INFORMATION zur Pressekonferenz mit Landesrat Rudi Anschober 30. März 2012 zum Thema "Vielfalt statt Abfall: Zu klein, zu krumm, zu dünn – Warum Unmengen von Lebensmitteln nicht einmal bei den Konsument/innen landen" Weiterer Gesprächsteilnehmer: Mag. Philipp Braun, Leiter Slow Food Linz LR Rudi Anschober Seite 2 Vielfalt statt Abfall Zu klein, zu krumm, zu dünn – warum Unmengen von Lebensmitteln nicht einmal bei den Konsument/innen landen Umwelt-Landesrat Rudi Anschober will die enorme Menge an Lebensmitteln, die auch bei uns im Abfall landen, massiv verringern. Dazu wurde nun mit Vertreter/innen von Handelsketten, Sozialpartnern/innen, Sozialinitiativen, dem Sozialmarkt und Fachexpert/innen ein Arbeitsprozess gestartet. Viele Lebensmittel kommen allerdings nicht einmal zu den Konsument/innen. Sie entsprechen nicht den Normen und Standards und werden daher vorab aussortiert. Anschober will eine Änderung dieser Standards erreichen und appelliert auch an die Konsument/innen, mehr Vielfalt beim Einkauf zu akzeptieren, ja bewusst Vielfalt einzukaufen. EU-Regelungen für wen? Die EU-Vermarktungsnorm für Gurken war jahrelang das bekannteste Synonym für eine überschießende Regulierung. Mit 1. Juli 2009 wurden die Normen für 26 Erzeugnisse aufgehoben, darunter auch die kritisierte Norm für Gurken. Die neue Rechtslage, die durch die Erlassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 543/2011 am 7. Juni 2011 entstanden ist, sieht Vermarktungsregeln für "nur" zehn Gemüse- bzw. Obstsorten vor. Im Teil B des Anhanges I der VO (EU) Nr. 543/2011 sind diese zehn Erzeugnisse angeführt: Sieben spezielle Vermarktungsnormen (Äpfel, Zitrusfrüchte, Kiwis, Pfirsiche und Nektarinen, Birnen, Erdbeeren und Tafeltrauben) im Bereich Obst und drei Vermarktungsnormen im Bereich Gemüse (Salate, krause Endivie und Eskariol [glatte Endivie], Gemüsepaprika und Tomaten/Paradeiser). Zuletzt ist auch die Vermarktungsnorm für Bananen in Kraft getreten1. Zwar scheint auf den ersten Blick die Aufhebung der Vermarktung für 26 Erzeugnisse und die Einführung neuerer Regelungen für nur zehn Erzeugnisse tatsächlich entlastend, in Wirklichkeit sind diese zehn Obst- und Gemüsearten aber die Wichtigsten auf dem Frischmarkt der EU. Sie decken laut Leitfaden zur Konformitätskontrolle von Obst und Gemüse Pressekonferenz der Bundesanstalt für LR Rudi Anschober Seite 3 Landwirtschaft und Ernährung aus Deutschland 75 % des Intra- und Extrahandels ab. Die Abschaffung der kritisierten Gurkenverordnung hat keineswegs dazu geführt, dass krumme Gurken im Supermarkt zu finden sind, Ausnahmen stellen nur Wochenendmärkte und Bioläden dar. Für jede in der EU-VO geregelte Gemüse und Obstsorte sind die Bestimmungen hinsichtlich der einzelnen Erzeugnisse folgendermaßen eingeteilt: Als erstes gelten die Bestimmungen betreffend Qualität, die die Mindesteigenschaften, bestimmen. die Anschließend Reifeanforderungen folgen die und Bestimmungen Klasseneinteilung betreffend die Größensortierung, die Toleranzen, die Aufmachung und die Kennzeichnung. Standardisierung im Sinne der Qualität? Diese Normen führen zu einer Auswahl, die nach rein äußerlichen Kriterien erfolgt und mit Qualität bzw. Geschmack wenig zu tun hat. Beispielsweise müssen Äpfel der Klasse Extra eine sortentypische Mindestfärbung aufweisen (z.B. Färbungsgruppe A: 3/4 der Gesamtfläche des Apfels muss mit roter Färbung bedeckt sein), einen unverletzten Stiel besitzen und dürfen nur sehr leichte Schalenfehler aufweisen. Die Äpfel müssen eine Mindestgröße von 60 mm aufweisen, die Gleichmäßigkeit hinsichtlich der Größe in einem Packstück muss gewährleistet werden. Die Frage nach dem Verursacher lässt sich leicht beantworten: Die EUBürokratie setzt nur den Willen der Agrargroßindustrie sowie von Handelsriesen um, da gleich langes und gleich geformtes Obst und Gemüse platzsparender und leichter in genormte Kisten zu stapeln und automatisiert zu verarbeiten ist.2 Dadurch wird ein einheitlicher europäischer Markt geschaffen, der auf Kosten der regionalen Vielfalt und des Geschmacks geht.3 Eine Einteilung in die Handelsklassen Extra bringt bessere Preise und erleichtert den Verkauf, schlechte oder fehlende Klassifizierung bedeutet oft, keine Chance am Markt zu haben, oft nicht einmal geerntet zu werden. 1 EU-VO Nr. 13332011, veröffentlicht am 20.12.2011, mit 9. Jänner 2012 in Kraft Stefan Kreutzberger/Valentin Thurn: "Die Essensvernichter", S. 67ff 3 Stefan Kreutzberger/Valentin Thurn: "Die Essensvernichter", S. 67ff 2 Pressekonferenz LR Rudi Anschober Seite 4 Wollen Konsument/innen "Einheitsware"? Auch wir Konsument/innen haben uns durch die Forcierung der "Einheitswaren" in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr dazu verführen lassen, Qualität von Lebensmitteln, insbesondere von Frischobst und Gemüse, anhand optischer Merkmale zu beurteilen. Neben identisch großen, glänzend präsentierten makellosen Äpfeln zieht damit ein vielleicht kleinerer Apfel, noch dazu mit einem leichten Schalenfehler, den Kürzeren – und landet letztlich im Abfall oder wird vom Handel gar nicht mehr bei den Landwirten bestellt oder angenommen, da er nicht verkaufbar ist. Der Handel begründet mit der "Entscheidungsfreiheit der mündigen Konsument/innen" seine Einkaufspolitik, die die Produzent/innen zwingt, viele ihrer Produkte von vornherein auszusortieren. Kartoffeln, die nicht schön rund, gleichmäßig gewachsen und frei von Dellen oder dunklen Stellen sind, finden sich nicht in den Regalen der großen Handelsketten. Wie viele Lebensmittel in Summe bereits auf dem Weg zu den Konsument/innen "verloren" gehen, kann bis dato nur abgeschätzt werden, denn konkrete Daten dazu sind nicht verfügbar. Abschätzungen gehen davon aus, dass bei einzelnen Gemüsesorten bis zu 40 % der Früchte bereits auf dem Feld bei der ersten Sichtung oder beim ersten Sortierschritt ausgeschieden werden. Neben witterungsbedingten, saisonalen Angebotsspitzen, die nicht vermeidbar sind, ist es insbesondere der künstlich auferlegte Zwang zur optischen Makellosigkeit, der ein Aussortieren erforderlich macht. In einer weitgehend anonymisierten, großindustriell betriebenen Lebensmittelproduktion ist der Bezug zu den Produkten und ihrem Lebensweg oft verloren gegangen, Qualität wird mit optischer Makellosigkeit gleichgesetzt. Im Direktverkauf, im Bioladen, am Wochenmarkt oder durch gezielte Auswahl nicht der optischen Produzent/innen viel Norm entsprechender Lebensmittel erzeugen die weniger "Ausschuss", durch Information und Kommunikation sind Konsument/innen offenbar bereit, mehr auf die Qualität zu setzen und weniger nur auf das Äußere. Pressekonferenz LR Rudi Anschober Seite 5 Forderungen: Normen abschaffen - Vielfalt zulassen Oberösterreichs Umwelt-Landesrat Rudi Anschober fordert daher vehement die Abschaffung dieser Form der noch geltenden EU-Vermarktungsnormen für Obst und Gemüse. Anschober: "Ich appelliere auch an die Handelsketten, mehr Vielfalt in der Obst- und Gemüseabteilung zuzulassen. Die Konsumenten/innen sollten beim Einkaufen nicht nur nach dem äußeren Anschein auswählen und sich von der Optik nicht täuschen lassen. Wichtiger wäre, ganz bewusst Vielfalt zuzulassen. Auch im persönlichen Interesse, denn die Vielfalt schafft Abwechslung am täglichen Speiseplan." Landesrat Anschober plant daher für die nächsten Monate eine Reihe von Initiativen, um für Vielfalt bei Lebensmitteln und bewussten Konsum – und damit gegen Lebensmittel im Müll – zu werben. Positivbeispiele: So geht's auch! – Neue Direktvermarkter in OÖ dieBiokiste vom Biohof Achleitner Ein positives Beispiel ist "dieBiokiste" vom Biohof Achleitner in Eferding. Seit zehn Jahren beliefert Achleitner private Haushalte sowie Firmen und Büros mit biologischem Obst und Gemüse. Dabei wird auf die Kriterien saisonal und regional besonders großen Wert gelegt. Der Biohof Achleitner produziert selbst ausschließlich biologisch, ebenso die Zulieferer. Was hierzulande produziert werden kann, kommt auch aus der Region. Vor allem im Winter trägt aber auch die Ernte südländischer Bio-Bauern zu einem ausgewogenen Sortiment bei. Diese Produkte sind vorzugsweise Fair trade und niemals Flugware. Weil Zwischen- und Großhändler/innen auf dem Weg von den Produzent/innen zu den Kund/innen ausgeschaltet sind und die Ware direkt in den Haushalten landet, ist auch eine größere Vielfalt im Sortiment möglich. Diese wird von den Kund/innen auch leichter angenommen als im Supermarkt. Der Grund: Die Käufer/innen wissen, wer das Obst und das Gemüse erzeugt hat, woher es kommt und dass sie einwandfreie Qualität kaufen. So ist es auch möglich, Ware zu verkaufen, die im konventionellen Handel bzw. im Supermarkt gar nicht ankommt. Mehr Infos unter: www.biohof.at Pressekonferenz LR Rudi Anschober Seite 6 Verein NETs.werk Wels Das NETS.werk – Nachhaltig leben koordiniert Regionalstellen und Partner/innen, die als selbständige Unternehmer/innen oder in Vereinsform geführt werden. NETs.werk ermöglicht insbesondere den Einkauf von Produkten, die nachhaltiges Leben sichern: - ökologisch/biologisch und tierfreundlich hergestellt - sozial-fair bezahlt - möglichst regional zur Stärkung der umliegenden Wirtschaft. Mehr Infos unter: www.netswerk.at ARCHE NOAH Die ARCHE NOAH setzt sich seit über 20 Jahren für die Erhaltung, Verbreitung und Entwicklung der Kulturpflanzenvielfalt ein. Sie garantiert Produkte aus Sortenraritäten für mehr Vielfalt auf dem Teller. ARCHE NOAH kooperiert mit vielen Bio-Betrieben, die alte Sorten wieder anbauen, veredeln und vermarkten. Die Produkte sind erhältlich auf Bauernmärkten, im Naturkostfachhandel bzw. in Biokisten, im Lebensmitteleinzelhandel sowie im Internetversand. Mehr Infos unter: www.arche-noah.at Internetversand: www.vielfalt.com Slow Food setzt auf Geschmacksvielfalt Slow Food setzt sich für das Recht auf Genuss, den Schutz der Biodiversität und die Förderung regionaler Geschmacksvielfalt sowie für die Pflege und Weiterentwicklung der traditionellen Handwerkskunst ein. Es geht uns um Lebensmittel und Produktionsmethoden, die gut, sauber und fair sind. Lebensmittel sind GUT, wenn sie qualitativ hochwertig, schmackhaft und verantwortbar sind - gegenüber uns selbst, unseren Mitmenschen sowie künftigen Generationen als auch gegenüber der Natur, unserer Mitwelt. Um als SAUBER zu gelten, muss ein Produkt im Einklang mit den lebendigen Ökosystemen, unter Erhaltung der biokulturellen Vielfalt, in vorsorgender, Pressekonferenz LR Rudi Anschober Seite 7 verantwortungsvoller Weise hergestellt, verarbeitet und verteilt sein. Darüber hinaus muss die Gesundheit des Bodens, der Pflanzen und Tiere sowie der Hersteller/innen und Konsument/innen, oder besser: Ko-Produzent/innen geschützt und gestärkt werden. Lebensmittel sind FAIR, wenn sie vielfältige und wertschätzende MenschMitwelt-Beziehungen im gesamten Lebensmittelsystem widerspiegeln. Mehr Infos unter: www.slowfoodlinz.at Pressekonferenz