3 Konvergenz, Folgen und Reihen Für die Einführung der reellen Zahlen waren Cauchy-Folgen von rationalen Zahlen von großer Bedeutung. Ganz Allgemein lassen sich Folgen von Elementen in einer beliebigen Menge A betrachten. Definition 3.1 (Folgen) Unter einer Folge (an )n2N = (a0 , a1 , a2 , ...) in einer Menge A versteht man eine Abbildung N ! A. Jeder natürlichen Zahl n 2 N wird dabei ein Folgenlied an 2 A zugeordnet. Beispiele 3.2 (a) Mit der Vorschrift an = n (n 2 N) erhält man die Folge (an )n2N = (0, 1, 2, 3, ...) und es gilt an 2 N (n 2 N). 1 (b) Für an = n+1 (n 2 N) erhält man die Folge (an )n2N = (1, 12 , 13 , ...) und es gilt an 2 Q (n 2 N). (c) Es sei eine Population gegeben, die in jedem Jahr um einen festen Faktor wächst (z.B. um 10%). Ausgehend von einer Anfangspopulation a0 2 R ist somit die Größe nach 1 Jahr a0 · q (q = 1, 1 für 10%), nach Jahr 2 beträgt sie a0 · q · q, usw. . . Dies definiert die sogenannte geometrische Folge an = a0 · q n (n 2 N). (d) Ein Guthaben G0 sei jährlich um einen Zinssatz p verzinst, d.h. nach einem Jahr erhält man das Geld G1 = G0 ·(1+p) zurück (z.B. p = 0, 05 bei 5% Zinsen). Addiert man die Zinsen bereits nach einem halben Jahr (mit halbem Zinssatz) und verzinst diese am Ende des Jahres mit, so erhält man G2 = G0 · (1 + p2 )2 . Teilt man das Jahr in drei Teile, so ergibt sich eine Verzinsung von G3 = G0 · (1 + p3 )3 . Allgemein strebt die Folge an = (1 + np )n gegen den Faktor für kontinuerliche Verzinsung (d.h. beliebig kleine Verzinsungsintervalle). 3.1 Konvergenz Von der Konvergenz einer Folge gegen einen Grenzwert (Limes) spricht man, wenn die Folgenglieder diesem Grenzwert ab einem Folgenglied beliebig nahe kommen. Dazu benötigt man eine Möglichkeit den Abstand zwischen dem Grenzwert und den Folgengliedern messen zu können. Für die Körper Q, R und C kann man den Betrag definieren und der Abstand zwischen zwei Elemente dieser Körper z, z 0 lässt sich über die Abstandsfunktion |z z 0 | ermitteln. Daher macht die Definition der Konvergenz für alle dieser 47 3 Konvergenz, Folgen und Reihen Körper K = Q, R, C Sinn. Im Folgenden wird der wichtige Spezialfall des Körpers K = R betrachtet. Fast alle dieser Aussagen lassen sich jedoch direkt auf die anderen Körper übertragen, z.B. indem man R durch C ersetzt. Man sagt, dass eine Eigenschaft für fast alle Elemente einer Folge gilt, sofern die Eigenschaft auf alle bis auf höchstens endlich viele Elemente zutrifft. In diesem Sinne konvergiert eine Folge gegen einen Grenzwert, falls fast alle Folgenglieder beliebig nahe an dem Grenzwert liegen, oder formal: Definition 3.3 (Konvergenz) Eine Folge (an )n2N in R heißt konvergent gegen den Grenzwert (Limes) a 2 R, falls zu jeder (beliebig kleinen) reellen Zahl ✏ > 0 ein n✏ 2 N existiert, so dass gilt: |an a| < ✏ für alle n n✏ . Es ist zu beachten, dass die Zahl n✏ vom jeweils gewählten ✏ abhängt. Entscheidend ist dabei nicht der genaue Wert von n✏ , sondern lediglich die Existenz eines Wertes, ab dem die obige Bedingung bei vorgegebenem ✏ gilt. Konvergiert (an )n2N gegen a so schreibt man lim an = a n!1 oder an ! a (n ! 1). Konvergiert eine Folge für n ! 1 nicht gegen einen Grenzwert so nennt man die Folge divergent. Beispiele 3.4 (a) Für jedes a 2 R konvergiert die konstante Folge an = a (n 2 N) gegen den Grenzwert limn!1 an = a. 1 (b) Die Folge an = n+1 (n 2 N) konvergiert gegen Null, denn: Zu jedem ✏ > 0 gibt es 1 ein N 2 N mit N > 1✏ . Somit gilt für alle n N : |an 0| = n+1 < n1 < N1 < ✏. (c) Die Folge an = ( 1)n (n 2 N) divergiert, denn der Abstand zwischen zwei Folgengliedern ist |an an+1 | = 2. Somit kann der Abstand zwischen zu einem Grenzwert nicht beliebig klein werden. Eigenschaften konvergenter Folgen Definition 3.5 (Beschränkte Folgen) Eine Folge (an )n2N reeller Zahlen heißt (i) beschränkt, falls alle |an | M (n 2 N) für ein M 2 R, (ii) von oben beschränkt, falls alle an M (n 2 N) für ein M 2 R, (iii) von unten beschränkt, falls alle an 48 M (n 2 N) für ein M 2 R. 3.1 Konvergenz Zudem sei an die Cauchy-Folge erinnert. Diese dient dazu Konvergenz zu definieren, ohne dass man den Grenzwert explizit kennen muss. Definition 3.6 (Cauchy-Folge) Eine Folge (an )n2N heißt Cauchy-Folge, falls zu jedem ✏ > 0 ein n✏ 2 N existiert, so dass |an am | < ✏ für alle n, m n✏ . Für konvergente Folgen besitzen die folgenden Eigenschaften. Satz 3.7 (i) Der Grenzwert einer konvergenten Folge ist eindeutig. (ii) Der Grenzwert einer konvergenten Folge bleibt gleich, wenn man endlich viele Folgenglieder ändert. (iii) Eine konvergente Folge ist beschränkt. (iv) Jede konvergente Folge ist eine Cauchy-Folge. Beweis. (i) Sei (an )n2N eine konvergente Folge mit den Grenzwerten a und b. Dann gilt jedoch |a b| = |a an | + |an b| ! 0(n ! 1) und die Grenzwerte müssen gleich sein. (ii) Für die konvergente Folge seqan gibt es zu jedem ✏ ein n✏ mit |an a| < ✏, n n✏ . Die Folge wird nun an endlich vielen Stellen abgeändert. Das letzte geänderte Folgenglied sei ar , r 2 N. Dann wählt man für die Abschätzung |an a| < ✏ die Schranke n = max(n✏ , r) und erhält erneut konvergenz gegen denselben Grenzwert. (iii) Mit ✏ = 1 gilt für n n1 2 N: |an | |an Folgenglieder an , n < n1 existieren gilt: a| + |a| 1 + |an |. Da nur endlich viele |an | < max(|a0 |, |a1 |, ..., |an1 1 |, 1 + |a|) für alle n 2 N. (iv) Sei (an )n2N eine konvergente Folge mit Grenzwert a 2 R. Dann existiert zu jedem ✏ > 0 ein n✏ 2 N mit |an a| < 2✏ für alle n n✏ . Insbesondere gilt für n, m 2 N, n, m N : ✏ ✏ |an am | = |an a + a am | |an a| + |am a| < + < ✏. 2 2 ⇤ Bemerkung 3.8 Umgekehrt müssen beschränkte Folgen nicht notwendigerweise konvergieren. Ein Beispiel ist die Folge (( 1)n )n2N . Bemerkung 3.9 Für Folgen im vollständigen Körper R gilt die Umkehrung: Jede Cauchy-Folge in R konvergiert (mit Grenzwert a 2 R). Denn gemäß Konstruktion ist R so gewählt, dass jede Cauchy-Folge in R einen Grenzwert hat. 49 3 Konvergenz, Folgen und Reihen 3.2 Bestimmung von Konvergenz und Grenzwerten Manchmal möchte man zeigen, dass einen Folge konvergent ist, ohne dass man den Grenzwert explizit kennt. Zum einen kann man zeigen, dass es sich um eine CauchyFolge handelt. Für spezielle Typen von Folgen gibt es einen direkteren Schluss. Monotone Folgen Definition 3.10 (Monotone Folgen) Eine Folge (an )n2N heißt monoton wachsend, streng monoton wachsend, monoton f allend, streng monoton f allend, falls falls falls falls an an+1 an < an+1 an an+1 an > an+1 für für für für alle alle alle alle n 2 N, n 2 N, n 2 N, n 2 N. Satz 3.11 Eine monoton wachsende und von oben beschränkt Folge in R ist konvergent. Eine monoton fallende und von unten beschränkt Folge in R ist konvergent. Beweis. (Skizze) Da (an )n2N von oben beschränkt ist, existiert aufgrund der Vollständigkeit von R eine kleinste obere Schranke (das sogenannte Supremum) a := sup an := min{M 2 R | an M für alle n 2 N}. n2N Das Supremum a 2 R ist der gesuchte Grenzwert, denn die Folgenglieder werden immer größer, dürfen aber diese Schranke nicht überschreiten. Für monoton fallende Folgen schließt man analog mit der größten oberen Schranke (das sogenannte Infimum) a := inf an := max{M 2 R | an n2N M für alle n 2 N}. ⇤ Beispiel 3.12 Für a 2 R, a 0 konvergiert die rekursiv definierte Folge ✓ ◆ 1 a xn+1 := xn + , 2 xn mit jedem Startwert x0 > 0. Dies sieht man wie folgt. Mit x0 > 0 sind auch alle Folgenglieder xn > 0, n 2 N. Es gilt sogar ✓ ◆2 1 a 2 xn+1 a = xn + a 4 xn ! ✓ ◆2 ✓ ◆2 a a 1 1 2 = xn + 2a + 4a = xn 4 xn 4 xn 50 0 3.2 Bestimmung von Konvergenz und Grenzwerten und daher x2n a für n 1 (d.h. die Folge ist nach unten beschränkt). Zudem findet man xn 1 2 xn+1 = xn ✓ 1 = xn 2 und daher xn+1 xn für n ✓ ◆ a xn + x ◆ n a 1 = x2 xn 2xn n a 0 1 (d.h. die Folge ist monoton fallend). Die monoton fallende, nach unten beschränkte Folge ist damit konvergent. Da die Folge konvergent ist, besitzt sie in R den Grenzwert x. Für xn , xn+1 ! x muss für diesen gelten: 1⇣ a⌘ x= x+ bzw. x2 = a. 2 x Grenzwerte und Anordnung Eine Eigenschaft von Grenzwerten ist, dass sie die Anordnung nicht ändern. Satz 3.13 Sei (an )n2N und (bn )n2N konvergente Folgen in R mit für alle n 2 N, an b n , dann gilt für die Grenzwerte ebenfalls lim an lim bn . n!1 n!1 Beweis. (Skizze) Widerspruchsbeweis mit der Annahme lim an > lim bn . n!1 n!1 ⇤ Damit lässt sich der Grenzwerte einer Folge bestimmen, indem man eine untere und einer obere Folge findet, die denselben Grenzwert besitzt. Denn aus an b n c n , für alle n 2 N folgt aus obigem Satz lim an lim bn lim cn n!1 n!1 n!1 und gilt limn!1 an = b = limn!1 cn , so folgt b lim bn b. n!1 Dies lässt sich nutzen, um einen Grenzwert ausgehend von bekannten Grenzwerten zu zeigen. 51 3 Konvergenz, Folgen und Reihen Beispiele 3.14 (i) Sei bn = n12 , (n 2 N+ ). Als Einschachtelung wird nun die Nullfolge an = 0, (n 2 N+ ) und die Folge cn = n1 , (n 2 N+ ) verwendet. Wegen n12 < n1 , n 1, gilt an ! 0 (n ! 1) und cn ! 0 (n ! 1). Damit folgert man bn ! 0 (n ! 1). Analog zeigt man lim n!1 (ii) Die Folge an := Denn für n 10n n! 1 = 0, nk für alle Potenzen k 2 N+ . (n 2 N) konvergiert gegen 0. 11 gilt: 10n 10 10n 1 10 10n 1 n! n (n 1)! n 1 · 2 · . . . (n 2) · (n 1) 10 1 10 = 1 9 10 11 n 1 n 10 · . . . · 10 · 10 · 10 · . . . · 10 n 1 1 10 10 !0 (n ! 1) Rechenregeln für Grenzwerte Satz 3.15 Seien (an )n2N und (bn )n2N konvergente Folgen mit Grenzwerten lim an = a n!1 und lim bn = b. n!1 Dann sind auch die Summenfolge (an + bn )n2N und Produktfolge (an · bn )n2N konvergent und für die Grenzwerte gilt (i) lim {an + bn } = a + b, n!1 (ii) lim {an · bn } = a · b, n!1 Ist zudem b 6= 0, bn 6= 0 (n 2 N), so ist die Quotientenfolge ( abnn )n2N konvergent mit (iii) lim { abnn } = ab . n!1 Beweis. Exemplarisch wird (ii) gezeigt. Da beide Folgen konvergent sind, gibt es n✏ mit |an a| < ✏ und |bn b| < ✏, für n sowie einen Konstante M (konvergente Folgen sind beschränkt) mit |an | M 52 und |bn | M für n 2 N. n✏ , 3.3 Häufungspunkte und Teilfolgen Durch das Einschieben des Terms |an · bn an · b + an · b = 0 folgert man: a · b| = |an · bn an · b + an · b a · b| = |an · (bn b) + (an a) · b| |an | · |(bn b)| + |(an a)| · |b| M ✏ + M ✏ = 2M ✏. Beispiele 3.16 (i) Für die Multiplikation mit der konstanten Folge (c)n2N gilt lim {c · an } = c · a und n!1 Allgemein für beliebige c, d 2 R: lim {c · an + d · bn } = c · lim an + d · lim bn = c · a + d · b. n!1 n!1 n!1 (ii) ⇢ n lim = lim 1 n!1 n + 1 n!1 1 n+1 = lim 1 n!1 1 =1 n!1 n + 1 lim 0=1 (iii) lim n!1 ⇢ 5n + 1 3n 10 = lim n!1 ⇢ 5 + n1 3 10 n = lim {5 + n1 } n!1 lim {3 n!1 10 } n = 5+0 5 = 3 0 3 (iv) np p lim n( n + 1 n!1 ⇢ ⇢ p p o p n+1 n n n) = lim np = lim p p p n!1 n!1 n+1+ n n+1+ n 8 9 < = 1 1 1 q = lim = = n!1 : ; 1+1 2 1+ 1 +1 n Bemerkung 3.17 Für das Rechnen mit den Grenzwerte ist es essentiell, dass die Folgen konvergent sind. Für nicht-konvergente Folgen (z.B. limn!1 n = 1) lässt sich durch obige Rechenregeln keine Aussage treffen. So lässt sich „ 1 “ nicht ermitteln, denn limn!1 nn2 = 0, limn!1 nn = 1 2 1 und limn!1 nn = 1. Vor der Verwendung obiger Rechenregeln muss zunächst die Konvergenz der Folgen an und bn gezeigt werden. 3.3 Häufungspunkte und Teilfolgen Definition 3.18 (Häufungspunkt) Ein Punkt a 2 R heißt Häufungspunkt einer Folge (an )n2N , falls zu jedem ✏ > 0 immer 53 3 Konvergenz, Folgen und Reihen unendlich viele Folgenglieder an mit einem Abstand von höchstens ✏ zu a gibt, d.h. für jedes N 2 N gibt es ein an , n N mit |an a| < ✏. Beispiel 3.19 Die reelle Folge an = ( 1)n hat zwei Häufungspunkte a = 1 und a = 1. Beispiel 3.20 Jede konvergente Folge hat genau einen Häufungspunkt, nämlich den Grenzwert der Folge. Besitzt eine Folge mehr als einen Häufungspunkt, dann kann man sich auch die Folgenglieder beschränken, die in der Nähe eines Häufungspunktes liegen. Man wählt also die Folgenglieder entsprechend aus. Dies nennen man das bilden einer Teilfolge. Definition 3.21 (Teilfolge) Sei (an )n2N eine Folge. Eine Folge (bm )m2N heißt Teilfolge von (an )n2N , falls es eine streng monotone Folge von Indizes n1 < n2 < n3 < . . . gibt, so dass bm = anm für alle m 2 N. Zu einer Folge mit mehr als einem Häufungspunkt kann man somit eine Teilfolge auswählen, die dann gegen den Häufungspunkt konvergiert. Definition 3.22 (Limes superior/inferior) Zu einer Folge reeller Zahlen (an )n2N mit mindestens einem Häufungspunkt. Den größten Häufungspunkt bezeichnet man als Limes superior lim sup an . Den kleinsten Häufungspunkt bezeichnet man als Limes inferior lim inf an . n!1 n!1 Für beschränkte Folgen in R gilt folgender Satz, der hier ohne Beweis angegeben wird. Satz 3.23 (Bolzano-Weierstraß) Jede beschränkte Folge reeller Zahlen besitzt einen größten und einen kleinsten Häufungswert. Jede beschränkte Folge reeller Zahlen besitzt daher eine konvergente Teilfolge. 3.4 Reihen Zu jeder Folge (an )n2N lässen sich endlich viele der Folgenglieder aufsummieren. Eine solche Teilsumme nennt man die Partialsumme sn := n X ak . k=0 So entsteht eine neue Folge (sn )n2N , deren Konvergenz man untersuchen kann. 54