , x) < ε kann durch d(xn , x) ≤ ε ersetzt werden, genauso ∀n > nε durch ∀n ≥ nε . 2) Aufgrund des Archimedischen Axioms kann man auch formulieren: ∀k ∈ N ∃nk ∈ N ∀n > nk : d(xn , x) < 1 k (denn ∀ε > 0 ∃k ∈ N : 1 k < ε). 3) In (R, |.|) bedeutet die Definition: ∀ε > 0 ∃nε ∈ N ∀n > nε : |xn − x| < ε. 4) Ob eine Folge konvergiert oder nicht, kann von der gewählten Metrik abhängen (siehe unten). 2.25 Beispiele: 2.8 1) Sei q ∈ R, |q| < 1. Behauptung: lim q n = 0. Denn: Sei ε > 0 fest. n→∞ nε nε ⇒ ∃nε ∈ N : |q | = |q| < ε. Für n > nε , d.h. n = nε + k: |q n − 0| = |q nε +k | = |q|nε +k = |q|nε |q|k ≤ |q|nε < ε. |{z} <1 Also: |q n − 0| < ε für n > nε . 2) Sei |q| < 1, sn := n X k=0 qk = 1 − q n+1 . 1−q Behauptung: lim sn = 1 n→∞ Denn: 1 − q n+1 1 |q n+1 | − = . 1−q 1 − q |1 − q| Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 30 Sei ε > 0 fest. Wähle nε ∈ N, so dass |q|nε < |1 − q| · ε (nach 2.8) n=nε +k ⇒ Also: |sn − 1 | 1−q |q|k+1 nε |q|k+1 |q|n+1 = |q| < ε|1 − q| = |q|k+1 ε < ε. |1 − q| |1 − q| |1 − q| < ε für n > nε . 3) Die Folgen xn = (−1)n (−1, 1, −1, 1, . . .) bzw. yn = n (1, 2, 3, 4, . . .) sind nicht konvergent in (R, |.|). 4) Sei X = R, d = diskrete Metrik, |q| < 1. Dann ist die Folge xn = q n nicht konvergent gegen 0: ∀n ∈ N : d(q n , 0) = 1. Man kann zeigen: (xn ) ist divergent. 2.26 Satz: (Eindeutigkeit des Grenzwertes): Ist lim xn = x, so besitzt (xn ) keinen weiteren n→∞ Grenzwert. 2.27 Satz: (Verdichtungsprinzip). Sei (xn ) konvergent. Dann gilt: ∀ε > 0 ∃nε ∈ N ∀n, m > nε : d(xn , xm ) < ε. (∗) 2.28 Definition: Falls eine Folge das Verdichtungsprinzip (∗) erfüllt, so heißt sie CauchyFolge (Cauchy: 1789 - 1857, Paris, Begründer der modernen Analysis mit Konvergenz und Stetigkeit). Also: Konvergente Folgen sind Cauchy-Folgen. 2.29 Beispiel: xn = n1 . Sei ε > 0 fest |xn − xm | = | 2.12 1 1 1 1 1 ε 1 ε 2 − |≤ + < ε, falls < ∧ < , also n, m > . n m n m n 2 m 2 ε Monotone beschränkte Folgen in R sind Cauchy-Folgen 2.30 Definition: 1) Eine Folge (xn ) in R heißt monoton wachsend, falls gilt: n1 ≤ n2 ⇒ xn1 ≤ xn2 . Sie heißt monoton fallend, falls n1 ≤ n2 ⇒ xn1 ≥ xn2 . Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 31 2) Eine Folge (xn ) in R heißt beschränkt, falls ∃K ∈ R+ ∀n ∈ N : |xn | ≤ K 2.31 Beispiel: (also − K ≤ xn ≤ K). 1) xn = n1 : monoton fallend, beschränkt (|xn | ≤ 1). 2) xn = n: monoton wachsend, nicht beschränkt. 3) xn = (−1)n · n: nicht monoton wachsend, nicht monoton fallend, nicht beschränkt. 4) xn = 5 monoton wachsend und monoton fallend und beschränkt. 2.32 Satz: Jede beschränkte monoton wachsende (oder fallende) Folge in R ist eine CauchyFolge. 2.33 Beispiel: Sei a0 ∈ N0 und für n ∈ N sei dn ∈ {0, 1, . . . , 9}. Setze an := a0 + d1 d2 dn + + . . . + n ∈ Q ⊆ R. 10 100 10 Schreibe zur Abkürzung an = a0 , d1 d2 . . . dn . Behauptung: (an ) ist monoton wachsend und beschränkt. Denn 1) an+1 ≥ an klar. 2) 9 9 9 + + ... + n 10 100 10 9 1 1 + . . . + n−1 ) a0 + (1 + 10 10 10 n−1 k 9 X 1 a0 + 10 k=0 10 1 n ) 9 1 − ( 10 a0 + · 1 10 1 − 10 9 1 · 9 a0 + 10 10 a0 + 1 an ≤ a0 + = = = ≤ = Also: a0 ≤ an ≤ a0 + 1, (an ) ist beschränkt. Eine Folge dieses Typs heißt Dezimalbruch. Konvergiert eine solche Folge? Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 32 2.13 Das letzte Axiom für R (V) In R konvergiert jede Cauchy-Folge. Man sagt: R ist vollständig. Dies ist der einzige Unterschied zwischen R und Q. Also: Jeder Dezimalbruch konvergiert in R. Umgekehrt: Sei x ∈ R+ 0. Setze a0 := [x]: = größte ganze Zahl a0 mit a0 ≤ x (Gaußklammer [.]: R → Z). ⇒ 0 ≤ x − a0 < 1 ⇒ 0 ≤ 10(x − a0 ) < 10. Setze d1 := [10(x − a0 )] ⇒ ( d1 ∈ {0, 1, . . . , 9} Für a1 := a0 + d1 10 gilt 0 ≤ x − a1 ≤ 1 10 ⇒ 0 < 100(x − a1 ) < 10. Setze d2 := [100(x − a1 )] ⇒ ( d2 ∈ {0, 1, . . . , 9} Für a2 := a0 + u.s.w. Dann ist (an ) Dezimalbruch, |x − an | < 1 10n d1 10 + d2 100 gilt 0 ≤ x − a2 < 1 100 ⇒ x = lim an . Dieses Verfahren klappt entspren→∞ − chend auch für x ∈ R . Zusammen: Jeder Dezimalbruch konvergiert gegen eine reelle Zahl, und für jede reelle Zahl x existiert ein Dezimalbruch, der gegen x konvergiert. Das gilt nicht in Q: 1, 41421 . . . (→ √ 2) konvergiert nicht in Q. Meist identifiziert man x mit dem Dezimalbruch: √ 2 = 1, 41421 . . . Mit obigem Verfahren ordnet man jeder reellen Zahl eindeutig einen Dezimalbruch zu. Alle Dezimalbrüche kommen vor bis auf diejenigen, für die gilt: ∃n0 ∈ N ∀n > n0 : dn = 9. Denn: Z.B. an = 3, 199 . . . 9 ⇒ |3, 2 − 3, 19 . . . 9| = 10−n → 0 für n → ∞. Obiges Verfahren liefert aber 3, 200 . . . 2.34 Bemerkung: Entsprechend kann eine g-adische Entwicklung von x ∈ R konstruiert werden: x = (aN aN −1 . . . a0 , a−1 , a−2 . . .)g := ∞ X k=0 j aN −k g N −k mit N ∈ N, aj ∈ {z0 , . . . , zg−1 }, zj g := j · g N −k . 1 Z.B. (0, 1)3 = = (0, 3)10 3 Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 33 2.35 Bemerkung: (R und Q): 1) Q 6= R, denn √ √ 2∈ / Q ( 2 ∈ R später). 2) Q ist abzählbar (Q ⊆ Z × N, Cantorsches Diagonalverfahren). R ist überabzählbar: Annahme R = {xn : n ∈ N}. Konstruiere ein x ∈ R \ {xn : n ∈ N}, also Widerspruch: x := 0, d1 d2 d3 . . . , wobei dk := ( 0, falls xk = ã0 , d˜1 d˜2 . . . und d˜k 6= 0 1, falls xk = ã0 , d˜1 d˜2 . . . und d˜k = 0 ⇒ x ∈ R, aber ∀n ∈ N : x 6= xn 3) Für jedes x ∈ R existiert eine Folge (qn ) in Q mit x = lim qn (z.B. Dezimalbruch). Man n→∞ sagt: Q liegt dicht in R. 2.14 Intervalle Sei a < b. Man setzt [a, b] := {x ∈ R : a ≤ x ≤ b} (abgeschlossenes Intervall) ]a, b[ := {x ∈ R : a < x < b} (offenes Intervall) [a, b[ := {x ∈ R : a ≤ x < b} (rechts halboffenes Intervall) [a, ∞[ := {x ∈ R : a ≤ x} analog: ]a, b]; ] − ∞, b]; ] − ∞, b[; ]a, ∞[; ] − ∞, ∞[= R. Seien (an ), (bn ) Folgen in R, so dass • (an ) monoton wachsend, (bn ) monoton fallend, • ∀n ∈ N : an ≤ bn , • lim (bn − an ) = 0. n→∞ Dann heißt die Folge von Intervallen [an , bn ] ⊆ R eine Intervallschachtelung. ∞ \ Behauptung: Es existiert genau ein x ∈ R mit x ∈ [an , bn ], nämlich x = lim an = lim bn . n=1 Denn: Für n ∈ N gilt a1 ≤ an ≤ bn ≤ b1 ⇒ a := lim an , und b := lim bn existieren (monoton + beschränkt). n→∞ n→∞ ∀n ∈ N : an ≤ a ≤ b ≤ bn ⇒ |b − a| ≤ |bn − an | → 0 ⇒ b = a. Weiter gilt: x := a = b ∈ [an , bn ] ∀n ∈ N. n→∞ n→∞ Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 34 2.15 Schranken 2.36 Definition: Sei M ⊆ R, M 6= ∅. 1) a ∈ R heißt eine obere (untere) Schranke von M , falls ∀x ∈ M : x ≤ a (x ≥ a) 2) a ∈ R heißt maximales (minimales) Element von M oder Maximum (Minimum) von M , falls a ∈ M ∧ ∀x ∈ M : x ≤ a (x ≥ a) 3) a ∈ R heißt Supremum (Infimum) von M , falls a kleinste obere Schranke (größte untere Schranke) ist: ∀x ∈ M : x ≤ a ∧ ((∀x ∈ M : x ≤ b) ⇒ b ≥ a). Analog bei Infimum. Schreibe a = sup M bzw. a = inf M . 2.37 Beispiel: M = {1 − 1 n : n ∈ N} = {0, 12 , 34 , 45 , . . .}. a obere Schranke ⇔ a ≥ 1 sup M = 1, M besitzt kein maximales Element. a untere Schranke ⇔ a ≤ 0 inf M = 0, a = 0 ist Minimum. 2.38 Satz: (Existenz Infimum/Supremum): Jede nach unten (oben) beschränkte Menge ∅= 6 M ⊆ R besitzt ein Infimum (Supremum). 2.16 Die Zahl e Sei an := (1 + n1 )n . Monotonie: an an−1 = = = = Bernoulli ≥ = = (1 + n1 )n 1 n−1 (1 + n−1 ) (n + 1)n (n − 1)n−1 · nn nn−1 n (n + 1) (n − 1)n n · 2n n n−1 n 1 n 1− 2 · n n−1 n n 1− 2 · n n−1 2 (n − n) · n n2 · (n − 1) 1 Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 35 Also: an ≥ an−1 . Beschränktheit: an = n X ≤ n X 1 k! k=0 Binomi n ! k k=0 n X n(n − 1) · · · (n − k + 1) 1 1 = · k n n · n · · · n k! k=0 n n X 1 X k!≥2k−1 1 = 1+1+ ≤ 2+ k−1 k! 2 k=2 k=2 n−2 1X 1 2+ 2 k=0 2k 1 1 2+ · 1 2 2 = ≤ = 2+ 1 1 − ( 12 )n−1 2 1 − 12 = 3 Also: an ≤ 3. an ≥ an−1 ≥ . . . ≥ a1 ist klar. (an ) monoton und beschränkt ⇒ konvergent. Der Grenzwert heißt Eulersche Zahl: e := lim (1 + n→∞ 1 n ) = 2, 7182818 . . . n Man kann zeigen: e ist irrational. Neben π ist e eine der wichtigsten Zahlen in der Mathematik. 2.17 Existenz der Wurzel 2.39 Satz: Sei a ∈ R+ und x0 ∈ R+ . Definiere (xn ) rekursiv durch a 1 xn+1 := (xn + ). (n ∈ N0 ). 2 xn Dann existiert b := lim xn > 0 2 und es gilt b = a, d.h. b =: √ n→∞ a (Babylonisches Wurzelziehen). Analog: Sei k ∈ N, k ≥ 2. Setze 1 a ((k − 1)xn + k−1 ), x0 > 0. k xn √ Dann existiert b := lim xn und es gilt bk = a. Schreibe b =: k a. xn+1 := n→∞ 2.40 Diskussion: 1) Was geschieht hier? Starte mit “beliebiger” 0-ter Näherung x0 > 0 und versuche, diese Näherung zu verbessern. (“Iterationsverfahren”). xn+1 ist besser als xn : Denn xn zu groß ⇔ (x2n >a⇔ a x2n a xn zu klein (und umgekehrt) < 1 ⇔ ( xan )2 < a). Also: xn+1 in der Mitte zwischen xn und a xn wählen. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 36 2) Anderes Bild: Sei f : R+ → R+ : x 7→ 12 (x + xa ). Dann gilt f (x) = x ⇔ x = √ a, und wir haben gezeigt: x0 > 0 ∧ xn+1 = f (xn ) ⇒ lim xn = x = f (x). n→∞ x heißt auch Fixpunkt von f . 3) Solche Iterationsverfahren sind der Grundgedanke großer Teile der Numerik. 4) Definiert man den relativen Fehler dn := √ xn − a , xn dann zeigt eine kurze Rechnung dn+1 ≤ d2n . Insbesondere verdoppelt sich die Zahl der richtigen Dezimalstellen bei jedem Schritt. 2.18 Die komplexen Zahlen 2.41 Motivation: 1) Lösen von Gleichungen: 3 + x = 2 hat keine Lösung in N. 3 · x = 1 hat keine Lösung in Z. x2 = 2 hat keine Lösung in Q. x2 = −1 hat keine Lösung in R. N ∪ {−1} Gruppe Z ∪ { 31 } √ Q ∪ { 2} √ R ∪ { −1} Körper −→ Z. −→ Q vollst. Körper −→ R Körper −→ C 2) Vieles in der Mathematik versteht man leichter in C, z.B. Nullstellen von Polynomen, Lösungen von Differenzialgleichungen, Differenzierbarkeit, Potenzreihen, Matrizen. 2.42 Vorbemerkung: Suche Körper (C, +, ·) mit R ⊆ C und √ −1 =: i ∈ C, also x + iy ∈ C 2 für x, y ∈ R, i = −1. Falls (C, +, ·) Körper, dann (x1 + iy1 ) + (x2 + iy2 ) = x1 + iy1 + x2 + iy2 = x1 + x2 + iy1 + iy2 = (x1 + x2 ) + i(y1 + y2 ) und (x1 + iy1 ) · (x2 + iy2 ) = x1 x2 + iy1 x2 + x1 iy2 + iy1 iy2 = x1 x2 + (i · i)y1 y2 + iy1 x2 + ix1 y2 = (x1 x2 − y1 y2 ) + i(y1 x2 + x1 y2 ) Führt das zu einem Körper? Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 37 2.43 Satz: C := R × R mit den Verknüpfungen (x1 , y1 ) + (x2 , y2 ) : = (x1 + x2 , y1 + y2 ) (x1 , y1 ) · (x2 , y2 ) : = (x1 x2 − y1 y2 , x1 y2 + y1 x2 ) ist ein Körper mit Nullelement 0 = (0, 0) Einselement 1 = (1, 0) −(x, y) = (−x, −y) −y x , 2 ) (x, y)−1 = ( 2 2 x + y x + y2 falls (x, y) 6= (0, 0). (C, +, ·) heißt Körper der komplexen Zahlen. Einbettung von R in C: Die Abbildung f : R → C : x 7→ (x, 0) ist injektiv. Damit kann R mit {(x, 0) : x ∈ R} identifiziert werden. Es gilt (x, 0) + (y, 0) = (x + y, 0) (x, 0) · (y, 0) = (x · y, 0) Das bedeutet: Addition und Multiplikation in C sind Erweiterungen dieser Operatoren in R. Also: Identifiziere x ∈ R mit (x, 0) ∈ C. Sei i := (0, 1). Dann gilt i 2 = (0, 1) · (0, 1) − (0 − 1, 0 + 0) = (−1, 0) = −1 ∈ R. Die komplexe Zahl i heißt imaginäre Einheit. Es ist (x, y) = (x, 0) + (0, y) = x(1, 0) + y(0, 1) = x + iy. Schreibe statt (x, y) auch x + iy. Somit gilt (x1 + iy1 ) + (x2 + iy2 ) = x1 + x2 + i(y1 + y2 ) (x1 + iy1 ) · (x2 + iy2 ) = x1 x2 − y1 y2 + i(x1 y2 + y1 x2 ) x y (x + iy)−1 = 2 −i 2 2 x +y x + y2 2.44 Bemerkung: 1) Zahlen der Form iy mit y ∈ R heißen auch rein imaginäre Zahlen. 2) Jede komplexe Zahl lässt sich auf die Normalform x + iy mit x, y ∈ R bringen. 3) C ist ein Körper, also kann man in C rechnen wie in jedem Körper. Veranschaulichung in der Gauß’schen Zahlenebene. 2.45 Definition: Sei z = x + iy ∈ C mit x, y ∈ R. 1) x heißt Realteil von z : x = Re z. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 38 2) y heißt Imaginärteil von z : y = Im z. 3) z := x − iy heißt die zu z konjugierte Zahl. (x = 3 + 4i : Re z = 3, Im z = 4, z = 3 − 4i). 2.46 Satz: Für z, z1 , z2 ∈ C gilt: ˆ Spiegelung an reeller Achse in der Gauß’schen Zahlenebene 1) z 7→ z = 2) z = z 3) z ∈ R ⇔ z = z 4) Re z = z+z z−z , Im z = 2 2i 5) z1 + z2 = z 1 + z 2 6) z1 · z2 = z 1 · z 2 , 1 1 = z z 7) z = x + iy ⇒ z · z = (x + iy) · (x − iy) = x2 + y 2 ∈ R, ≥ 0 2.47 Beispiele: 1) (3 + 5i) + (1 − 2i) = (4 + 3i). 2) (3 + 5i)(1 − 2i) = 3 + 5i − 6i − 10i 2 = 3 + 10 + 5i − 6i = 13 − i. 3) (3 + 5i)(3 − 5i) = 9 + 15i − 15i − 25i 2 = 9 + 25 = 34. 4) 1 3 − 5i 3 − 5i 3 5 = = = −i . 3 + 5i (3 + 5i)(3 − 5i) 34 34 34 5) 8 − 2i (8 − 2i)(1 + i) 8 − 2i + 8i − 2i 2 10 + 6i = = = = 5 + 3i 1−i (1 − i)(1 + i) 1+1 2 6) i 3 = i · i 2 = −i, i 4 = i 2 · i 2 = (−1)2 = 1. 2.19 C als bewerteter Körper 2.48 Definition: Sei z = x + iy ∈ C. Dann heißt |z| := √ z·z = p x2 + y 2 (siehe Satz 2.46) der Betrag von z. Geometrisch: |z| = Länge von 0 bis z in Gauß’scher Ebene. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 39 Offensichtlich gilt: 1) |z| = |z| 2) |Re z| = |x| ≤ p x2 + y 2 = |z|, |Im z| ≤ |z| 3) z = x ∈ R ⇒ |z|R = |z|C . Also: Der Betrag in C verallgemeinert den Betrag in R. 2.49 Satz: (C, +, ·, |.|) ist ein bewerteter Körper, d.h. es gilt (B1) |z| ≥ 0; |z| = 0 ⇔ z = 0. (B2) |z1 z2 | = |z1 | · |z2 |. (B3) |z1 + z2 | ≤ |z1 | + |z2 | (∆-Ungleichung). Insbesondere: |1| = | − 1| = 1, | z1 |z1 | |= , |z1 − z2 | ≥ ||z1 | − |z2 || (vgl. Folgerungen 2.19). z2 |z2 | N.B. : Wegen i 2 = −1 kann C nicht angeordnet werden (U6), (U3) in 2.14. 2.20 C als metrischer Raum Wie in Kapitel 2.10 definiere d(z1 , z2 ) := |z1 − z2 |. Dann ist d ein Abstand, (C, d) ein metrischer Raum. Konvergenz, Cauchy-Folgen in C sind automatisch definiert, z.B. lim zn = z ⇔ ∀ε > 0 ∃nε ∈ N ∀n > nε : |zn − z| < ε. n→∞ Seien z1 = x1 + iy1 , z2 = x2 + iy2 . Dann gilt |z1 − z2 | ≤ |x1 − x2 | + |y1 − y2 | ≤ √ 2 |z1 − z2 |. Warum ist das wichtig? 2.50 Folgerung: Seien zn = xn + iyn , z = x + iy. Dann gelten 1) lim zn = z ⇔ lim xn = x ∧ lim yn = y. n→∞ n→∞ n→∞ 2) {zn } ist Cauchy-Folge in C ⇔ {xn }, {yn } sind Cauchy-Folge in R. 3) C ist vollständig. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 40 2.51 Beispiele: 1) zn = 1 1 +i (2 − 2 ) → 2i n |{z} | {zn } →0 2) zn = 1 n →2 + in : (Im zn )n∈N ist divergent ⇒ (zn ) ist divergent. 3) zn = (−1)n − i n : (Re zn )n∈N ist divergent ⇒ (zn ) ist divergent. 2.52 Satz: (Rechenregeln für konvergente Folgen): Seien (an ), (bn ) konvergente Folgen in C, und a = lim an , b = lim bn . Dann gelten: n→∞ n→∞ 1) ∃M ∈ R+ ∀n ∈ N : |an | ≤ M . (Eine konvergente Folge ist beschränkt). 2) Sei cn := an + bn . Dann ist (cn ) konvergent lim cn = a + b = lim an + lim bn n→∞ n→∞ n→∞ (endliche Summe und Grenzwert sind vertauschbar). 3) λ ∈ C und cn := λan . Dann ist (cn ) konvergent mit lim cn = λ lim an . n→∞ n→∞ 4) cn := |an |. Dann ist (cn ) konvergent mit lim |an | = | lim an |. n→∞ n→∞ 5) cn := an bn . Dann ist (cn ) konvergent und lim an bn = ( lim an ) · lim bn . n→∞ 6) Sei a 6= 0 und Dann ist (cn ) konvergent mit n→∞ n→∞ bn falls a = 0 n 6 an cn := 0 falls an = 0 lim an lim cn = n→∞ n→∞ lim bn (insbesondere für cn := “ n→∞ 1 ”). an 7) Sind (an ), (bn ) Folgen in R, so gilt weiter a) (∀n ∈ N : an ≤ bn ) ⇒ lim an ≤ lim bn . n→∞ n→∞ b) a = b ∧ (∀n ∈ N : an ≤ cn ≤ bn ) ⇒ (cn ) konvergent ∧ lim cn = a (Sandwich-Satz). n→∞ Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 41 2.53 Satz: (nützliche Kriterien): 1) Ist (cn ) beschränkte Folge und (λn ) Nullfolge (d. h. λn → 0), beide in C, so gilt lim λn cn = 0. n→∞ 2) Ist (an ) Folge in C mit ∃q ∈]0, 1[ ∀n(> n0 ) : |an+1 | ≤ q |an |, so gilt lim an = 0. n→∞ N.B.: |an+1 | < |an | reicht nicht für an → 0: Z. B. an = 1 + n1 . 2.54 Beispiele: 1) an = (1 + i)n : |an | = |1 + i|n = √ n 2 → ∞ ⇒ (an ) ist nicht beschränkt ⇒ (an ) nicht konvergent. n2 (1 + 3in + n42 ) 1 + 3in + n42 n2 + 3ni + 4 1 = = → = −i 2 2 2 in + 2n i n2 + (i + n ) i+n n n Kap. 2.16 X 1 1 ≤ ≤3 3) 1+ n k! n k=0 1 an := 1 + →e n n X 1 bn := ist monoton wachsend und beschränkt, also in R konvergent k! k=0 ⇒ e ≤ lim bn ≤ 3. n→∞ ∞ X 1 Man kann zeigen: := lim bn = e. n→∞ k! k=0 2) an = 4) n cn = 2 + (−1)n 1 + n2 n n 1 ≤2 2 =2+ →2 cn ≤ 2 + 2 1+n n n 1 n =2− →2 cn ≥ 2 − 1 + n2 n ⇒ lim cn = 2 n→∞ 5) an = 1 +i n2 + in3 n3 n = → 0 4 1 4 1 n + i(n − 1) n |{z} + i(1 + ) n3 {z n } i →0 | → i 6) an = n2 + in3 n3 n1 + i = ⇒ (an ) ist divergent. 1 + in2 n2 1 + i |{z} n2{z } →∞ | →i Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 42 2.21 Polarkoordinatendarstellung Sei z = x + iy ∈ C mit |z| = 1, also x2 + y 2 = 1 : z liegt auf Einheitskreis in C = R × R. Dann gilt x = cos ϕ, y = sin ϕ. Also: z = cos ϕ + i sin ϕ. z z |z| Sei 0 6= z ∈ C, dann z = |z| , wobei |z| = |z| = 1 ⇒ z = |z|(cos ϕ + i sin ϕ) für |z| > 0. |z| ϕ heißt Argument von z : ϕ = arg z, die Darstellung z = |z|(cos ϕ + i sin ϕ) heißt Polardarstellung von z. Häufig schreibt man auch z = r(cos ϕ + i sin ϕ). 2.55 Beispiele: 1) z = 1 + i = √ 2 (cos 45◦ + i sin 45◦ ) = √ π π + i sin ) 4 4 2 (cos π π + i sin ) 2 2 √ 3) z = −1 + 2i = 5 (cos ϕ + i sin ϕ) 1 2 mit cos ϕ = − √ , sin ϕ = √ ⇒ ϕ = 116, 565◦ 5 5 p 4) z = x + iy = x2 + y 2 (cos ϕ + i sin ϕ) mit 2) z = i = 1 · (cos x cos ϕ = p x2 + y 2 y , sin ϕ = p x2 + y 2 . 2.56 Multiplikation: z1 = r1 (cos ϕ1 + i sin ϕ1 ), z2 = r2 (cos ϕ2 + i sin ϕ2 ) ⇒ z1 z2 = r1 r2 (cos ϕ1 cos ϕ2 − sin ϕ1 sin ϕ2 + i(cos ϕ1 sin ϕ2 + sin ϕ1 cos ϕ2 )) = r1 r2 (cos(ϕ1 + ϕ2 ) + i sin(ϕ1 + ϕ2 )) wegen der Additionstheoreme cos(ϕ1 + ϕ2 ) = cos ϕ1 cos ϕ2 − sin ϕ1 sin ϕ2 , sin(ϕ1 + ϕ2 ) = cos ϕ1 sin ϕ2 + sin ϕ1 cos ϕ2 . Also: Komplexe Zahlen werden multipliziert, in dem man ihre Beträge multipliziert und die Winkel addiert. 2.57 Bemerkungen: 1) Die Additionstheoreme lassen sich elementargeometrisch bewei- sen. 2) Wir werden sehen: eiϕ = cos ϕ + i sin ϕ. Damit: (cos ϕ1 + i sin ϕ1 )(cos ϕ2 + i sin ϕ2 ) = eiϕ1 eiϕ2 = ei(ϕ1 +ϕ2 ) = cos(ϕ1 + ϕ2 ) + i sin(ϕ1 + ϕ2 ) Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 43 2.22 Veranschaulichung von Funktionen f : C 3 z 7→ f (z) ∈ C kann nicht durch den Graphen (⊆ R4 ) veranschaulicht werden. Stattdessen: • Was wird aus Geraden parallel zur reellen bzw. imaginären Achse? • Was wird aus Kreisen und Ursprungsgeraden? • Betrachte R2 = C 3 z 7→ |f (z)| ∈ R (und z 7→ arg f (z)). Graph in R3 : “Gebirge” über R2 • Später: Betrachte Vektorfeld Die Theorie von Funktionen f : C → C heißt Funktionentheorie. 2.58 Beispiele: 1) f : z 7→ z 2 a) |f (z)| = |z 2 | = |z|2 = x2 + y 2 b) Die Menge {z = a + it : t ∈ R} stellt eine Gerade parallel zur imaginären Achse dar 2 Bild = {z = a − t}2 +i |{z} 2at : t ∈ R} | {z =x =y y y2 t eliminieren: t = (falls a 6= 0) ⇒ x = a2 − t2 = a2 − 2 . 2a 4a Dies sind Parabeln. {z = t + ib : t ∈ R} = Gerade parallel reeller Achse Bild = {t2 − b2 + i2bt : t ∈ R}. Fall b = 0: Positive reelle Halbachse z = t2 . y y2 Fall b 6= 0: t eliminieren, t = ⇒ x = 2 − b2 . 2b 4b Dies sind wieder Parabeln. Jede Parabel kommt zweimal vor: ±b liefert dieselbe Parabel. c) Ursprungshalbgerade = {z = r(cos ϕ + i sin ϕ) : r ≥ 0} (ϕ fest) Bild = {z = r2 (cos 2ϕ + i sin 2ϕ) : r ≥ 0} = Halbgerade mit doppeltem Argument Kreis = {z = r(cos ϕ + sin ϕ) :=≤ ϕ ≤ 2π} (r > 0 fest) Bild = {z = r2 (cos 2ϕ + i sin 2ϕ) :=≤ ϕ ≤ 2π} = Kreis mit Radius r2 , zweimal durchlaufen. Also: Ursprungshalbgerade 7→ Urspungshalbgerade Kreis 7→ Kreis 1 1 : r(cos ϕ + i sin ϕ) 7→ (cos(−ϕ) + i sin(−ϕ)). z r Geometrisch: 2) f : z 7→ r(cos ϕ + i sin ϕ) “Spiegelung” am Einheitskreis 7−→ Spiegelung an reeller Achse 7−→ 1 (cos ϕ + i sin ϕ) r 1 (cos(−ϕ) + i sin(−ϕ)) r Vergleiche Übungsaufgabe: Interpretiert man Geraden als Kreise mit unendlichem Radius, dann bildet z 7→ 1 z Kreise in Kreise ab. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 44 Z.B. Gerade z = 1 + it parallel reeller Achse 7→ Kreis um z0 = 12 mit Radius 12 : 1 1 − it z = 1 + it 7→ = und 1 + it 1 + t2 2 2 2 2 2 1 − it 1 2 2 − 2it − 1 − t2 2 = = (1 − t ) + 4t = (1 + t ) − 1 + t2 2 2(1 + t2 ) 4(1 + t2 )2 4(1 + t2 )2 2 1 (1 + t2 )2 = = 2 2 4(1 + t ) 2 ⇒ Das Bild ist im Kreis {z : |z − 12 | = 12 } enthalten. Was passiert, wenn t von −∞ nach +∞ läuft? 1 1 Re = durchläuft Werte von 0 bis 1, dann wieder bis 0. z 1 + t2 1 −t 1 1 Im = durchläuft Werte von 0 über bis 0, dann über − bis 0. 2 z 1+t 2 2 ⇒ Das Bild ist der ganze Kreis ohne z = 0. 2.23 Die n-te Wurzel 2.59 Vorbemerkung: Berechne (1 + i)n , n ∈ N √ π π 1 + i = 2 cos + i sin 4 4 √ √ π π π π 2 ⇒ (1 + i) = (1 + i) · (1 + i) = 2 · 2 cos( + ) + i sin( + ) 4 4 4 4 √ 3 3π 3π 3 (1 + i) = 2 cos + i sin 4 4 √ n nπ nπ n (1 + i) = 2 cos + i sin 4 {z 4 } | =:zn 1+i z1 = √ 2 z = i 2 −1 + i ⇒ zn = z3 = − √ 2 . . . z8 = 1 n = 8k + 1, k ∈ N0 n = 8k + 2 n = 8k + 3 n = 8k Löse z n = a ∈ C \ {0} für n ∈ N: Sei a = r(cos ϕ + i sin ϕ), z = s(cos ψ + i sin ψ), also r = |a|, s = |z|. 1) sn = |z|n = |z n | = |a| = r ⇒ s = r1/n (reelle n-te Wurzel, > 0) 2) z = r1/n (cos ψ + i sin ψ) ! ⇒ z n = r(cos nψ + i sin nψ) = r(cos ϕ + i sin ϕ) ⇔ cos nψ = cos ϕ ∧ sin nψ = sin ϕ ⇔ nψ = ϕ + 2kπ, k ∈ Z ⇒ zk = r1/n (cos ϕ+2kπ + i sin ϕ+2kπ ), k ∈ Z sind alle Lösungen. n n Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 45 diese Formel liefert nur für k = 0, 1, . . . , n − 1 verschiedene Lösungen: zn = z0 , zn+1 = z1 , z−1 = zn−1 , . . . 2.60 Satz: Die Gleichung z n = r(cos ϕ + i sin ϕ) (r 6= 0) hat genau n verschiedene Lösungen ϕ + 2kπ ϕ + 2kπ 1/n zk = r cos + i sin , n n k = 0, 1, . . . , n − 1. D.h. die Gleichung z n = a hat für a 6= 0 genau n verschiedene Lösungen. 2.61 Beispiel: z 3 = −8 = 8 · (cos π + i sin π) π + 2kπ π + 2kπ ⇒ zk = 2(cos + i sin ), k = 0, 1, 2. 3 3 π π z0 = 2(cos + i sin ) = +i 3 3 z1 = 2(cos π + i sin π) = −2 5π 5π z2 = 2(cos + i sin ) = −i 3 3 Die Lösungen liegen auf den Ecken eines gleichseitigen Dreiecks. Tabelle wichtiger Werte: π π π π 30◦ = ˆ 45◦ = ˆ 60◦ = ˆ 90◦ = ˆ √ 6 √ 4 √ 3 √ 2 0 1 1 2 3 4 sin ϕ =0 = =1 2 √2 √2 √2 √2 √2 4 3 2 1 1 0 cos ϕ =1 = =0 2 2 2 2 2 2 ϕ 2.24 0 √ Explizit lösbare Gleichungen z 2 = a = r(cos ϕ + i sin ϕ) hat zwei Lösungen: ϕ ϕ z0 = r cos + i sin 2ϕ 2 ϕ z1 = r cos( + π) + i sin( + π) = −z0 2 2 2 Lösung der allgemeinen quadratischen Gleichung az + bz + c = 0 (a 6= 0) : b c ⇔ z2 + z = − a a b 2 b2 c 1 ⇔ (z + ) = 2 − = 2 (b2 − 4ac) 2a 4a a 4a b 1 ⇔ z+ = ± u, wobei u2 = b2 − 4ac 2a 2a b 1 ⇔ z+ = ± u, wobei u2 = b2 − 4ac 2a 2a b 1 −b ± u ⇔ z=− ± u= 2a 2a 2a √ 2 −b ± b − 4ac ⇔ z1/2 = . 2a Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 46 Fall 1: a, b, c ∈ R, b2 − 4ac ≥ 0 : z1 , z2 ∈ R Fall 2: a, b, c ∈ R, b2 − 4ac < 0 : √ √ ± b2 − 4ac := ±i 4ac − b2 ⇒ z1 , z2 sind konjugiert komplex: z2 = z 1 √ Fall 3: a, b, c ∈ C : ± b2 − 4ac : = die beiden Lösungen von u2 = b2 − 4ac. Gibt es Lösungsformeln für 0 = a0 + a1 z + . . . + an z n (a0 , . . . , an ∈ R)? n = 3: Ja (G. Cardano 1501 - 1576) n = 4: Ja (Cardano und Schüler) n = 5: Nein (H. Abel ∼ 1825, E. Galois ∼ 1830) 2.25 Polynome 2.62 Definition: 1) Ein Polynom ist eine Funktion P : C → C : z 7→ n X ak z k = a0 + a1 z + . . . + an z n k=0 mit den Koeffizienten ak ∈ C. Falls a0 , a1 , . . . , an ∈ R, heißt das Polynom reell (dann betrachtet man auch P : R → R). Ist an 6= 0, so heißt n der Grad des Polynoms: n = Grad P . Für das Nullpolynom: Grad 0 := −1. 2) Eine rationale Funktion ist ein Quotient P Q von Polynomen mit geeignetem Definiti- onsbereich. 3) Die Menge der komplexen/reellen Polynome: C[x], R[x]. Allgemein: Ist K ein Körper: K[x]: = Menge aller Polynome mit Koeffizienten ak ∈ K und der Variablen x ∈ K. Ist K endlich, so gibt es nur endlich viele verschiedene Abbildungen f : K → K. Da man unendlich viele verschiedene Polynome braucht, definiert man P = (a0 , a1 , . . . , an , 0, 0, . . .) (= abbrechende Folge). Berechnung: P (z) = (. . . (ak z +ak−1 )z +. . .+a1 )z +a0 . Hierfür werden nur n Multiplikationen benötigt (statt 2n oder (n+1)(n+2) ) 2 (Hornerschema). 2.63 Beispiel: P (z) = 4z 3 − 3z 2 + 2z − 1 = ((4z − 3)z + 2)z − 1. ak 4 −3 z=2 2 −1 8 10 24 4 5 12 23 = P (2) Klar ist: Sind P1 , P2 6= 0 Polynome, dann ist P1 · P2 Polynom mit Grad (P1 · P2 ) = (Grad P1 ) · Grad P2 . Philosophie: Rechnen mit Polynomen analog Rechnen mit ganzen Zahlen. Rechnen mit rationalen Funktionen analog Rechnen mit rationalen Zahlen. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 47 2.64 Satz: (Division mit Rest): Seien P, Q Polynome, Grad Q ≥ 1. Dann gibt es eindeutig bestimmte Polynome P1 und R, so dass P = Q · P1 + R ∧ Grad R < Grad Q. 2.65 Bemerkungen: 1) Dies geht in K[x] für beliebige Körper K (hilft bei Konstruktion endlicher Körper mit pn Elementen [p Primzahl , n ∈ N]). 2) Man kann jetzt “Zahlentheorie für Polynome” machen: “teilerfremd”, “größter gemeinsamer Teiler”, “Primpolynom”. 2.26 Nullstellen 2.66 Satz: Sei P Polynom, Grad P ≥ 1, λ ∈ C. Dann gilt: P (λ) = 0 ⇔ (z − λ) ist Teiler von P, d.h. P (z) = (z − λ)P1 (z). Es kann sein, dass λ auch Nullstelle von P1 ist. Dann ist (z − λ)2 Teiler von P . 2.67 Definition: λ ∈ C heißt k-fache Nullstelle von P (oder Nullstelle mit Vielfachheit k), falls (z − λ)k , aber nicht (z − λ)k+1 Teiler von P ist. D. h. P (z) = (z − λ)k P1 (z) mit P1 (λ) 6= 0. 2.68 Folgerung: Ein Polynom vom Grad n ≥ 1 hat höchstens n Nullstellen. 2.69 Folgerung: (Identitätssatz): Sind P = n X k ak z , Q= k=0 n X bk z k k=0 Polynome vom Grad ≤ n, die an mindestens n + 1 verschiedenen Stellen übereinstimmen, so gilt P = Q, d. h. ak = bk für k = 0, 1, . . . , n. Fundamentalsatz der Algebra (C. F. Gauß 1799): Sei P ∈ C[x] Polynom vom Grad n ≥ 1. Dann gilt 1) P hat in C mindestens eine Nullstelle, d. h. die Gleichung an z n + an−1 z n−1 + . . . + a0 = 0 hat mindestens eine Lösung z ∈ C. 2) Es gibt komplexe Zahlen λ1 , . . . , λn (nicht notwendig verschieden), so dass P (z) = an (z − λ1 ) · · · (z − λn ). Die λi sind bis auf Nummerierung eindeutig. Zählt man jede Nullstelle mit ihrer Vielfachheit, so hat P genau Grad P Nullstellen. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 48 2.27 Das Hornerschema Sei p(z) = an z n + an−1 z n−1 + . . . + a0 , z0 ∈ C gegeben. Hornerschema: ak an an−1 z = z0 z0 an an−2 . . . a0 z0 bn−1 . . . z0 b1 an an−1 + z0 an an−2 + z0 bn−1 . . . a0 + z0 b1 =: bn−1 =: bn−2 =: b0 = P (z0 ) Behauptung: In der letzten Zeile kann das Ergebnis von p(z) : (z − z0 ) (Division mit Rest) abgelesen werden: Polynomdivision: (an z n + an−1 z n−1 + an−2 z n−2 + . . . + a0 ) : (z − z0 ) = an z n−1 + bn−1 z n−2 + . . . + b1 z 0 + b0 . z − z0 2.70 Beispiel: p(z) = z 4 − 5z 2 − 2z, z0 = −2 ak 1 z = −2 ⇒ p(z0 ) = 0, 2.28 0 −5 −2 0 −2 4 2 0 1 −2 −1 0 0 p(z) : (z + 2) = z 3 − 2z 2 − z. Reelle Polynome P reelles Polynom ⇔ P (z) = n X ak z k mit a0 , . . . , an ∈ R. k=0 Der Fundamentalsatz gilt, aber die Nullstelle λ kann komplex sein. Dann ist z − λ kein reelles Polynom. Wie kann man reelle Polynome reell faktorisieren? 2.71 Satz: Ist P reelles Polynom und λ ∈ C Nullstelle, dann ist auch λ Nullstelle (Ü). Also: Eine Nullstelle ist entweder reell oder ist λ ∈ C \ R Nullstelle, dann auch λ. Im letzten Fall gilt P (z) = (z − λ)(z − λ)P1 (z) mit (z − λ)(z − λ) = z 2 − λz − λz + |λ|2 = z 2 − (2Re λ)z + |λ|2 . Damit muss P1 auch reelles Polynom sein. Aus dem Fundamentalsatz folgt nun: Ein reelles Polynom ist Produkt von linearen und quadratischen reellen Polynomen. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 49 2.72 Beispiele: 1) P (z) = z 3 + 8: z 3 = −8 = 8(cos π + i sin π) ⇒ zj = 2 cos π+2kπ + i sin π+2kπ 3 3 √ π π z0 = 2 cos + i sin =1+i 3 3 3 z1 = 2 (cos π + i sin π) = −2 √ z2 = z 1 = 1 − i 3 ⇒ P (z) = (z + 2)(z 2 − 2z + 4). 2) P (z) = z 4 + 4z 3 + 2z 2 + 4z + 1 hat Nullstelle z = i ⇒ weitere Nullstelle z = −i (z − i)(z + i) = z 2 + 1 (z 4 + 4z 3 + 2z 2 + 4z + 1) : (z 2 +√1) = z 2 + 4z + 1 √ −4 ± 16 − 4 z 2 + 4z + 1 = 0 ⇔ z1/2 = = −2 ± 3 2 √ √ ⇒ P (z) = (z 2 + 1) · (z − (−2 + 3))(z − (−2 − 3)) 2.29 Rationale Nullstellen Sei P (z) = n X ak z k mit ak ∈ Q. Also O.B.d.A. ak ∈ Z. k=0 a Nullstelle von P , wobei a, b ∈ Z teilerfremd sind, dann ist a Teiler von b a0 und b Teiler von an . 2.73 Satz: Ist x = 2.74 Beispiele: 1) P (x) = 1 · x3 − 2x2 − 6x + 4. Wegen an = a3 = 1 sind alle rationalen Nullstellen ganze Zahlen. Wegen a0 = 4 kommen nur x = ±1, ±2, ±4 in Frage. Probieren: P (−2) = 0. 2) P (x) = 12x4 − 4x3 + 6x2 + x − 1. Teiler von an = a4 = 12 : 1, 2, 3, 4, 6, 12. Teiler von a0 = −1 : 1 ⇒ Mögliche rationale Nullstellen 1 1 1 1 1 ±1, ± , ± , ± , ± , ± . 2 3 4 6 12 1 Probieren: P ( ) = 0. 3 2.30 Polynom-Interpolation 2.75 Satz: Zu verschiedenen Punkten z0 , . . . , zn ∈ C und vorgegebenen Funktionswerten w0 , . . . , wn ∈ C existiert genau ein Polynom P n-ten Grades, so dass P (zi ) = wi (i = 1, . . . , n). Die Punkte (zi , wi ) ∈ C2 heißen Stützstellen, P heißt Interpolationspolynom. Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 50 Eindeutigkeit: Sind P, P̃ Polynome vom Grad n mit P (zi ) = wi = P̃ (zi ), so ist P − P̃ Polynom vom Grad ≤ n mit n + 1 Nullstellen ⇒ P̃ − P = 0. Existenz: Ü 59 oder Ansatz von Newton: P (z) = a0 + a1 (z − z0 ) + a2 (z − z0 )(z − z1 ) + . . . + an (z − z0 ) · · · (z − zn−1 ). ⇒ a0 = w0 . Für z = z0 : w0 = a0 Für z = z1 : w1 = a0 + a1 (z1 − z0 ) ⇒ a1 = . . . .. . 2.76 Bemerkungen: 1) Oft ist Interpolation mit Polynomen nicht gut (Überschwingen). Besser: Polynom-Splines. 2) Wenn schon, dann mit Computer. 2.31 Partialbruchzerlegung Ziel: Darstellung einer rationalen Funktion als Summe “einfacher” Brüche. 2.77 Satz: Seien P, Q teilerfremde Polynome mit Grad P < Grad Q, und λ sei n-fache Nullstelle von Q: Q(z) = (z − λ)n Q1 (z) mit Q1 (λ) 6= 0. Dann gibt es ein a ∈ C und ein Polynom P1 , so dass P (z) P (z) a P1 (z) = = + ; Q(z) (z − λ)n Q1 (z) (z − λ)n (z − λ)n−1 Q1 (z) (∗) a und R sind eindeutig und es gilt Grad R < (Grad Q) −1. Wiederholte Anwendung (vollständige Induktion) liefert: 2.78 Folgerung: (komplexe Partialbruchzerlegung): Seien P, Q teilerfremd mit Grad P < Grad Q, Q = an (z − λ1 )n1 · · · (z − λk )nk , λ1 , . . . , λk paarweise verschieden. Dann existieren eindeutig bestimmte Zahlen aj,i ∈ C, so dass k P (z) X = Q(z) i=1 2.79 Bemerkungen: a1,i a2,i ani ,i + + . . . + λ − λi (λ − λi )2 (λ − λi )ni 1) Falls Grad P ≥ Grad Q: Erst abdividieren: P R1 = P1 + , Q Q dann 2.78 auf R1 anwenden. Q . Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 51 2) Wichtig für komplexe Integration (Funktionentheorie). 3) Für reelle Integration: Reelle Partialbruchzerlegung: Sind P, Q reelle Polynome, dann P kann als Summe von Termen der Form Q a , (x − λ)i (x2 bx + c . + βx + γ)i dargestellt werden, wobei im Nenner die Potenzen der reellen Primfaktorzerlegung von Q stehen. 4) Berechnung durch a) Zuhaltemethode, b) Koeffizientenvergleich, c) Einsetzen verschiedener z-Werte führt auf lineares Gleichungssystem. 2.80 Beispiele: 1) Zuhaltemethode: 4x2 + 9x − 4 a b c = + + 2 (x − 1)(x + 2) x − 1 x + 2 (x + 2)2 9 4x2 + 9x − 4 x=1 = a + (x − 1) · (. . .) ⇒ a = =1 (x + 2)2 9 4x2 + 9x − 4 −6 x=−2 (∗) · (x + 2)2 : = c + (x + 2) · (. . .) ⇒ c = =2 x−1 −3 (∗) · (x − 1) : b kann nicht durch die Zuhaltemethode bestimmt werden. 1 b 2 −4 = + + ⇒ b = 3. x = 0 in (∗) : −4 −1 2 4 b 4x2 + 9x − 4 1 2 3 = − − = ... = . Oder Hauptnenner: 2 2 x+2 (x − 1)(x + 2) x − 1 (x + 2) x+2 4x2 + 9x − 4 1 3 2 Also Partialbruchzerlegung: = + + . 2 (x − 1)(x + 2) x − 1 x + 2 (x + 2)2 2) P (x) x4 + x3 + x = Q(x) x3 + 1 1 . +1 b) Reelle Zerlegung von x3 + 1 : x3 + 1 = (x + 1)(x2 − x + 1). 1 c) Partialbruchzerlegung von 3 : x +1 1 a bx + c = + 2 . 2 (x + 1)(x − x + 1) x + 1 x − x + 1 1 1 = . Zuhalten: a = 2 x − x + 1 x=−1 3 a) Division mit Rest: (x4 + x3 + x) : (x3 + 1) = x + 1 − x3 (∗). Mathematik I für inf/swt, Wintersemester 2001/02, Seite 52 Hauptnenner: x2 bx + c 1 1 = − 2 −x+1 (x + 1)(x − x + 1) 3(x + 1) 3 − (x2 − x + 1) = 3(x + 1)(x2 − x + 1) −x2 + x + 2 = 3(x + 1)(x2 − x + 1) (x + 1)(−x + 2) = 3(x + 1)(x2 − x + 1) − 13 x + 23 = 2 x −x+1 1 2 Koeffizientenvergleich ⇒ b = − , c = . 3 3 1 1 c 2 = + ⇒c= 1 3 1 3 b + 23 1 1 1 x=1: = + ⇒b=− . 2 3·2 1 3 Also reelle Partialbruchzerlegung: Oder statt Hauptnenner: x = 0 : 1 − 13 x + 23 x4 + x3 + x 3 . =x+1− − x3 + 1 x + 1 x2 − x + 1