Vernissage-RedeMalikam15.01.1998

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Rede von Horst Schäfer zur Eröffnung der Ausstellung
der pakistanischen Künstlerin Aisha Afzal Malik
in der Galerie im Verwaltungsgericht Wiesbaden
am Donnerstag, dem 15. Januar 1998
Sehr geehrte Frau Malik;
sehr geehrter Herr Botschafter der Islamischen Republik Pakistan,
liebe Freunde der Galerie im Verwaltungsgericht Wiesbaden,
liebe Freunde auch von Justitia,
assalam-o-aleikum liebe Gäste,
die Welt, aus der Frau Malik und ihre Bilder kommen, ist die Welt, aus der die Märchen aus
1001 Nacht kommen, die Märchen, die Scheherazade dem grausamen König Schariar
erzählte, vom Prinzen Kalandar, dem orientalischen Spaßvogel und Eulenspiegel, vom
Hodscha Nasr-ed-Din, von der in unschuldiger Liebe zum jungen Prinzen entflammten jungen
Prinzessin, vom Volksfest in Baghdad, von Sindbad, dem Seefahrer, von Ali Baba und den
vierzig Räubern, usw. Insbesondere russische Komponisten wie Mili Balakirew, Michail
Glinka, Nikolaj Rimski-Koprssakow, Alexander Borodin und Cesar Cui brachten den
Europäern im 19. Jahrhundert diese Welt mit europäischen Stilmitteln musikalisch näher.
Zum Verständnis der Miniaturmalerei muß man ein Stück in deren Geschichte eintauchen.
Die Herkunft der Miniaturkunst, die in Persien und später in Indien Höhepunkte erlebte, liegt
im Dunkeln. Heute erscheint es erwiesen, dass sie entscheidend auf den persischen
Religionsstifter Mani zurückgeht, welcher im zweiten Jahrhundert nach Christus seine
Schriften über seine gnostische Lehre von Licht und Finsternis für seine nicht lesekundigen
Anhänger, die Manichäer, selbst mit illustrativen Bildern versah. Dieser Erzählduktus der
Bildsprache und auch das relative Kleinformat der Bilder ist in der Miniaturmalerei bis heute
erhalten geblieben. Der Religionsstifter Mani predigte unter anderem auch in Indien.
Vom 13. bis zum 16. Jahrhundert ließen sich die Perser, Araber und Türken von den
Mongolen und den Chinesen beeinflussen. Deren Drachenmotive und betont lineare
Maltechniken werden noch heute in der Miniaturmalerei verwendet. So verschmolzen an den
Höfen der Perser chinesische mit persischen Merkmalen.
Einen Höhepunkt erreichte die persische Miniaturmalerei dann im 15. Jahrhundert mit
Meister Kamal-ud-Din Bihzad. Bihzad arbeitete innerhalb des festgelegten Kanons der
persischen Miniaturmalerei. Er verlieh seinen Figuren – mit einem feinen Empfinden für
Farbverbindungen, für Verdichtung von Harmonie und Rhythmus, für Farbintensivierung und
mit zeichnerischem Talent – eine größere Bewegungsfreiheit. Die Gesichter und Bewegungen
werden seit Bihzad lebendiger und nuancierter. Die Farbe Gold wird oft – auch heute noch –
zum Ausgleichen der Farbverstärkungen verwendet. Bihzad kann als der Urheber eines
Stilwandels der Miniaturmalerei angesehen werden. Seine Bilder erzählen eine Menge über
mittelalterliches Leben wie zum Beispiel Szenen beim Barbier, beim Bau einer Festung, beim
Kampf zwischen Kamelreitern, beim Jagen und über Liebesszenen.
Die Maler in Persien, Indien, Zentralasien und der Türkei genossen größere Freiheiten als ihre
Kollegen in anderen islamischen Ländern, die keine Menschen und oft selbst keine anderen
Lebewesen darstellen durften. Im Hl. Koran Sure 5 Vers 91 finden wir den Hinweis: „Oh die
ihr glaubt! Wein und Glücksspiel sind Götzenbilder und Lospfeile sind ein Greuel, ein Werk
Satans. So meidet sie allesamt.“ Dort wird nicht eigentlich die Darstellung von Lebewesen
genannt; dies ist nur dann verboten, wenn die Personendarstellung der religiösen oder
weltlichen Verehrung dient. Ob ein Gemälde haram im Sinne dieses Koranverses ist, hängt
entscheidend davon ab, was das Bild darstellt, wo es sich befindet, wofür es verwendet wird,
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und was der Künstler oder die Künstlerin mit dem Bild bezweckte. Damit ist zum Beispiel ein
in Miniatur-Malereitechnik erstelltes Bild einer Person der religiösen Welt nicht haram, wenn
es die große Kunst dieser filigranen Maltechnik aufzeigen soll und in Kunstausstellungsräumen gezeigt wird. Dies verstehen die Miniaturmaler noch heute so. Dennoch, diese
energische Absage des Hl. Koran an den Götzendienst war später der Hauptgrund des
Bilderverbotes der islamischen Welt.
Von Persien kam die Miniaturmalerei auch an den Stammhof der Moghulen in Samarkand in
Usbekistan. Die Moghulfürsten Humajan und Akbar brachten im 16. Jahrhundert dann mit der
Eroberung Afganistans und Indiens die Miniaturmalerei nach Indien an die Höfe in Agra,
Delhi und Lahore. Sie brachten viele persische Künstler mit. Die Miniaturmalerei blühte dank
beispielloser höfischer Unterstützung auf und erhielt an den indischen Moghulhöfen frische
Impulse. Akbar der Große wurde von synkretistisch religiösen Vorstellungen geleitet und
versuchte, hinduistische und islamische Komponenten zu vereinen. In der Kunstwissenschaft
findet sich die Meinung, dass die Meisterschaft der Kunst jener Epoche, man denke an das
berühmte Mausoleum Tadsch Mala in Agra, den Schalimar-Garten in Lahore oder die ThattaMoschee im Indus-Tal, ebenso wie in der Malerei seither nie mehr erreicht wurde.
Zur Erinnerung: Etwa 780 Jahre zuvor waren die Mauren ins Abendland vorgedrungen. Unter
ihrer Herrschaft war die Kultur der iberischen Halbinsel der des übrigen Europa auf vielen
Gebieten weit überlegen, etwa in der Medizin, der Mathematik, der Astronomie und der
Baukunst.
Das Moghulreich zerfiel. Die Miniaturmalerei lebt in verschiedenen Stilrichtungen bis heute
weiter, in Indien ebenso wie in Pakistan. Zentrum der pakistanischen Miniaturmalerei heute
ist das National College of Arts in Lahore. Dort studierte Aisha Afzal Malik vier Jahre lang –
zusammen mit lediglich sieben weiteren Kommilitonen – bei dem vielleicht letzten lebenden
pakistanischen Meister der Miniaturmalerei, Bashir Ahmed. Leider hat er gegen Ende 1997
Pakistan verlassen und somit viel Wissen um Stil, Technik, Farbkompositionen und
Farbharmonie der Miniaturmalerei mitgenommen.
Man kann heute in Pakistan zwei Richtungen der Miniaturmalerei erkennen. Die eine sagt,
traditionelle Miniaturmalerei hat für die südasiatische Gesellschaft des 20. Jahrhunderts keine
Bedeutung mehr. Ursprüngliche Miniaturen, sagen diese Reformer, sind auf Sammlerzwecke
und Sammlerthemen reduziert. Dies zu kopieren ist heute sinnlos. Einige dieser Reformer,
welche das schlichte Kopieren von Miniaturen ablehnen, fühlen jedoch, dass – gestützt auf die
alten Techniken und Stilrichtungen – die Beschäftigung mit Themen der gegenwärtigen
Gesellschaft der Miniaturmalerei neue Impulse geben könnte.
Die andere Schule favorisiert das Fortsetzen der Miniaturtradition durch Weitergabe der
jahrhundertealten Techniken, durch Kopieren der unterschiedlichen Stile und durch Schaffen
neuer Motive in der traditionellen Weise.
Aisha Afzal Malik fühlt sich der traditionellen Schule verpflichtet. In ihren Miniaturbildern
mit den balzenden Hengsten, dem Pfauenpaar, den Gazellen, Eichhörnchen, Büffeln, ja auch
mit den (chinesischen) Drachen, in den Bildern mit Beziehungen zwischen Mensch und Tier
(z.B. Mädchen mit Gazelle, Büffelkampf), aber auch in dem Stilleben mit
kunsthandwerklichen Gegenständen unserer Zeit, zeigt sie die Schönheit der Schöpfung, und
die Notwendigkeit, sich für ihre Bewahrung einzusetzen. Es sind Motive von reiner
Stimmung, Harmonie und Unschuld.
Ganz interessant ist das Vier-Szenen-Bild „Künstler bei der Arbeit“ mit dem Hinweis auf den
ursprünglichen Zweck der Miniaturmalerei, nämlich der Textillustration für
Nichtlesekundige, von denen es in Pakistan noch heute leider viel zu viele gibt. Die Motive
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mit den Beziehungen zwischen Menschen – etwa der Vorbereitung der Braut auf den
Hochzeitstag, der beratenden Versammlung – zeigen nicht nur Rituale sondern auch
durchdachtes Zusammenleben zwischen den Menschen.
Das Hauptwerk „Verlorene Juwelen des Ostens“ zeigt Trachten, Tradition, Handwerk und
Architektur aus allen vier pakistanischen Provinzen, dem Punjab, der NordwestGrenzprovinz, dem Sindh und aus Belutschistan. Mit dem Blick des verschleierten
Selbstbildnisses in der Mitte möchte die Künstlerin offenbar die Vielfalt der Kulturen und
gleichzeitig die nationale Einheit ihrer pakistanischen Heimat geradezu beschwören. Das Bild
schwimmt in Ranken, die mit Teewasser und Pinsel aufgetragen wurden.
Um dem nicht so leicht zugänglichen Stil der Miniaturen gerecht zu werden, sollte man
berücksichtigen, wie sehr sie nur als anekdotische Schilderungen zu meist bereits bekannten
Themen aufgefasst werden sollen. Das Motiv trägt also – wie schon beim Buch Mani –
weniger einen bildnerischen als einen erzählerischen Charakter. Das Bild der Miniaturmalerei
dient auch, falls es sich um eines der seltenen religiösen Themen handelt, ganz sicher nicht
der Erbauung oder gar der ikonischen Verehrung, wie dies die Mullahs bis heute befürchten.
Dem Motiv wird in solch einem Fall – im Gegensatz zum christlichen, hinduistischen und
buddhistischen Raum – jede bildliche Transzendenz des Göttlichen oder Heiligen vehement
abgesprochen. Diese Miniaturen verzichten meist auf Perspektive, Schatten und anatomische
Einzelheiten. Die Linien des Pinsels sind tonangebend, das malerische Element beginnt erst
dort, wo der Künstler die Flächen zwischen den Linien mit Farbe ausfüllt.
Es verbleibt noch der Hinweis auf zwei ganz andere Techniken der Künstlerin Aisha Afzal
Malik. Eine Reihe von Bildern sind in Abri-Technik gefertigt. Es handelt sich dabei um eine
Miniatur-Drucktechnik. Diese Bilder werden in einem speziellen Verfahren hergestellt. Dabei
wird der Kautschuk, gummi arabicum, für eine Nacht in Wasser eingeweicht, dann mit dem
Wasser zu einer Paste verknetet, und diese Paste wird dann durch ein Stück Stoff gepresst und
gefiltert. Die gefolterte Paste wird in ein großflächiges Gefäß geschüttet, wo sich die
gallertartige Masse alleine glättet. Auf diese Oberfläche wird dann eine Miniatur aus Ölfarben
und dünnflüssigen Öl mit dem Pinsel aufgetragen. Es erscheinen künstliche, schlierenartige
Strukturen. Diese gemalten Strukturen werden dann mit einem Blatt Papier abgenommen.
Aisha Afzal Malik hat auch den Holzschnitt erlernt. Davon zeugen die beiden Bilder Frühling
und Herbst. Eine ausschließliche Idee Aisha Afzal Malik’s ist das Bemalen von Muscheln.
Dafür gibt es für sie kein Vorbild. Natur und Mensch sind darin in den Schutz von
Muschelhöhlen gestellt.
Die Ausstellung folgt dem Bemühen, die kulturelle Brücke zu beleben, die Johann Wolfgang
von Goethe in seinem West-Östlichen Diwan nach Osten und der pakistanische Poet und
Philosoph Mohammad Iqbal in seinem Werk Payam-i-Mashriq (Botschaft des Ostens) nach
Westen geschlagen haben.
Goethe dichtete: „Sinnig zwischen beiden Welten/ Sich zu zeigen, lass ich gelten;/Also
zwischen Ost und Westen/Sich bewegen sei zum Besten!“
Iqbal entgegnete ihm hundert Jahre später – in der Nachdichtung von Annemarie Schimmel:
„Des Westens Meister, jener deutsche Dichter/Verzauberter der persischen Gesichter./Er
fomt` das Bild der reizend Kecken, Schlanken/Und bracht’ dem Osten einen Gruss der
Franken …/Des Ostens Botschaft ist die Antwort mein,/Auf Ostens Abend goss ich
Morgenschein …/Wir wissen, wo das Seinsgeheimnis lobt/Sind Boten von dem Leben aus dem
Tod …“.
Es war Iqbal’s Absicht, die ethischen, religiösen und nationalen Wahrheiten aufzuzeigen,
welche zur Erziehung der Individuen und der Völker beitragen. Die Völker müssen diesen
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Weg der Verständigung, des Miteinader-Redens statt Gegeneinander-Kämpfens, auch mit den
Mitteln der Kunst gehen, indem die Kunst und die Künstler gefördert und deren Freiräume
geschützt werden. Was nützt der Gesellschaft die Beseitigung etwa des Bildes „Jumpin’ the
Border“ aus einer gegenwärtigen Ausstellung im Wiesbadener Rathaus ohne den irischen
Bürgerkriegskonflikt überhaupt anzusprechen? Was nützt es der pakistanischen Gesellschaft,
die bildenden Künste von privaten, selbsternannten Kunstwächtern zensieren oder verbannen
zu lassen und keine Rupie zur Kunstförderung bereitzustellen? Die Moghul-Herrscher hatten
offenbar größeres Wissen um die Bedeutung und Wirkung von Kunstförderung.
Die Kunst ist unser menschliches Geburtsrecht, unser wirkungsvollstes Mittel, um Zugang zu
unserer eigenen Erfahrung und Imagination wie der der anderen zu finden, formuliert die
amerikanische Lyrikerin Adienne Rich, Indem die Kunst fortgesetzt die Humanität der
Menschen wieder entdeckt und bewahrt, ist die Kunst entscheidend für die demokratische
Vision. Eine Regierung, die sich immer weiter von der Suche nach Demokratie entfernt, sieht
auch immer weniger Nutzen darin, Künstler zu ermutigen – sie sieht Kunst als Obszönität
oder Jux. Die öffentliche Unterstützung der Kunst kann, wie die Philantropie privater
Kunstmäzene, geleistet und eingestellt werden. Auf lange Sicht gesehen muss sich Kunst
organisch aus einem gesellschaftlichen Untergrund heraus entwickeln, der für alle produktiv
ist, aus einem gebildeten Gemeinwesen, einem freien, universalen öffentlichen
Erziehungssystem, das auch Kunst als integralen Bestandteil einschließt, ohne aufgegebene
Menschen, die sowohl die menschliche Individualität wie die Suche nach einem akzeptablen,
tragbaren, gemeinschaftlichen Leben würdigt. Unter solchen Bedingungen wäre Kunst freilich
immer noch nicht die Stimme des Hungers, des Verlangens, des Unbehagens, der
Leidenschaft, und sie würde uns daran hindern, das demokratische Projekt abzuschließen.
Die ebenfalls in der Ausstellung zu sehenden Kunstkalligraphie von Herrn Khan über ein
Hadith, welches Aisha, der Lieblingsfrau des Propheten Mohammed nachgesagt wird, zeigt,
dass der Islam ja gar nicht so kunstfeindlich ist. Die Übersetzung aus dem Arabischen folgt
einer Übertragung des Schriftstellers und Juristen Maulan Muhammad Ali’s: „Aischa, die eine
Braut zu einem Manne der Ansar in Medina führte und sich nicht um die Unterhaltung der
Hochzeitsgesellschaft kümmerte, erhielt von ihrem Ehemann den Ratschlag: Warum hattest
du nicht für Musik gesorgt, denn die Ansar lieben Musik?“
Ich danke Ihnen allen für’s Zuhören.
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