zugang zu sozialen rechten in europa

Werbung
ZUGANG ZU
IN EUROPA
SOZIALEN
RECHTEN
vorgelegt von Mary Daly
Queen’s University, Belfast
mit Unterstützung der Redaktionsgruppe
für den Bericht über den Zugang zu sozialen Rechten
(CS-ASR)
verabschiedet vom Europäischen Komitee
für Sozialen Zusammenhalt (CDCS)
bei seiner 8. Sitzung
(Strassburg, 28.-30. Mai 2002)
Redaktionsgruppe für den Bericht
über den Zugang zu sozialen Rechten (CS-ASR)
Europäisches Komitee für Sozialen Zusammenhalt (CDCS)
Europarat
Englishe Ausgabe:
Access to Social Rights in Europe
ISBN 92-871-4985-2
Französische Ausgabe:
L’accès aux droits sociaux en Europe
ISBN 92-871-4984-4
Die in diesem Buch vertretene Meinung stellt die des Autors dar und spiegelt nicht
notwendigerweise die offizielle Haltung des Europarats wider.
Alle Rechte vorbehalten. Diese Veröffentlichung darf weder ganz noch in Teilen
in einer wie auch immer gearteten elektronischen (CD-ROM, Internet, etc.) oder
mechanischen Form übertragen oder reproduziert werden, einschließlich Kopien,
Audioaufnahmen oder anderen Informationsspeichersystemen oder Aufnahmegeräten,
ohne zuvor die schriftliche Genehmigung der Publishing Division, Communication and
Research Directorate, F-67075 Strassburg oder [email protected] eingeholt zu haben.
Europarat
F-67075 Strasbourg Cedex
© Europarat, Dezember 2003
Gedruckt im Europarat
Inhalt
Seite
Vorwort .........................................................................................................
7
Vorbemerkung ..............................................................................................
9
Liste der Abkürzungen ..................................................................................
11
Einleitung ......................................................................................................
13
Definitionen und Umfang ........................................................................
15
Methodologie und Ansatz .......................................................................
16
1. Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa ..............
17
1.1. Die Ausweitung sozialer Rechte in Europa .......................................
17
1.2. Soziale Rechte und Wandel in europäischen Gesellschaften ............
23
1.3. Auswirkungen eines nicht-rechtlichen Ansatzes ...............................
26
2. Analyserahmen für den Zugang zu sozialen Rechten ..............................
33
2.1. Definition von sozialen Rechten und Festlegung ihres Umfangs ......
33
2.2. Analyserahmen für die Untersuchung des Zugangs zu sozialen Rechten
35
3. Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität ..............................
39
Die Kette der Hindernisse zu sozialen Rechten .........................................
39
3.1. Hindernisse, die sich aus der Form des Rechts ergeben und die Eignung
gesetzlicher und anderer Bestimmungen ...........................................
40
3.1.1. Mangel an Genauigkeit in der Darlegung des Rechts oder
Anspruchs .............................................................................
40
3.1.2. Rechte, die auf bestimmte Bevölkerungsteile und Situationen
begrenzt sind .........................................................................
42
3.1.3. Lücken im sozialen Sicherheitsnetz .......................................
43
3.1.4. Fehlende Festlegung einer Mindestschwelle oder eines
Mindeststandards .................................................................
44
3.1.5. Ausschließende Bedingungen für Zugang und Anspruch .........
44
3.1.6. Kluft zwischen Art der Bestimmung und Bedarf ....................
44
3.2. Hindernisse, die sich aus unzureichender Überwachung und Umsetzung
ergeben ...........................................................................................
45
3.2.1. Unzureichende Überwachung ..............................................
45
3.2.2. Unzureichender Schutz vor Nichterfüllung der Rechte ...........
46
3.2.3. Ungleichbehandlung und/oder Diskriminierung ...................
46
3.2.4. Unzureichende Verantwortung gegenüber Nutzern ................
47
3
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
3.3. Unzureichende Ressourcen ..............................................................
47
3.3.1. Hindernisse bei den Ressourcen seitens der Anbieter ............
47
3.3.2. Hindernisse bei den Ressourcen, die sich auf potenzielle
Antragsteller auswirken ........................................................
49
3.4. Hindernisse durch Management und Verfahren ...............................
50
3.4.1. Aufsplitterung zwischen den Verwaltungsebenen und den
Diensten ...............................................................................
50
3.4.2. Unzureichende Integration und Konsultationen der NROs und
der Nutzer .............................................................................
51
3.4.3. Komplexität der Verfahren ....................................................
52
3.4.4. Hindernisse aufgrund der Art und Praxis der Dienstleistung
53
3.5. Hindernisse in Bezug auf Informationen und Kommunikation ..........
55
3.5.1. Unzureichende Speicherung und unzureichender Austausch von
qualitativ hochwertigen Informationen ..................................
55
3.5.2. Unzureichende Art und Form der Informationen .................
56
3.5.3. Mangelhafte Verwendung „neuer“ oder alternativer
Informationen und der Ansichten von Nutzungsberechtigten
57
3.6. Psychologische und soziokulturelle Hindernisse ................................
57
3.6.1. Psychologische und soziokulturelle Hindernisse seitens der
Anbieter ................................................................................
57
3.6.2. Psychologische und soziokulturelle Hindernisse seitens der
Nutzer ..................................................................................
58
3.7. Hindernisse aufgrund der mangelnden Berücksichtigung sozial
schwacher Gruppen und Regionen ..................................................
60
3.7.1. Sozial schwache Gruppen .....................................................
60
3.7.2. Sozial schwache Regionen ....................................................
61
3.8. Zusammenfassung der wichtigsten Herausforderungen für den Zugang
zu sozialen Rechten in Europa ...........................................................
62
4. Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu sozialen Rechten .....
63
4.1. Grundsätze und Praktiken ..............................................................
63
4.1.1. Nutzerorientierte Dienstleistung ...........................................
63
4
4.1.2. Ermächtigung, Befähigung und Entwicklung ........................
65
4.1.3. Qualität ................................................................................
66
4.1.4. Integration der Dienste und Leistungen ................................
67
4.1.5. Partnerschaft und Beteiligung ...............................................
68
4.1.6. Transparenz und Offenheit ...................................................
70
4.1.7. Gleichheit .............................................................................
71
4.1.8. Überwachung und Prüfung der Umsetzung .........................
72
4.2. Einige Beispiele für gute Praktiken .....................................................
73
Inhalt
5. Politische Richtlinien ...............................................................................
85
5.1. Stärkung des Anspruchs auf soziale Rechte und Verbesserung der
Bestimmungen .................................................................................
85
5.1.1. Umfassende und explizite Ansprüche ...................................
85
5.1.2. Auf dem Weg zu angemessenen Bestimmungen ..................
88
5.2. Verstärkung und Überwachung der Umsetzung ..............................
89
5.3. Erhöhung der Ressourcen für soziale Rechte ....................................
90
5.3.1. Ressourcen der Anbieter .......................................................
90
5.3.2. Ressourcen und Befähigung der Antragsteller .......................
91
5.4. Veränderung und Verbesserung des Managements und der Verfahren
92
5.4.1. Weitere Aufsplitterung vermeiden ........................................
92
5.4.2. Beteiligung der NROs, der Nutzer und anderer Akteure der
Zivilgesellschaft .....................................................................
93
5.4.3. Verringerung der Komplexität und Zugangsprobleme ...........
94
5.5. Verbesserung der Information und Kommunikation .........................
95
5.6. Überwindung psychologischer und soziokultureller Hindernisse .......
96
5.7. Besondere Anvisierung sozial schwacher Gruppen und sozial schwacher
Regionen ..........................................................................................
97
5.7.1. Sozial schwache Gruppen .....................................................
97
5.7.2. Sozial schwache Regionen – Die territoriale Dimension ........
98
Anhang I.
Das durch CS-LO, CS-PS, CS-EM und SP-SPM gesammelte
empirische Material ...................................................................
101
Politische Leitlinien für den Zugang zu Wohnungen für
benachteiligte Menschen ..........................................................
104
Anhang III. Leitlinien für die Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten
114
Anhang IV. Leitlinien für lokale Beschäftigungsinitiativen ............................
118
Anhang II.
Anhang V.
Empfehlung Rec(2001)12
des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten
über die Anpassung der Gesundheitsversorgung an die Nachfrage
nach der Gesundheitsversorgung und die Gesundheitsdienste
für Menschen am Rande der Gesellschaft ..................................
121
Anhang VI. Zusammensetzung der CS-ASR-Gruppe ....................................
131
Literatur ........................................................................................................
133
5
Vorwort
Soziale Rechte bilden einen der Grundpfeiler, auf denen Europa im Laufe des
letzten Jahrhunderts aufgebaut wurde. Und dennoch sind wir, trotz der
bedeutenden Fortschritte, die unserer Kontinent in diesem Bereich
verzeichnen konnte, weit davon entfernt, allen Europäern in der Praxis
soziale Rechte in vollem Umfang zu garantieren. Wie dieser Bericht eindeutig
belegt, stößt der Zugang zum Recht auf soziale Sicherheit, auf Gesundheit,
auf Beschäftigung, auf Wohnen und auf Ausbildung auf viele und vielfältige
Hindernisse. Denn was ist ein Recht wert, wenn es nicht in der Praxis
ausgeübt werden kann?
Der Bericht stellt die wichtigsten Herausforderungen dar, denen wir uns
widmen müssen, wenn wir im heutigen Europa die Nutzung von sozialen
Rechten sichern wollen. Er betont die Notwendigkeit, diese Rechte zu
stärken und sie als Mittel zur Reduzierung der sozialen Schwäche von
Einzelpersonen angesichts struktureller Änderungen zu sehen. Soziale Rechte
helfen Menschen auch, sich diesen Veränderungen anzupassen; sie tragen
dazu bei, die Hindernisse zu überwinden, die die sozial schwächsten
Mitglieder einer Gesellschaft an der Ausübung ihrer Rechte hindern.
Durch die Betonung der Interdependenz sozialer Rechte leistet der Bericht
einen wertvollen Beitrag zur Reflexion und im Hinblick auf Maßnahmen, die
den Zugang zu diesen Rechten verbessern können. Er fordert integrierte
Ansätze, die die diversen Bedürfnisse des Individuums berücksichtigen.
Jenseits ihrer ethischen Rechtfertigung bieten die vorgeschlagenen Leitlinien
zur Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten auch Antworten auf die
grundlegenden Fragen, die der Bekämpfung der Armut und der sozialen
Ausgrenzung inhärent sind.
Der Bericht bestätigt erneut die Bedeutung sozialer Rechte in Europa und die
Notwendigkeit, einen nachhaltigen, auf den Menschenrechten basierten
Entwicklungsansatz zu fördern, wie er durch den Europarat mit Hilfe seiner
rechtlichen Instrumente und Aktivitäten vertreten wird.
Ich möchte der Autorin dieses Berichts sowie den Mitgliedern der
Redaktionsgruppe, die zur hohen Qualität dieses Dokuments beigetragen
haben, meinen Dank aussprechen.
Ich hoffe, dass die Betonung des notwendigen Umsetzungsprozesses von
sozialen Rechten als dringlicher Aufruf verstanden wird, dass der Weg aus
der sozialen Ausgrenzung für viele Menschen immer noch extrem schwierig
7
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
ist. Es ist unsere Aufgabe, sie mit den Möglichkeiten und Mitteln
auszustatten, um diesen Weg erfolgreich zu beschreiten.
Soziale Rechte sind immer ein aktuelles Thema. Europäische Bürger in den
Genuss dieser Rechte zu bringen, wird dazu beitragen, die Demokratie zu
stärken und in einem Klima des Vertrauens die strukturelle Reform in Europa
umzusetzen.
Dementsprechend sind garantierte soziale Rechte, wie dieser Bericht belegt,
ein Schlüsselfaktor für den Erfolg der wirtschaftlichen, politischen und
sozialen Reformen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Europa umgesetzt
werden.
Gabriella Battaini-Dragoni
Generaldirektorin für Sozialen Zusammenhalt
8
Vorbemerkung
Die Staats und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Europarates
benannten bei ihrem im Oktober 1997 stattfindenden Zweiten Gipfeltreffen
der Organisation in Strassburg sozialen Zusammenhalt als „eines der
dringlichsten Bedürfnisse des erweiterten Europas und ... eine wichtige
Ergänzung im Hinblick auf die Förderung von Menschenrechten und
menschlicher Würde“ (Abschlusserklärung). Sie beauftragten das
Ministerkomitee mit der Ausarbeitung einer Strategie für sozialen
Zusammenhalt, um auf die Herausforderungen in der Gesellschaft reagieren
und innerhalb des Europarates die erforderlichen strukturellen Reformen
durchführen zu können.
Der erste vom Ministerkomitee unternommene Schritt war die Einrichtung
eines zwischenstaatlichen Lenkungsausschusses, des Europäischen Komitees
für Sozialen Zusammenhalt (CDCS), der mehrere vormals voneinander
getrennt agierende Arbeitsbereiche vereint, namentlich Sozialpolitik, soziale
Sicherheit und Beschäftigung. Die Arbeit am sozialen Zusammenhalt basiert
demnach auf einem interdisziplinären Ansatz. Wie in seinem Aufgabenbereich dargelegt, bestand die erste Aufgabe des Komitees in der
Vorbereitung einer Strategie zum sozialen Zusammenhalt, die im Jahr 2001
vom Ministerkomitee verabschiedet wurde. Diese Strategie enthält ein
mittelfristiges Arbeitsprogramm.
Einer der zentralen Bestandteile der Strategie zum sozialen Zusammenhalt
des Europarates ist es, einen effektiven Zugang zu sozialen Rechten zu
fördern, wobei ein besonderes Augenmerk auf die schwächsten Menschen
gelegt wird, jene, denen es schwer fällt, ihre Rechte wahrzunehmen.
Der Wunsch, die Frage nach dem Zugang zu sozialen Rechten aus einer
interdisziplinären Sicht anzugehen, spiegelte sich sowohl im Aufgabenkatalog als auch in der Zusammensetzung der Expertengruppen wider,
die eingerichtet wurden. Die Expertengruppe für den Zugang zum Sozialen
Schutz (CS-PS), die Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zu
Wohnungen(CS-LO) und die Expertengruppe zur Förderung des Zugangs
zur Beschäftigung (CS-EM), die von 1999 bis 2001 tätig waren, setzten sich
zusammen aus nationalen Experten aus mehreren Mitgliedstaaten des
Europarates, Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und Forschern
aus dem sozialen Bereich.
9
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Der Bericht über den Zugang zu sozialen Rechten vereint die Ergebnisse
dieser Expertengruppen1 sowie die anderer Aktivitäten, die vom Europarat in
den Bereichen Gesundheit und Bildung durchgeführt wurden. Darüber
hinaus betont der Bericht die Interdependenz von sozialen Rechten, indem
er die Gemeinsamkeiten zwischen den Ergebnissen der verschiedenen
Gruppen herausstellt.
Mary Daly, Professorin für Soziologie an der Queen´s University, Belfast
(Nordirland), wurde vom Europarat beauftragt, zusammen mit einer
Redaktionsgruppe einen Bericht über den Zugang zu sozialen Rechten in
Europa zu verfassen. Regierungsberater, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und Forscher aus dem sozialen Bereich2 trugen zur Arbeit der
Redaktionsgruppe bei.
Das Europäische Komitee für Sozialen Zusammenhalt (CDCS) nahm
den Bericht über den Zugang zu sozialen Rechten in Europa während seiner
8. Sitzung vom 28.-30. Mai 2002 an. Angesichts der hohen Bedeutung
der Ergebnisse und Empfehlungen dieses Berichtes wurden Experten der
44 Mitgliedstaaten3 zusammen mit mehreren Experten aus Nichtmitgliedstaaten eingeladen, sich im November 2002 in Malta zu einer
Konferenz zu versammeln, auf der die im Bericht vorgeschlagenen
politischen Leitlinien im Detail besprochen wurden.
______
1. Anhänge II und V zu diesem Bericht
2. Anhang VI zu diesem Bericht
3. Mit dem Beitritt von Serbien und Montenegro am 3. April 2003 erhöhte sich die Zahl der
Mitgliedstaaten des Europarates auf 45.
10
Liste der Abkürzungen
CDCS = Europäisches Komitee für Sozialen Zusammenhalt
CECODHAS = Europäischer Verbindungsausschuss für sozialen Wohnungsbau
CLRAE = Kongress der Gemeinden und Regionen in Europa (KGRE)
CS-ASR = Redaktionsgruppe für den Bericht über den Zugang zu den
sozialen Rechten
CS-EM = Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zur Beschäftigung
CS-LO = Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zu Wohnungen
CS-LO = Expertengruppe für den Zugang zum Sozialen Schutz
E2C = Bildungseinrichtung für Schulabbrecher
EAPN = Europäisches Netzwerk zur Bekämpfung von Armut
ETUC = Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB)
FEANTSA = Europäischer Verband nationaler Vereinigungen, die mit
Obdachlosen arbeiten
HDSE = Projekt über Menschenwürde und soziale Ausgrenzung
NAPs/incl = Nationaler Aktionsplan gegen Armut und soziale Ausgrenzung
PRAPS = Regionale Programme für den Zugang zu Gesundheitsvorsorge und
Pflege
SP-SPM = Expertengruppe zur Anpassung der Gesundheitsversorgung an
die Nachfrage nach der Gesundheitsvorsorge und die Gesundheitsdienste für
Menschen am Rande der Gesellschaft
UNDP = Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen
UNECE = Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa
UNHCHR = Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte
UNIRMET = Nationale Gewerkschaft für die Umschulung von Metallarbeitern
WHO = Weltgesundheitsorganisation
11
Einleitung
Soziale Rechte haben immer eine herausragende Rolle in der europäischen
Entwicklungsgeschichte eingenommen, und sie heben Europa, in einem
vergleichenden Kontext betrachtet, von anderen Regionen der Welt ab. Das
europäische Modell der sozialen Rechte hat sozialen Zusammenhalt und
soziale Solidarität geschaffen und bewahrt.
Wirtschaftliche und andere Entwicklungen setzen jedoch das europäische
Modell der sozialen Rechte unter Druck. Das Ende des goldenen Zeitalters
des wirtschaftlichen Wachstums in Europa, die Schwierigkeiten der Staaten
in Mittel- und Osteuropa bei der Umwandlung zentraler Planwirtschaft in
freie Marktwirtschaft und die Intensivierung der Internationalisierung der
globalen Wirtschaft haben das Verhältnis zwischen Staaten, Politik und
Märkten verändert. Die daraus entstehende fragmentierte Gesellschaft, in
der viele Menschen entweder von der vollständigen Teilnahme
ausgeschlossen oder aber auf Zuwendungen und öffentliche Dienste
angewiesen sind, um ihren Platz in der Gesellschaft zu behaupten, stellt
bisher eine der größten Herausforderungen für den sozialen Zusammenhalt
in Europa dar. Fragen bezüglich der Verfügbarkeit, des Inhalts und der
Nachhaltigkeit sozialer Rechte nehmen in diesem Klima eine hohe
Dringlichkeit ein.
Der Europarat ist Vorreiter bei der Entwicklung eines neuen Verständnisses
von sozialen Rechten und bei der Arbeit für eine Verbesserung der
Lebensumstände schwacher und ausgegrenzter Gruppen und Menschen. Er
erkennt, dass das Verhältnis zwischen individueller Verantwortung und
sozialer Solidarität neu betrachtet werden muss und dass dem Zugang der
Menschen zu sozialen Rechten im Kontext demokratischer Erneuerung
Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Aus diesem Grund analysiert und
prüft dieser Bericht den Zugang zu sozialen Rechten in Europa, wobei er eine
Anzahl verschiedener Aktivitäten des Europarates aus den letzten Jahren in
den Bereichen Wohnen, sozialer Schutz, Beschäftigung, Gesundheit und
Bildung vereint. Besondere Aufmerksamkeit wird der Frage gewidmet, wie
der Zugang zu sozialen Rechten in einer Situation sichergestellt werden
kann, die sich durch einen rasanten sozialen und wirtschaftlichen Wandel
auszeichnet.
Den Hintergrund zu diesem Bericht bildet die Strategie zum sozialen
Zusammenhalt des Europarates, bei dem vormals getrennte Bereiche aus der
Arbeit des Rates miteinander verbunden wurden. Wie in der Strategie
dargelegt, bezieht sich der soziale Zusammenhalt sowohl auf den Zustand
13
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
einer Gesellschaft als Ganzes als auch auf die Rolle und den Rang sozial
schwacher Gruppen und Personen innerhalb dieser Gesellschaft. Die
Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten ist ein strategisches Ziel des
Europäischen Komitees für Sozialen Zusammenhalt (CDCS) und ein
wichtiger Bestandteil der Strategie für sozialen Zusammenhalt. Die
Behandlung der Frage nach dem Zugang zu sozialen Rechten als Teil des
Programms des CDCS verdeutlicht, dass das CDCS als Nachfolge zum
vorangegangenen Projekt des Europarates über Menschenwürde und soziale
Ausgrenzung (HDSE) (Duffy 1998), das im Einzelnen die Themen Zugang zu
Wohnungen, sozialem Schutz, Beschäftigung, Gesundheit und Bildung als
essenzielle Bestandteile im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung
behandelte, zu sehen ist. Sozialer Zusammenhalt und soziale Rechte werden
daher in vieldimensionierter Weise wahrgenommen. Dieser Bericht sollte als
weiterer Schritt bei der Verwurzelung der Bürgerrechte und sozialen Rechte
in Europa betrachtet werden.
Der Bericht basiert größtenteils auf der Arbeit der Expertengruppe zur
Förderung des Zugangs zur Wohnung (CS-LO), der Expertengruppe für den
Zugang zum sozialen Schutz (CS-PS), der Expertengruppe zur Förderung des
Zugangs zur Beschäftigung (CS-EM), der Expertengruppe zur Anpassung der
Gesundheitsversorgung an die Nachfrage nach der Gesundheitsvorsorge und
die Gesundheitsdienste für Menschen am Rande der Gesellschaft (SP-SPM)
und relevanten Arbeiten aus dem Bereich der Bildung.1 Jede dieser Gruppen
hat einen erheblichen Beitrag zu einem tiefergehenden Verständnis der
Realität hinsichtlich der sozialen Rechte in den einzelnen Mitgliedstaaten
sowie der Faktoren geliefert, die den Zugang zu diesen Rechten behindern.
Sie haben nicht nur neue empirische Daten gesammelt, sondern auch
umfangreiche Analysen der bestehenden Politiken und Praktiken
durchgeführt. Der von den Expertengruppen verwendete Ansatz sowie die
Methodologie sind in Anhang I dargelegt.
Die Zielsetzungen dieses Berichts sind im Einzelnen:
– die Analyse der Faktoren, die den Zugang zu verschiedenen sozialen
Rechten innerhalb und über verschiedene Bereiche hinweg behindern;
– Beispiele anzuführen, wie Hindernisse überwunden und generelle
Prinzipien für integrierende Ansätze identifiziert werden können, um den
Zugang zu sozialen Rechten zu verbessern;
– bereichsübergreifende politische Leitlinien für den Zugang zu sozialen
Rechten aufzustellen, was die Integration verschiedener Bereiche der
Sozialpolitik einschließt.
Der Bericht bemüht sich insbesondere, die Bedeutung des Zugangs zu
sozialen Rechten im Hinblick auf die demokratischen Prozesse
______
1. Im Folgenden wird sich auf die hier aufgeführten Gruppen kollektiv als „Expertengruppen“ bezogen.
14
Einleitung
herauszustellen, die mit aktiver Bürgerschaft assoziiert werden, sowie im
Hinblick auf Minderung der sozialen Schwäche aufgrund struktureller
Veränderungen und auf die Steigerung institutioneller Kapazitäten im
Umgang mit Veränderungen. Soziale Rechte nehmen eine Schlüsselposition
bei der Verbesserung der Kapazitäten zur Lösung von Problemen ein, ob nun
im Hinblick auf Einzelpersonen, Gruppen, Organisationen, Regionen,
Regierungen oder Gesellschaften.
Der Bericht behandelt zwei Hauptthemen. Zum einen betont er die
Interdependenz sozialer Rechte. Berücksichtigt man die Arbeiten der
verschiedenen Expertengruppen zu sozialen Rechten und andere
Entwicklungen des Europarates, so stimmt man heute darin überein, dass
ein mangelhafter Zugang zu einem grundlegenden sozialen Recht einen
Ausstrahlungseffekt hat, d.h., dieser kann es der betreffenden Person
erschweren, auch Zugang zu anderen sozialen Rechten zu erlangen. Mit
anderen Worten, es besteht die Gefahr einer mehrfachen Ausgrenzung.
Daher ist es ein herausragendes Merkmal dieses Berichts, dass er versucht,
Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Bereichen der sozialen
Rechte herzustellen (anstatt sie isoliert zu betrachten). Andererseits
unterstreicht der Bericht, dass die Frage nach dem Zugang an sich bereits
ein Thema darstellt, das Aufmerksamkeit verdient. Studien, wie die
vorliegende, die ihren Schwerpunkt auf die Umsetzung oder die Praxis der
sozialen Rechte legen, unterscheiden sich erheblich von solchen, die die zur
Verfügung stehenden legalen Rechte definieren oder zusammentragen oder
die ihre philosophischen Grundlagen darstellen. Dieser Bericht konzentriert
sich auf das Verhältnis zwischen Entwurf und Umsetzung und versucht, die
Lücke zwischen der Einrichtung rechtlicher und anderer Bestimmungen und
dem Zugang zu sozialen Rechten in der Praxis offen zu legen und zu
untersuchen.
Definitionen und Umfang
Obwohl es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, soziale Rechte zu definieren
und zu interpretieren, versteht der vorliegende Bericht soziale Rechte sowohl
in Bezug auf individuelle Bedürfnisse als auch in Bezug auf den
gesellschaftlichen Zusammenhalt. Soziale Rechte sind demnach jene
Bestimmungen, ob in juristischer oder anderer Art festgelegt, die für die
Erfüllung der sozialen Bedürfnisse von Menschen und für die Förderung des
sozialen Zusammenhalts und der Solidarität notwendig sind. In Bezug
auf den Inhalt sozialer Rechte verfolgt dieser Bericht den Ansatz der
Europäischen Sozialcharta, in ihrer Original- und revidierten Fassung, um die
verschiedenen Bereiche der sozialen Rechte zu identifizieren, die im
Aufgabenkatalog für diesen Bericht festgelegt wurden. Daher beziehen sich
soziale Rechte auf Wohnen, Sozialschutz, Beschäftigung, Gesundheit und
Bildung.
15
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Methodologie und Ansatz
Dieser Bericht verwendet als Methodologie die Dokumentenanalyse. Neben
der allgemeinen Überprüfung der entsprechenden Literatur basiert dieser
Bericht auf der Analyse aller schriftlichen und weiteren Materialien der CS-LO,
CS-PS, CS-EM und der SP-SPM sowie weiterer Quellen des Europarates.
Daher stellen die Arbeiten der vier Expertengruppen, das von ihnen im Zuge
ihrer Arbeit gesammelte empirische Material (einschließlich der Beispiele
für gute Praktiken) und weitere relevante Arbeiten, die unter der
Schirmherrschaft des Europarates durchgeführt wurden, den empirischen
Hauptanteil des Berichts dar.
Europa ist ein heterogener Ort. Der Europarat organisiert die Kooperation
zwischen 44 Mitgliedstaaten1, die sich über den gesamten Kontinent
erstrecken. Es herrscht eine breite soziale und wirtschaftliche Vielfalt. Die
Behandlung von Unterschieden stellt daher eine große Herausforderung an
diesen Bericht. Anstatt den Kontinent in Regionen und Unterregionen zu
unterteilen, erkennt der Bericht an, dass, auch wenn es unterschiedliche
Ausgangspunkte für soziale Rechte in Europa gibt, viele gemeinsame
Praktiken existieren und dass diese am besten durch ein weit gefasstes und
gemeinsames Verständnis des Konzeptes der sozialen Rechte dargestellt und
behandelt werden sollten.
Der Bericht besteht aus fünf Hauptteilen. Das erste Kapitel legt seinen
Schwerpunkt auf die sozialen Rechte und stellt dar, wie sie sich in Europa
entwickelt haben und welchen Stellenwert sie heute einnehmen. Das zweite
Kapitel erläutert den in diesem Bericht verwendeten Analyserahmen. Das
dritte Kapitel berichtet über die Ergebnisse einer Reihe von
Forschungsarbeiten, die unter der Schirmherrschaft des CDCS über die
Hindernisse bei der Realisierung von sozialen Rechten und deren Zugang
durchgeführt wurden. Das vierte Kapitel diskutiert und dokumentiert das,
was als „gute Praxis sozialer Rechte“ gelten kann. Neben der Aufstellung
von Grundsätzen für einen integrierten Ansatz beinhaltet es auch Beispiele
guter Praktiken aus den Mitgliedstaaten des Europarates. Das fünfte und
abschließende Kapitel entwickelt politische Leitlinien, die sich aus der
Analyse der Situation vor Ort über verschiedene Bereiche der sozialen Rechte
ergeben.
______
1. Albanien, Andorra, Armenien, Österreich, Azerbaidschan, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien,
Kroatien, Zypern, Tschechische Republik, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Deutschland,
Griechenland, Ungarn, Island, Irland, Italien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta,
Moldawien, Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, Russische Föderation, San Marino,
Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Schweiz, „ehemalige jugoslawische Republik von Mazedonien“,
Türkei, Ukraine, Großbritannien.
16
1. Trends und Entwicklungen sozialer Rechte
im heutigen Europa
Dieses Kapitel diskutiert die ursprünglich den sozialen Rechten
zugrundeliegenden Motive und legt die kontinuierliche Bedeutung sozialer
Rechte dar, selbst wenn einige ihrer Gründungswerte in Frage gestellt oder
ausgehebelt werden. Diese Diskussion gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil
behandelt und untersucht die Grundsätze, Vorgehensweisen und politischen
Ansätze, die die Entstehung sozialer Rechte in Europa ermöglicht haben. Der
zweite Teil konzentriert sich auf die Veränderungen (der wirtschaftlichen und
sozialen Werte und der politischen Praktiken innerhalb und zwischen den
Staaten), die gegebenenfalls die Unterstützung der sozialen Rechte ändern
könnten. Die Vorzüge sozialer Rechte und die Kosten, die entständen, wenn
man auf diesen rechtlichen Rahmen verzichten würde, stellen den dritten
Schwerpunkt der Diskussion dar.
1.1. Die Ausweitung sozialer Rechte in Europa
Soziale Rechte stellen ein bedeutendes Erbe des europäischen Sozialmodells
dar. Als sich die europäischen Gesellschaften entwickelten, sah man die
Einführung sozialer Rechte in enger Verbindung mit Bürgerschaft und
Fortschritt. Öffentliche Stellen kamen darin überein, allen Bürgern ein
Mindestangebot an Gesetzen anzubieten, unabhängig von ihrer Position auf
dem Markt, so dass das Wohlergehen der Menschen nicht mehr länger von
ihren eigenen Möglichkeiten oder karitativen Einrichtungen abhängig sein
würde. Sozialprogramme dienten nicht nur dem Wohlergehen einzelner
Menschen, sondern auch der Formung einer politischen Gemeinschaft und
dem Verständnis einer kollektiven Identität. Daher war die kontinuierliche
Ausweitung der sozialen Rechte Teil des Projektes, Nationalstaaten in Europa
zu gründen.
Es gibt zwei Grundpfeiler der sozialen Rechte in Europa. Der erste
Grundpfeiler ist auf nationaler Ebene zu finden, wo die soziale Entwicklung
durch das Anwachsen des Wohlfahrtstaates definiert und vorangetrieben
wurde. Im Westen das Keynesianische Modell, in Mittel- und Osteuropa die
zentralistischen Einparteienstaaten. Ob nun in der nationalen Verfassung
enthalten oder als soziale Gesetzgebung formuliert, es wurde vor und nach
dem Zweiten Weltkrieg ein Kerngebilde an sozialen und wirtschaftlichen
Rechten eingeführt, um die Verteilung von Macht, Partizipation, Einkommen
und Lebensmöglichkeiten durchzusetzen. Soziale und wirtschaftliche
Rechte in den europäischen Staaten werden in der Regel durch eine
miteinander verwobene Reihe politischer Ansätze erreicht. Obwohl es große
17
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Unterschiede gibt, werden soziale Rechte in der Regel durch drei
verschiedene Säulen der Politik getragen. Zum einen werden soziale Rechte
durch eine Reihe von Programmen zur sozialen Sicherung und Besteuerung
verkörpert, die auf die Einkommensabsicherung, Einkommensumverteilung
und Bekämpfung der Armut abzielen. Die Hauptpfeiler sind hierbei
Mindestlohn, Pensionen, Arbeitslosenunterstützung, Mutterschafts- und
Familienunterstützung, die in unterschiedlichem Ausmaß durch Arbeitgeber,
Arbeitnehmer und öffentliche Stellen finanziell getragen werden. Ein
typischer zweiter Pfeiler der nationalen sozialen Rechte besteht aus einem
Netzwerk sozialer Einrichtungen. Während Gesundheit, Bildung und
Wohnen fundamentale Bestandteile sind, bieten die meisten europäischen
Staaten darüber hinaus eine Reihe sozialer Einrichtungen und
Sozialleistungen an, die auf eine Steigerung der Lebensqualität abzielen.
Diese öffentlichen Dienstleistungen bieten den zusätzlichen Vorteil, dass sie
auch Arbeitsplätze schaffen. Sie haben in der Vergangenheit auch
öffentliches Eigentum und die Kontrolle grundlegender Dienstleistungen
dargestellt, aber Veränderungen in der Finanzierung und Organisation dieser
Dienste haben in den letzten Jahrzehnten die Unterscheidung zwischen
„öffentlich“ und „privat“ verschwimmen lassen. Schließlich stellt die
Regulierung im Verhältnis zum Arbeitsmarkt einen weiteren wichtigen
Pfeiler in Bezug auf die sozialen Rechte dar, da sie bestimmte
beschäftigungsbezogene Rechte übertragen und geschützt hat. Hierbei gibt
es eine doppelte Betonung bei der Ausübung von Kontrolle über die
Arbeitsbedingungen und über die Maßnahmen zur Aktivierung von
Menschen, eine Beschäftigung aufzunehmen.
Der zweite, bereits beschriebene Grundpfeiler der sozialen Rechte besteht
auf internationaler Ebene, wo eine Reihe von Normen und rechtlichen
Instrumenten, wie in den Resolutionen und Empfehlungen des Europarates,
der Vereinten Nationen und in letzter Zeit auch der Europäischen Union (EU)
verkörpert, der Etablierung internationaler Standards und Vorgehensweisen
für soziale Rechte und sozialen Zusammenhalt dienen. Der Europarat ist
besonders bedeutsam bei der Förderung der sozialen Entwicklung und für
die Schaffung eines politischen, wirtschaftlichen und sozialen Klimas, das
günstig ist für den sozialen Zusammenhalt in Europa. Dies ist sowohl
historisch betrachtet als auch für die heutige Zeit zutreffend. Soziale Rechte
haben stets eine herausragende Stellung im Ansatz des Europarates
eingenommen.
Mit der Vorlage der Europäischen Sozialcharta zur Unterschrift im Jahr 1961
und ihres Inkrafttretens im Jahr 1965 wies der Europarat den Weg für die
Etablierung eines umfassenden Kodex an wirtschaftlichen und sozialen
Rechten. Wirtschaftliche Rechte, wie sie die Charta festlegt, beziehen sich
hauptsächlich auf Beschäftigung und den Arbeitsmarkt, während die
sozialen Rechte vorwiegend auf die Bereiche Gesundheit und Wohlfahrt
abzielen. Die Charta enthält neunzehn Hauptartikel, wobei die ersten zehn
18
Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa
sich vorwiegend auf Beschäftigung, Arbeitsmarkt und industrielle Fragen
beziehen, und sich die verbleibenden Artikel eingehender mit den sozialen
Rechten befassen. Einige der Artikel kann man als „Kern”1 bezeichnen und
die vertragschließenden Parteien müssen eine bestimmte Anzahl dieser
Kernartikel akzeptieren. Die Einhaltung der Inhalte der Charta wird durch
einen internationalen Überwachungsmechanismus auf der Grundlage
von Berichten überprüft, die von den ratifizierenden Staaten alle zwei
Jahre vorgelegt werden müssen.2 Die Einführung eines kollektiven
Beschwerdemechanismus, der 1998 in Kraft trat, hat nach Fitzpatrick (2001)
die Maßnahmen zur Durchsetzung der Europäischen Sozialcharta
revolutioniert. Dem Europäischen Gewerkschaftsbund (ETUC=EGB), NROs
auf europäischer Ebene (und, wenn die ratifizierenden Staaten es zulassen,
auch auf nationaler Ebene) und Nationalverbänden von Gewerkschaften ist
es nun gestattet, Beschwerden direkt dem Europäischen Ausschuss für
Sozialrechte vorzutragen.
Beschäftigung (das Recht auf Arbeit) könnte man in dem Sinne als
Mittelpunkt der Charta bezeichnen, da ca. die Hälfte der Rechte sich auf
bezahlte Arbeit beziehen oder sich aus dieser ergeben. Unter diesen Rechten
befinden sich z. B. das Recht, seinen eigenen Lebensunterhalt in einer frei
gewählten Beschäftigung zu verdienen sowie das Recht auf gerechte, sichere
und gesunde Arbeitsbedingungen und auf faire Entlohnung und
Sozialschutz. Arbeitern werden ebenfalls politische Rechte zugestanden,
wie z. B. das Recht auf Vereinigung zum Zwecke des Schutzes ihrer
wirtschaftlichen und sozialen Interessen und das Recht, gemeinsam
Tarifverträge auszuhandeln. Die Europäische Sozialcharta legt auch eine
Reihe von Rechten fest, die sich mit der Förderung der Berufsausbildung
befassen, so z. B. das Recht auf Berufsberatung und berufliche Weiterbildung. Unter die allgemeineren Rechte fallen das Recht auf
gesundheitlichen Schutz, das Recht auf soziale Sicherheit, das Recht auf
soziale und medizinische Unterstützung sowie das Recht auf
Dienstleistungen der sozialen Wohlfahrt. Neben den Arbeitern wird die
Schutzbedürftigkeit einer Reihe bestimmter Gruppen hervorgehoben. Diese
schließen Menschen mit Behinderungen, Mütter, Kinder und
Migrantenarbeiter und deren Familien ein.
Der Schutz der sozialen Rechte von Migranten und deren Familien nimmt für
den Europarat Priorität ein. Das Europäische Übereinkommen über die
Rechtsstellung der Wanderarbeitnehmer (1977) regelt einerseits den
rechtlichen Status der Wanderarbeiter im Hinblick darauf, dass ihre
Gleichbehandlung mit Einheimischen des jeweiligen Staates in Aspekten der
______
1. Diese behandeln das Recht auf Arbeit, das Recht, sich zu organisieren, das Recht, Tarifverträge
auszuhandeln, das Recht auf Sozialschutz, das Recht auf soziale und medizinische Versorgung, das Recht
der Familie auf soziale, rechtliche und wirtschaftliche Unterstützung, das Recht von Migrantenarbeitern
und deren Familien auf Schutz und Unterstützung.
2. Die Kernartikel werden in jeder Periode und die anderen Artikel alternierend dazu überprüft .
19
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Lebens- und Wohnbedingungen sichergestellt wird, und andererseits die
soziale Förderung von Wanderarbeitern und deren Familien. Das
Übereinkommen fordert die Gleichbehandlung der Wanderarbeiter und der
nationalen Arbeiter in den folgenden Bereichen (u.a.): Wohnen, Bildung,
soziale Sicherheit, soziale und medizinische Unterstützung. Andere
Bestimmungen fordern die Gleichbehandlung in den Bereichen
Berufsbildung, die Nutzung von Arbeitsvermittlung und Rehabilitation und
Arbeitsbedingungen. Das Ziel der rechtlichen Instrumente des Europarates
im Bereich der Koordinierung der sozialen Sicherheit, im Besonderen das
Europäische Übereinkommen über Soziale Sicherheit (1972), ist, den
Wanderarbeitern und deren Familien den Zugang zur sozialen Sicherheit zu
ermöglichen. Diese Instrumente beinhalten die Eliminierung
diskriminierender Bestimmungen auf der Grundlage der Nationalität durch
die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und der
Neutralisierung von Restriktionen, die auf der Gesetzgebung von
Einzelstaaten beruhen. Zusätzlich hat das Europäische Fürsorgeabkommen
(1953) das Ziel, einen gewissen Grad an Reziprozität von Rechten
sicherzustellen (so dass Personen einer vertragschließenden Partei, die sich
legal im Gebiet einer anderen vertragschließenden Partei befinden und über
keine ausreichenden Mittel verfügen, denselben Anspruch auf soziale und
medizinische Unterstützung haben wie Einheimische).
1996 wurde die überarbeitete Fassung der Europäischen Sozialcharta zur
Unterzeichnung freigegeben und trat 1999 in Kraft. Damit ist ein Dokument
entstanden, in dem sowohl die Rechte der ursprünglichen Sozialcharta, in
ihrer letzten Fassung, als auch die Rechte, die im Zusatzprotokoll von 19881
aufgeführt sind, als auch eine Reihe neuer Rechte enthalten sind. Die
überarbeitete Charta zielte sowohl auf die Berücksichtigung als auch die
Widerspiegelung sich verändernder sozialer Bedingungen und Werte ab. Sie
beruht auf dem Grundsatz der Unteilbarkeit aller Menschenrechte und
betont die Nichtdiskriminierung als grundlegendes Prinzip, insbesondere,
dass die Ausübung von Rechten ohne Diskriminierung aufgrund von
Abstammung, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder
anderer Gesinnung, nationaler oder sozialer Herkunft, Gesundheitszustand,
Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Geburt oder eines anderen
Status sichergestellt wird. Auch hier nehmen beschäftigungsbezogene
Rechte eine herausragende Stellung ein. Zusätzlich zu den im
Zusatzprotokoll von 1988 enthaltenen Rechten sind auch folgende Rechte
enthalten: das Recht auf Schutz im Fall einer Kündigung und Insolvenz des
Arbeitgebers sowie das Recht auf Würde am Arbeitsplatz.
______
1. Dieses legte Folgendes fest: das Recht auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung im Hinblick auf
Anstellung und Beschäftigung ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, das Recht auf Information
und Konsultation, das Recht, an der Bestimmung und Verbesserung von Arbeitsbedingungen und
Arbeitsumfeld teilzunehmen sowie das Recht älterer Personen auf Sozialschutz.
20
Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa
Vertretern der Arbeitnehmer wird ebenfalls ein Schutz vor gegen sie
gerichtete Handlungen gewährt und das Recht auf entsprechende
Einrichtungen, um ihren Aufgaben nachgehen zu können. Neben diesen
arbeitsbezogenen Rechten bestätigt die revidierte Europäische Sozialcharta
das Recht älterer Menschen auf Sozialschutz und das Recht der
Arbeitnehmer oder potenziellen Arbeitnehmer mit Familienverpflichtungen,
ohne Diskriminierung einer Beschäftigung nachzugehen, die möglichst
wenig Konflikte zwischen Beschäftigung und Familienverpflichtungen
verursacht. Zwei neue soziale Rechte wurden in die überarbeitete Charta
aufgenommen: das Recht auf Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung
und das Recht auf zumutbares Wohnen zu angemessenen Preisen. Diese
sind angesichts der sich verändernden Bedingungen in der Gesellschaft
bedeutsam, da sie den Umfang der Charta erweitern und ihre Rolle als
internationalen Standard im Hinblick auf soziale Rechte erhöhen.
Die Untersuchung des von der Charta verwendeten Ansatzes, sowohl in der
ursprünglichen als auch in der revidierten Fassung, legt die Natur der
sozialen Rechte offen. Diese Rechte werden in der Charta im Hinblick auf
Maßnahmen durch Staaten umrissen und nicht etwa als Rechte von
Individuen. Die Charta stellt damit einen institutionellen und rechtlichen
Rahmen dar. Dies ist in vielerlei Hinsicht eine Vorgabe für gute Praxis, die
sich vor allem auf die Sozialpolitik und die Gewährung von Rechten bezieht,
und dabei eine Reihe von politischen Maßnahmen festlegt. Die Charta geht
jedoch über die bloße Bereitstellung hinaus, weil sie auch auf die Etablierung
von Standards und auf die Förderung bestimmter Praktiken und Werte
abzielt (wie z. B. die Beratung und, im Fall sozialer Einrichtungen und
Leistungen, auf die Partizipation einzelner Personen und Freiwilligen- oder
anderen Organisationen). Ein weiterer bedeutender Aspekt des Ansatzes der
Europäischen Sozialcharta ist, dass sie nicht nur grundlegende soziale Rechte
seitens der einzelnen Staaten garantiert, sondern dass sie im Laufe der Zeit
eine Verbesserung der Standards gestattet. Es gibt ein Verfahren, bei dem die
Regierungen verpflichtet sind, in regelmäßigen Abständen zu prüfen, welche
neuen Verpflichtungen sie akzeptieren könnten. Ein Nichtakzeptieren von
Bestimmungen wird dementsprechend immer als vorübergehend betrachtet.
Mit anderen Worten, es wird nicht das statische, sondern das dynamische
Wesen der Rechte betont. Zusätzlich basiert die Charta nicht auf einem
uniformen Modell, sondern auf gemeinsamen Werten. Die Uniformität wird
durch den Grundsatz, harmonisch zu gemeinsamen Standards zu gelangen,
außer Kraft gesetzt.
Soziale Rechte wurden aber auch in anderen Foren entwickelt. So z. B. der
Internationale Pakt der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Rechte, der 1976 in Kraft trat, und der zehn Jahre zuvor
verabschiedet und zur Unterzeichnung freigegeben worden war. Einige der
in diesem Dokument festgelegten Rechte überschneiden sich mit jenen der
Europäischen Sozialcharta, besonders im Fall der arbeitsbezogenen Rechte.
21
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Eine weitere wichtige Entwicklung im Bereich der sozialen Rechte in Europa
war die Einführung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im
Jahr 2000 (Rat der Europäischen Union 2000). Der Ansatz ist hier wiederum
ein anderer, wie die Verwendung der Worte „Grundrechte“ impliziert.
Rechte und Grundsätze stehen in einem Dokument nebeneinander, das
Rechte und Grundsätze festlegt, die durch die Europäische Union und ihre
Mitgliedstaaten bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts eingehalten
werden müssen. Sechs Grundwerte werden von der Union gefördert:
Würde, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte und Gerechtigkeit. Die
von der Charta der Grundrechte zugewiesenen Rechte sind eng verwandt
mit jenen Grundsätzen und können, folgt man der Meinung des Rats der
Europäischen Union (2001a), in vier Grundkategorien eingeteilt werden:
– Rechte und Freiheiten und verfahrensrechtliche Garantien: Bei den hier
aufgeworfenen Rechten handelt es sich um bürgerliche und politische
Rechte, wie z. B. den Grundsatz der Gleichheit und der Respektierung der
Privatsphäre, und Rechte, die von öffentlichen Freiheiten herrühren, wie
z. B. die Pressefreiheit, die Gewissensfreiheit und die Versammlungs- und
Vereinigungsfreiheit.
– Rechte, die den Bürgern der Europäischen Union vorbehalten sind: Diese
Rechte, die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
enthalten sind, beinhalten Wahlrechte, den allgemeinen diplomatischen
Schutz sowie das Recht auf Petition vor dem Europäischen Parlament und
Fälle an den Europäischen Ombudsmann weiterzuleiten;
– wirtschaftliche und soziale Rechte: Diese beinhalten Bestimmungen zum
Arbeitsrecht, wie z. B. das Recht, einer Gewerkschaft beizutreten, zu
streiken und das Recht auf Mindestlohn. Andere Rechte werden ebenfalls
abgedeckt, wie z. B. jene von Menschen mit Behinderungen auf
Integration in die Arbeitswelt, die Rechte von Kindern und älteren
Menschen und Bestimmungen des Sozialrechts, wie z.B. der Sozialschutz
oder das Recht auf Gesundheitsvorsorge;
– moderne Rechte: Diese schließen z.B. das Recht auf den Schutz
persönlicher Daten oder die Rechte in Bezug auf Bio-Ethik ein. Die Charta
strebt auch eine größere Transparenz und Unparteilichkeit in den
Institutionen der Gemeinschaft an, indem sie das Recht auf Zugang zu
Verwaltungsunterlagen und das Recht auf eine gute Verwaltung
aufgenommen hat.
Generell kann man sagen, dass die sozialen Rechte bereits seit mehr als
40 Jahren Teil der europäischen Ordnung sind. In dieser Hinsicht hat der
Europarat eine führende Rolle eingenommen. Betrachtet man das Ganze aus
vergleichender Sicht, dann verfügt Europa über ein starkes Modell für soziale
Rechte. Darüber hinaus spiegeln in Europa die sozialen Rechte eine Ordnung
wider, in der nationale und internationale Entwicklungen und Standards
miteinander verwoben und interdependent sind. Es ist wichtig, sich
22
Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa
angesichts der steigenden Globalisierung die Rolle der europäischen Staaten
ins Bewusstsein zu rufen, die, ob nun individuell oder kollektiv, einem an
sozialen Rechten ausgerichteten Ansatz bei der Entwicklung den Vorzug
geben.
1.2. Soziale Rechte und Wandel in europäischen Gesellschaften
Die europäischen Gesellschaften verändern sich rasant. Vor diesem
Hintergrund widmet sich dieses Kapitel der Frage, wie soziale Rechte sich
angesichts wirtschaftlicher, politischer und sozialer Entwicklungen bewährt
haben.
Die vergangenen zwei Jahrzehnte stellten wahrscheinlich die größte
Herausforderung für die Sozialpolitik und soziale Rechte dar. Die
Entwicklungen werfen die schwerwiegende Frage auf, wie tauglich ein
starkes Modell der sozialen Rechte für die heutige Wirtschaft und
Gesellschaft ist. Entworfen für eine Gesellschaft, die auf Produktion
ausgerichtet ist, betrachtete der europäische Wohlfahrtsstaat die
Arbeitslosigkeit als temporäres Problem (Béland und Hansen 2000: 56) und
ging von der Annahme aus, dass Frauen und Kinder am besten innerhalb der
Familie unterstützt würden. Diese Situation besteht nicht mehr und die
heutigen Sozialplaner sehen sich mit einer völlig anderen Situation
konfrontiert. Die Entwicklungen haben sowohl zur Unterminierung der
Wohlfahrtsmaßnahmen der öffentlichen Stellen auf nationaler und lokaler
Ebene beigetragen als auch das Ausmaß in Frage gestellt, in dem soziale
Bürgerrechte wünschenswert oder erforderlich sind. Eine Bandbreite an
Faktoren ist für diese Veränderung verantwortlich. Diese beinhalten
Globalisierung, besonders im Hinblick auf die wirtschaftlichen Praktiken und
sozialen Werte, die sie vertritt, politische und wirtschaftliche Entwicklungen
in Mittel- und Osteuropa, das veränderte Verständnis der Funktion von
Sozialschutz und ein sich wandelndes Verständnis über die angemessene
Rolle des Staates und der Beziehung zwischen Staat, Individuum und
Gesellschaft. Jeder dieser Punkte wird kurz besprochen.
Obwohl es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, welche
Implikationen das Phänomen der Globalisierung aufwirft, ist sie im Kern ein
Prozess, der einen erhöhten wirtschaftlichen Wettbewerb in einer Welt
verursacht, in der die technische Entwicklung rasant ist und in der Grenzen
nicht mehr länger die Funktion haben, unerwünschte Entwicklungen und
Einflüsse abzuweisen. Der gesteigerte grenzübergreifende Wettbewerb
(einschließlich dem zwischen verschiedenen sozialen Modellen) geht Hand in
Hand mit einem gesteigerten Wettbewerb innerhalb der Staaten und auch
zwischen den Regionen. Eine größere Flexibilität wird gefordert, nicht nur
von den nationalen Wirtschaftssystemen, sondern auch auf lokaler Ebene
und selbst von Individuen und Familien. In dem von der Globalisierung
23
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
geförderten ideologischen Klima nehmen wirtschaftliche Belange eine
herausragende Stellung ein, so dass den Bedürfnissen der Wirtschaft
gegenüber denen der Gesellschaft der Vorrang eingeräumt wird.
Die Meinungen über Globalisierung sind sehr vielfältig, könnten aber
dahingehend zusammengefasst werden, dass die Globalisierung sowohl
Risiken, Möglichkeiten als auch Herausforderungen mit sich bringt. Trotz der
wirtschaftlichen Vorzüge der Globalisierung und der Tatsache, dass sie ein
Motor für die Wirtschaft und das Beschäftigungswachstum ist, gibt es
dennoch Grund zur Sorge hinsichtlich der Implikationen der Globalisierung
für den Zugang zu sozialen Rechten. Die Globalisierung legt die Kosten der
Finanzierung von sozialer Sicherheit offen und wird mit dem Druck
assoziiert, den Anspruch auf Sozialschutz zu schwächen. In einem Kontext,
in dem Regierungen sich der Notwendigkeit nach Flexibilität ausgesetzt
sehen, wie sie auf Risiken reagieren, und immer stärker im Hinblick auf
Löhne, Kosten und Wettbewerb unter Druck geraten, könnten soziale
Rechte in einem negativen Licht erscheinen, als ein optionales Extra oder als
zu kostenintensiv. Solche Ansichten sind in einigen Staaten stärker vertreten
als in anderen. Somit hängen die Auswirkungen der Globalisierung in
gewissem Sinne davon ab, wie man sie auf nationaler Ebene betrachtet und
auf sie reagiert. Statt einer vollkommen negativen Darstellung ist es jedoch
wichtig herauszustellen, dass einige Maßnahmen zum Sozialschutz ergriffen
wurden, um den negativen Entwicklungen, die man mit der Globalisierung
assoziiert, entgegenzuwirken. Pillinger (2001: 7) stellt eine allgemeine
Entwicklung zu mehr individualisierten Rechten fest, die sich durch ein
Abwenden von universalen Dienstleistungen und einem Zuwenden zu
ausgewählten Leistungen auszeichnet, die in einer koordinierteren Weise
vielfältige Bedürfnisse behandeln. Obwohl die Globalisierung eine größere
Flexibilität ermöglicht, kann sie gleichzeitig auch mit einer neuen Form der
Ausgrenzung einhergehen.
Jene, die bereits einen gesicherten Platz in der Gesellschaft haben, sind
diejenigen, die am ehesten von den Möglichkeiten der Globalisierung
profitieren. In diesem Kontext ist es wichtig, die Möglichkeit jedes Einzelnen
sicherzustellen, sich mit neuen Technologien und den Massenmedien zu
befassen und Gelegenheiten für ein lebenslanges Lernen zu erhalten. Im
Ganzen können drei wichtige Punkte im Hinblick auf die Globalisierung
formuliert werden. Der erste Punkt ist, dass es nicht angemessen ist, die
Globalisierung in eindimensionaler oder homogener Weise zu betrachten; ihr
Erscheinungsbild und ihre Auswirkungen sind von Ort zu Ort
unterschiedlich. Zweitens ist die Reaktion auf die Globalisierung, sei es
seitens supranationaler Einrichtungen, Staaten, Regionen oder selbst auf
lokaler Ebene, ausschlaggebend im Hinblick auf ihre Auswirkungen und
wahrscheinlichen Manifestationen. Drittens haben sich im Prozess der
Globalisierung sowohl das Ausmaß der regionalen Unterschiede und
24
Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa
Ungleichheiten innerhalb Europas als auch die Geschwindigkeit erhöht, in
der sie wachsen.
Der Zerfall der zentralen Planwirtschaften in Mittel- und Osteuropa hat
ebenfalls eine erhebliche Bedeutung für die sozialen Rechte. Er hat die
beteiligten Staaten nicht nur auf den Weg eines schwierigen
Übergangsprozesses gebracht, sondern hat, im gesamteuropäischen
Kontext, die Besorgnis über die Gefahren zentralistischer staatlicher
Zuwendungen erhöht, besonders in Bezug auf die wahrgenommenen
negativen Auswirkungen sowohl auf den Markt als auch auf die individuelle
Autonomie. Ein damit zusammenhängender Faktor, der vielleicht dazu
beigetragen hat, die Legitimität der sozialen Rechte für Europa zu
unterminieren, ist das Anwachsen regionaler Unterschiede innerhalb der
Staaten und zwischen den Staaten. Wenn man die Staaten miteinander
vergleicht, die sich über den Kontinent erstrecken, sind die Unterschiede
offensichtlich. Die Auswirkungen des Wandels in Ökonomie, Politik und
Werten haben einen erheblichen Einfluss genommen, besonders in mittelund osteuropäischen Staaten. Während politische Entwicklungen eine
wichtige Rolle für den Aufbau und den Zerfall der ehemaligen Systeme
dieser Staaten gespielt haben, scheinen wirtschaftsbezogene Fragen und
Interessen für den Neuaufbau im Vordergrund zu stehen (Deacon 2000).
Alle Anzeichen belegen, dass die Reformen sehr hohe soziale und
wirtschaftliche Kosten haben (Weltbank 1996; Milanovic 1998; Standing
1998; UNDP 1998). Sich verschärfende Unterschiede und Ungleichheit
können die Aufgabe erschweren, einen Ansatz der sozialen Rechte
anzuwenden und zu legitimieren.
Auch andere politische Änderungen haben Auswirkungen auf soziale
Rechte. In den Staaten und grenzübergreifend wird die Politik immer mehr
durch eine Politik der Unterschiede und/oder Anerkennung geformt (Phillips
1999). Angesichts eines sich ausweitenden Individualismus zeichnen sich die
Regierungen dadurch aus, einerseits die Unterschiede zwischen den
Gruppen (z. B. aufgrund von Geschlecht, Ethnie, Herkunft, Sprache und
Kultur) und andererseits die Gruppenzugehörigkeit von Individuen
anzuerkennen. In diesem Kontext wird die Frage nach der Bedeutung von
politischer Gleichheit zwischen Individuen und Gruppen aufgeworfen. Eine
damit verwandte Herausforderung stellt das Anwachsen von Nationalismus
dar, der, in seinen am stärksten ausgrenzenden und aggressivsten Formen,
dem Grundsatz der Universalität entgegensteht, der einem rechtsbezogenen
Ansatz zugrunde liegt. Neben den wirtschaftlichen und politischen
Veränderungen wirkt sich auch ein Wandel der Werte auf die sozialen
Rechte aus. Die traditionelle Idee der Versorgung durch öffentliche Stellen
wird in Frage gestellt, besonders durch Deregulierung. Dies ist eine
Entwicklung, die ebenfalls Risiken und Möglichkeiten beinhaltet. Die
Wahlmöglichkeit wird immer stärker als ein wichtiges öffentliches Gut
betrachtet, was wiederum zur Schaffung von Dienstleistungen führt, die
25
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
besser auf die Bedürfnisse der Nutzer eingehen. Die Möglichkeit für eine
stärkere Rolle von NROs und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft eröffnet
sich hier. Ein großes Risiko im Hinblick auf die Wahlmöglichkeit ist jedoch,
dass der Zugang sozial benachteiligter Gruppen zu den Dienstleistungen und
Zuwendungen behindert wird. Es besteht auch das Risiko, dass sich die
öffentliche Meinung und die öffentliche Unterstützung für soziale Rechte
ändern, indem, aus Eigeninteresse oder aus anderen Gründen, einige
Bereiche der Gemeinschaft nicht mehr länger bereit sind, die Steuern zu
zahlen, die für ein umfassendes Netz an sozialen Zuwendungen und Rechten
erforderlich sind.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Globalisierung, der Zerfall
der zentralistischen Staaten in Mittel- und Osteuropa und der Wandel in
Politik und Werten zu einem erneuten Nachdenken über die bestehenden
Grundpfeiler von Solidarität und sozialer Zusammenarbeit geführt haben. Es
besteht daher kein Zweifel, dass sich der Kontext verändert, in dem die
Allgemeingültigkeit sozialer, politischer und wirtschaftlicher Rechte in Europa
entstanden ist. Dies darf man jedoch nicht dahingehend verstehen, dass die
Verpflichtung gegenüber sozialen Rechten in Europa unterminiert worden
ist. Tatsächlich belegen die bereits durchgeführten Reformen, dass die
Mehrheit der europäischen Staaten keineswegs ihre Bindung an soziale
Rechte aufgeben. Es ist unbestritten, dass Maßnahmen ergriffen wurden, um
Zuwendungen und Dienstleistungen zielgerichteter zu gestalten, mehr
individuelle Eigenverantwortung zu fördern und eine Übertragung der
Risiken von öffentlichen Bereichen auf den Privatbereich und den freien
Markt vorzunehmen. Soziale Leistungen und Rechte haben sich jedoch
bisher als sehr beständig erwiesen. Aus Platzmangel kann nicht eingehend
auf dieses Thema eingegangen werden, aber es gibt, wie Ferrera und Rhodes
(2000: 258) und andere1 feststellen, Grund zur Annahme, dass der generelle
Einfluss der Globalisierung und anderer Kräfte des Wandels überbewertet
wurden. Obwohl kein Zweifel besteht, dass die Staaten Mittel- und
Osteuropas einen grundlegenden Wandel erfahren, bewegen auch sie sich
in Richtung eines auf sozialen Gesetzen basierenden Ansatzes. Tatsächlich
haben sich soziale Rechte erneut als essenzielle Bestandteile der
Marktwirtschaft erwiesen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass
soziale Rechte ein herausragendes Merkmal der heutigen europäischen
Gesellschaft sind.
1.3. Auswirkungen eines nicht-rechtlichen Ansatzes
Hier wenden wir uns der Frage nach der Relevanz sozialer Rechte in der
heutigen Welt zu und der Frage, ob das Konzept der sozialen Rechte
geändert werden muss, um die sozialen, wirtschaftlichen und politischen
Realitäten des gegenwärtigen Europas zu berücksichtigen.
______
1. Siehe z. B. Borchert (1995), Daly (1997) und Sykes, Palier und Prior (2001).
26
Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa
Angesichts der Tatsache, dass heute stärker als in der Vergangenheit soziale
Rechte als Grundlage des europäischen Sozialmodells in Frage gestellt werden,
muss die beständige Relevanz sozialer Rechte in einer fragmentierten und
globalisierten Welt nachgewiesen werden.
Es gibt nur zwei Argumente, die Relevanz sozialer Rechte in Frage zu stellen.
Das erste Argument gegen die Notwendigkeit sozialer Rechte dreht sich um
einen möglichen Wandel in solidarischen Werten (unter Individuen und
Regierungen). Wenn die Grundwerte, die den sozialen Rechten zugrunde
liegen, nicht mehr länger weit verbreitet unterstützt werden, dann wird
die Legitimität sozialer Rechte unterminiert. In dieser Hinsicht sollte die
politische Bedeutung sozialer Rechte nicht unterschätzt werden. Da sie
Ressourcen für sich beanspruchen, stellen sie eine bedeutende
Herausforderung für die Annahme dar, dass Bürgerschaft hauptsächlich eine
Frage des politischen und zivilen Status sei (Plant 1992: 16). Soziale Rechte
zielen darauf ab, dem Status als Bürger eine materielle Grundlage zu
verleihen. T. H. Marshall (1965) definierte sie als das Recht auf ein Minimum
an wirtschaftlichem Wohlergehen und wirtschaftlicher Sicherheit, das Recht,
in vollem Umfang am sozialen Erbe teilzuhaben, und das Leben eines
zivilisierten Menschen zu leben gemäß den Standards, die in der jeweiligen
Gesellschaft vorherrschen. Wie Plant bemerkt, bedeuten soziale Rechte, dass
die Verpflichtungen der Bürger nicht beim gegenseitigen Nichteinmischen
aufhören; sie beinhalten auch positive Verpflichtungen, Ressourcen für das
allgemeine, kollektive Wohl bereitzustellen. Es gibt nur wenige Belege für
eine starke Abnahme der solidarischen Werte. Tatsächlich sprechen sich die
Menschen in Europa heute für die sogenannten traditionellen Werte und
Prinzipien aus – wie z. B. Vertrauen, Gemeinschaft und Solidarität
(Europäische Kommission 2001).
Das zweite Argument gegen soziale Rechte besagt, dass sich die Natur der
grundlegenden Bedürfnisse gewandelt hat. Auch für diese Behauptung
lassen sich keine Belege finden. Tatsächlich ist der Bedarf an Schutz im
Hinblick auf Beschäftigung, Gesundheit, Wohnen, Einkommen, Wohlfahrt
und Bildung stärker denn je. Das heißt, dass neue Bedürfnisse oder Rechte
keineswegs die grundlegenden sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen
Bedürfnisse ersetzt haben, die ursprünglich einmal der Ausgangspunkt für
die Institutionalisierung sozialer Rechte gewesen sind. Wenn überhaupt, so
muss man für eine Ausweitung der Bereiche plädieren, die man als
grundlegende Bedürfnisse erachtet. Bedenken wir die heutige
technologisierte und wissensbasierte Gesellschaft und wie leicht Menschen
den Anschluss verlieren, wenn sie keinen Zugang zu Massenmedien und
neuer Technologie haben. Lebenslanges Lernen wird in dieser sich
wandelnden Umgebung essenziell. Der Bedarf an neuen Kategorien sozialer
Rechte wurde durch die EU in ihrer kürzlich vorgestellten Charta der
Grundrechte anerkannt. Wie bereits oben beschrieben, bezieht sie sich auf
27
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
moderne Rechte in Bezug auf Bio-Ethik und auf den Schutz persönlicher
Daten.
Ob wir auch über neue soziale Rechte sprechen müssen, ist eine wichtige
Frage. Zu den Rechten, die sich in dieser Hinsicht ergeben, gehören
kulturelle Rechte, globale und ökologische Bürgerrechte und Rechte von
Kindern.1 Eine Diskussion kultureller Rechte wirft wichtige Fragen über den
Respekt im Hinblick auf Unterschiede in kulturellen Werten und auch über
die Anerkennung des Rechts von Gruppen oder eines Individuums innerhalb
eines Staates auf, deren/dessen eigene kulturelle Identität sowie diese
Identität und Kultur zu bewahren und weiterzuentwickeln. Das Inkrafttreten
des Rahmenabkommens zum Schutz der Nationalen Minderheiten sowie der
Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen im Jahr 1998
ist hier von Bedeutung, da sie Minderheiten, die in diesen Dokumenten
genannt werden, die Inanspruchnahme ihrer sozialen Rechte garantieren.
Globale und ökologische Bürgerrechte beinhalten das Recht auf eine soziale
Ordnung, in der es einen Umweltschutz und eine Anerkennung des
Anspruchs von Individuen auf Zugang zu Informationen und Ressourcen
gibt, die sie in die Lage versetzen, Umweltzerstörungen entgegenzuwirken.
Im Hinblick auf die Rechte von Kindern wurden im letzten Jahrzehnt
gemeinsame Maßnahmen ergriffen, um Kindern sowohl Menschenrechte als
auch wirtschaftliche und soziale Rechte zu garantieren.
Die UN Konvention über die Rechte des Kindes aus dem Jahr 1989 erklärt z.
B. Kinder als Nutznießer einer ganzen Reihe von Rechten, einschließlich der
Rechte, die zu dieser Zeit als innovativ galten, wie z. B. das Recht auf
Überleben, Schutz und Entwicklung sowie das Recht auf Partizipation. Die
Europäische Konvention über die Ausübung der Rechte von Kindern (1996),
die kürzlich in Kraft trat, zielt auf den Schutz der Interessen und Rechte von
Kindern ab. Sie enthält eine Anzahl von Verfahrensmaßnahmen, die
sicherstellen sollen, dass die Rechte von Kindern respektiert werden und
richtete einen Ständigen Ausschuss ein, der sich mit den Fragen beschäftigt,
die sich aus dieser Konvention ergeben. Kinder können ihre Rechte – z. B.
informiert zu werden und ihre Meinung darzulegen - entweder selbst oder
über andere Personen oder Einrichtungen wahrnehmen. Dieses neue
europäische Rechtsmittel wird darüber hinaus Staaten helfen, die UN
Konvention über die Rechte des Kindes umzusetzen.
Es ist zweifellos unbestritten, dass wir heute nicht mehr mit fixen Kategorien
des Rechts auskommen. So kann man z. B. gute Gründe anführen, in einer
Gesellschaft, wie der heutigen, Entwicklung und Fortschritt als grundlegende
menschliche Bedürfnisse zu bezeichnen. So sind in einer Welt, in der
Fähigkeiten schnell überholt sind und in der dem Wissen, der Innovation und
der Risikofreude Priorität eingeräumt werden, Anpassung und Änderung
______
1. Diese und weitere neue Rechte werden in den von Van Steenbergen (1994) und Eide, Krause und Rosas
(1995) herausgegebenen Sammlungen behandelt.
28
Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa
essenzielle Bestandteile. Der Zugang zu Bildung und Lernen auf einer mehr
oder weniger kontinuierlichen Basis gewinnt in diesem Kontext eine
erhebliche Bedeutung. Man könnte in der Tat argumentieren, dass Bildung
und Entwicklung in Bezug auf Wissen und Technologie lebenswichtig sind,
um ein Ansteigen von Marginalisierung und Ausgrenzung zu verhindern.
Jeder sollte das Recht auf Fortschritt und Weiterentwicklung haben, ob in
kognitiver, sozialer, kultureller oder emotionaler Hinsicht.
Man kann auch für soziale Rechte plädieren, indem man die Kosten eines
Verzichts auf einen nicht-rechtlichen Ansatz hervorhebt. Die Zahlen über
Armut und soziale Ausgrenzung sind ein schwerwiegendes Anzeichen für die
Unfähigkeit der Menschen, Zugang zu sozialen Rechten zu erhalten. Die
neuesten über die EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung stehenden
Informationen besagen, dass im Jahr 1997 18% der EU-Bevölkerung in
armen Haushalten lebten1, und dass ein vergleichbarer Prozentsatz (17%)
der Bevölkerung vielfältige Benachteiligungen im Hinblick auf ihre finanzielle
Lage, Grundbedürfnisse und Wohnen erlebte (Rat der Europäischen Union
2001b: 16). Laut den verfügbaren Daten über Armut in den ehemals
sozialistischen Staaten wurden im Jahr 2000 in den mitteleuropäischen
Staaten zwischen 9% und 45% der Bevölkerung als arm bezeichnet
(Rumänien: 45%, Polen: 18%, Ungarn: 9%, während die Rate in einigen
Staaten der ehemaligen Sowjetunion zwischen 40% und 75% lag2
(http://www.odci.gov)). All dies kann man zum Anlass nehmen, die
Implementierung von sozialen Rechten in Europa zu intensivieren und den
politischen Willen und den Einsatz zur Mobilisierung von Ressourcen zu
verstärken, um die sozialen Fragen mittels eines rechtlichen Ansatzes zu
lösen.
Neuste Entwicklungen hinsichtlich des Ansatzes der EU zur Bekämpfung von
Armut und sozialer Ausgrenzung sind in diesem Kontext von Bedeutung. Der
sogenannte Prozess der sozialen Eingliederung wurde im Dezember 2000
mit einem Treffen des Europäischen Rates in Nizza gestartet. Es basiert auf
vier weitgespannten Zielsetzungen. Die erste Zielsetzung ist es, den
Menschen die Teilnahme an Beschäftigung zu ermöglichen und allen Zugang
zu den Ressourcen, Rechten, Gütern und Dienstleistungen zu ermöglichen,
die für eine solche Teilnahme erforderlich sind. Die zweite Zielsetzung ist, das
Risiko der sozialen Ausgrenzung zu verhindern und die dritte, den sozial
Schwächsten zu helfen. In dieser Hinsicht erwähnt diese Strategie
insbesondere die „Garantie, dass jeder über die Ressourcen verfügt, die
notwendig sind, um menschenwürdig leben zu können“. Schließlich verfolgt
die Strategie das Ziel, eine Reihe sogenannter „relevanter Akteure“ zu
involvieren. Dies bezieht sich auf jene Einrichtungen, Gruppen und
______
1. Definiert im Hinblick auf ein Einkommen, das 60% unter dem nationalen, mittleren Einkommen lag.
2. Die Angaben waren wie folgt: Russland: 40%, Armenien: 45%, Ukraine: 50%, Aserbaidschan: 60%,
Georgien: 60%, Modawien: 75%.
29
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Individuen, die sich entweder aktiv an der politischen Arbeit in diesem
Bereich engagieren oder die in der Gemeinde oder anderer Arbeit tätig sind
und deren Tätigkeit sie in die Lage versetzt, die unterschiedlichen Probleme
anzugehen, die dort auftreten. Menschen, die arm sind oder ausgegrenzt
werden, sind ebenfalls als potenzielle Teilnehmer aufgeführt. Der Prozess zur
sozialen Eingliederung besteht aus zwei Phasen. Die erste Phase ist die
Vorlage eines nationalen Aktionsplans (NAPs/incl)1 durch die Mitgliedstaaten
der Kommission und ihre Prüfung durch die Kommission und den
Europäischen Rat. Die zweite Phase des Prozesses zur sozialen Eingliederung
besteht in einem multinationalen Aktionsplan, der die Kooperation zwischen
den Mitgliedstaaten im Kampf gegen soziale Ausgrenzung fördern soll. Für
diesen Fünf-Jahres-Plan, der im Januar 2002 beginnt, steht ein Budget in
Höhe von EUR 75 Millionen zur Verfügung, womit Maßnahmen in einzelnen
Mitgliedstaaten oder gemeinsame Maßnahmen finanziert werden.
Auch die menschlichen Kosten eines nicht-rechtlichen Ansatzes sollten
hervorgehoben werden. Alle bisher besprochenen Änderungen haben sich
auf Individuen, Familien und Gemeinschaften und die Gesellschaften als
Ganzes ausgewirkt. Tatsächlich ist es so, dass sozial schwache Gruppen
einige der größten Kosten der Anpassung und des Wandels tragen. Diese
Kosten beziehen sich auf eine Liste verpasster Möglichkeiten, ob in Bezug
auf die eigene Entwicklung von Menschen und deren Wohlergehen oder in
Bezug auf die Chance, für seine Gemeinschaft oder sein Land einen positiven
Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten. Soziale Sicherheitsnetze sind daher sehr
wichtig, wenn die Kosten für ihre Entwicklung dort anfallen, wo sie am
ehesten getragen werden können. Sie haben darüber hinaus noch eine
weitere wichtige Funktion, da sie den Vorteil bieten, Menschen in die Lage
zu versetzen, Risiken zu übernehmen.
Schließlich können wir die Ausweitung der sozialen Rechte, die unter der
Schirmherrschaft des Europarates und der EU vorgenommen wurde, als
Beleg für die kontinuierliche Bedeutung eines rechtlichen Ansatzes nehmen.
Ein Merkmal in dem Ansatz der EU ist heute, Sozialpolitik nicht nur als Faktor
für Produktion, sondern auch als Produktionsfaktor zu betrachten.
Ökonomien können nicht in einem sozialen Vakuum existieren und die
Stärkung der sozialen Rechte dient, inter alia, der Risikominderung im
Hinblick auf zukünftige soziale und politische Spaltungen. In diesem Licht
betrachtet, helfen soziale Rechte, soziale Spannungen zu mindern und zur
wirtschaftlichen Entwicklung beizutragen. Sie unterstützen auch nachhaltige
Gesellschaften, und diese nachhaltigen Gesellschaften sind wiederum eine
Grundvoraussetzung für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und
______
1. NAPs/incl steht für „National Action Plans against Poverty and Social Exclusion“ (Nationaler
Aktionsplan gegen Armut und soziale Ausgrenzung). In der ersten Phase des Prozesses zur sozialen
Eingliederung präsentiert jeder Mitgliedstaat seine geplanten Prioritäten und Maßnahmen für zwei Jahre
(Juli 2001-Juni 2003) in Form eines Plans zur Förderung sozialer Eingliederung und Bekämpfung von
Armut und sozialer Ausgrenzung. Die nächste Phase der nationalen Aktionspläne beginnt 2003.
30
Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa
für nachhaltige Demokratien. In dieser und anderer Weise sorgen soziale
Rechte für einen sozialen Mehrwert. Dies ist eine Tatsache, die weder durch
Globalisierung noch andere Entwicklungen verändert wird.
Die Antwort sollte sich demnach auf das klassische Muster stützen, das sich
im Laufe des letzten halben Jahrhunderts in Europa herausgebildet hat – bei
dem Probleme nicht auf nationaler Ebene als einzigartig behandelt werden.
In diesem Sinne werden sowohl supranationale als auch nationale, regionale
sowie lokale Ressourcen in der Überzeugung zusammengelegt, dass Europa
kollektiv agieren muss, um wahrhaft „sozial“ sein zu können.
31
2. Analyserahmen für den Zugang zu sozialen Rechten
Dieses Kapitel legt seinen Schwerpunkt auf die Definition und Abgrenzung
des Umfangs dieses Berichtes und legt den Analyserahmen fest.
2.1. Definition von sozialen Rechten und Festlegung ihres
Umfangs
Es gibt keine eindeutige Definition von sozialen Rechten. Es ist jedoch
allgemein üblich, in juristischen Texten und in der Forschung von Rechten
zwischen zwei allgemeinen Kategorien von Menschenrechten zu
unterscheiden: zivilen und politischen Rechten und wirtschaftlichen und
sozialen Rechten. Es gibt eine Reihe von Gründen für diese Unterscheidung,
wobei der zentrale Punkt die Annahme ist, dass diese beiden Bereiche sich
ihrem Wesen nach unterscheiden. Ein erstes Unterscheidungsmerkmal
bezieht sich auf die Rolle des Staates. Bürger- und politische Rechte
orientieren sich in der Regel an der Freiheit von staatlicher Einmischung,
wohingegen soziale Rechte eher einen Anspruch an den Staat auf Schutz
und Unterstützung beinhalten. Soziale Rechte implizieren demnach einen
aktiven (wenn nicht sogar einen interventionistischen) Staat und begründen
sich in einer Philosophie, die sich auf eine „gute Gesellschaft“ bezieht und
wie der Staat zu dieser beitragen kann. Dies führt zu einem weiteren
Unterscheidungsmerkmal der sozialen Rechte. Bürger- und politische Rechte
sind ihrem Wesen nach häufiger „justitiabel“ (in Gesetzen festgelegt und
durch Gerichte und rechtliche Einrichtungen anwendbar), wohingegen
soziale Rechte eher durch die Politik und soziale Bestimmungen realisiert
werden. Darüber hinaus wurden Bürger- und politische Rechte stets als
„absolut“ und „unmittelbar“ betrachtet, während soziale Rechte eher als
programmatisch und als graduell umsetzbar betrachtet wurden (Eide 1995a: 22).
Es scheint nun, dass viele dieser angenommenen Unterschiede übertrieben
sind. Auch soziale Rechte können justitiabel sein und die „Unmittelbarkeit“
und „Absolutheit“ von Bürger- und politischen Rechten steht nicht außer
Frage. Außerdem ging im Laufe der Zeit die Richtung in eine stärkere
Integration zwischen Bürger-/politischen Rechten und sozialen Rechten (Eide
1995b). Dies lässt sich nicht nur anhand der UN Konvention über die Rechte
des Kindes nachweisen, sondern auch anhand der neueren Charta der
Grundrechte der Europäischen Union. Beide Dokumente verwenden einen
umfassenden Ansatz und schließen die verschiedenen Rechte gleichrangig
ein. Der vom Europarat genommene Ansatz betont das Komplementäre
der unterschiedlichen Kategorien von Rechten. Menschenrechte sind
33
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
unveräußerliche Rechte, die den Respekt vor der grundsätzlichen Würde
eines Menschen garantieren. Mit diesem Rahmen garantiert die Europäische
Menschenrechtskonvention staatsbürgerliche und politische Menschenrechte; die durch die Europäische Sozialcharta und die revidierte Europäische
Sozialcharta garantierten sozialen Rechte sind das natürliche Gegenstück zu
diesen Menschenrechten. Diese sozialen Rechte umfassen das Recht auf
Beschäftigung, Sozialschutz, Wohnung, Gesundheit, Bildung und
Gleichbehandlung.
Die sozialen Rechte weisen jedoch einige bedeutende Merkmale auf, die
besondere Aufmerksamkeit verdienen. Zum einen ist es wichtig zu wissen,
dass Gesetze nicht der einzige Bezugspunkt für soziale Rechte sind. Sie
stellen vielmehr eine Mischung aus Gesetzen und sozialer Dienstleistung dar.
Tatsächlich weist Bubnov-Skoberne (2001: 27) darauf hin, dass sowohl der
Typus und der Umfang der sozialen Rechte in einem bestimmten Staat als
auch die Gruppe der Leistungsberechtigten viel stärker durch die
wirtschaftliche und politische Situation des Staates beeinflusst werden, als
durch internationale und verfassungsmäßige gesetzliche Regulierung.
Demnach nehmen soziale Rechte eine primäre Rolle bei der positiven
Verpflichtung und Bereitstellung seitens des Staates ein, und zwar in dem
Sinne, dass Schritte unternommen werden, Ressourcen zur Verfügung zu
stellen und soziale Leistungen und Einrichtungen zu schaffen, damit die
sozialen Rechte realisiert werden. Der Zugang zu sozialen Rechten, also der
Gegenstand dieses Berichts, wird erheblich beeinflusst durch die, wie wir sie
nennen, Architektur der sozialen Leistungen. Eine Schlüsselfrage im Hinblick
auf soziale Rechte ist: Wie ist der Anspruch formuliert? Ist er gesetzlich
festgelegt oder findet er lediglich Ausdruck in allgemeinen politischen
Zielsetzungen?
Ein anderes Verständnis sozialer Rechte ergibt sich im Hinblick auf die Werte
und Vorgaben, die sie in Bezug zur Gesellschaft und dem gesellschaftlichen
Wohl implizieren. Das bedeutet, dass soziale Rechte ihre Bedeutung auch
durch die Definition erhalten, was es heißt, Teilnehmer oder Mitglied einer
Gesellschaft zu sein. In dieser Hinsicht implizieren sie eine Verpflichtung zu
sozialem Zusammenhalt, Solidarität, Gleichheit und Eingliederung. Sie
bedeuten auch eine große Verpflichtung zum Schutze von sozial schwachen
Gruppen.
Obwohl es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, soziale Rechte zu definieren
und zu interpretieren, versteht der vorliegende Bericht, unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Punkte, soziale Rechte sowohl in Bezug
auf individuelle Bedürfnisse als auch in Bezug auf den gesellschaftlichen
Zusammenhalt. Soziale Rechte sind demnach jene Bestimmungen, ob in
juristischer oder anderer Art festgelegt, die für die Erfüllung der sozialen
Bedürfnisse von Menschen und für die Förderung des sozialen
Zusammenhalts und der Solidarität notwendig sind. In Bezug auf den Inhalt
34
Analyserahmen für den Zugang zu sozialen Rechten
sozialer Rechte verfolgt dieser Bericht den Ansatz der Europäischen
Sozialcharta, in ihrer Original- und revidierten Fassung, um die verschiedenen
Bereiche sozialer Rechte zu identifizieren, die im Aufgabenkatalog für diesen
Bericht festgelegt wurden. Daher legt er soziale Rechte dahingehend aus,
dass sie Wohnen, Sozialschutz, Beschäftigung, Gesundheit und Bildung
umfassen.
2.2. Analyserahmen für die Untersuchung des Zugangs zu
sozialen Rechten
Der Zugang zu sozialen Rechten wird hier als Teil einer integrierten Analyse
entwickelt. Daher ist die Beurteilung von Rechten Teil eines Prozesses und
bestimmte Bedingungen müssen vorherrschen, damit soziale Rechte
realisiert werden oder zugänglich sind.
Dies lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Reihe von Hindernissen, die die
Umsetzung sozialer Rechte behindern. Es ist nicht ungewöhnlich, sich bei
der Diskussion hinsichtlich der Probleme bei der Umsetzung sozialer Rechte
auf die Defizite oder Fehler bestimmter Personen oder Gruppen zu
konzentrieren. In einem schlechten Licht wiedergegeben, entsteht oft der
Eindruck, dass, in dem Umfang, in dem Probleme beim Zugang zu sozialen
Rechten bestehen, diese auf eine Unfähigkeit oder einen Fehler von
Personen oder Gruppen zurückzuführen sind. Dies heißt nicht nur, das Wesen
sozialer Rechte misszuverstehen, sondern es führt zur Unterlassung oder
Aufgabe des Leistungsangebotes. Gleichzeitig versäumt es diese Haltung
anzuerkennen, dass bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen, wenn
Menschen in die Lage versetzt werden sollen, ihre sozialen Rechte
auszuüben. Bei der Realisierung von Rechten spielen nicht nur verschiedene
Faktoren eine Rolle, sondern auch verschiedene Akteure. Hier sind sowohl
das Gesetz, die Verfahren und die Bestimmungen gemeint, die alle
unzureichend oder so gestaltet sein können, dass sie die Ausübung der
sozialen Rechte erschweren. Es sind hier eine Reihe von Akteuren beteiligt,
einschließlich Regierung, Behörden, Anbieter aus dem Freiwilligen- und
Gemeindebereich und NROs sowie Anbieter auf nationaler, regionaler und
lokaler Ebene, aber auch Berechtigte oder Antragsteller selbst. Der Zugang
zu sozialen Rechten hängt daher von folgenden Punkten ab:
– der Erklärung, dem Rahmen oder der Form des Rechts;
– dem Prozess und den eingesetzten Verfahren sowie den zur Verfügung
gestellten Ressourcen, um dem Recht Wirkung zu verleihen;
– der Lage, einschließlich der Fähigkeiten und verfügbaren Ressourcen der
potenziellen Antragsteller.
Diese werden in dieser Analyse als eng miteinander verbunden behandelt.
Wir gehen von dem Standpunkt aus, dass der Zugang zu sozialen Rechten
eine Kette bildet, bei der die Erklärung und der Rahmen des Rechts, der
35
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Prozess und die erforderlichen Programme und Ressourcen, durch die er
realisiert wird, insbesondere auf Seiten der potenziellen Berechtigten oder
Nutzer, miteinander verbunden sind.
In Bezug auf den ersten oben angeführten Punkt meint dies den Rahmen
oder die Form des Rechts, seinen gesetzlichen Charakter und die
strukturellen und weiteren Aspekte der sozialen Bestimmung, die ihm
Wirkung verleihen. Es ist wichtig, in diesem Kontext darauf hinzuweisen,
dass der Zugang zu sozialen Rechten nicht aus dem gesetzlichen Rahmen
oder Status des Rechts abzulesen ist (selbst, wenn ein Recht durch die
Gesetzgebung begründet wurde). Darüber hinaus gibt es keinen direkten
Zusammenhang zwischen dem Ausmaß, in dem soziale Rechte durch eine
nationale Verfassung verankert sind, und dem Ausmaß der individuellen
Rechte, die durch das Gesetz oder die soziale Stellung der Bevölkerung
festgelegt sind (Bubnov-Skoberne 2001: 36). Daher muss die rechtliche
Position anhand der Schlüsselaspekte der Strukturen und der Entwürfe von
Programmen betrachtet werden.
Das Verfahren ist das zweite Element bei der Beurteilung von Rechten. Dies
lenkt die Aufmerksamkeit auf die staatlichen sozialen Bestimmungen und ob
diese Programme, Bedingungen und Ressourcen bereitstellen, die für die
Umsetzung oder Ausübung sozialer Rechte erforderlich sind. Dienste und
Leistungen, wenn sie Menschen zur Verfügung gestellt und ausgegeben
werden, sind in dieser Hinsicht vorrangig zu behandeln. In gleicher Weise
liegt die Verpflichtung der Regierungen und staatlichen Einrichtungen nicht
nur in der Bereitstellung von Ressourcen, sondern auch darin, diese
Ressourcen effizient einzusetzen. Die relevanten Faktoren beinhalten die
Verfahren zur Beurteilung und Inanspruchnahme von Rechten und
Leistungen, die Art und Weise, in der Dienste verwaltet, organisiert und
geliefert werden, das Ausmaß der Umsetzung und wie die Mitteilungen über
Zuwendungen, Dienste und Verfahren organisiert sind. Fragen der
Personalschulung und der Bereitstellung von Informationen für potenziell
Berechtigte sind hierbei ebenfalls wichtige Punkte.
Beim dritten Glied in der Kette – den potenziellen Leistungsberechtigten –
ist es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass Menschenrechte
grundsätzlich nicht mehrheitsgebunden sind (Donnelly 1994:19). Nicht
mehrheitsgebunden bedeutet, dass sie sich mit Einzelpersonen, nicht mit der
Menschheit an sich befassen und darauf abzielen, jeden Einzelnen zu
schützen, und nicht nur generell die meisten Menschen, wobei dann einige
ausgeschlossen werden. Kurz gesagt handelt es sich um Rechte, die auf
Menschen aufgrund ihrer Menschlichkeit Anwendung finden. Vor diesem
Hintergrund gewinnen die Erfahrung und die Lage der einzelnen
(potenziellen) Antragsteller zentrale Bedeutung. Die Beantragung oder
Geltendmachung eines Rechts hängt nicht nur von der rechtlichen Position
einer Person ab, sondern auch von den Ressourcen und Fähigkeiten, die
36
Analyserahmen für den Zugang zu sozialen Rechten
dieser Person zur Verfügung stehen. Ebenso wie finanzielle Ressourcen kann
dies auch die intellektuellen, sozialen und kulturellen Fähigkeiten
einschließen. Sowohl sprachliche Fähigkeiten, Informationen und Wissen,
wirtschaftliche Ressourcen, soziale, psychologische und soziokulturelle
Fähigkeiten als auch soziale Kontakte (einschließlich zu NROs) müssen
gegebenenfalls mobilisiert werden, um Zugang zu sozialen Rechten zu
erhalten. Angesichts der ungleichen Verteilung von Ressourcen innerhalb
und zwischen den Gesellschaften ist die Erfahrung jener Menschen, die nicht
über eine oder mehrere dieser Ressourcen verfügt, von ausschlaggebender
Bedeutung. Dabei kann es sich um sozial schwache Gruppen handeln, aber
dies ist nicht immer der Fall, denn viele Menschen, die nicht unbedingt als
„sozial schwach“ eingestuft werden, sehen sich trotzdem nicht in der Lage,
die Bedingungen für eine Inanspruchnahme zu erfüllen. Dies kann z. B. dann
vorliegen, wenn Menschen ihre Arbeitsstelle wechseln oder wenn eine
drastische Veränderung der Familiensituation auftritt (wie z. B. eine
Scheidung). Der Europarat hat seine Arbeit immer auf der Würde des
Individuums aufgebaut und dies stets mit dem Respekt und der besonderen
Verpflichtung gegenüber sozial schwachen Mitgliedern einer Gesellschaft
verbunden. Die Menschen im Blick zu behalten ist ebenfalls ein zusätzliches
Prüfkriterium hinsichtlich der Angemessenheit von Bestimmungen, weil das
Ausmaß, in dem ein solcher Rahmen „schwachen“ oder „ausgegrenzten“
Gruppen den Zugang gewährt, der Lackmustest für die bereitgestellten
sozialen Rechte ist. In dieser Hinsicht lautet eine wichtige analytische Frage:
Welche Ressourcen sind erforderlich, um soziale Rechte geltend zu machen,
und verfügen die Menschen, insbesondere sozial schwache, in der Regel in
ausreichender Form über diese Ressourcen?
37
3. Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität
Es liegen zwingende Beweise vor, bestätigt sowohl durch die Arbeiten der
Expertengruppen als auch durch das Projekt des Europarates über
Menschenwürde und soziale Ausgrenzung (HDSE) und andere Quellen
(Duffy 1998), dass der offizielle Anspruch auf ein soziales Recht keine
Garantie dafür ist, dass dieses Recht in der Praxis ausgeübt werden kann
oder wird. Mit anderen Worten, es gibt eine Reihe von Hürden, die die
Umsetzung sozialer Rechte behindern. Die Ergebnisse der von den
verschiedenen Expertengruppen durchgeführten Forschungsarbeiten legen
nahe, dass der Frage nach dem Zugang zu sozialen Rechten, anstatt diesen
als selbstverständlich zu betrachten, unbedingt Aufmerksamkeit gewidmet
werden muss. Hindernisse ergeben sich über die gesamte Bandbreite sozialer
Rechte, d.h., von der Form oder der Erklärung des Rechts über die Prozesse,
Verfahren und verfügbaren Ressourcen, die für ihre Umsetzung
bereitstehen, bis zu der Lage der Nutzer oder potenziell Berechtigten, wenn
sie diese Rechte realisieren möchten. Eine genaue Untersuchung dieser
Hindernisse ist lohnenswert.
Die Hindernisse sind vielgestaltig und nicht auf einen Bereich beschränkt. In
diesem Bericht wird dargelegt, dass sich die Hindernisse in sieben Kategorien
einteilen lassen. Tabelle 1 listet diese zusammen mit ihren verbreitetsten
Erscheinungsformen auf. Es sei darauf hingewiesen, dass sie lediglich zum
Zweck der Analyse und Diskussion einzeln behandelt werden. In der Praxis
sind sie interdependent und überschneiden sich, so dass man sie als
Aneinanderkettung von Hindernissen betrachten sollte. Mit anderen
Worten, man sollte sie als Spirale der Ausgrenzung von sozialen Rechten
verstehen.
Die Kette der Hindernisse zu sozialen Rechten
Die Verbreitung und die Bedeutung dieser Hindernisse variieren von Staat zu
Staat und innerhalb dieser Staaten, je nach Gruppe oder Bereich der Rechte,
in denen sie am stärksten auftreten. Bezug genommen wird daher, je nach
Sachlage, auf regionale Unterschiede und auf Unterschiede bei
Untergruppen. Entsprechend des allgemeinen Analyserahmens, der für
diesen Bericht verwendet wurde, wird jedoch die Hauptgewichtung auf die
gemeinsamen Strukturen in den Mitgliedstaaten gelegt.
39
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
3.1. Hindernisse, die sich aus der Form des Rechts ergeben
und die Eignung gesetzlicher und anderer Bestimmungen
Wesentlich ist hier der Rahmen, sowohl in gesetzlicher Hinsicht als auch in
Hinsicht auf die Struktur und Form von Bestimmungen, in der das soziale
Recht juristisch kodifiziert und organisiert wurde. Die sich ergebenden
Hindernisse schaffen nicht nur Schwierigkeiten hinsichtlich der Umsetzung
von Rechten, sondern schließen einige Menschen tatsächlich von der
Berechtigung aus. Die erste Hinderniskategorie bezieht sich darauf, wo und
wie dieses Recht dargelegt ist und insbesondere den Genauigkeitsgrad der
Darlegung. Ein zweites Hindernis ergibt sich, wenn die Rechte auf bestimmte
Bevölkerungsteile begrenzt sind. Lücken im sozialen Sicherheitsnetz bilden
das dritte Hindernis bei der Umsetzung sozialer Rechte. Ein viertes Hindernis
ergibt sich daraus, dass keine Mindestschwelle oder kein Mindeststandard
(für Dienste und Leistungen) festgelegt wurde. Ein fünftes mögliches
Hindernis bezieht sich auf die Form der Berechtigung oder Qualifikation,
insbesondere darauf, wie dies zur Ausgrenzung einiger Menschen führen
kann. Ein sechstes Hindernis (und eine Ursache für Ausgrenzung oder
Schwierigkeiten) tritt auf, wenn die Struktur der Bestimmung mit der Art der
Nachfrage oder des Bedarfs nicht übereinstimmt.
3.1.1. Mangel an Genauigkeit in der Darlegung des Rechts oder Anspruchs
Sowohl die Art als auch der Umfang, in dem soziale Rechte in der nationalen
Gesetzgebung dargelegt sind, variieren erheblich. Diese Unterschiede
reichen von der klaren Festlegung von sozialen Rechten im Gesetz bis zu
allgemeinen Zielsetzungen oder Grundprinzipien, die durch die Politik
erreicht werden sollen. Die Rolle des Staates reicht dabei von der einfachen
Respektierung von Rechten über den Schutz dieser Rechte bis zur aktiven
Erfüllung derselben (Eide 1995b: 233). Eine neue Studie zum Wohnen
(BIPE 2000) hilft bei der Unterscheidung von vier Ebenen (der Darlegung)
dieser Rechte:
– ein in die Verfassung aufgenommenes Recht;
– ein durch die Gesetzgebung entstandenes Recht;
– die Existenz einer Politik, die auf die Realisierung eines Rechts abzielt;
– ein durch die Praxis garantiertes Recht.
Es liegen nur wenige Informationen über die Bedeutung dieser und anderer
Varianten hinsichtlich der Form rechtlicher Anerkennung von Rechten sowie
über die Zugänglichkeit von Rechten in der Praxis vor. Ohne Zweifel ist die
Justitiabilität von Bedeutung, aber andere Formen des Anspruchs können
ebenfalls wirksam sein. In Bezug auf wohnungsbezogene Rechte legt z. B.
die eben zitierte Studie nahe, dass die Chancen auf Realisierung des Rechts
auf Wohnung steigen, wenn man von der ersten auf die vierte
Darlegungsform des Anspruchs wechselt. Mit anderen Worten, es gibt einen
40
Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität
Tabelle 1. Hauptfaktoren, die den Zugang zu sozialen Rechten behindern
Kategorie
Hindernisse
Darlegung des Rechts
und Angemessenheit
der gesetzlichen und
anderen Bestimmungen
Mangel an Genauigkeit in der Darlegung des Rechts oder des
Anspruchs
Rechte sind auf bestimmte Bereiche der Bevölkerung begrenzt
Lücken im sozialen Sicherheitsnetz
Fehlende Festlegung einer Mindestschwelle oder eines
Mindeststandards
Ausschließende Bedingungen für den Zugang und Anspruch
Kluft zwischen der Art der Bestimmung und dem Bedarf
Unzureichende
Überwachung und
Durchsetzung
Unzureichende Überwachung
Unzureichender Schutz vor Nichterfüllung der Rechte
Diskriminierung und/oder unterschiedliche Behandlung
Unzureichende Verantwortung gegenüber den Nutzern
Ressourcenmangel
Für die Anbieter:
Unzureichende Ressourcen (Finanzierung, Mitarbeiter,
Einrichtungen, Ausrüstung)
Keine Garantie oder Bereitstellung von langfristigen Ressourcen
Ungleiche Ressourcen auf verschiedenen Ebenen der
Verwaltung
Für Nutzer oder Antragsteller:
Unzureichende Ressourcen und Kapazitäten, einschließlich
Finanzressourcen, Bildungskapazität, Humanressourcen, soziale
Fähigkeiten und Kontakte
Management und
Verfahren
Aufsplitterung zwischen den Verwaltungsebenen und den
Diensten
Unzureichende Integration und Konsultationen der NROs und
der Nutzer
Komplexität der Verfahren
Hindernisse aufgrund der Art und Praxis der Dienstleistung
Information und
Kommunikation
Unzureichende Lagerung und unzureichender Austausch von
qualitativ hochwertigen Informationen
Unzureichende Art und Form der gegebenen Informationen
Fehlende Ausnutzung „neuer“ oder alternativer Kanäle
Psychologische und
soziokulturelle
Hindernisse
Auf Seiten der Anbieter:
Negative Erwartungen und Bevorzugung bestimmter Gruppen
Stigmatisierung bestimmter Gruppen
Mangelndes Verständnis von Minderheitenkulturen
Auf Seiten der Nutzer oder Antragsteller:
Furcht und Unsicherheit aufgrund der öffentlichen Verfahren
und Termine
Geringes Selbstvertrauen
Kulturelle Hindernisse
Unzureichende
Beachtung
sozial schwacher
Gruppen und
Regionen
Sozial schwache Gruppen:
Sozial schwache Gruppen, denen die „Ressourcen“ fehlen, um
Leistungen und Dienste einzufordern
Sich überschneidende Schwierigkeiten zwischen den
Bevölkerungsteilen
Sozial schwache Regionen:
Regionen oder Orte, die mehrfach benachteiligt sind
Mangel an Investitionen in bestimmten Gemeinden und Orten
Klimatische und geographische Hindernisse, durch die Gebiete
oder Regionen abgeschnitten sind
41
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
großen Unterschied zwischen dem in einer Verfassung oder im Gesetz
verankerten Recht und der Realisierung dieses Rechts in der Praxis. Darüber
hinaus erfordern soziale Rechte, um in die Praxis umgesetzt zu werden, eine
Politik, die auf die aktive Umsetzung dieser Rechte ausgerichtet ist. Eine
weitere in diesem Kontext relevante Information ist die der CS-LO, die
besagt, dass sich die Anerkennung eines bestehenden Rechts auf Wohnung
umgekehrt proportional zum relativen Grad des in diesem Staat
vorherrschenden Wohnstandards verhält. Das bedeutet, dass Staaten in
Westeuropa weniger als Staaten in Mittel- und Osteuropa dazu neigen,
formal ein Recht auf Wohnung anzuerkennen, obwohl ihr Standard der
Wohnungsbereitstellung höher ist.
Es bestehen nicht nur nationale Unterschiede in der Form der Anerkennung,
sondern auch zwischen den unterschiedlichen sozialen Rechten, die in diesem
Bericht behandelt werden. Das Recht auf Wohnraum und das Recht
auf Beschäftigung bezogene Ressourcen, wie z. B. Ausbildung, Entwicklung
von Fähigkeiten und lebenslanges Lernen, sind weniger entwickelte soziale
Rechte als z. B. das Recht auf Zugang zur Einkommensunterstützung und
auf medizinische Grundversorgung.
3.1.2. Rechte, die auf bestimmte Bevölkerungsteile und Situationen
begrenzt sind
Rechte sind manchmal auf bestimmte Kategorien der Bevölkerung begrenzt,
was andere wiederum ausgrenzt. So stehen Steuervergünstigungen nur
jenen Menschen offen, die Steuern zahlen. Um ein weiteres Beispiel zu
nennen: wohnbezogene Rechte gelten manchmal nur für Staatsangehörige
eines Landes. Daher sind sowohl Ausländer, die sich legal aufhalten, als auch
illegale Bewohner ausgeschlossen. Laut der CS-LO sind es die Staaten
Mittel- und Osteuropas, die über den integrativsten formalen Rahmen
wohnbezogener Rechte verfügen. Man muss dies jedoch im Kontext der in
Abschnitt 3.1.1 vorgestellten Informationen sehen, dass nämlich Staaten mit
der umfassendsten Anerkennung von Wohnrechten in der Praxis die
ärmlichsten Wohnungen anbieten. Es ist auch eine Tatsache, dass bestimmte
Situationen manchmal nicht nur von sozialen Rechten nicht berücksichtigt
werden, sondern Menschen sogar von der Einforderung ihrer Rechte abhalten.
Ein klassisches Beispiel dafür ist das Fehlen eines festen Wohnsitzes. Diese ist
eine Vorbedingung für den Bezug praktisch aller Leistungen und Dienste.
Eine Übergangssituation, ob nun der Wechsel eines Arbeitsplatzes, des Ortes
oder der Familiensituation, kann ebenfalls dazu führen, dass ein Mensch
seinen Anspruch auf soziale Rechte verliert. Dies kann auch bei einer
Situation geschehen, in der der Grad an Ressourcen einer Person innerhalb
einer kurzen Phase erheblich variiert. Es können auch Altersbegrenzungen
vorliegen. Ein hier zugrunde liegender Schlüsselfaktor ist, dass Ungleichheit
im Hinblick auf soziale Rechte nicht nur auf allgemeine Ungleichheiten oder
anerkannte Ursachen sozialer Benachteiligung zurückzuführen sind.
42
Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität
Der CS-PS liefert ein Beispiel für etwas, was man als neue Form der Ausgrenzung
bezeichnen kann, eine Praxis, bei der Staaten ihre Einwanderungs- und
Sozialgesetze dazu verwenden, Immigranten und/oder Asylsuchende vom
Zugang zu sozialen Leistungen und Diensten auszuschließen oder eine
separate Behandlung zu rechtfertigen. Im Ergebnis erhält man in zwei
Ebenen aufgeteilte Rechte, wobei generell schlechtere Angebote für
Immigranten und/oder Asylsuchende bestehen. Damit haben diese Gruppen
keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zu Beschäftigung,
Ausbildung und Bildungsmöglichkeiten. Wo dies der Fall ist, sind sie und
ihre Familien nicht nur zu einer ärmlichen Existenz verdammt, sondern
werden effektiv gehindert, eine positive Rolle in ihren Wahlgemeinden zu
übernehmen. Es sei hier noch einmal wiederholt, dass es gegen den Geist
und die Logik der Menschenrechte verstößt, irgendjemanden auf einem
Staatsgebiet auszugrenzen.
3.1.3. Lücken im sozialen Sicherheitsnetz
Eine weitere Form der Ausgrenzung ergibt sich aus Lücken im sozialen
Sicherheitsnetz. Es gibt eine Anzahl benennbarer Lücken im sozialen
Sicherheitsnetz in den Mitgliedstaaten, die sich negativ auf die
Möglichkeiten der Menschen auswirken, ihre sozialen Rechte in Anspruch zu
nehmen oder sie insgesamt ausgrenzen. Der CS-PS berichtet, dass es aus
diesen Gründen in einigen Staaten unmöglich ist, einige Rechte umzusetzen,
die eindeutig im Gesetz verankert sind. Obwohl fast alle Übergangsstaaten
ein Mindestmaß an Garantien für Sozialschutz eingerichtet haben, treten bei
ihrer Umsetzung immer noch erhebliche Probleme auf. Schwierigkeiten
ergeben sich z. B. in der Form unregelmäßiger Zahlungen von Leistungen
aufgrund fehlender staatlicher Mittel, Personalmangel oder langer
Bearbeitungszeiten. Je größer die Lücken, desto höher die Wahrscheinlichkeit der Ablehnung oder Ausgrenzung. Realität ist, dass es in einigen
Teilen Europas Lücken im sozialen Sicherheitsnetz gibt, seien sie auf eine
Fragmentierung der Leistung, auf eine mangelnde Abdeckung oder fehlende
Ressourcen zurückzuführen. Ein weiterer Faktor, der zu solchen Lücken
führt, ist das Fehlen einer umfassenden Vision hinsichtlich Gesundheit und
sozialem Wohlergehen. Staaten, die innerhalb kurzer Zeitspannen großen
Umwandlungen ausgesetzt waren, sehen sich in dieser Hinsicht mit besonders
großen Herausforderungen konfrontiert. Der Druck auf einige Staaten ist
erheblich und sie haben ein vollkommen neues soziales Modell entwickelt.
Der Grad an politischem Willen kann auch zu Lücken beitragen. Manchmal
mangelt es am erforderlichen Mut, um unpopuläre Entscheidungen zu
treffen. Dies ist ein Grund für die mangelnde Unterstützung von
Maßnahmen, die diskriminierende Behandlung von Ausländern in Bezug auf
Beschäftigung verhindern sollen. Der CS-EM weist allgemein darauf hin,
dass das Pflichtbewusstsein oder der politische Wille auf allen Ebenen der
Regierung oder der Verwaltung fehlen können.
43
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
3.1.4. Fehlende Festlegung einer Mindestschwelle oder eines Mindeststandards
In einigen Bereichen der Grundbedürfnisse, wie z. B. Einkommen und
Wohnung, wurde entweder überhaupt kein oder aber kein akzeptabler
Mindeststandard eingerichtet. Dies ist ein Problem, das in einigen Staaten
stärker auftritt als in anderen. Ein damit zusammenhängendes Problem ist
das Fehlen einer eindeutigen Definition, welche Verpflichtungen die
staatlichen Stellen haben, Dienste und Ressourcen zur Deckung der
Grundbedürfnisse bereitzustellen. Die CS-LO hat z. B. nach der Beurteilung
der bestehenden Situation die Empfehlung ausgesprochen, dass die Staaten
in ihrer Rechtsprechung das Konzept von „angemessenem Wohnen“
aufnehmen und eindeutige Zuständigkeiten formulieren sollten, um eine
solche Angemessenheit in der Praxis sicherzustellen.
3.1.5. Ausschließende Bedingungen für Zugang und Anspruch
Ein weiteres mögliches Hindernis resultiert aus dem Entwurf oder der
Darlegung eines Rechts. Eine der wichtigsten Punkte ist hierbei, wie
die Bedingungen für einen Anspruch dargelegt sind. Dies kann z. B.
Forderungen betreffen, die einige Gruppen oder Bevölkerungsteile
unmöglich erfüllen können. Die Notwendigkeit eines festen Wohnsitzes
ist auch hier ein klassisches Beispiel. Ein weiteres mögliches Problem in
den Entwürfen der Programme und Leistungen ist, dass die fehlende
Qualifikation für eine Leistung oder einen Dienst zu einer Reihe von
Ablehnungen oder zur Ausgrenzung führt. Es gibt einige Belege dafür, dass
dies in den Mitgliedstaaten geschieht. Ein weiterer Problempunkt bezieht
sich auf die Inanspruchnahme und die Tatsache, dass die Inanspruchnahme
einer Leistung tatsächlich andere Möglichkeiten verhindern kann. In einigen
Staaten etwa schließt der Bezug von an der Bedürftigkeit ausgerichteten
Leistungen das Nachgehen einer geregelten Arbeit aus. Während anerkannt
wird, dass der Zugang geregelt werden muss und dass es daher notwendig
ist, Bedingungen aufzustellen, scheinen diese Bedingungen für die
Bezugsberechtigung so, als seien sie eher auf Ausgrenzung und nicht auf
Eingliederung ausgerichtet. Die Arbeit des CS-PS legt dieses Problem für
manche Bereiche des Sozialschutzes offen, insbesondere bei sozialer
Unterstützung und anderen Leistungen, die im Ermessensspielraum von
Beamten liegen. Es kann auch der Fall sein, dass der Entwurf der Programme
und Leistungen dergestalt ist, dass jene, die sie am stärksten benötigen, die
größten Schwierigkeiten haben, diese zu erlangen.
3.1.6. Kluft zwischen Art der Bestimmung und Bedarf
Bedenkt man den rasanten Wandel der Gesellschaften, so hinkt die
Sozialleistung immer der Realität hinterher. Demographische und andere
Entwicklungen sind so schnell und weitreichend, dass sie die Einrichtung
44
Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität
regelmäßiger Überprüfungen von Diensten und Leistungen erfordern.
Geschieht dies nicht, entwickelt sich eine Kluft zwischen den Leistungen und
den Forderungen oder Bedürfnissen, auf die diese Leistungen reagieren
sollen. Dies könnte auch zur Ausgrenzung von Menschen führen. Dies ist
besonders wichtig in Bezug auf Wohnen. So weist z. B. die Arbeit des CS-LO
auf die unzulängliche Größe, Art und die Lage der angebotenen Wohnungen
hin. Er beschreibt das Fehlen erschwinglicher Wohnungen für sozial
Schwache als universales Problem, das besonders in den städtischen
Regionen, aber auch in bedeutenden Teilen ländlicher Regionen besteht. Der
CS-LO und andere Expertengruppen lenken die Aufmerksamkeit auf die
Vorbereitung seitens der politisch Verantwortlichen, bereits im Vorfeld die
Mängel zu identifizieren und zu beheben, besonders in Bezug auf die
Verteilung und Bereitstellung von Wohnungen. Im gegenwärtigen Klima
muss die Politik selbst modernisiert werden, insbesondere um die
Auswirkungen der Privatisierung zu lenken und zu kontrollieren.
Der CS-EM stellte für die mittel- und osteuropäischen Staaten eine etwas
anders geartete Lücke fest. Er fand heraus, dass ein erhebliches Hindernis für
die Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit besteht und ein Faktor, der die
lokalen Projekte in dieser Hinsicht behindert, war der erhebliche Umfang der
Schattenwirtschaft und des grauen Marktes und das Fehlen eines
umfassenden Ansatzes zur Bekämpfung der Schattenwirtschaft, der
Niedriglöhne und der nur unzureichend ausgerichteten Sozialleistungen.
3.2. Hindernisse, die sich aus unzureichender Überwachung und
Umsetzung ergeben
Es reicht nicht aus, gute Gesetze und Leistungen zu haben; sie müssen auch
überwacht und umgesetzt werden. Weitere Faktoren, die den Zugang zu
sozialen Rechten behindern, ergeben sich aus der fehlenden Überwachung,
ob und wie diese Leistungen in der Praxis funktionieren. In diesem
Zusammenhang gibt es eine Reihe verwandter Hindernisse. Es fehlt eine
ausreichende Überwachung; Systeme zur Sicherstellung der Umsetzung von
Rechten sind nicht vorhanden oder unangemessen. Außerdem existieren
Diskriminierung und Ungleichbehandlung in der Praxis und es fehlt an
Verantwortungsgefühl gegenüber den Leistungsempfängern.
3.2.1. Unzureichende Überwachung
Die praktische Umsetzung der Leistungen und Dienste wird zu wenig
überwacht. Angesichts dieser Tatsache ist der Umfang, in dem diese Dienste
ihre eigene Zielsetzung erreichen, häufig unbekannt. Darüber hinaus bleibt
auch ihr Beitrag zur Erfüllung der Bedürfnisse der Nutzer oder potenziellen
Nutzer im Dunkeln. Es kann auch sein, dass die Effektivität der Leistung
durch das Fehlen anderer Leistungen, wie z. B. Mediation, beeinträchtigt
wird. Die Überwachung sollte fester Bestandteil jedes Programms und jeder
45
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Leistung sein. Laut CS-EM bieten Überwachung und Beurteilung die
Gelegenheit, aus der Distanz die Zielsetzungen zu begutachten und zu prüfen,
wie sie erfüllt werden oder wurden. Leistungsempfänger können am besten
beurteilen, ob die Programme ihre Zielsetzungen erreichen oder nicht.
3.2.2. Unzureichender Schutz vor Nichterfüllung der Rechte
Ein unzureichender Schutz gegen die Nichterfüllung von Rechten führt zu
Schwierigkeiten in der Praxis. Zum einen wirft dies die Frage nach der
Existenz und der Art der Verfahren für die Antragstellung und den
Rechtsschutz auf. In dieser Hinsicht ist es wichtig, auf die Ergebnisse des
CS-PS hinzuweisen, die besagen, dass es in einigen Staaten keine Rechtsmittel
für im freien Ermessen liegende Leistungen gibt, obwohl dies ein klarer
Grundsatz des Präzedenzrechts bezüglich Artikel 13 der Sozialcharta zum
Recht auf soziale und medizinische Unterstützung ist. Neben ihrer Funktion
als Rechtsmittel haben die Rechtsmittelverfahren wichtige Funktionen in
Bezug auf ein Feedback darüber, wie ein Dienst oder eine Leistung in der
Praxis funktionieren. Das Fehlen von Rechtsmitteln belegt daher auch eine
gewisse Abwertung der Überwachung der Leistung.
Neben dem völligen Fehlen von Rechtsmittelverfahren gibt es auch Belege
dafür, dass die Effektivität von Rechtsmittelverfahren durch eine Reihe von
Faktoren beeinträchtigt wird. Ein Faktor hierbei sind Beschränkungen der
Abteilungen und Bereiche. Ein weiteres mögliches Hindernis bei der
angemessenen Nutzung von Rechtsmittelverfahren ist das Versäumnis, Nutzer
in die Lage zu versetzen, den größten Nutzen aus den Rechtsmittelverfahren
zu ziehen. Selbst wenn die Verfahren für Berufung oder Rechtsmittel auf
dem Papier angemessen erscheinen, müssen die Nutzer in die Lage versetzt
werden, sie auch anzuwenden. Im Hinblick auf das Rechtsmittel kann die
Qualität des erhaltenen Dienstes oder der Behandlung genauso wichtig sein
wie die tatsächlich erreichte Entscheidung.
Neben den Rechtsmitteln impliziert der Schutz gegen die Nichterfüllung von
Rechten auch eine Reihe präventiver Maßnahmen sowie das Vorbereitetsein
auf Notfälle. Zu nennen wären hierbei z. B. der Fall einer Zwangsräumung
oder andere Notfälle. Die Arbeit des CS-LO und der anderen Expertengruppen stellten in den einzelnen Staaten für diese Notsituationen eine Reihe
von Unterschieden bezüglich des Umfangs der Schutzmechanismen fest.
3.2.3. Ungleichbehandlung und/oder Diskriminierung
Ein weiteres in diesem Zusammenhang relevantes Versäumnis stellt die
Ungleichbehandlung und Diskriminierung dar. Beide sind offensichtlich weit
verbreitet. Obwohl sie auch aufgrund von Gesetzesschwächen oder -lücken
entstehen können, ist es wahrscheinlicher, dass Ungleichbehandlung und
Diskriminierung entweder auf mangelnde Überwachung und Umsetzung
zurückzuführen ist oder aber dass eine Politik der Ausgrenzung, nicht der
46
Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität
Eingliederung verfolgt wird. Die von dem CS-PS durchgeführte Untersuchung
legt z. B. nahe, dass es in vielen Staaten Belege für eine Ungleichbehandlung
in Bezug auf den Zugang zu Sozialschutz gibt. Die am weitesten verbreiteten
Gründe für eine Ungleichbehandlung lassen sich auf Herkunft, Ethnie und
Geschlecht zurückführen. Der CS-EM berichtet über offenen Rassismus
gegenüber Migranten und/oder ethnischen Minderheiten und über direkte
Ausgrenzung von Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund der Abstammung.
In Bezug auf das Geschlecht hebt jeder der Expertengruppen hervor, dass
Frauen als Nutzer von Diensten anders als Männer behandelt werden und
dass Frauen, insofern diese Dienste auf männlichen Normen basieren, auf
erhebliche Hürden stoßen können.
3.2.4. Unzureichende Verantwortung gegenüber Nutzern
Die Arbeit der Expertengruppen betont, dass das Funktionieren der für den
Sozialschutz zuständigen Stellen und der öffentlichen Dienste allgemein
mehr auf die Bedürfnisse der Nutzer ausgerichtet werden muss und dass
Verfahren notwendig sind, um diesbezüglich die Dienstleistungen zu beurteilen
und zu überwachen. Dies trifft zum gegenwärtigen Zeitpunkt vielerorts nicht
zu, und es gibt nur wenige Belege dafür, dass ein Ansatz, der die Bedürfnisse
der Berechtigten vorrangig behandelt, weit verbreitet ist. Ein Perspektivenwandel seitens vieler Anbieter ist daher erforderlich. Dies würde auch
beinhalten, die Informationen über die Bedürfnisse der Nutzer und das Ausmaß
zu erhöhen, in dem diese Bedürfnisse erfüllt werden, und Maßnahmen
einzurichten, die auf der Basis dieser Informationen arbeiten. Insbesondere
im Hinblick auf Vorgabenziele über die Qualität von Diensten und
Leistungen sollten sie auf den Bedürfnissen der Nutzer aufbauen.
Hinsichtlich der Umsetzung ist es wichtig, dass das Personal der öffentlichen
Stellen mit dem Gesetz vertraut ist und sich vollständig der eigenen
Verpflichtungen als Dienstanbieter bewusst ist.
3.3. Unzureichende Ressourcen
Ausreichende Ressourcen sind ein sine qua non der sozialen Rechte. Wenn
man Ressourcen als mögliches Hindernis bei der Realisierung von sozialen
Rechten betrachtet, ist es wichtig, diese auch unter Einbeziehung der
Fähigkeiten der Menschen zu untersuchen. Sie beinhalten finanzielle Mittel
ebenso wie unzureichende oder unangemessene Verfügbarkeit oder
Bereitstellung menschlicher Ressourcen und persönlicher Fähigkeiten.
Hindernisse bei den Ressourcen können sowohl die Anbieter als auch die
Empfänger (oder möglichen Empfänger) betreffen.
3.3.1. Hindernisse bei den Ressourcen seitens der Anbieter
Im Hinblick auf die Anbieter und ihre Dienstleistungen ist die wichtigste
Ressource ein qualifiziertes und ausreichend ausgebildetes Personal. Dies ist
47
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
eine Sache, die vom SP-SPM besonders stark hervorgehoben wurde. Dabei
sind es nicht nur die beruflichen Qualifikationen, die hierbei entscheidend
sind, sondern auch die Fähigkeit und die Bereitschaft, Menschen würdevoll
und mit Respekt zu behandeln und als Ausgangspunkt die Bedürfnisse der
Nutzer oder Antragsteller zu nehmen. Gebäude und Einrichtungen
(einschließlich Technologie und Ausstattung) stellen weitere wichtige
Ressourcen dar.
Es gibt Belege für das Fehlen von Geldern, Gebäuden und Einrichtungen.
Es muss wohl kaum darauf hingewiesen werden, dass die Art und
Großzügigkeit sozialer Programme vom Umfang der verfügbaren
Ressourcen abhängen. Unzureichende finanzielle Ressourcen wirken sich
nicht nur auf den Umfang von Leistungen und Diensten aus, sondern auch
auf die Qualität und Effektivität (sowohl für diejenigen, die in den
Dienststellen arbeiten, als auch für jene, die sie nutzen). So führt z. B. ein
Mitarbeitermangel ebenso zu niedrigeren Standards wie ein Mangel an
qualifiziertem Personal, das über eine psychologische Schulung in
zwischenmenschlichen Beziehungen verfügt, besonders an Schlüsselpunkten
(z. B. Rezeption und Leistungsberechnung). Alle Expertengruppen betonen,
dass öffentliche Stellen auf allen Ebenen der Verwaltung mit ausreichenden
Ressourcen ausgestattet werden müssen, um ihre Aufgaben wahrnehmen zu
können, und dass die Finanzierung von Programmen langfristig sichergestellt
sein muss.
Wohnungen stellen ein dringliches Beispiel im Hinblick auf unzureichende
Ressourcen seitens der Anbieter dar. Der CS-LO weist auf die Knappheit
erschwinglicher Wohnungen hin, die die Umsetzung des Rechts auf
Wohnung unterminiert. Im Kontext unzureichender Angebote stellen
Wohnbeihilfen ein wichtiges Mittel dar, um Menschen in die Lage zu
versetzen, ihre wohnungsbezogenen Rechte in Anspruch zu nehmen. In
einigen Staaten sind jedoch die öffentlichen Mittel, die für erschwingliche
Wohnungen zur Verfügung stehen, unzureichend, ob sie sich nun auf das
Angebot von Wohnungen oder auf Wohnbeihilfen beziehen. Es ist wichtig,
die Aufmerksamkeit auf den prekären Wohnungsnotstand in einigen der
Übergangsstaaten hinzuweisen. In einigen Ländern hat sich die Lage durch
massive Privatisierungsmaßnahmen verschärft; in anderen Ländern geriet
der Wohnungsmarkt durch Einwanderung und Bevölkerungsbewegungen
unter Druck. Es gibt sowohl eine langfristige als auch kurzfristige Dimension
des Angebots und der Bereitstellung finanzieller Ressourcen. Darüber hinaus
wirkt sich der Wohnungsnotstand auch auf die Beschäftigung aus, da er die
Möglichkeit der Arbeiter beschneidet, in Gebiete zu ziehen, in denen es
gegebenenfalls ihren Qualifikationen und Berufserfahrungen angemessene
Arbeitsplätze gibt. Besonders in den mittel- und osteuropäischen Staaten
zögern die Menschen, ihre Wohnung für die Suche nach besseren
Beschäftigungsmöglichkeiten aufzugeben, weil mit einem neuen Ort
48
Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität
die Unsicherheit verbunden ist, eine geeignete Unterkunft zu finden,
insbesondere für Familien.
Ein weiteres relevantes Hindernis für soziale Rechte rührt von der ungleichen
Verteilung der Ressourcen auf nationaler Ebene und den untergeordneten
Ebenen her. Der CS-LO weist auf die mangelnden Ressourcen für die Aktivitäten
der regionalen und lokalen Verwaltungen in den post-sozialistischen Staaten
hin. Die meisten lokalen Verwaltungen in mittel- und osteuropäischen
Staaten sind zu klein, um alle ihre Aufgaben und Funktionen erfüllen zu
können, selbst wenn ihre Verantwortung für bestimmte Dienstleistungen per
Gesetz vorgeschrieben ist.
3.3.2. Hindernisse bei den Ressourcen, die sich auf potenzielle Antragsteller
auswirken
In Bezug auf Antragsteller haben alle Arbeiten über den Zugang zu sozialen
Rechten gezeigt, dass die Menschen über Ressourcen verfügen bzw. mit
ihnen ausgestattet werden müssen, um ein Recht umsetzen zu können. Dies
trifft als allgemeine Aussage zu. Jene, die nicht über die erforderliche Art
oder den erforderlichen Umfang an Ressourcen verfügen, sehen sich mit
erheblichen Hindernissen hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer sozialen
Rechte konfrontiert. Unter den verschiedenen Hindernisarten, auf die sozial
schwache Gruppen beim Zugang zu Wohnungen stoßen, erweisen sich laut
CS-LO finanzielle Hürden als die schwerwiegendsten. Aber die Ausstattung
mit Ressourcen reicht weit über das rein Finanzielle hinaus. Der CS-EM weist
auf das fast vollständige Fehlen aller Grundkenntnisse für Jobsuche und
Bewerbung bei einigen Bevölkerungsteilen hin. Diese werden, zusammen
mit der Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten, durch die meisten Formen
der sozialen Leistungen als selbstverständlich vorausgesetzt. Der CS-EM ist
überzeugt, dass Ressourcen, wie z. B. persönliche und soziale Fähigkeiten,
wichtig sind und dass Bildung, Ausbildung und lebenslanges Lernen eine
Schlüsselrolle bei den Bemühungen einnehmen, die Beschäftigungsrate zu
erhöhen.
Die Tatsache, dass einige Menschen nur dann in der Lage sind, ihre Rechte
zu beanspruchen, wenn sie gleichzeitig Zugang zu Beratung und
persönlicher Unterstützung haben, unterstreicht diese Aussage. Die meisten
NROs wiesen in den vom CS-PS ausgegebenen Fragebögen darauf hin, dass
ein großer Anteil ihrer Ressourcen für die Unterstützung potenzieller
Antragsteller beim Zugang zu ihren Rechten eingesetzt wird, da einige
Menschen, aus einer Reihe von Gründen, dies nicht allein bewältigen
könnten. Das französische Konzept des „accompagnement“ umreißt die
Praxis (und den Bedarf) an persönlicher Unterstützung, der als
Ausgangspunkt den Grund für die Schwierigkeiten und die Ausgrenzung der
jeweiligen Person nimmt. Dies kann unterschiedliche Formen annehmen: in
Bezug auf Verwaltung, Psychologie oder Wohnungen und es kann auch ein
49
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Mittel zur Befähigung von Obdachlosen sein. Wie das Konzept der
„accompagnement“ impliziert, kann auch Mediation erforderlich sein.
Regierungsquellen erkennen auch an, dass Unterstützung und selbst
Mediation bei der Beantragung einiger Leistungen und Dienste notwendig
sein können.
3.4. Hindernisse durch Management und Verfahren
Hindernisse ergeben sich auch durch die Art und Weise, wie Programme und
Leistungen organisiert und ausgeführt werden. Diese Hindernisse ergeben
sich z. B. durch Aufsplitterung der Zuständigkeit auf verschiedene Ebenen der
Verwaltung und auf verschiedene Dienstleister, unzureichende Konsultation
und Zusammenarbeit mit NROs und Nutzern, Komplexität der Verfahren
und Hindernisse, die sich auf die Leistungserbringung und den physischen
Zugang beziehen.
3.4.1. Aufsplitterung zwischen den Verwaltungsebenen und den Diensten
Das Bereitstellen einer Leistung in Bezug auf soziale Rechte wird in der Regel
auf verschiedenen Ebenen der Regierung und Verwaltung umgesetzt. Es
wird laut CS-PS üblicherweise davon ausgegangen, dass ein dezentralisiertes
System eine größere Flexibilität gestattet und über eine höhere Kapazität
verfügt, sich an regionale und lokale Bedürfnisse anzupassen. Bei dieser
Aussage handelt es sich aber eher um ein Ideal, als um die Wirklichkeit.
Dezentralisierung ist nur dann eine positive Entwicklung, wenn: sie (a) auf
nationaler Ebene durch die Verpflichtung auf eine Politik der Dezentralisierung
gestützt wird; und (b) auf lokaler Ebene ausreichende Ressourcen und
Kapazitäten vorhanden sind, um Programme und Dienste entwickeln zu
können. Die Arbeit des CS-EM ergab, dass die Erfolgschancen lokaler
Beschäftigungsprogramme erheblich stiegen, wenn auch die Entscheidungsmacht und die Verwaltung der Mittel auf die lokale Ebene übertragen
wurden. Jedoch muss dies im Rahmen eines politischen Ansatzes auf nationaler
Ebene erfolgen. Ein weiteres wichtiges Hindernis für Beschäftigungsinitiativen, das von der CS-EM identifiziert wurde, ist das Fehlen gemeinsamer
politischer Strategien über alle Ebenen der Verwaltung hinweg.
Daher ist Unklarheit in der Definition und Verteilung der Befugnisse und
Zuständigkeiten eine große Hürde für Menschen, ihre sozialen Rechte
geltend zu machen. Dies wurde auch für den Bereich Gesundheit erwähnt.
Es kann eine Frage der Organisation des Dienstes sein oder sich aus
mangelnder Koordinierung und Netzwerkarbeit zwischen den verschiedenen
Berufssparten in diesem Bereich ergeben. Im Folgenden findet sich eine
Auflistung von Problemen, die sich aus einer Aufsplitterung ergeben, und
die für den Bereich Gesundheit und andere Bereiche der sozialen Rechte
identifiziert wurden:
– fehlende Koordinierung zwischen den politischen Bereichen;
50
Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität
– unzureichende Informationen und Details über die Verantwortlichkeiten
und die Aufteilung der Funktionen auf nationaler, regionaler und lokaler
Ebene. Dies trifft insbesondere für soziale Einrichtungen und Sozialleistungen zu und kann auch in Bezug auf Gesundheit, Beschäftigung und
Wohnen auftreten;
– unzureichende Autonomie auf lokaler Ebene, besonders bei der Verwendung
der Ressourcen, aber auch in Bezug auf die Beteiligung am Entscheidungsprozess, bei der Umsetzung und der Mobilisierung von Ressourcen;
– unzureichende Umsetzung und Überwachung auf nationaler Ebene, um
die gleichmäßige Erbringung im ganzen Land sicherzustellen.
Während diese Probleme nicht auf bestimmte Staaten beschränkt sind, ist es
wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Übergangsstaaten diesbezüglich
besondere Schwierigkeiten erleben. Die Arbeit des CS-PS weist darauf
hin, dass in diesen Staaten aufgrund des Fehlens klar umrissener
Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten, hauptsächlich auf Bezirks- und
lokaler Ebene, Reibungen in Bezug auf soziale Unterstützung und soziale
Einrichtungen und Leistungen entstehen. In einigen dieser Staaten wurde ein
Dezentralisierungsprozess initiiert, bei dem die lokalen Behörden neue
Zuständigkeiten erhielten, aber dies geht nicht immer Hand in Hand mit der
erforderlichen Finanzierung und den Richtlinien, um diese Zuständigkeiten
umsetzen zu können.
Neben der Aufsplitterung der Verwaltungsebenen kann auch eine Aufsplitterung
der einzelnen Dienste auftreten. Es geschieht nur selten, dass die Dienste
und Leistungen nahtlos ineinander übergehen oder als integrierte Einheit
auftreten. Viel eher ist es der Fall, dass organisatorische und andere
Unterteilungen den Dienst mit dem Ergebnis fragmentieren, dass die Nutzer
nur selten in die Lage versetzt werden, eine Reihe möglicher Dienste von
einem Ort oder Büro aus oder sogar als integrierten Dienst in Anspruch zu
nehmen.
3.4.2. Unzureichende Integration und Konsultationen der NROs und der
Nutzer
NROs haben häufig sehr engen Kontakt zu den Nutzern staatlicher Dienste
und Leistungen. Auf diese und andere Weise übernehmen sie eine wichtige
Rolle beim Zugang zu den sozialen Rechten. NROs stellen daher eine
wichtige, sogar lebenswichtige Ressource für die Anbieter staatlicher
Dienste, die Entscheidungen über das öffentliche Gemeinwohl und die
Nutzer dar. Trotzdem belegen die Arbeiten der verschiedenen Expertengruppen, dass eine tatsächliche Zusammenarbeit zwischen den staatlichen
Stellen und den Akteuren der zivilen Gesellschaft nur allzu selten stattfindet.
NROs, die Sozialpartner und andere Akteure der zivilen Gesellschaft werden
häufig ausgegrenzt oder ihr Beitrag wird minimiert. Der CS-LO hat z. B.
herausgefunden, dass im Bereich Wohnen die NROs, während sie durchaus
51
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Einfluss auf die allgemeinen Richtlinien und Funktionen in Bezug auf
die physische Umgebung nehmen können, nur über wenig Einflussmöglichkeiten in finanziellen Fragen verfügen. Man kann daher nicht sagen,
dass sich die Politik für die NROs geöffnet hat. Die Intensität der
Konsultationen mit den NROs variiert aber in den verschiedenen Ländern. In
Westeuropa scheint sie weiter entwickelt, während in Mittel- und Osteuropa
die NROs etwas weniger Aufmerksamkeit erhalten. Historisch betrachtet
spielten die NROs in den letztgenannten Staaten keine Rolle.
Die Bedeutung eines „partnerschaftlichen Ansatzes“, der besonders vom
CS-EM betont und entwickelt wurde, verdient in dieser Hinsicht
Aufmerksamkeit.1 Dies wirkt sich nicht nur auf die Partner aus, sondern auch
auf das Ausmaß, in dem sie in den politischen Prozess eingebunden werden.
Alle Expertengruppen befürworten umfassende Partnerschaften, die so viele
Organisationen und Interessen wie möglich einschließen sollen. Sie weisen
auch darauf hin, dass die NROs zu diesem Zweck von den zentralen und
lokalen Behörden (einschließlich der Abtretung von Zuständigkeiten)
ausreichende Ressourcen und Unterstützung erhalten müssen. Darüber
hinaus bedeutet Partnerschaft die Integration in den politischen Prozess vom
Entwurfsstadium an. Grundsätzlich handelt es sich um eine Beziehung von
Gleichgestellten. In diesem Kontext ist laut CS-PS die Frage nach der
rechtlichen Anerkennung der NROs von Bedeutung, denn die vollständige
rechtliche Anerkennung ist essenziell, wenn NROs auf gleicher Ebene mit
den gesetzlichen und anderen Stellen agieren sollen. Dies kann auch zu einer
Verbesserung der Überwachung und Umsetzung beitragen. Es ist jedoch
wichtig, dass die NROs eng mit den Nutzern der Dienste und potenziellen
Antragstellern verbunden sind und bleiben.
Es gibt jedoch keinen Ersatz für die direkte Beteiligung der Nutzer und
potenziellen Nutzer. Denn sie sind ebenfalls Experten, und versäumt man es,
sie in die Konsultationen und Entscheidungen mit einzubeziehen, kann dies
zur Errichtung neuer oder zur Verstärkung bestehender Hindernisse führen.
Manchmal werden die Nutzer von NROs vertreten, aber dies ist nicht immer
der Fall. Noch ist es unbedingt wünschenswert. Daher müssen die Nutzer aus
eigenem Recht als Partner eines breit angelegten partnerschaftlichen
Ansatzes betrachtet werden. Dafür müssen sie jedoch als verantwortliche
und befähigte Menschen angesehen werden, dem Gegenstück zur Idee der
„abhängigen Klienten“.
3.4.3. Komplexität der Verfahren
Wie im Bericht des CS-PS beschrieben, gab es unter den verschiedenen
befragten Regierungs- und Nichtregierungsquellen dahingehend Einstimmigkeit,
dass „Leistungen leicht zu beantragen und leicht zu verteilen“ sein sollten.
______
1. Siehe auch OECD (2001).
52
Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität
Dies spiegelt jedoch nicht immer die Realität wider. So berichteten z. B.
mehrere NROs dem CS-PS, dass häufige Anpassungen, vorübergehende
Regelungen oder unterschiedliche Versionen derselben Regelung erhebliche
Verwirrung schaffen können und zu Verzögerungen bei der Antragstellung
oder zum Ausbleiben einer Antragstellung führen. Weitere Probleme, die
aufgeführt wurden, werden durch umfangreiche und häufig komplizierte
Formulare und die Notwendigkeit an die Nutzer verursacht, sich durch
mehrere Behörden oder Abteilungen zu arbeiten. Es ist verständlich, dass
eine gewisse Komplexität unvermeidbar ist (nicht nur aufgrund der
komplexen Bedürfnisse, die die staatlichen Anbieter erfüllen sollen). Man
muss jedoch überdenken, in welchem Ausmaß diese Komplexität an die
Nutzer weitergeleitet werden soll. Es gibt Belege für eine umfangreiche
Bürokratie und unnötigen Bürokratismus in den Bestimmungen und
Verfahren, die den Antrag eines Nutzers auf bestimmte Leistungen und
Dienste regeln. Es kann mitunter für potenzielle Antragsteller sehr schwierig
sein, die juristischen Texte und komplizierten Antragsverfahren zu verstehen.
Dies führt nicht nur zur Nichtinanspruchnahme von Leistungen und
Diensten, sondern kann auch für Beamte und NROs Mehrarbeit bedeuten.
Zusätzlich weist der CS-PS darauf hin, dass je komplexer ein Dienst oder eine
Leistung, desto schwieriger ist es, die entsprechenden Informationen effektiv
zu vermitteln.
Die mangelnde Transparenz in den Rechten und Ansprüchen stellt ein
weiteres potenzielles Hindernis beim Zugang zu sozialen Rechten dar, was
wiederum zu mehr Komplexität führt. Je bekannter das Recht, desto
wahrscheinlicher ist auch seine Inanspruchnahme (Europäische Kommission
1999). Ein Mangel an Transparenz kann eine Anzahl von Gründen haben.
Einer davon ist die Komplexität, entweder in Bezug auf die Struktur der
Leistungen oder Dienste oder in Bezug auf den Anspruch und das Antragsverfahren. Aufsplitterung und eine mangelhafte Abstimmung der Leistungen
und Dienste können ebenfalls zur Minderung der Transparenz beitragen.
3.4.4. Hindernisse aufgrund der Art und Praxis der Dienstleistung
Die Form der Begrüßung, mit der ein Antragsteller empfangen wird, und die
allgemeinen Bedingungen, die in einem Amt vorherrschen1, können, wenn
sie von schlechter Qualität sind, zur negativen Erfahrung des Antragstellers
beitragen und ihn davon abhalten oder entmutigen, sein Recht in Anspruch
zu nehmen. Es wurde diesbezüglich eine breite Palette von Hindernissen
beschrieben. Sie schließen z. B. den Mangel an Diskretion, lange Wartezeiten,
schlechte Rezeptionsdienste, die mangelnde Eignung der Gebäude und das
Fehlen von Notausgängen, komplizierte und die Privatsphäre verletzende
Antragsverfahren und Wiederholungen bei den geforderten Informationen
______
1. Alle hier gemachten Aussagen beziehen sich auf die Dienste, die von anderen Stellen angeboten
werden.
53
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
ein. All dies führt natürlich zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen des Personals. Die Verwendung von Informationstechnologie
kann zu einer Verbesserung der bereitgestellten Dienste beitragen. Eine
schwedische Regierungsquelle (in der vom CS-PS ausgeführten Erhebung)
wies darauf hin, dass es eine der Vorteile der Technologie sei, Menschen zu
identifizieren, die keine Leistungen beantragt haben, obwohl sie Anspruch
darauf hätten. Es bestehen jedoch ethische Fragen im Hinblick auf die
Verwendung von Technologie, die Fragen der Vertraulichkeit und die ethisch
legitime Verwendung persönlicher Daten betreffen. Dann ist es auch eine
Kostenfrage und die Tatsache, dass Technologie immer noch eine rare
Ressource ist – was dazu führt, dass den Regierungen ärmerer Länder und
den ärmeren Schichten der Bevölkerung innerhalb dieser Länder der Zugang
zur Technologie versperrt bleibt. Es besteht des Weiteren die Möglichkeit,
dass der Einsatz neuer Technologien bestimmten Leistungsempfängern
wegen der Wege Probleme bereiten, auf denen die Leistungen dann
gewährt oder Anträge gestellt werden (z. B. Zahlungen per Computer,
direkte Zahlung an eine Bank oder ein Postscheckkonto usw.).
Aus diesen Gründen beziehen sich viele der Beispiele für eine gute Praxis,
die von den Expertengruppen genannt werden, auf integrierte Projekte.
Die Bedürfnisse der Menschen sind nicht generell fragmentiert, sondern sie
werden in fragmentierter Weise behandelt. Daher sind Programme, die
Menschen in ganzheitlicher Weise betrachten und als Ausgangspunkt die
ganze Person und ihre Bedürfnisse sehen, besonders wichtig.
Ein weiterer Faktorenblock, der die Umsetzung sozialer Rechte behindert,
bezieht sich auf praktischere Fragen, wie z. B. den Zugang für jene, die
Behinderungen aufweisen oder älter sind und jene, die in entlegenen
Gebieten leben. Es ist wichtig, die Situation behinderter Menschen
hervorzuheben, da sie laut CS-EM mehrfacher Benachteiligung ausgesetzt
sind. Schwierigkeiten in Bezug auf den physischen Zugang, so z. B. bei der
Benutzung öffentlicher Transportmittel und den Zugang zu Ämtern, die nicht
in angemessener Weise ausgestattet sind, um Menschen mit eingeschränkter
Bewegungsfreiheit zu empfangen, stellen nur eine Form der Schwierigkeiten
dar. Behinderte Menschen erleben in der Regel eine Kombination
beschäftigungsbezogener Nachteile. Diese ergeben sich aus Nachteilen in
Bezug auf Alter, Bildung und Ort.
Es ist bedauerlich, dass der Zugang von den Anbietern von Diensten im
Großen und Ganzen als Einbahnstraße betrachtet wird; Nutzer oder potenzielle
Nutzer müssen zu ihnen kommen. Das fast vollständige Fehlen von mobilen
Diensten, die versuchen, die Menschen in ihren eigenen Wohnbereichen
oder in unmittelbarer Nähe derselben zu treffen und zu versorgen, ist in
diesem Kontext zu vermerken.
Laut der vielfältigen Probleme, die aus den unterschiedlichen Staaten
berichtet werden, wird die Mobilität der Menschen nicht nur in Bezug auf die
54
Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität
Beantragung sozialer Leistungen eingeschränkt, sondern auch in Bezug auf
Beschäftigung, Wohnung und Bildung. Besonders Mütter mit kleinen
Kindern berichten über Schwierigkeiten beim Zugang zu sozialen Rechten.
Neben dem physischen Zugang schließen die Probleme Hilfseinrichtungen,
wie z. B. Horte ein, deren Vorhandensein Voraussetzung ist, damit bestimmte
Kategorien von Menschen, z. B. alleinerziehende und andere Mütter, ihre
sozialen Rechte nutzen können. Eine weitere festgestellte Schwierigkeit
bezog sich auf die mangelhafte Abstimmung der Bürozeiten mit den
Arbeitszeiten der Nutzer.
3.5. Hindernisse in Bezug auf Informationen und Kommunikation
Bürger kennen nicht immer ihre Rechte. Informationen und Bildung sind der
Ausgangspunkt jeder Unterstützung und jedes Leistungsangebotes. Es ist
daher von herausragender Bedeutung, dass Informationen über soziale
Rechte für die Nutzer und potenziellen Nutzer leicht zugänglich sind und die
Ansichten der Nutzungsberechtigten berücksichtigt werden. Es gibt Belege
dafür, dass Menschen nur unzureichend über ihre Ansprüche informiert sind,
der Mangel an Informationen zu einem Verlust oder einer Verzögerung von
Bezügen führt und die Ansichten von Nutzungsberechtigten bei der
Bereitstellung der Dienste nicht ausreichend Berücksichtigung finden. Es wurden
drei grundsätzliche Probleme bei der Kommunikation und den Informationen
identifiziert:
– Unzureichende Speicherung und unzureichender Austausch von qualitativ
hochwertigen Informationen
– unzureichende Art und Form der gegebenen Informationen
– nur unzureichende Nutzung „neuer“ oder alternativer Informationskanäle
und der Ansichten der Nutzer und/oder potenziellen Nutzer.
3.5.1. Unzureichende Speicherung und unzureichender Austausch von
qualitativ hochwertigen Informationen
Der Informationsfluss muss sorgfältig überwacht werden, denn, während
aus einigen Ländern über exzessive Informationen bezüglich einiger Dienste
berichtet wurde, ist ein Mangel an Informationen über Dienste und
Leistungen weitaus verbreiteter. Auf jeden Fall stellen die Unstimmigkeiten
innerhalb der Dienste und Leistungen in Bezug auf den Umfang und die Art
der Informationen ein weiteres Problem dar. Eine weitere Frage, die im
Kontext der Speicherung und des Austausches von Informationen auftaucht,
bezieht sich auf die Aufsplitterung der Informationen über verschiedene
Ebenen der Verwaltung: national, regional und lokal. Anstatt Informationen
über vielfältige Leistungen zu erstellen und zur Verfügung zu stellen, neigt
jeder Anbieter dazu, nur Informationen über seine Dienste und Leistungen
auszugeben. Probleme bei der Speicherung und Ausgabe von Informationen
können sich auch aus dem Versäumnis ergeben, eindeutig Verantwortung
55
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
für die Produktion von Informationen zu übertragen. Ein weiteres mögliches
Problem ist der Mangel an Informationen, die von unabhängigen Quellen
hergestellt und zur Verfügung gestellt werden.
Ein weiteres Problem betrifft Fälle, in denen Beamte Informationen zu
anderen Diensten, die gegebenenfalls geeignet sind, nicht an die Nutzer
oder potenziellen Nutzer weiterleiten. Es kann auch vorkommen, dass
Beamte nicht über solche Informationen verfügen oder aber die Weitergabe
dieser Informationen bezüglich der Dienste anderer Stellen nicht als Teil ihrer
Aufgaben betrachten. Im letztgenannten Fall kann der Umgang mit
„Informationen“ als spezielles Aufgabengebiet oder Funktion das Problem
verschärfen, da es zu einer „Bürokratisierung“ des Informationsflusses
beiträgt und diesen behindert.
All dies setzt natürlich voraus, dass die Beamten Zugang zu den relevanten
Informationen besitzen. Diesbezüglich ist es wichtig, die Aufmerksamkeit
auf die Tatsache zu lenken, dass in den Erhebungen des CS-LO bei den
Mitarbeitern ein Mangel an Informationen über den Inhalt internationaler
Verträge und ihre Bedeutung für die nationalen Sozialwohnungsrichtlinien
herrschte. Es scheint, dass diese Art der Informationen nicht immer an die
Beamten oder die Öffentlichkeit im Allgemeinen weitergeleitet werden. Dies
kann zu einer mangelhaften Umsetzung internationaler Standards auf
nationaler und lokaler Ebene führen.
3.5.2. Unzureichende Art und Form der Informationen
„Qualität“ ist ein weiterer relevanter Punkt, der sich nicht nur auf die
Genauigkeit der Informationen, sondern auch auf den Stil und die
Verständlichkeit bezieht. Die Verwendung einer verständlichen und
unbürokratischen Sprache und Formulierung ist äußerst wichtig. Viele, die
auf die vom CS-PS durchgeführten Befragungen reagierten, waren der
Ansicht, dass die in den Informationsbroschüren und andernorts verwendete
Sprache nur von den Verantwortlichen oder Rechtsanwälten verstanden
werden kann. In Bezug auf die Form der bereitgestellten Informationen ist es
in den Berichten der verschiedenen Expertengruppen ein immer wiederkehrendes Thema, dass eine effektive öffentliche Informationsstrategie
Informationen enthalten muss, die nicht nur verständlich und hochwertig,
sondern auch den Bedürfnissen bestimmter Gruppen und Bevölkerungsschichten angepasst sind. Sie müssen für diese Menschen sowohl verständlich
als auch nützlich sein. Besonders bei Minderheiten (einschließlich ethnischen
und sprachlichen Minderheiten) und bei jenen mit besonderen Bedürfnissen
(insbesondere jene mit Verständnisschwierigkeiten) handelt es sich um
Gruppen, die speziell zugeschnittene Informationen benötigen. Als die NROs
in der vom CS-PS durchgeführten Erhebung kritische Antworten in Bezug
auf die Informationen zu den von staatlichen Quellen ausgegebenen
sozialen Leistungen machten, nannten sie explizit die mangelhafte
56
Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität
Anpassung an den Bildungsstand oder das Sprachvermögen verschiedener
Gruppen, einschließlich Einwanderer und Menschen mit Sehbehinderungen.
Sie lenkten die Aufmerksamkeit auch auf den relativen Mangel an Informationen
für benachteiligte Gruppen.
3.5.3. Mangelhafte Verwendung „neuer“ oder alternativer Informationen
und der Ansichten von Nutzungsberechtigten
Der dritte relevante Faktor bezieht sich auf die Kanäle für den Vertrieb und
den Austausch von Informationen. Schriftliche Informationen stellen die
vorherrschende (wenn nicht alleinige) Form der Informationsverbreitung in
den Mitgliedstaaten dar. Im Vergleich dazu werden mündliche Kanäle (wie
z. B. Radio- oder Fernsehspots, kostenlose Telefonschaltungen) und
Technologien (wie z. B. Handys und das Internet) nur selten eingesetzt. Das
gewaltige Bildungs- und Informationspotenzial dieser Kanäle sowie ihre
Vielfältigkeit werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig vernachlässigt. Es
ist jedoch wichtig, sich in diesem Kontext in Erinnerung zu rufen, dass der
zwischenmenschliche Kontakt nach wie vor die beste Form des Informationsaustausches ist. Die Tatsache, dass der Zugang zu Informationen und
anderen Technologien immer noch nicht Standard bei den sozial schwachen
Gruppen ist, unterstreicht die Notwendigkeit nach zwischenmenschlichen
Formen des Informationsaustauschs.
Informationen müssen als Zwei-Wege-Kanal betrachtet werden. Die Idee
des Informationsaustausches ist ein hilfreicher Weg bei der Schaffung eines
Rahmens, wie Informationen organisiert werden sollten. Indem sie der
landläufigen Ansicht entgegentritt, nach der Menschen passive Empfänger
von Informationen sind, greift sie die Idee auf, dass diese Menschen auch die
Gelegenheit erhalten sollten, die erhaltenen Informationen in Frage zu
stellen und ihren eigenen Informationsbedarf einzubringen.
Jede dieser informationsbezogenen Hindernisse trägt zur Minimierung des
Bewusstseinsstands und des Wissens über Rechte in der Bevölkerung bei. So
kommentierte eine NRO gegenüber dem CS-PS: ein Mangel an
Informationen ist ein Mangel an Macht.
3.6. Psychologische und soziokulturelle Hindernisse
Diese Art der Hindernisse lassen sich sowohl seitens der Anbieter als auch der
Nutzer finden.
3.6.1. Psychologische und soziokulturelle Hindernisse seitens der Anbieter
Die erste Frage bezieht sich hierbei auf die Behandlung der Antragsteller und
potenziellen Antragsteller. Das Verhalten der Beamten und die Behandlung
der Menschen kann mit entscheidend sein, ob diese Zugang zu ihren sozialen
Rechten erhalten. Laut der durch die verschiedenen Expertengruppen
57
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
durchgeführten Studien ist die Stigmatisierung von Leistungsempfängern
recht verbreitet. Unter den in diesem Zusammenhang genannten Gruppen
befinden sich Sozialhilfeempfänger, Alleinerziehende, Aidspatienten, jene
mit einer HIV-Infektion, Drogenabhängige, Menschen mit Behinderungen,
Flüchtlinge und Asylsuchende. Negatives Verhalten gegenüber Frauen und
anderen Bevölkerungsgruppen, besonders in Bezug auf ihr angenommenes
Recht auf Zugang zu bestimmten öffentlichen Ressourcen, kann ebenfalls
vorkommen. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei der Stigmatisierung um
ein gesellschaftliches Phänomen handelt und daher nur selten auf die
Sozialleistung an sich zurückzuführen ist. Die Stigmatisierung kann jedoch
absichtlich erfolgen, und wenn sie im Kontext einer Sozialleistung auftritt,
kann es dazu führen, dass Menschen nicht in der Lage sind, ihre sozialen
Rechte in Anspruch zu nehmen. Es kann insbesondere durch die
Organisation der öffentlichen Dienste und die Einstellung und das Verhalten
der Mitarbeiter verfestigt werden. Eine Etikettierung der Menschen ist eine
Praxis, die zur Stigmatisierung beiträgt. Sind Dienste und Leistungen z. B.
bedürfnisabhängig, dann verursachen sie eher Gefühle und Praktiken der
Stigmatisierung als z. B. solche, deren Anspruch durch ein Gesetz verankert
sind. Die Wichtigkeit des Dialogs und der Partnerschaft mit den
Anspruchsberechtigten kann diesbezüglich nur nochmals unterstrichen
werden.
Ein weiteres kulturbezogenes Problem ist das mangelnde Verständnis seitens
der Beamten und anderer Personen für eine bestimmte Subkultur der
Antragsteller oder potenziellen Antragsteller, die sich von der allgemein
vorherrschenden Kultur unterscheidet. So kann es für Menschen wichtig
sein, in der Nähe ihrer Verwandten oder in der Umgebung von Mitgliedern
ihrer Gemeinschaft zu leben. Soziokulturelle Hindernisse ergeben sich nicht
nur aus Schwierigkeiten in der Kommunikation mit Menschen, sondern auch
aus unzureichendem Wissen über und mangelndem Verständnis seitens der
Beamten für Minderheitenkulturen. Dieses Wissen und die Anerkennung der
Vielfalt wird immer wichtiger, da auch die Gesellschaften immer vielfältiger
werden.
3.6.2. Psychologische und soziokulturelle Hindernisse seitens der Nutzer
Mangelndes Selbstvertrauen und Unsicherheiten im Umgang mit offiziellen
Verfahren sind als größtes Hindernis für die Nutzer zu nennen. Der
behördliche Rahmen kann Furcht und Unsicherheit hervorrufen. Die
Gebäude an sich können einschüchternd wirken. Man bedenke z. B. die
Trennung vom Personal durch Sicherheitsvorkehrungen, wie z. B.
Glasscheiben und Alarmvorrichtungen und der Mangel an Privatsphäre bei
den Gesprächen. Eine institutionelle Atmosphäre, die besondere Art, in der
Mitglieder eines bestimmten Berufsstandes miteinander und mit den
Nutzern ihrer Dienste kommunizieren sowie die bürokratischen Verfahren
können häufig als einschüchternd und abweisend empfunden werden.
58
Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität
Darüber hinaus können schlechte Einrichtungen zu einem niedrigen
Selbstwertgefühl beitragen. Zusätzlich kann eine negative Erfahrung, wie
z.B. eine zwangsweise verordnete Weiterbildung, es einer Person
erschweren, sich wieder an eine öffentliche Behörde zu wenden. Andere
psychologische Hindernisse entstehen durch das Gefühl der Isolierung,
Marginalisierung sowie eines niedrigen Selbstwertgefühls, die oftmals für die
Lebenslage einiger potenzieller Empfänger kennzeichnend sind. Viele dieser
Menschen verfügen nur über wenig Vertrauen in sich und ihre eigenen
Fähigkeiten.
Es gibt noch andere Gründe, warum sich Nutzer oder potenzielle Nutzer von
Diensten eingeschüchtert fühlen. Diese beziehen sich auf die Macht der
Beamten und die Tatsache, dass sie Entscheidungen treffen können, die
große Auswirkungen auf das Leben der Berechtigten und das ihrer Familien
haben. Hat z. B. ein Beamter die Macht, jemandem die eigenen Kinder zu
entziehen oder jemanden auszuweisen, dann verstärkt dies das Gefühl der
Unsicherheit seitens der Nutzer.
Vor diesem Hintergrund sehen die meisten Regierungen und NROs, die auf
die Fragebögen der CS-PS reagierten, ihre Hauptaufgabe in der Beratung
und Unterstützung der Antragsteller bei den Antragsverfahren, da viele von
ihnen damit alleine nicht fertig werden. Diese und andere Informationen
belegen eindeutig, dass viele Menschen befähigt werden müssen, damit sie
ihre Rechte in Anspruch nehmen können. Der CS-EM nennt eine Anzahl von
damit zusammenhängenden Hindernissen in Bezug auf Fahrten zur
Arbeitsstelle und der Aufnahme von Ausbildungsmöglichkeiten. Diese
beinhalten ein mangelndes Selbstvertrauen, das, wenn es in Verbindung mit
Analphabetismus auftritt, einer Person erschwert, an aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen und Beschäftigungsprogrammen teilzunehmen oder ein
Angebot wahrzunehmen oder sich eine Beschäftigung zu suchen.
Ein niedriger Bildungsgrad, schlechte Erfahrungen in Bezug auf Bildung und
unterschiedliche Werte und Erwartungen bei bestimmten Menschen oder
Gruppen können negative Auswirkungen auf ihren Zugang zu Leistungen
oder Diensten sowie Beschäftigung haben. Sie haben Auswirkungen auf die
Frage, wie Menschen ihre eigenen Ansprüche auf soziale Rechte und ihren
Platz im System beurteilen. Es gibt viele Aspekte der sozialen Rechte, die
kultureller Natur und kulturell begründet sind. So kann z. B. der Rückgriff auf
Unterstützung außerhalb der Familie oder Gemeinschaft in verschiedenen
Kulturen unterschiedliche Konnotationen hervorrufen. Dies trifft vor allem
auf Frauen und Kinder zu, die nach in vielen Kulturen vorherrschender
Meinung am besten durch die Familie versorgt werden. Diese und andere
Überzeugungen lassen einige Menschen zögern, ihre Rechte zu
beanspruchen oder eine Beschäftigung aufzunehmen, oder aber die
Überzeugungen lassen sie die Erfahrung, dies zu tun, anderes bewerten, als
dies ein Großteil der Bevölkerung täte. Kulturelle Faktoren können bei
59
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
bestimmten Bevölkerungsteilen auch zum Gefühl der Abhängigkeit führen
oder sie von anderen abhängig machen, ihre Rechte auszuüben.
Stigmatisierung und andere negative Aspekte der Behandlung bewirken
Eigenzensur seitens der Empfänger, von denen viele wenig oder kein
Verständnis für die „Berechtigung des Anspruchs“ haben. Dies kann zur
Beschneidung ihrer Ansprüche oder Dienstleistungen führen oder sogar zum
völligen Verzicht.
Bildung und lebenslanges Lernen müssen eine große Rolle spielen, besonders
bei der Bekämpfung von Stigmatisierung und der Offenlegung derselben.
3.7. Hindernisse aufgrund der mangelnden Berücksichtigung
sozial schwacher Gruppen und Regionen
Während jedes der bisher identifizierten Hindernisse sich auf alle
Bevölkerungsteile auswirken kann, gibt es noch ein Hindernis, das durch eine
mangelnde Aufmerksamkeit für die speziellen Bedürfnisse sozial schwacher
Gruppen und Regionen geschaffen wird.
3.7.1. Sozial schwache Gruppen
Ein immer wiederkehrendes Ergebnis, das sich aus der Arbeit in den
verschiedenen Bereichen der sozialen Rechte ergeben hat, ist die Existenz
einer Anzahl von sozial schwachen Gruppen in jeder Gesellschaft. Während
die Identität dieser Gruppen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat
unterschiedlich ist, sind bestimmte Kategorien von Menschen mehr oder
weniger universal. Dabei handelt es sich um Flüchtlinge, ältere Menschen,
ethnische und andere Minderheiten, Menschen mit Behinderungen, aus
Institutionen und Gefängnissen entlassene Menschen, Kranke oder jene, die
in schlechtem Gesundheitszustand sind, Obdachlose und Menschen in
ärmlichen Unterkünften, Asylsuchende, Alleinerziehende, Frauen mit Familie
und Pflegeaufgaben, Langzeitarbeitslose, ältere Arbeitnehmer, wirtschaftlich
schwache Frauen, junge Menschen und Kinder. Viele von ihnen sind
natürlich nicht per se schwach. Vielmehr wird ihre sozial schwache Lage
sowohl durch das System der sozialen Leistungen als auch durch die
Praktiken und Werte, die in einer Gesellschaft als Ganzem vorherrschen,
hervorgerufen oder verschärft.
Es gibt einige regionale Unterschiede in der Identität der meisten sozial
schwachen Gruppen. Während diese von Land zu Land verschieden ist, sind
einheimische Minderheitengruppen (besonders Roma/Zigeuner und
Nomaden) mehr oder weniger überall schwach und Gegenstand ungleicher
Behandlung. Darüber hinaus muss laut CS-PS darauf hingewiesen werden,
dass im Vergleich mit westeuropäischen Ländern die Lage von gefährdeten
Individuen und Gruppen in den Übergangsstaaten besonders schwierig
ist (angesichts des Ausmaßes und der großen Lücken im sozialen
Sicherheitsnetz). In diesen Ländern stellen die Armen einen erheblichen Teil
60
Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität
der Bevölkerung. Doch ihre Zusammensetzung ist manchmal überraschend.
So suchen z. B. vormals relativ gesicherte Gruppen Sozialschutz, weil die Zeit
des Übergangs sich in negativer Weise auf sie auswirkt. Eine dieser Gruppen,
die heute in einigen osteuropäischen Ländern von Armut bedroht sind, ist die
Gruppe der Wissenschaftler und des technischen Personals, die beim Militär
oder in Industriekomplexen arbeiten oder gearbeitet haben.
Die Ausweitung des Konzepts der sozialen Ausgrenzung (das in Westeuropa
in relativ kurzer Zeit weite Verbreitung fand) reflektiert, dass
Marginalisierung und Benachteiligung systematisch auftauchen und tief
verwurzelt sind (Castel 1995; Paugam 1996). Dieses Konzept beinhaltet die
Idee der sich überschneidenden Schwierigkeiten; die Tatsache, dass sozial
schwache Gruppen Benachteiligungen erleben, die häufig vielfältig sind. In
Bezug auf Langzeitarbeitslose lenkt der CS-EM z. B. die Aufmerksamkeit auf
die Spirale der Benachteiligungen, wobei Faktoren wie z. B. frühzeitiger
Schulabgang, Alphabetisierungsgrad und Lernprobleme, niedriges Selbstwertgefühl und das Fehlen von Fertigkeiten, wie z. B. Zeitmanagement,
Teamgeist und die Fähigkeit, Befehle auszuführen oder Entscheidungen zu
treffen, dazu beitragen, dass viele Dienste und Leistungen nicht von jenen
erhalten werden, die sie am meisten benötigen. Dazu gesellen sich Probleme
in Zusammenhang mit Unterbringung und unzureichendem Einkommen.
Der SP-SPM weist darauf hin, dass die Situation der Unsicherheit, die ein
mehr oder weniger beständiges Merkmal im Leben sozial schwacher
Gruppen ist, auch erheblich zur Verschlechterung des Gesundheitszustands
beiträgt.
3.7.2. Sozial schwache Regionen
Die gesamte Arbeit zum Zugang zu den sozialen Rechten lenkt die
Aufmerksamkeit auf die Existenz von Regionen und Orten, die benachteiligt
sind. Dies trifft für alle Mitgliedstaaten zu. Die Faktoren, die einen Nachteil
verursachen, variieren. In vielen Fällen sind sie infrastruktureller Natur, vor
allem geringe Angebote von Dienstleistungen, Versorgungseinrichtungen
und anderen Stellen sowie ein Mangel an Arbeitsplätzen, und können zu
Umwelt- und sozialen Problemen führen. Klimatische Bedingungen (wie z. B.
lange und kalte Winter) und Entfernungen/Lage an der Peripherie (häufig
zusammen mit wenig Transportmöglichkeiten) stellen eine weitere Reihe von
Gründen dar, diese Regionen als schwach zu bezeichnen. Während einige
Staaten diesen Hindernissen durch dichte und vielfältige Netzwerke von
Serviceleistungen entgegengewirkt haben, gibt es in anderen Staaten
Belege, dass Menschen in entlegenen Siedlungen nicht das ganze Jahr über
mit bestimmten Diensten versorgt werden können.
Eine zweite Form der räumlichen Benachteiligung dreht sich um das Problem
mehrfach benachteiligter Gemeinden. Die Arbeiten von CS-EM und CS-LO
beschäftigen sich beide mit der lokalen Ebene und zeigen, wie Probleme und
61
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Unzulänglichkeiten zusammentreffen können und Orte bilden, die nicht nur
aus sozial schwachen Menschen bestehen, sondern aus diesen und anderen
Gründen selbst schwach sind. Das Fehlen von Investitionen in diesen
Gebieten, ob nun lokale, nationale oder ausländische, trägt mit zur
Benachteiligung bei.
Das führt zu einer Benachteiligung kompletter Gebiete, die dergestalt ist,
dass ohne gebietsbezogene politische Schritte nicht nur Individuen, sondern
vollständige Gemeinden auf der Verliererseite stehen.
3.8. Zusammenfassung der wichtigsten Herausforderungen für
den Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Auf der Grundlage aller Informationen sind wir nun in der Lage, die wichtigsten
Herausforderungen in Bezug auf den Zugang zu sozialen Rechten im
heutigen Europa zu benennen. Es gibt sieben Kernaufgaben:
– Stärkung des Anspruchs auf soziale Rechte und Verbesserung der
entsprechenden Bestimmungen;
– Stärkung der Überwachung und Ausübung sozialer Rechte;
– Erhöhung der verfügbaren Ressourcen für die Umsetzung sozialer Rechte;
– Veränderung und Verbesserung der Verfahren und Verwaltung der
Dienste und Leistungen, die durch soziale Rechte abgedeckt sind;
– Verbesserung der Information und Kommunikation über soziale Rechte
und der damit zusammenhängenden Leistungen und Dienste;
– Bekämpfung der psychologischen und soziokulturellen Hindernisse, die
den Zugang zu sozialen Rechten beeinträchtigen und sowohl
Dienstleistungsanbieter als auch Nutzer betreffen;
– Anvisieren besonders sozial schwacher Gruppen und Regionen zur
Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten.
Das nächste Kapitel zeigt einige Grundsätze und Praktiken, die helfen
können, bestehende Hindernisse abzubauen.
62
4. Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu
sozialen Rechten
Vor dem Hintergrund der Herausforderungen und vielfältigen Hindernisse,
die die Umsetzung von sozialen Rechten beeinträchtigen, beschäftigt sich
dieses Kapitel mit den „guten Praktiken der Rechte“. Diese werden als
miteinander verbundenes Netz von Grundsätzen interpretiert, die zusammen
eine Kultur schaffen, die sozialen Rechten und staatlicher Verantwortlichkeit
förderlich ist. Während einige der Grundsätze recht eng mit einem oder
mehreren Hindernissen, die im vorausgegangenen Kapitel identifiziert
wurden, verbunden sind, werden sie hier in allgemeiner Form behandelt und
ausgeführt. Dies hängt damit zusammen, dass man eine Kultur der Rechte als
allgemeinen Ansatz betrachten muss, als miteinander verknüpfte Grundsätze,
die zusammen eine Reihe universeller Werte und eine allgemeine
Verfahrensweise bilden. Die Arbeit der verschiedenen Expertengruppen
beinhaltet umfangreiche Informationen zu den Faktoren, die für die
Umsetzung sozialer Rechte unumgänglich sind (wie auch Informationen über
die Hindernisse und Hürden, die in Kapitel 3 vorgestellt wurden). Wir
verwenden im ersten Teil dieses Kapitels diese und andere Informationen, um
Grundsätze und Verfahren für die Umsetzung sozialer Rechte zu entwickeln,
während wir im zweiten Teil einige Beispiele für gute Praktiken vorstellen. Die
Idee, gute Praktiken vorzustellen, beruht auf ihrem Potenzial der
Übertragbarkeit auf andere Staaten, wobei gleichzeitig anerkannt wird, dass
Maßnahmen den nationalen Gegebenheiten angepasst werden müssen.
4.1. Grundsätze und Praktiken
Wie bereits in der Strategie für sozialen Zusammenhalt festgelegt, erfordert
die Garantie, dass alle Mitglieder einer Bevölkerung von ihren Rechten
profitieren, unterschiedliche und vorausschauende politische Ansätze und
Programme. Acht Grundsätze sind unserer Meinung nach wesentlich für die
guten Praktiken des Rechts. Diese ergeben sich nicht in direkter Linie aus den
im vorausgegangenen Kapitel identifizierten Herausforderungen, sondern
überschneiden sich vielmehr mit diesen. Darüber hinaus sollten sie in ihrem
Verhältnis zueinander eher komplementär als hierarchisch betrachtet
werden. Keine geht der anderen voraus, vielmehr ist der Ausgangspunkt
immer der Nutzer oder potenzielle Nutzer der Leistungen und Dienste.
4.1.1. Nutzerorientierte Dienstleistung
Idealerweise entwickeln die Menschen in Bezug auf staatliche Dienstleistungen
das Gefühl, dass diese Dienste für sie geschaffen wurden. Die Dienste müssen
63
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
zu diesem Zweck so nah wie möglich am Bürger ausgerichtet sein.
Nutzerorientierte Dienste können auf verschiedene Arten erreicht werden,
wichtig ist jedoch, dass die Hindernisse zur Beantragung und Teilnahme
beseitigt werden, die sich aus Verfahren und anderen Bestimmungen
ergeben. Diese Hindernisse entstehen durch das Versäumnis, eine
„nutzerorientierte“ Perspektive einzunehmen, anstatt den Belangen der
Organisation den Vorrang zu geben. Man findet in der Praxis eine ganze
Serie organisatorischer Hindernisse für die sozialen Rechte, die durch
Aufsplitterung und Aufteilung, unzureichende oder unangemessene
Verbindungen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene, Komplexität,
unangemessene und unzureichende Informationen und die fehlende
Beteiligung der Nutzer und NROs geschaffen werden.
Heute stehen ausreichende Informationen über gute nutzerorientierte
Praktiken zur Verfügung. Mit der europäischen Erfahrung in sozialen
Dienstleistungen kam nicht nur eine wachsende Anerkennung der Tatsache,
dass viele Menschen vielfältige Probleme haben, sondern dass diese
miteinander verbunden sind. Daraus ergab sich dann das Entstehen
integrierter und ganzheitlicher Formen der Bildung und Unterstützung. Eine
Entwicklung in dieser Hinsicht sind die „personifizierten Unterstützungsprogramme“. Die zugrunde liegende Idee ist, dass Dienste den besonderen
Bedürfnissen, insbesondere im Fall sozial schwacher Menschen,
zugeschnitten werden müssen. Einige Beispiele für Leistungen nach dem
ganzheitlichen Ansatz sind z. B. das IGLOO-Projekt und das Family Service
Projekt, die im folgenden Abschnitt vorgestellt werden. Eine flexible
Unterstützung sowie die Schaffung eines einzigen Zugangspunktes sind
weitere wichtige Elemente bei der Entwicklung von nutzerorientierten
Ansätzen. Pillingers (2001: 42) Studie über soziale Leistungen in den
Mitgliedstaaten der EU verwendet ein Problemlösungsdreieck bestehend aus
Nutzer, Organisation und Mitarbeiter.
Die Nutzerorientierthung beinhaltet auch die Berücksichtigung der
Bedürfnisse und Umstände sozial schwacher Gruppen. Dies ist eine spezielle
Form der Sozialrechtsperspektive, eben weil die Schwierigkeiten sozial
schwacher Gruppen schwerwiegende Folgen für die Fähigkeit haben, soziale
Rechte auszuüben (im Fall sozial schwacher Gruppen), oder in dem Ausmaß,
in dem lokal vorherrschende Bedingungen die Inanspruchnahme sozialer
Rechte begünstigen (im Fall benachteiligter Regionen). Im nächsten
Abschnitt wird gezeigt, dass sozial schwache Menschen befähigt werden
müssen, ihre Rechte einzufordern, ebenso sind auch sozial schwache
Regionen oder Orte von vielen Nachteilen betroffen, die sie bei der
Ausübung ihrer Rechte beeinträchtigen. Tatsächlich besteht manchmal die
Notwendigkeit, zugunsten bestimmter Gruppen und Regionen gezielte
Programme einzusetzen.
64
Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten
4.1.2. Ermächtigung, Befähigung und Entwicklung
Viele der im vorangegangenen Kapitel identifizierten und besprochenen
Hindernisse ergeben sich aus einer statischen Sichtweise der Dienstleistung.
Völlig konträr dazu konzentriert sich der Ermächtigungsansatz auf die
Berücksichtigung eines Bedürfnisses, während er gleichzeitig die Fähigkeit
erhöht und Menschen ermächtigt. Eine sich beständig wiederholende
Feststellung in der Arbeit der verschiedenen Expertengruppen ist, dass viele
Menschen Unterstützung und Hilfe benötigen, um überhaupt befähigt zu
werden, ihre Rechte wahrzunehmen. Menschen wenden sich in diesem
Kontext häufig an die NROs. Die Intervention zugunsten von Menschen
sollte jedoch kein langfristiges Ziel darstellen. Statt dessen müssen Menschen
und Gemeinden ermächtigt werden, damit sie die eigene Situation meistern
können. Ermächtigung resultiert in direkter Partizipation. Der Ausbau von
Fähigkeiten ist integraler Bestandteil, wobei es das Ziel ist, die Fähigkeit einer
Person (oder einer Region/Gemeinde/Ort) zu steigern, besonders bei der
Realisierung ihrer/seiner sozialen Rechte. Ermächtigung beinhaltet demnach
sowohl die Arbeit mit bestimmten Gruppen oder Regionen, die als sozial
schwach gelten, als auch allgemeine Programme zur Bekämpfung von
Armut und sozialer Ausgrenzung.
In diesem Licht betrachtet stellt die Verbesserung des Zugangs zu den
sozialen Rechten eine Form der sozialen Investition dar. Bei der Gestaltung
spielt auch die Entwicklung von Humankapital und sozialem Kapital eine
Rolle; die Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten trägt zum Ausbau
des Humankapitals von Menschen bei. Es dient auch dazu, das soziale
Kapital der Gemeinden und Gesellschaften durch Autonomie, Vertrauen und
allgemeine Ressourcen für den sozialen Aufbau zu stärken.
Ein Meilenstein der Politik und der Bestimmung bei einer Ermächtigungsstrategie ist, aktive statt passive Maßnahmen zu verwenden. Leistungen und
Dienste sind mit Aktivitäten verbunden und nicht nur mit dem Status. So
sollte es z. B. möglich sein, Zugang zu einer Leistung oder einem Dienst nicht
nur aufgrund des Status als alleinerziehende Mutter zu erlangen, sondern
weil man alleine die Kindeserziehung als alleinstehendes Elternteil
übernimmt. Diese Ausrichtung verlangt einen präventiven und fördernden
Ansatz, während er gleichzeitig sicherstellt, dass Menschen einen
angemessenen Schutz erhalten. Ein Beispiel für eine Ermächtigungsstrategie
ist die UN Habitat Agenda, die eine Reihe von Möglichkeiten aufzählt, wie
die Sozialwohnungspolitik die vollständige und progressive Umsetzung des
Rechts auf Wohnung berücksichtigen kann. Ein zweiter Meilenstein der
Ermächtigungsstrategie ist, die Veränderung an sich zum Ziel zu haben –
tatsächlich könnte man sagen, dass eine Ermächtigungsstrategie sich am
Neustart orientiert. Eine Ermächtigungsstrategie stellt sich der Herausforderung, Risiken in Möglichkeiten zu verwandeln. Die Gefahr des
Einkommensverlustes wird z. B. als Möglichkeit behandelt, sich an neuen
65
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Aktivitäten zu beteiligen oder neue Verhaltensregeln zu erlernen. Vor diesem
Hintergrund gewinnt die Selbständigkeit natürlich an Bedeutung, ein Ansatz,
der vom CS-EM sehr hervorgehoben wird. Der CS-EM versteht unter
Selbständigkeit die Schaffung eines „neuen Umfelds“, das Arbeitslosen
Anreize und Möglichkeiten bietet, ihr eigenes Unternehmen aufzubauen
und das Eigeninitiative unterstützt, gleichzeitig aber einige
Sicherheitsvorkehrungen zur Verfügung stellt, um einen gewissen Schutz
gegen eventuelle Risiken zu bieten. Der CS-EM weist auch auf eine wichtige
Verbindung zwischen Eigeninitiative und Innovation bei der Schaffung von
Beschäftigung hin und hält dies besonders in Mittel- und Osteuropa für
relevant, wo die Privatisierung viele Möglichkeiten bietet, Lücken in der
Versorgung von Gütern und Dienstleistungen zu schließen.
Bei diesem dynamischen Ansatz wird nicht ein Wandel um des Wandel
willens angestrebt, sondern weil dieser Entwicklung bedeutet. Viele der
Diskussionspunkte, die bereits in diesem Bericht angesprochen wurden,
unterstreichen den sich verändernden Charakter der Bedürfnisse, sozialen
Leistungen und des gesellschaftlichen Lebens an sich. Entwicklung ist daher
immer erforderlich. Sano (1999: 751) sagt, dass Rechte einen Schutzraum
und Würde um eine Person schaffen (sollten), von dem aus dann
Entwicklung stattfinden kann. In der Arbeit der Stabsabteilung für die
Entwicklung von sozialem Zusammenhalt des Europarates wird der Begriff
„Fortschritt“ verwendet, der sich auf die Fähigkeit bezieht, neue Möglichkeiten
vollständig nutzen zu können. Dabei versteht man unter Entwicklung das Recht
auf Wachstum und Prozesse wie z. B. persönliche Entwicklung, berufliche
Weiterbildung und Möglichkeiten für lebenslanges Lernen.
4.1.3. Qualität
Qualität gewinnt als Thema immer größere Bedeutung in Westeuropa. Eine
der Vorzüge des Grundsatzes Qualität ist, dass es sich dabei um ein relativ
offenes Konzept handelt, seine Bedeutung kann mit dem Kontext variieren
und tut dies auch. Qualität kann sowohl ein allgemeiner als auch ein
bestimmter Wert sein. Das HDSE-Projekt versucht, die Bedeutung von
Qualität zu konkretisieren (Duffy 1998). Es entwickelte den Standard der
„3A“-Leistungen. Als Ausgangspunkt für diesen Standard dient die
Annahme, dass staatliche Bestimmungen so viele Kriterien der Universalität
und Sicherheit wie möglich erfüllen sollten. Die „3A“-Referenz bedeutet im
Einzelnen:
– Adequacy = Angemessenheit: der angebotene Mindeststandard sollte
ausreichend hoch sein und ein hoher Prozentsatz der bedürftigen
Bevölkerung sollte durch ihn abgedeckt werden;
– Accessibility = Zugänglichkeit: weniger Komplexität in den Bestimmungen,
die den Zugang zu den sozialen Rechten regeln, eindeutige
Berechtigungsverfahren und vollständige Umsetzung der Bestimmung;
66
Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten
– Affordability = Erschwinglichkeit: die Fähigkeit von Menschen und
Haushalten, Waren und Dienstleistungen zu erwerben, sollte für die
Bestimmung Vorrang haben, ebenso die Kosten der Bestimmung.
Es wird hier nochmals darauf hingewiesen, dass der „3A“-Standard sowohl
quantitative als auch qualitative Elemente berücksichtigt. Die Garantie für
ein ausreichendes Einkommen und andere Ressourcen, sowohl für die
Anbieter als auch für die Nutzer, ist hierbei ein wichtiges Element. Als
allgemeine Qualitätsinitiative könnte der „3A”-Standard als Grundlage für
Vorgaben oder für die Einrichtung von Standards dienen.
Qualität ist bereits ein weit verbreitetes Kriterium in Bezug auf Sozialleistungen. Pillinger (2001) berichtet in ihrer Untersuchung über zehn1
Mitgliedstaaten der EU über einen massiven Anstieg dieser Art von Aktivitäten
in den staatlichen Sozialleistungen. Qualitätsorientierte Maßnahmen reichen
von der einfachen Qualitätsaussage bis hin zu ausgeklügelten Qualitätssicherungsmechanismen. Laut Pillinger ist eine der wichtigsten Errungenschaften im Prozess zur Verbesserung der Qualität in den staatlichen
Sozialleistungen in den Mitgliedstaaten der EU die Identifizierung der nicht
berücksichtigten Bedürfnisse. Einige Qualitätsinitiativen haben neue
Dienstleistungen hervorgebracht, während andere die Qualität bestehender
Dienstleistungen verbessert, neu ausgerichtet oder weiterentwickelt haben.
Zu den besten Praktiken bei der Qualitätsentwicklung zählt Pillinger (2001: 118):
– Partizipationsansätze, bei denen Qualität mit der Wahlmöglichkeit und
Autonomie der Nutzer verbunden wird;
– Ermächtigung der Nutzer und Einbindung bei der Planung;
– Verbesserungen, die bedeutsame und praktische Methoden der
Beurteilung einschließen, die unter Beteiligung der Nutzer und Mitarbeiter
vor Ort umgesetzt werden;
– Qualitätszielsetzungen, die auf lokale Gegebenheiten passen und
modifiziert werden können;
– Qualitätsstandards, die in Partnerschaft mit den Mitarbeitern, dem
Management und den Nutzern entwickelt werden.
Es sei darauf hingewiesen, dass Qualität im Grunde die Förderung effektiver
und hochwertiger Dienste impliziert und dass die verfügbaren Ressourcen zu
diesem Zweck eingesetzt werden.
4.1.4. Integration der Dienste und Leistungen
„Integration“ ist ein Begriff, der heutzutage zwar häufig verwendet, dessen
Bedeutung aber selten genauer spezifiziert wird. Grundsätzlich erkennt die
______
1. Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, Spanien und
Großbritannien.
67
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Integration die Verbindung zwischen sozialen Rechten an. Dies beruht auf
der Erkenntnis, dass ein fehlender Zugang zu einem grundlegenden sozialen
Recht den Betroffenen erschwert, Zugang zu anderen sozialen Rechten zu
erlangen, was wiederum die Gefahr der mehrfachen Ausgrenzung erhöht.
Gesundheit hängt z. B. grundsätzlich vom Ausmaß ab, in dem jemand Zugang
zu einer angemessenen Wohnung, Einkommen und Beschäftigung hat.
In die Praxis transferiert erfordert die Integration den Abbau administrativer
und anderer Hürden (Pillinger 2001). Obwohl die Integration Koordinierung
beinhaltet – die Verknüpfung von Diensten durch administrative und
organisatorische Strukturen – ist sie doch radikaler als die bloße
Koordinierung. Vielmehr bedeutet sie einen ganzheitlichen Ansatz, der
einerseits auf der Anerkennung der multi-dimensionalen Natur der
Bedürfnisse basiert und andererseits auf dem Miteinanderverbundensein von
Menschen. Statt einer Aufteilung liegt die Betonung auf dem miteinander
verbundenen Ganzen. Faktoren, die gegen die Integration in sozialen
Bestimmungen agieren, beinhalten etablierte berufliche Kulturen, Zugangssperren innerhalb der Grenzen von Abteilungen und Behörden,
unterschiedliche Finanzierungsgrundlagen und bürokratische Strukturen,
Hierarchien und eine Reihe anderer organisatorischer Komplexitäten
(Pillinger 2001: 66). Integration kann und sollte aber sowohl als Mittel als
auch als Zweck betrachtet werden. Als Mittel beinhaltet sie einen
bestimmten Verfahrensweg, der Partizipation und Partnerschaft betont (wird
im Folgenden besprochen). Als Zweck kann es in zweierlei Hinsicht
interpretiert werden. Zum einen im Hinblick auf die gesamte Bestimmung,
deren Ergebnis eine umfassende Dienstleistung sein könnte. Die Idee des
„alles in einem Haus“ wird in diesem Zusammenhang oft erwähnt. Dies
vereinfacht jedoch die komplexe Natur von Bedürftigkeit und rückt die
öffentlichen Dienste ins Licht von Konsumierbarkeit. Zu bevorzugen sind
Konzepte wie z. B. ein „integrierter Zugang“ zu Diensten oder eine
„Dienstplattform“. Diese betonen, dass Menschen zu den entsprechenden
Diensten hingeleitet werden müssen und dass dies in integrierter Weise
geschehen muss, gleichzeitig erkennen sie aber an, dass es unmöglich ist,
komplexe Bedürfnisse im Rahmen eines einzigen Dienstes anzubieten. In
seiner zweiten Bedeutung beinhaltet die Integration ein Denken im Hinblick
auf die ganze Person. Legt man dies als Rahmen zugrunde, erlangen
Projekte und Programme Priorität, die darauf abzielen, alle Bedürfnisse in
integrierter Weise anzugehen. Diese zwei Auslegungen der Integration
schließen sich nicht gegenseitig aus – tatsächlich sind sie eng miteinander
verbunden – und idealerweise sollten beide angestrebt werden.
4.1.5. Partnerschaft und Beteiligung
Partnerschaft stellt die prozessuale Seite der Integration dar, ein Medium, mit
dem die Integration betrieben wird.
68
Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten
Soziale Partnerschaften, das Zusammenkommen unterschiedlicher
Interessen, insbesondere zum Zweck der wirtschaftlichen und sozialen
Planung, wurden in Europa erfunden. Ihre Vorteile sind vielfältiger Natur.
Eine neue OECD-Studie (2001) berichtet z. B., dass Partnerschaften auf
lokaler Ebene erfolgreich die lokale Selbstverwaltung verbessert haben und
Synergien zwischen Regierungsprogrammen und lokalen Initiativen bei der
Behandlung nicht berücksichtigter Bedürfnisse freigesetzt haben. Die Arbeit
von CS-EM und CS-PS unterstreicht den Vorteil von Partnerschaften, da sie
belegt, wie sie zur Verbesserung der Effektivität und Qualität beitragen. Wie
jedoch von den NROs beim Weltgipfel für soziale Entwicklung in Genf im
Jahr 2000 angemerkt wurde, ist ein neuer bewusster Ansatz der
Koordinierung und Partnerschaft zwischen den staatlichen Strukturen und
den Organisationen der zivilen Gesellschaft erforderlich (irische Präsidentschaft/Europarat 2000): Mit anderen Worten, Partnerschaft ist nicht
notwendigerweise spontan. Gleichzeitig begünstigen die Kulturen in den
europäischen Staaten nicht immer Partnerschaften. Aus diesen und anderen
Gründen ist es daher notwendig, die Aufmerksamkeit auf die Bedingungen zu
lenken, die für das Entstehen und Gedeihen von Partnerschaften günstig sind.
Ein Teil der Philosophie, die den Partnerschaften zugrunde liegt, ist die
Erneuerung und Stärkung der Demokratie. Die Partnerschaft muss also für
die Partizipation aller Beteiligten sorgen. Partnerschaft ist aber nicht nur
inklusiv, sondern sie bedeutet auch die Bereitschaft, alle diejenigen zu
motivieren, die beteiligt werden sollten. Im Hinblick auf das Ausmaß oder
den Umfang der Partnerschaft empfehlen sowohl der CS-EM als auch der
CS-PS, dass Partnerschaften so viele Organisationen und Akteure wie
möglich einschließen sollten und auch alle jene, die von ihnen profitieren
sollen. Zu den potenziellen Partnern zählen die Zentral-, Kommunal- und
Regionalregierungen, zuständige Organe für die Auszahlung von Sozialleistungen, Arbeitgeber und Geschäftsorganisationen, Gewerkschaften,
NROs und andere Akteure der Zivilgesellschaft sowie diejenigen, die die
Arbeitslosen, Frauen und ethnischen Minderheiten vertreten. Partnerschaft
berücksichtigt auch die Form der Beziehungen, die mit ihr verbunden sind.
Sie ist unvereinbar mit Hierarchie und erfordert kooperierende und nichthierarchische Beziehungen, bei denen alle mehr oder weniger gleichberechtigte
Partner sind. Es ist also ein Ansatz von unten nach oben, statt von oben nach
unten erforderlich.
Partnerschaften können vielfältige Formen annehmen und auf
unterschiedlichen Ebenen arbeiten. Eine Art der Partnerschaft kommt unter
Anbieterorganisationen verschiedener Zuständigkeitsbereiche vor. So
arbeiten z. B. die Anbieter von Gesundheits-, Bildungs- und Sozialdiensten
und Leistungen sowie Wohnungs- und Arbeitsämter, einschließlich NROs,
zum Zweck der Planung und Erbringung von Diensten zusammen. Eine
zweite Form der Partnerschaft dient der Verknüpfung verschiedener
administrativer und geographischer Ebenen. In diesem Zusammenhang sei
69
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
auf das Argument des Kongresses der Gemeinden und Regionen in Europa
(CLRAE) in seiner Empfehlung 52 (1998) hingewiesen, das besagt, dass die
Region seiner Ansicht nach die angemessene Ebene für eine Partnerschaft
zwischen öffentlichen und privaten Organisationen sei. Die Arbeit des CS-EM
befürwortet eine starke kommunale Dimension der Partnerschaft und weist
darauf hin, dass es die kommunale Ebene ist, auf der sozial schwache
Gruppen leben und auch versuchen, ihre Rechte geltend zu machen. Sowohl
CS-EM als auch CS-LO lenken die Aufmerksamkeit auf die kommunale
Natur vieler Arbeits- und Wohnungsmärkte. In ihrer inklusivsten Form bieten
Partnerschaften jenen Menschen, die selbst davon betroffen sind,
Möglichkeiten, dass man ihre Stimmen hört und sie Einfluss auf den
Planungsprozess nehmen können. Wie bereits der Europarat in seiner
Strategie für sozialen Zusammenhalt betont hat, haben die NROs gezeigt,
wie die Stimmen der Ohnmächtigen wertvolle Ideen für den politischen
Entscheidungsprozess liefern können.
4.1.6. Transparenz und Offenheit
Geheimniskrämerei und Mangel an Informationen sind das Gegenteil von
Transparenz und die wahren Feinde der sozialen Rechte. In vielen Bereichen
der öffentlichen Einrichtungen herrscht immer noch die Vorstellung von
intern-extern oder Insider-Outsider vor. Dies bewirkt Abgrenzungen, nicht
nur zwischen Mitarbeitern und Nutzern von Diensten (oder ihren
Vertretern), sondern auch innerhalb der Dienste und Behörden im Hinblick
auf die Fragmentierung in unterschiedliche Einheiten, Abteilungen und so
weiter. Dies führt zu Erstarrung und kann in seiner extremsten Form zu
einem angeblichen Interessenkonflikt zwischen „uns“ und „denen“ führen.
In diesem Rahmen werden Verantwortlichkeit, Informationsaustausch und
andere Aspekte guter Praxis in den Verfahren vornehmlich als interne
Belange behandelt. Die Nutzer von Diensten werden tendenziell nicht als
separat und „da draußen“ gesehen, sondern in gewisser Weise als
undifferenzierte Masse. Dies ist sowohl Ursache als auch Folge einer
geringen Priorität, die man der Umsetzung, dem Erbringen von Leistungen
und der Überwachung der Zufriedenheit seitens der Nutzer einräumt.
Darüber hinaus werden Kommunikation und Information weder vorrangig
behandelt noch problematisiert. Wir haben in Abschnitt 3.5 gesehen, dass
die Speicherung und der Fluss von Informationen, die Qualität der
Informationen als auch die Kanäle, über die sie weitergeleitet werden, alle
einer Verbesserung bedürfen. Ein Ansatz der Transparenz und Offenheit
impliziert, dass die Organisationen eine Kommunikationsstrategie verfolgen.
Eine solche Strategie sollte vielschichtig und gut durchdacht sein
(Anvisierung verschiedener „Zuhörer“ und Verwendung verschiedener
Kanäle) und sollte auch den Menschen die Möglichkeit geben, ihre
Bedürfnisse kund zu tun. Andere Elemente, die für einen offenen Ansatz
wichtig sind, z. B. Bürgerbeauftragte, Berufungsverfahren, klare Verantwortung
70
Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten
der Anbieter und Sektoren sowie Offenheit darüber, wie die Entscheidungen
gefällt werden, müssen eingesetzt werden. Dies geschieht momentan aber
nur äußerst selten.
4.1.7. Gleichheit
Es darf keine Ungleichbehandlung bei sozialen Rechten geben. Sie sind von
Natur aus für alle gedacht. Angesichts der tiefen Verankerung der sozialen
Unterschiede führt gesellschaftliche Ungleichheit für einige zu einem
fehlenden Zugang zu sozialen Rechten. Die Ungleichheit fließt in den Bereich
sozialer Rechte, so dass Menschen, die betroffen sind oder durch die
allgemeine soziale Ungleichheit geschwächt sind, besondere Schwierigkeiten
in Bezug auf soziale Rechte haben. Das Geschlecht ist eine universale Quelle
von Ungleichheit, die man daran erkennt, dass Frauen bei der Ausübung
ihrer sozialen Rechte generell größere Schwierigkeiten haben als Männer.
Gleichheit ist jedoch sehr komplex, d. h., verschiedene Ursachen der
Ungleichheit treten häufig zusammen auf. Neben dem Geschlecht sind vor
allem Abstammung, ethnische Zugehörigkeit und sozioökonomischer
Hintergrund Gründe für Ungleichheit. Die Arbeit der verschiedenen
Expertengruppen belegt nicht nur die Existenz sozial schwacher Gruppen in
allen Staaten, sondern auch offensichtlich beständige Ähnlichkeiten in der
Identität solcher Gruppen in allen Ländern.
Es scheint daher höchste Zeit, erneut Gleichheit als Grundsatz für gute
Rechtspraktiken zu unterstreichen. Die Verfahren für die Umsetzung von
Gleichheit sind am besten in Bezug auf das Geschlecht entwickelt. Besonders
die EU ist weltführend bei den Bestimmungen zur Gleichstellung der
Geschlechter und hat im letzten Jahrzehnt den Ansatz zur umfassenden
Gleichstellung von Mann und Frau angeführt. Das vorherrschende Denken
in Bezug auf die Gleichheit der Geschlechter scheint nun zu sein, dass der
offizielle rechtliche Ansatz durch aktive Maßnahmen ergänzt werden sollte,
die die Gleichheit der Geschlechter in Verfahrensbestimmungen und
Praktiken integrieren. Das Ziel ist demnach, eine generelle Berücksichtigung
der Gleichheit der Geschlechter in allen politischen Entscheidungen
auszunehmen, indem man ihre Aufnahme als Ziel in alle Bestimmungen, auf
allen Ebenen und bei allen Phasen des politischen Entscheidungsprozesses
fordert. Dieser doppelte Ansatz könnte auch in Bezug auf andere Ursachen
der Ungleichheit angewandt werden. Der CS-EM untersuchte z. B. die
Ungleichheit beim Zugang zu Beschäftigung und Weiterbildung aus der
Perspektive anderer wirtschaftlich benachteiligter Gruppen, insbesondere
Menschen mit Behinderungen, ethnische Minderheiten und aufgrund von
Alter Diskriminierte (sowohl die Jungen als auch die Älteren). Alle diesen
Gruppen wurden unterschiedliche Bedürfnisse bescheinigt, die durch
Bestimmungen zur Gleichbehandlung abgedeckt werden müssen, einschließlich
in kommunalen Partnerschaften.
71
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
4.1.8. Überwachung und Prüfung der Umsetzung
Die empirischen Beweise bei der Analyse der Hürden und Hindernisse zu
sozialen Rechten zeigen, dass es Lücken bei den Leistungsansprüchen und
zwischen der offiziellen Formulierung eines Rechts oder einer Bestimmung
und der Umsetzung in der Praxis gibt, selbst dann, wenn der Anspruch
klar und deutlich festgelegt ist. Daher ist der potenzielle Beitrag der
Überwachung, Prüfung und Durchsetzung als allgemeine Praxis immens. Es
ist wichtig für die Zukunft der sozialen Rechte, einen Prozess einzuführen,
der einerseits offen ist, die Mängel bei den bestehenden Bestimmungen
aufzuzeigen, und andererseits die Berücksichtigung der Bedürfnisse
ermöglicht.
Der Mangel an Informationen ist momentan ein großes Problem. Wir
beziehen uns hier zum einen auf den Mangel an Informationen auf der
Ebene der Mitgliedstaaten (und auch auf regionaler und kommunaler Ebene)
in Bezug auf die praktische Umsetzung sozialer Rechte. Ein Mangel an
Informationen besteht nicht nur für ein Land als Ganzes, sondern auch im
Hinblick auf die lokalen Unterschiede beim Zugang zu sozialen Rechten
innerhalb einzelner Länder. Es gibt auch das Problem einer fehlenden
europaweiten vergleichbaren Datenbank zu sozialrechtlichen Aspekten. Die
Tatsache, dass jede der Expertengruppen gezwungen war, neue empirische
Daten zu sammeln, ist ein bedeutender Hinweis auf den Mangel
länderübergreifender Vergleichsdaten. Es muss weiter auf Ebene der Mitgliedstaaten daran gearbeitet werden, die Vergleichbarkeit von Statistiken im
Hinblick auf ihre letztendliche Standardisierung auf der Grundlage
gemeinsamer europäischer Kriterien zu verbessern. Die Auswahl der
Indikatoren, besonders qualitativer Indikatoren, ist sehr wichtig. Dies wurde
vom Europarat erkannt, der unter der Schirmherrschaft der Stabsabteilung
zur Entwicklung sozialen Zusammenhalts bereits an der Ausarbeitung von
Indikatoren zum sozialen Zusammenhalt arbeitet. In diesem Kontext sei noch
einmal auf die Bedeutung von Studien über soziale Ausgrenzung und
Ungleichheit in allen Staaten hingewiesen.
Die Empfehlung des CS-LO für Nationale Beobachtungsstellen für
Wohnungen ist als Mittel der Überwachung auf nationaler Ebene
überzeugend. Diese könnte im Hinblick auf Nationale Beobachtungsstellen
für Sozialrecht weiterentwickelt werden, die, indem sie Informationen
sammeln und zur Verfügung stellen, eine Reihe von Vorzügen bieten. Zum
einen würden sie einen integrierten Ansatz zu den sozialen Rechten auf
nationaler Ebene darstellen. Zweitens würden Prüfstellen die Arbeit des
Europäischen Ausschusses für Sozialrechte unterstützen (der die Einhaltung
der Europäischen Sozialcharta und der revidierten Europäischen Sozialcharta
überwacht). Drittens würden Nationale Sozialrechtsprüfstellen die Funktion
erfüllen, Informationen zu sammeln und zur Verfügung zu stellen. Überwachung sollte aber auch auf anderen Ebenen erfolgen und Erhebungen
72
Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten
einschließen, um die Nutzerzufriedenheit mit einer Reihe von Aspekten bei
den Bestimmungen abzustimmen. Das Sammeln dieser Daten würde sich
positiv auswirken im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Daten, neuen
Analysen und Feedback zum Zweck der Ausarbeitung neuer Programme und
Bestimmungen.
4.2. Einige Beispiele für gute Praktiken
Dieser Abschnitt stellt eine kleine Auswahl von Beispielen für bestehende
Projekte und Initiativen vor, die aus einer Reihe von Ländern ausgewählt
wurden, um die praktischen Ansätze hervorzuheben, mit denen Probleme
und Hindernisse bei sozialen Rechten identifiziert und gelöst werden. Der
Hinweis ist wichtig, dass viele dieser Beispiele die Ausweitung und/oder
Abänderung bestehender Praktiken darstellen und dass sie alle in der einen
oder anderen Hinsicht auf die Fortführung breit angelegter Unterstützungssysteme aufbauen, die bereits existieren.
Diese Beispiele, manche von ihnen sind neu, wurden aus einer Reihe von
Gründen ausgewählt. Zum einen hielten wir Ausschau nach Initiativen, die
Anzeichen für einen integrierten Ansatz der Arbeit aufwiesen. Diese Art der
Aktivitäten bietet eine Verbindung mit der vorangegangenen Diskussion der
Grundsätze zur Förderung des Zugangs zu sozialen Rechten, indem sie
belegt, dass soziale Rechte von Menschen und ihre Bedürfnisse (und die
Reaktion darauf) untrennbar miteinander verbunden sind. Zweitens interessierten wir uns für Praktiken, die von den Dienstleistungsanbietern selbst
stammen, was die interne Dynamik des Wandels belegt. Drittens waren auch
jene Projekte von Interesse, die auf der Ethik der Partnerschaft beruhen oder
diese fördern, ob nun zwischen verschiedenen Anbietern und Sektoren oder
auf verschiedenen Ebenen (kommunal, regional, national und international).
Ein viertes Kriterium bezog sich auf die Art und Weise, in der Nutzer
involviert waren und ob sie tatsächlich die Initiative oder das Projekt
initiierten, oder diese aus ihren Bedürfnissen herrührten.
Die erste ausgewählte Aktivität stellt eines der besten Beispiele für einen
Ansatz dar, der einerseits auf mehrere soziale Rechte abzielt und dies
andererseits in einer Art und Weise macht, die integrierend wirkt und
Partnerschaften aufbaut. Die Bedürfnisse der Menschen werden als multidimensional erkannt und man bemüht sich dementsprechend, den Bedarf an
sicherer und angemessener Unterbringung sicherzustellen, indem man den
Menschen den Zugang zu Ausbildung und Beschäftigung vermittelt. Die
Menschen, die Hilfe benötigen, sind unmittelbar an der Erfüllung ihrer
eigenen Bedürfnisse beteiligt. Die Tatsache, dass es IGLOO-Projekte in so
vielen Ländern innerhalb der EU und in einigen außerhalb der EU gibt,
verleiht ihnen sowohl eine europäische als auch eine nationale und
kommunale Perspektive.
73
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
IGLOO
(innerhalb der Europäischen Union und darüber hinaus)
Es handelt sich um eine gemeinsame Initiative des Europäischen Verbindungsausschusses für Sozialwohnungen (CECODHAS), des Europäischen Gewerkschaftsbundes (ETUC) und des Europäischen Verbandes nationaler Vereinigungen,
die mit Obdachlosen arbeiten (FEANTSA). Auf der Grundlage eines integrierten
Ansatzes für Unterbringung und Beschäftigung ist ein Hauptziel, auf kommunaler
Basis eine Ressource zu bieten für jene, die im Bereich Unterbringung, Ausbildung
und Zugang zu Beschäftigung für sozial schwache Menschen arbeiten.
Begründet im Jahr 1995 beinhaltet es die Einrichtung einer Plattform auf
europäischer Ebene sowie von Plattformen auf nationaler und regionaler Ebene,
um Lösungen für die Integration durch Wohnung und Beschäftigung auf
kommunaler Ebene zu finden. Partnerschaften, über eine Bandbreite von
Organisationen und Ebenen, stellen ein Schlüsselprinzip und den modus
operandi dar. So auch die Integration, da das gesamte Modell auf der Grundlage
einer integrierten „Wohnung-Beschäftigung-Ausbildung“-Philosophie betrieben
wird. Die Zielsetzung der IGLOO-Partnerschaften ist es, die Menschen zu
befähigen, Zugang zu angemessener Unterbringung zu erlangen und
Beschäftigung durch Ausbildung sicherzustellen. Das unmittelbare Vehikel dafür
ist die Partizipation beim Bau oder der Renovierung ihrer eigenen Unterkünfte.
Solche Projekte schaffen permanente Unterkünfte, die den Bedürfnissen der
Zielgruppen angepasst sind, die Entwicklung nachhaltiger Beschäftigung
und/oder die Entwicklung von Systemen zur sozialen Unterstützung. Bei den
beteiligten Zielgruppen handelt es sich um jene, die am Rande der Gesellschaft
leben, wie z. B. Obdachlose, jene, die in schlechten Unterkünften leben, oder
jene, die Gefahr laufen, ihre Unterkunft zu verlieren. Viele der IGLOO-Projekte
hängen von den Wohnungsrenovierungs- oder Wohnungsbauprojekten ab, die
von den kommunalen Behörden ins Leben gerufen werden.
IGLOO, deren europäische Aktivitäten Gelder von der EU erhalten (als
Pilotprojekt des Europäischen Sozialfonds), ist nicht auf ein einzelnes Land
beschränkt. Tatsächlich haben die nationalen und regionalen Mitglieder der
verschiedenen Organisationen in vierzehn Mitgliedstaaten der EU ein
Kooprationsprotokoll unterzeichnet und bisher wurden über 100 Projekte
geprüft. Neben den Projekten ermöglicht IGLOO auch den systematischen
Austausch von Informationen.
Für weitere Informationen siehe: http://www.feantsa.org
Das nächste Beispiel stammt aus Irland, und es handelt sich dabei um ein
Pilotprojekt, das vom Ministerium für soziale Sicherheit eingerichtet wurde,
um mittels eines integrierten Ansatzes auf die vielen Bedürfnisse bedürftiger
Familien zu reagieren. Erst einmal ist die Tatsache bemerkenswert, dass
dieses Projekt durch einen öffentlichen Dienstleister initiiert wurde. Aber in
seiner Ausführung arbeitet es mit einer Reihe von Organen und Diensten
zusammen. Darüber hinaus erkennt es an, dass Menschen vielfältige
Bedürfnisse haben und versucht, auf diese in einer koordinierten Weise zu
reagieren. Bemerkenswert sind auch die Schwerpunktlegung auf die
Bereitstellung von Informationen und einen integrierten Ansatz in Bezug auf
74
Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten
Informationen. Schließlich wird auch die Bedeutung eines Ansatzes vor Ort
durch das Family Service Project belegt, das ein gemeinsames Bemühen
darstellt, Menschen in der Umgebung, in der sie leben, Dienste zur
Verfügung zu stellen.
Family Services Project
(Irland)
Dieses irische Projekt, das sich noch in der Pilotphase befindet und nur in einer
relativ kleinen Anzahl von benachteiligten städtischen Gebieten betrieben wird,
zielt auf die Bereitstellung eines integrierten Zugangs zu Informationen und
Diensten für gefährdete Familien in ihrer kommunalen Umgebung ab. Es wurde
durch das für soziale Sicherheit und Sozialhilfe zuständige Ministerium, dem
Ministerium für Soziales, Gemeinde- und Familienangelegenheiten, initiiert.
Die Entwicklung eines „alles in einem Haus”-Ansatzes, bei dem Menschen an
einem Ort und/oder einem Dienst so viele Bedürfnisse wie möglich bearbeiten
lassen können, ist integraler Bestandteil des Projektes, das die Verbesserung der
persönlichen Lebensumstände von Individuen und Familien als übergeordnetes
Ziel verfolgt.
Die Philosophie dieses Projektes basiert auf der Erkenntnis, dass die Beteiligung
der Gemeinde und die lokale Präsenz Schlüsselelemente bei der erfolgreichen
Bereitstellung von Hilfen an Familien darstellen. Es wird ein
zwischenbehördlicher Ansatz betont, der enge Arbeitsbeziehungen zwischen
einer Reihe von Regierungsstellen und Freiwilligenverbänden einschließt. Ein
personalisiertes Unterstützungsprogramm wird einer kleinen Gruppe von
Familien mit komplexen Bedürfnissen zur Verfügung gestellt. Daher stehen die
besonderen Bedürfnisse des Individuums oder der Familie im Vordergrund.
Dies schließt einen einzigen Anlaufpunkt für den Kontakt und den Erhalt von
Informationen und Diensten ein. Die Zielfamilien umfassen alleinerziehende
Mütter und andere alleinstehende Elternteile und deren Kinder, die von
Sozialhilfe leben, sowie Familien, deren Oberhaupt Pflegedienste versieht. Das
Projekt befasst sich mit der persönlichen Arbeit mit Menschen, um ihre
Fähigkeit zu erhöhen, ihre persönlichen und familiären Umstände zu verbessern
und Zugang zu Möglichkeiten für Bildung und Beschäftigung zu erlangen.
Die Pilotprojekte unterliegen einer kontinuierlichen Überprüfung, und ein
kürzlich erschienener Bericht empfiehlt den allgemeinen Einsatz dieser Projekte
auf Landesebene.
Für weitere Informationen siehe: http://www.dscfa.ie
Das nächste Beispiel stammt aus Ungarn und ist in vielerlei Hinsicht
bemerkenswert. Zum einen demonstriert es nicht nur, dass Menschen
unterstützt werden müssen, um ihre eigenen Bedürfnisse zu stillen, sondern
auch, dass sie, wenn sie mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet
werden, selbständig werden können. Manchmal muss man den Menschen
den richtigen Weg zeigen. Ein zweites Element für gute Praxis in diesem
Projekt ist die multi-dimensionale Natur des Lösungsansatzes. Land oder
Ausstattung allein reichen nicht aus; vielmehr werden die Menschen mit
75
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Ausbildung und Hilfe versehen, damit sie unabhängige Erzeuger oder
Unternehmer werden können. Dieses Projekt ist drittens ein gutes Beispiel
für die Früchte, die eine Zusammenarbeit zwischen öffentlichen, privaten
und freiwilligen Organen tragen kann. Es konzentriert sich auch auf
besonders benachteiligte Gruppen im Hinblick auf den Zugang zu den sozialen
Rechten und Beschäftigung, insbesondere in Mittel- und Osteuropa:
Roma/Zigeuner.
Ein soziales Landprogramm zur Ermöglichung unternehmerischer Tätigkeit
(Ungarn)
Sarkad, Ungarn, ist ein von Agrarwirtschaft geprägtes Gebiet nahe der
rumänischen Grenze. Im Jahr 1992 lag die Arbeitslosenrate bei 25%. Unter den
dort lebenden Roma, die 12% der örtlichen Bevölkerung stellten, lag diese Rate
bei 100%.
Dieses Projekt, das 1993 begann, hatte zum Ziel, den Familien mit
Langzeitarbeitslosen oder mit mehr als drei Kindern oder deren Einkommen
unterhalb des Durchschnittseinkommens lag, zu helfen Initiiert wurde dieses
Projekt durch das örtliche „Family Support and Assistance Social Centre“
(Soziales Zentrum für Familienunterstützung und –hilfe); Unterstützung erhielt
es durch die CERES Foundation und den Békés County Employment Service
(Arbeitsvermittlung der Gemeinde Békés). Die Békés County Enterprise
Development Foundation (Stiftung der Gemeinde Békés zur Unternehmensentwicklung) bietet Beratung, während das damalige Ministerium für
Öffentliche Wohlfahrt Gelder zur Verfügung stellt und die National Savings Bank
den interessierten Teilnehmern Geschäftskredite verschaffte.
Das Programm behandelte eine Mischung wirtschaftlicher, arbeits- und
sozialpolitischer Fragen. Es betrieb ein Arbeitshilfsprogramm und versorgte die
Teilnehmer mit Ausbildung in innovativen Produktionsformen in der
Landwirtschaft, unternehmerischen Fähigkeiten, Kursen in Bewerbungstechniken und persönlicher Ermächtigung. Materialien und Werkzeuge, wie z. B.
Saatgut, Chemikalien und Maschinen, sowie Land wurden zur Verfügung
gestellt. Ziel war, die „Familien in die Lage zu versetzen, ihren eigenen
Unterhalt zu erarbeiten und sie zu unabhängigen Produzenten und
Unternehmern zu machen“. Bis 1996 hatten bereits 300 Familien an dem
Projekt teilgenommen.
Das Programm wurde auf ca. 300 Gemeinden, Dörfer und Siedlungen ausgedehnt,
in denen heute mehr als 12.000 Familien an diesem Projekt teilnehmen.
Das nächste Beispiel stammt aus dem gesetzlichen Bereich Frankreichs und
beinhaltet eine Reihe koordinierte Maßnahmen zur effektiven Umsetzung
des Gleichheitsgrundsatzes in Bezug auf Dienstleistungen im
Gesundheitswesen. Die Initiative behandelt Gesundheitsdienste als Tor zu
anderen sozialen Rechten und versucht, Hürden zwischen den
Gesundheitsdiensten und anderen sozialen Einrichtungen abzubauen.
Insbesondere werden Dienste auf regionaler Ebene anvisiert. Den
Regionalprogrammen liegt nicht nur das Verständnis zugrunde, dass die
76
Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten
Schwierigkeiten und Bedürfnisse von Menschen miteinander verbunden
sind, sondern sie versuchen auch, in multi-dimensionaler und koordinierter
Weise auf die Bedürftigen einzugehen. Das Recht auf Gesundheit wird
hierbei als Kernrecht, nicht als paralleles Recht betrachtet. Der modus
operandi ist eine breit angelegte Partnerschaft, die auch die Nutzer der
Dienstleistungen einschließt.
Regionalprogramme für den Zugang zu Gesundheitsvorsorge und Pflege
(Frankreich)
Das französische Gesetz zur sozialen Ausgrenzung vom 29. Juli 1998, das auf
dem Gleichheitsgrundsatz basiert, beschäftigt sich sowohl mit den Grundrechten
als auch mit der Koordinierung von Bestimmungen, die die Ansprüche auf
Leistungen festlegen.
Der Gesundheitsaspekt dieses integrierten Ansatzes basiert auf dem vorgeschriebenem regionalen Zugang zu Vorsorge- und Pflegeprogrammen (PRAPS).
Ziel ist die Verbesserung der Gesundheit von Personen in Schwierigkeiten,
aber die Programme gewähren auch Anspruch auf andere soziale Leistungen
und helfen, die Barrieren zwischen Diensten im Gesundheitswesen, sozialen
Diensten und anderen Arten der öffentlichen Unterstützung abzubauen, die
einen direkten Einfluss auf die Gesundheit haben.
Die im Rahmen von PRAPS gestarteten Aktivitäten beinhalten:
Einrichtung von Zentren zur Überwachung der Umsetzung der allgemeinen
Gesundheitsbestimmungen, unter Einbeziehung von Krankenversicherungen
und Verbänden, die die Empfänger vertreten;
– Verpflichtung der städtischen Krankenhäuser, die Krankenversicherungsrechte zu aktualisieren und sicherzustellen, dass Personen, die das Krankenhaus
verlassen, zufriedenstellende häusliche Bedingungen für die Weiterversorgung
vorfinden;
– Versorgung Arbeitsloser mit medizinischer Nachsorge durch die betriebliche
Krankenversicherung im Hinblick auf ihre erneute Beschäftigung oder
weitergehende Pflege, wenn dies durch Behinderung oder Krankheit angesagt
ist;
– verstärkte Identifizierung von Menschen mit Sprachschwierigkeiten, um ihren
Zugang zu Bildung zu verbessern;
– Kontaktaufnahme mit den Zuständigen für die Verbesserung von
Wohnbedingungen und Identifizierung ungeeigneter Unterkünfte;
– Organisation interdisziplinären Trainings in Partnerschaften mit jenen, die
große Schwierigkeiten haben;
Die Zentralregierung hat einen erheblichen Beitrag zum Abbau von
Hindernissen, zur Einrichtung von Verbindungen und zur Koordinierung von
Aktivitäten geleistet, sowohl in ihren eigenen Bereichen, die sich mit sozialer
Ausgrenzung befassen, d.h. Gesundheit, soziale Sicherheit, Bildung, Wohnen
und Beschäftigung, als auch in ihrem Verhältnis zu den kommunalen Behörden,
Gesundheitsträgern und Freiwilligenverbänden. Laut Gesetz von 1998 sind
diese potenziellen Partner gemeinsam verantwortlich für die Beurteilung der
Situation innerhalb ihrer betreffenden Départments sowie für den Entwurf, die
Umsetzung und die Überwachung ihrer PRAPS.
77
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Die Einrichtung solcher Partnerschaften in jeder Region bedarf gemeinsamer
Kenntnisse der Bedürfnisse und Wünsche all jener in schwierigen Lagen. Die
betreffenden Gruppen müssen daher in den Prozess dieser Bewusstwerdung, der
Motivierung und Ausbildung der relevanten Institutionen und Berufsvertreter
eingeschlossen werden.
Für weitere Informationen siehe: http://www.sante.gouv.fr (unter PRAPS)
Die nächste Initiative ist ein Beispiel für einen multi-dimensionalen und
innovativen Ansatz zur Umschulung und Integration von Arbeitern, deren
Fachkenntnisse nicht mehr benötigt werden. Dies ist für all jene Gemeinden,
Städte, Großstädte und Regionen in Europa interessant, die eine wirtschaftliche
Umorientierung erlebt haben, sowie für die vielen Menschen und
Berufsgruppen, deren Fachkenntnisse überflüssig geworden sind oder in deren
Beruf die Stellen erheblich reduziert wurden. Dieses Projekt ist auch ein Beispiel
für Menschen, die aktiv werden, um ihre eigene Zukunft zu bestimmen und die
eine etablierte Struktur innovativ einsetzen – in diesem Fall die Gewerkschaft.
Die Partnerschaft zwischen Gewerkschaft. Management und Arbeitern bildet
den Kern für den Erfolg dieses Projektes.
Verbesserung der Arbeitsvermittlung erwerbsloser Stahlarbeiter
(Rumänien)
Aufgrund der Restrukturierung der Metallindustrie in Rumänien wurden über
40.000 Stahlarbeiter arbeitslos. Die Umstrukturierungsmaßnahmen wurden durch
ein Abkommen begleitet, das die Unterstützung der erwerbslos gewordenen
Arbeiter bei der Suche nach einer sicheren Anstellung durch eine Umschulung,
Übergangsbeschäftigung erwerbsloser Arbeiter bei Gemeindeprojekten, die
Förderung selbständiger Arbeit und den Umzug in andere Gebiete, in denen
Stellen zu finden waren, zusicherte.
Die Nationale Gewerkschaft für die Umschulung von Metallarbeitern
(UNIRMET) wurde gegründet. Es handelt sich dabei um eine dreigeteilte
Körperschaft, bestehend aus Management, Arbeitern und regionalen
Ausbildungszentren. Es wurde ein nationaler Solidaritätsfonds für die Metallarbeiter eingerichtet, um diese Unterstützungsmaßnahmen zu finanzieren.
Die finanziellen Mittel dieses Fonds stammen von Unternehmen, die das
Abkommen unterschrieben haben, und von Angestellten sowie aus Spenden aus
anderen Quellen.
Erwerbslos gewordene Arbeiter unterzeichneten einen 1-Jahresvertrag mit
UNIRMET, um an den Programmen teilnehmen zu können, die Folgendes
beinhalteten:
– kostenlose Umschulungsmaßnahmen, mit der Möglichkeit eines anschließenden
Beschäftigungsangebotes;
– Teilnahme an Gemeindeprojekten, während UNIRMET geeignete
Beschäftigung für die Beschäftigten suchte;
– Beratung hinsichtlich der Unternehmensgründung, unterstützt durch Zuschüsse
für die Startphase;
78
Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten
– Übernahme der Umzugskosten für die Teilnehmer, die in einer anderen
Region eine Beschäftigung finden.
Diese Maßnahmen, die unter aktiver Beteiligung der Gewerkschaften und des
Managements durchgeführt wurden, erleichterten es denjenigen, die ihren
Arbeitsplatz verloren hatten, eine neue Beschäftigung zu finden oder ihre
eigenen kleinen Unternehmen zu gründen.
Die belgische Charta zur Sozialversicherung zeigt, wie auf gesetzlichem
Wege eine Reihe von Grundsätzen eingeführt wurde, die die sozialen
Rechte von Menschen verbessern. Diese Charta regelt alle Angebote der
Anbieter in den Bereichen soziale Sicherheit und soziale Unterstützung und
macht die Anbieter für die Qualität ihrer Dienstleistungen gegenüber den
Antragstellern oder Empfängern verantwortlich. Informationen über Rechte
nehmen eine herausragende Stellung in der Charta ein, nach der die
Einrichtungen für soziale Sicherheit nicht nur den Begünstigten alle
erforderlichen Informationen zu ihren Rechten geben müssen, sondern
diese auch in die Lage versetzen müssen, Informationen zu den
dienstleistenden Organisationen zu suchen. Die Anbieter sind auch
verpflichtet, so rasch wie möglich auf die Anträge für Dienstleistungen zu
reagieren und, falls sie keine Unterstützung gewähren können, die Person
an die zuständige Einrichtung zu verweisen. Durch die Betonung der
Verpflichtungen seitens der Anbieter zielt die Charta darauf ab, sie ihrer
Rolle bewusster und respektvoller gegenüber den Begünstigten zu machen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Charta versucht, die Situation
der Begünstigten durch die Verbesserung der Effektivität der sozialen
Rechte zu verändern. Zu diesem Zweck nimmt sie die Bedürfnisse der
Rechtsinhaber als Ausgangspunkt für die Organisation der sozialen
Sicherheit und der Sozialleistungen.
Charta für versicherte Personen
(Belgien)
Das belgische Bundesgesetz vom 11. April 1995, das im Januar 1997 unter dem
Namen „Charta für versicherte Personen“ in Kraft trat, beinhaltet eine Reihe
wichtiger Grundsätze bezüglich der Rechte der Öffentlichkeit (versicherte
Personen) im Verhältnis zu den Einrichtungen der sozialen Sicherheit.
Sein Hauptzweck ist der Schutz der Öffentlichkeit durch die Einrichtung von
Maßnahmen, die alle Einrichtungen für soziale Sicherheit einhalten müssen.
Zahlreiche Bestimmungen dienen, direkt oder indirekt, der Sicherstellung
eines effektiven Zugangs zu den Sozialleistungen und zur Sozialhilfe. Es
sind alle Einrichtungen für soziale Sicherheit abgedeckt, d.h., alle quasistaatlichen Einrichtungen für Angestellte oder Selbständige und Beamte und
Sozialämter.
79
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Die in diesem Gesetz verankerten Grundsätze lauten wie folgt:
1. Die Einrichtung für soziale Sicherheit ist verpflichtet, die Begünstigten auf
Anfrage oder auf eigene Initiative so klar wie möglich über ihre Rechte aufzuklären.
Einerseits kann eine versicherte Person spezifische Fragen an eine Einrichtung
stellen; andererseits ist die Einrichtung verpflichtet, eigene Schritte zu ergreifen,
um die Öffentlichkeit zu informieren. Die Charta weist den Einrichtungen für
soziale Sicherheit die Verantwortung zu, innerhalb eines festgelegten
Zeitrahmens Informationen bereitzustellen.
2. Einrichtungen für soziale Sicherheit müssen Antragsformulare für
Leistungen, die von der versicherten Person falsch an sie adressiert wurden, an
die zuständige Stelle weiterleiten und die betreffende Person darüber informieren.
3. Hat jemand Anspruch auf eine Leistung, dann ist die Einrichtung unter
bestimmten Umständen verpflichtet, diese Leistung zu erbringen, auch wenn sie
von der betreffenden Person keinen ausdrücklichen Antrag erhalten hat. (Bisher
gibt es jedoch keine Durchführungsbestimmung bezüglich dieser Verpflichtung.)
4. Die Einrichtung für soziale Sicherheit muss unverzüglich auf die Anträge für
Leistungen reagieren. Der Antragsteller muss nach spätestens vier Monaten
über die Entscheidung unterrichtet und die Leistung innerhalb der folgenden
vier Monate ausgezahlt werden. Im Fall einer Verzögerung muss die Einrichtung
dem Empfänger Zinsen zahlen.
5. Die Einrichtung muss der an die versicherte Person geschickten
Entscheidung die Bedingungen für einen Einspruch beilegen und sie über die
Gründe für die Entscheidung und das Aktenzeichen informieren sowie die
für diesen Vorgang verantwortlichen Personen nennen und wie sie diese
kontaktieren können.
6. Stellt sich heraus, dass eine Entscheidung falsch ist, muss eine neue
Entscheidung getroffen werden. Nach Ablauf der Einspruchsfrist sind etwaige
Folgen nicht durch den Antragsteller zu tragen (falls z. B. die revidierte Leistung
für die versicherte Person geringer ist als die ursprüngliche). Für den Fall, dass
die ursprüngliche, günstigere Entscheidung durch Betrug oder falsche Angaben
seitens der versicherten Person zustande kam, muss diese Person die
Leistungen, auf die sie keinen Anspruch hat, zzgl. Zinsen zurückerstatten.
Für weitere Informationen siehe: http://securitesociale.fgov.be
http://securitesociale.fgov.be/lex/francais/charte/19950411.htm
Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist der Schwerpunkt des nächsten
Beispiels. Es beschreibt umfassende Maßnahmen, initiiert durch die
litauische Regierung, die zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf
kommunaler Ebene umgesetzt werden. Diese Programme haben eine
starke kommunale Ausrichtung. Sie zielen nicht nur besonders stark auf die
Bedürfnisse kommunaler Gebiete ab, sondern erfordern auch eine
umfangreiche Unterstützung durch die Gemeindeverwaltung und werden
von den kommunalen Arbeitsämtern organisiert. Es werden strikte
Beurteilungskriterien angewendet. Innovation und Übertragbarkeit auf
andere Bereiche sind wichtige Grundsätze dieser Initiative.
80
Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten
Kommunale Initiative zur Schaffung von Arbeitsplätzen
(Litauen)
Die litauische Regierung stellte 2001 eine Reihe von Gesetzesinitiativen vor, um
angesichts des Bedarfs an Arbeitsplätzen auf kommunaler Ebene die Schaffung
neuer Beschäftigungsmöglichkeiten zu fördern. Das Ziel dieser Richtlinien ist
es, die kommunalen Verwaltungen mit Möglichkeiten auszustatten, an
wirtschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen und dadurch ihre sozioökonomischen
Probleme zu meistern. Weitere Zielsetzungen sind, die Auswirkungen des
Strukturwandels in sozial schwachen Gebieten zu mindern und zur Entwicklung
aktiver, selbstversorgender und stabiler Gemeinden beizutragen.
Das Programm zielt speziell auf marginalisierte Gruppen ab, wie. z. B.
Arbeitslose (insbesondere Langzeitarbeitslose), junge Menschen, Frauen mit
Familienpflichten und andere Gruppen, die von den kommunalen
Arbeitsämtern in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern benannt wurden.
Die Arbeitsämter sind für die Organisation kommunaler Beschäftigungsinitiativen verantwortlich. Gremien zur Umsetzung des Projektes, die sich aus
kommunalen Sozial- und Wirtschaftspartnern zusammensetzen und als Teil der
Arbeitsämter eingerichtet sind, beurteilen die Projekte anhand einer Reihe von
Beurteilungskriterien. Ein Projekt muss mehrere Kriterien erfüllen, damit es
genehmigt wird. Erstens muss die lokale Verwaltung das Projekt durch
Finanzierung der Räumlichkeiten, der Ausstattung usw. unterstützen. Zweitens
muss das Projekt wichtige Bedürfnisse des kommunalen Arbeitsmarktes
ansprechen und die Anzahl derjenigen, die Sozialhilfe beziehen, reduzieren. Es
muss auch die Möglichkeit für eine umfassende Anwendung auf andere
Gemeinden bestehen. Darüber hinaus sollten sich z. B. mittels neuer
Wirtschaftsaktivitäten und/oder Sozialleistungen zusätzliche Möglichkeiten zur
Senkung der Arbeitslosenzahlen ergeben.
Das Programm wird durch staatliche Zuwendungen gefördert, wobei als Ziel
anvisiert wurde, dass die Kosten zur Schaffung eines Arbeitsplatzes nicht die
Summe von vierzig monatlichen Mindestlöhnen (EUR 125 pro Monat)
übersteigen dürfen. Außerdem müssen die Organisatoren eines genehmigten
Projektes mindestens 35% der gesamten Projektkosten stellen. In diesem
Rahmen hat im Jahr 2001 die litauische Regierung EUR 359.420 aus dem
Staatshaushalt beigesteuert.
Die Projekte zielten auf die zehn Gemeinden mit den höchsten
Arbeitslosenraten ab. Bisher wurden 86 Projekte vorbereitet. Aufgrund
begrenzter Ressourcen konnten jedoch nur sechzehn Projekte ausgewählt und
umgesetzt werden.
Ein wichtiges Ergebnis der erfolgreichen Umsetzung dieser Programme im Jahr
2001 ist, dass Ausbildungscurricula und Materialien für die Teilnehmer und
Mitarbeiter der Projekte, einschließlich Bewertung, Finanzen, Supervision und
Berichtsmethodologien, für den Entwurf, die Vorbereitung und die
Durchführung neuer Projekte verwendet werden. Darüber hinaus stellt die
litauische Regierung in Anerkennung des Erfolgs dieses Programms im Jahr
2002 weitere EUR 724.638 für neue Projekte zur Verfügung.
Für weitere Informationen siehe: http://www.ldb.lt
81
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Das letzte Beispiel betrifft ebenfalls ein länderübergreifendes Projekt.
Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher bieten sozial schwachen
Menschen eine zweite Chance auf Bildung. Eine der wichtigsten Merkmale
dieser Schulen ist, dass sie Kurse anbieten, die auf die Bedürfnisse der
Person ausgerichtet sind und den kulturellen Hintergrund berücksichtigen,
besonders, wenn die Person einer Minderheitengruppe angehört. Dieser
individuelle Ansatz wird durch die Verwendung eines Mentorsystems in
Bezug auf Ausbildung und Beschäftigung unterstützt. Ein weiteres
bemerkenswertes Merkmal der Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher
ist, dass sie Bildung und Berufsausbildung mit Berufserfahrungen und der
Arbeitsvermittlung verbindet.
Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher
(innerhalb der Europäischen Union und darüber hinaus)
Das Weißbuch „Lehren und Lernen: Auf dem Weg zu einer lernenden
Gesellschaft“, das am 29. November 1995 durch die Europäische Kommission
verabschiedet wurde, war der Ausgangspunkt für die Initiative der
Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher. Durch diese Versuchsschulen
erhalten junge Menschen, die nicht über die erforderlichen Fähigkeiten oder
Qualifikationen für die Zulassung zu Programmen der höheren Bildung oder für
den Arbeitsmarkt verfügen und nicht mehr der offiziellen Schulpflicht
unterliegen, über Bildungs- und Ausbildungsangebote neue Chancen.
Heute gibt es ca. 20 Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher in 11 verschiedenen
EU-Mitgliedstaaten und zwei Beitrittsstaaten (Bulgarien und Lettland). Es
existiert zwischen den Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher in den
verschiedenen Ländern ein Netzwerk (bekannt unter dem Namen „E2C“).
Das Konzept für die Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher basiert auf der
Kooperation zwischen Schulen und lokaler Industrie und bietet eine Mischung
aus Schule und praktischer Arbeit. Ein wichtiger Teil der Bildung besteht aus der
Vermittlung von Wissen über die Gesellschaft und ihre Aufgaben. Das Ziel ist es,
jungen Menschen mit sozialen Problemen und fehlender Bildung durch
individuell angepasste Lehrpläne und praktische Ausbildung bei der Suche nach
Arbeitsplätzen und Einkommen zu helfen.
Europäische Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher unterscheiden sich
erheblich im Hinblick auf die Lehrmethoden, die Anzahl und das Alter der
Gruppen. In Schweden zielen die Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher auf
junge Menschen zwischen 16 und 20 Jahren ab. In der ersten schwedischen
Bildungseinrichtung für Schulabbrecher in Norrköping versucht man eine neue
Arbeitsmethode zur Bekämpfung sozialer Anpassungsmängel, indem man
Bildung und Berufsausbildung miteinander verbindet. Aus diesem Grund wird
Menschen mit psycho-sozialen Problemen, Studenten aus Einwandererfamilien
(einschließlich Roma) und jenen mit Lernschwächen der Vorrang gegeben.
Die Norrköping-Schule hat eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Geschäften
aufgebaut, insbesondere mit kleinen und mittleren Unternehmen. Unter den
anderen Partnern, die Ausbildungsplätze angeboten haben, finden sich
Regierungsstellen, eine kommunale Vorschule und ein Verband für
82
Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten
Erwachsenenbildung. Die Ausbildung ist auf die Bedürfnisse und Wünsche der
Schüler maßgeschneidert. Jeder Schüler erhält einen Mentor aus einem
geeigneten Unternehmen, und es wird ein Vertrag zwischen dem Schüler und
dem Mentor abgeschlossen, der ihre jeweiligen Verpflichtungen ausführlich
beschreibt.
Das Projekt der Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher wurde geprüft, und
im Juli 2000 wurde ein Abschlussbericht mit vierzehn geprüften Pilotprojekten
verabschiedet. Unter den beteiligten Ländern befanden sich neben Schweden
auch Dänemark, Finnland, Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und
Großbritannien.
Für weitere Informationen siehe: http://europa.eu.int/comm/education/2chance
83
5. Politische Richtlinien
Die meisten für die Verwirklichung der sozialen Rechte notwendigen
Strukturen existieren bereits in Europa. Obwohl es noch einige Lücken
gibt, lassen sich die Probleme oft auf mangelhafte Ausführung oder
Funktionsweise der bestehenden Bestimmungen oder der Darlegung
des Rechts zurückführen. Es kann z. B. der Fall sein, dass die Bestimmungen
nicht die sich verändernden Bedürfnisse berücksichtigen, die sie eigentlich
behandeln sollen, oder dass sie nicht den speziellen und komplexen
Situationen angemessen sind, um die Realisierung sozialer Rechte zu regeln.
Angesichts dieser Tatsache müssen Dienstleistungsanbieter sich bewusst
sein, dass Probleme bei der Funktionsweise ihrer Dienste und Einrichtungen
existieren, und sie sollten offener sein hinsichtlich ihrer Überwachung und
sich regelmäßig mit den Nutzern und NROs treffen, um gute Praktiken zu
besprechen. Auch die Gelegenheit und Bereitschaft zum Austausch guter
Praktiken unter den Ländern und auch unter den Regionen Europas sind hier
hervorzuheben. Außerdem müssen die Nutzer der Dienste und Leistungen
als Bürger anerkannt werden. Das heißt, sie müssen als Rechtsinhaber
behandelt werden.
Nach der Beschreibung der allgemeinen Grundsätze betrachten wir nun die
Entwicklung spezifischer Richtlinien. Dieses Kapitel entwickelt auf der
Grundlage der sieben Herausforderungen, die in Kapitel 3 identifiziert
wurden, bereichsübergreifende Richtlinien, und verwendet dabei zusätzlich
die Grundsätze und Praktiken zur Förderung des Zugangs, die in Kapitel 4
diskutiert wurden. Prioritäten für zukünftige Aktivitäten, sowohl kurzfristiger
als auch langfristiger, sind zentraler Bestandteil. Das Konzept eines „paneuropäischen und nationalen politischen Rahmens der sozialen Rechte“
steht dabei im Vordergrund. Tabelle 2 listet die wichtigsten politischen
Leitlinien auf.
5.1. Stärkung des Anspruchs auf soziale Rechte und Verbesserung
der Bestimmungen
Ziel: ein expliziter, auslegbarer und inklusiver Rahmen sozialer Rechte
5.1.1. Umfassende und explizite Ansprüche
Es bedarf eines umfassenden rechtlichen und politischen Rahmens, der die
Rechtsgrundlage des Anspruchs und eine Verpflichtung zu einem
angemessenen Mechanismus darstellt, der die Rechte bewirkt. Der
gesetzliche Rahmen ist ausschlaggebend. Die Rechte als Ansprüche müssen
85
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
genauer definiert werden. Die Rechte, die so explizit wie möglich sein
sollten, sind in einer Art und Weise darzulegen, die gerichtlich und
anderweitig auslegbar ist.
Aus diesen Gründen muss im Hinblick auf die Gesetzgebung, die Politik und
die Bereitstellung des Konzepts und der Inhalte sozialer Rechte deren
Bedeutung genau definiert werden. Dies trifft vor allem auf jene Rechte zu,
die relativ neu sind, wie z. B. die Rechte zum Schutz vor Armut und sozialer
Ausgrenzung und auf angemessenes Wohnen, die in Artikel 30 und 31 der
revidierten Europäischen Sozialcharta festgelegt sind.
Ungeachtet der Notwendigkeit für einen umfassenden gesetzlichen Rahmen,
müssen gesetzliche und andere Definitionen und Praktiken beseitigt werden,
die momentan Ausgrenzung verursachen oder die bestimmte Kategorien
von Menschen und Situationen von Sozialleistungen und –diensten
ausschließen. Da gesetzliche Bestimmungen nicht alle Situationen abdecken
können, muss der gesetzliche Rahmen in einer Art und Weise gestaltet
werden, in dem es genügend Flexibilität gibt, um unvorhersehbaren und
unbeabsichtigten Situationen von Ausgrenzung vorzubeugen, die durch
starre rechtliche Formulierungen und veränderte Umstände auftreten. Mit
anderen Worten sollte für eine gewisse Auslegungsfreiheit in den
gesetzlichen Bestimmungen gesorgt werden.
In diesem Hinblick bilden die Europäische Sozialcharta und die Revidierte
Europäische Sozialcharta die Ausgangspunkte. Alle Mitgliedstaaten, die die
Charta in ihrer ursprünglichen und revidierten Fassung noch nicht ratifiziert
haben, sollten dies nachholen und dabei insbesondere Artikel 30 über das
Recht auf Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung (dies ist ein
einzigartiges Recht in internationalen Vertragswerken) und Artikel 31, Recht
auf Wohnung, akzeptieren.
Zusätzlich sollten alle Mitgliedstaaten des Europarates die Ratifizierung der
rechtlichen Instrumente des Europarates im sozialen Bereich als Priorität
behandeln, die zur Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten aller
oder bestimmter sozial schwacher Gruppen beitragen. Diese umfassen
das Europäische Übereinkommen über die Rechtsstellung der
Wanderarbeitnehmer (1997) und die rechtlichen Instrumente über die
Koordinierung der sozialen Sicherheit (insbesondere das Europäische
Übereinkommen über soziale Sicherheit, 1972). Darüber hinaus wird im
Kontext eines allgemeinen Bestrebens, den Anspruch auf soziale Rechte
zu stärken, auch die Ratifizierung der rechtlichen Instrumente über die
Einrichtung sozialer Standards durch die Mitgliedstaaten (wie z. B. den
Europäischen Code zur Sozialen Sicherheit und das Protokoll zum
Europäischen Code zur Sozialen Sicherheit) als Priorität empfohlen. Die
Mitgliedstaaten sollten weiterhin aufgefordert werden, andere internationale
Rechtsinstrumente in Bezug auf soziale Rechte umzusetzen, einschließlich
86
Politische Richtlinien
Tabelle 2: Die politischen Leitlinien zur Beseitigung der Hindernisse, die den Zugang
zu sozialen Rechten beeinträchtigen
Kategorie
Politische Leitlinien
Darlegung des Rechts
und Angemessenheit
der rechtlichen
und anderer
Bestimmungen
Umfassende und explizite Ansprüche
Maßnahmen zur Verbesserung der Angemessenheit der
Bestimmung
Unzureichende
Überwachung und
Durchsetzung
Bessere Überwachung der Bestimmungen
Rechtliche Überprüfung aller Bestimmungen und Vorschläge
Eine Charta für die Nutzer
Maßnahmen gegen Diskriminierung und/oder
Ungleichbehandlung
Einrichtung einer Nationalen Beobachtungsstelle für soziale Rechte
Ressourcen
Ressourcen der Anbieter:
Verbesserung der Angemessenheit und Kontinuität der
Ressourcen (Finanzierung, Mitarbeiter, Einrichtungen, Ausrüstung)
Minimierung des Ungleichgewichts der Ressourcen auf
verschiedenen Ebenen der Verwaltung
Ressourcen der Berechtigten:
Information und Befähigung der Menschen, damit sie ihre
sozialen Rechte einfordern können
Angemessene Vermittlung und Unterstützung
Management und
Verfahren
Verringerung der Aufsplitterung zwischen den
Verwaltungsebenen und Diensten
Beteiligung der NROs, der Nutzer und anderer Akteure der
Zivilgesellschaft
Verringerung der Komplexität der Verfahren und der
Zugangsprobleme
Information und
Kommunikation
Kommunikations- und Informationsaustausch sollte Priorität
eingeräumt werden
Verwendung „neuer“ und alternativer Kanäle sowie mobiler
Dienste
Anpassung der Informationen an die verschiedenen Teile der
Bevölkerung
Regelmäßige Überprüfung der Qualität der Information und
der Effizienz der Kommunikationsstrategie
Psychologische und
soziokulturelle
Hindernisse
Auf Seiten der Anbieter:
Gegenmaßnahmen im Hinblick auf Stigmatisierung und
Benachteiligung bestimmter Gruppen durch Ausbildung und
Änderung des Verhaltens
Auf Seiten der Nutzer oder Antragsteller:
Bessere Aufnahme, Einrichtungen und Anerkennung der Lage
der Nutzer
Unzureichende
Beachtung der sozial
schwachen Gruppen
und Regionen
Sozial schwache Gruppen:
Unterstützung (im weitesten Sinne) dieser Bevölkerungsteile,
damit sie ihre sozialen Rechte einfordern können
Sozial schwache Regionen:
Anvisierung der sozial schwachen Regionen und Orte durch
die Politik
87
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
der Empfehlungen, die durch das Ministerkomitee des Europarates und
durch andere internationale Organisationen verabschiedet wurden. Sie
sollten sich auch um die Ratifizierung und Umsetzung der Empfehlungen
internationaler Institutionen im Hinblick auf die Übereinstimmung mit
internationalen Vertragswerken im Bereich sozialer Rechte bemühen, wie.
z.B. denen des Europarates. Für die Überwachung der Umsetzung dieser
rechtlichen Vertragswerke wird die Schaffung eines geeigneten
Mechanismus empfohlen.
Die Regierungen sollten ferner ihre innerstaatliche Gesetzgebung
weiterentwickeln, stärken und umsetzen, um kritische Lücken im sozialen
Sicherheitsnetz zu schließen, und ein Mindesteinkommen und einen
Lebensstandard definieren, falls dies noch nicht geschehen ist. Es ist wichtig,
dass diese Schwelle nicht zu niedrig angesetzt wird.
5.1.2. Auf dem Weg zu angemessenen Bestimmungen
Das Folgende soll zur Verbesserung der Angemessenheit der Bestimmungen
beitragen, indem die rechtliche Formalisierung ergänzt und die Ansprüche
präziser abgefasst werden:
– In allen Mitgliedstaaten sollten ein transparentes System der sozialen
Rechte und zufriedenstellende administrative Verfahren und Ressourcen
eingeführt werden, um sie umzusetzen;
– alle Dienste und Leistungen sollten auf der Anerkennung der
Verknüpfung zwischen Bedürfnis und sozialen Rechten basieren und
sollten danach streben, integrierte Dienste anzubieten;
– öffentliche Stellen auf allen Ebenen und alle relevanten internationalen
Organe sind daher aufgefordert, Ansätze zu fördern und zu entwickeln,
die Dienste und Leistungen in den Bereichen Bildung, Beschäftigung,
Gesundheit, Wohnung und Sozialschutz miteinander verbinden.
Zusätzlich sollten die Zielsetzungen der oben genannten Bereiche
Berücksichtigung finden, wenn über Bestimmungen im Bereich
Besteuerung und bei Fragen des Grundbesitzes und der Landnutzung
entschieden wird.
Die nationalen Behörden sollten die Staatsbeamten, die Verantwortung im
Bereich sozialer Rechte tragen, die Organisationen der Zivilgesellschaft und
die Öffentlichkeit über alle rechtlichen Rahmenbedingungen aufklären (ob
international, national oder sub-national). Dies sollten nicht nur
Informationen zu den tatsächlichen Standards sein, sondern auch darüber,
wie diese im nationalen und sub-nationalen Kontext erreicht und umgesetzt
werden können und darüber, welchen Beitrag Organisationen der
Zivilgesellschaft dabei leisten können.
88
Politische Richtlinien
5.2. Verstärkung und Überwachung der Umsetzung
Ziel: die Umsetzung und zufriedenstellende Funktionsweise der
Rechtsansprüche, Rechtsmittel und anderer Bestimmungen sicherzustellen,
die für soziale Rechte von Relevanz sind
Der Überwachung der Bestimmungen ist größere Aufmerksamkeit zu
schenken. Bei der Erstellung neuer Programme (und der Überarbeitung
bestehender Programme, wo erforderlich) sollte ein abgestimmtes
Überwachungsverfahren eingesetzt werden. Es sollten regelmäßige
Erhebungen durchgeführt werden, um den Grad der Zufriedenheit bei den
potenziell berechtigten Personen und Empfängern festzustellen. Diese
Erhebungen sollten auch die Meinung der Mitarbeiter berücksichtigen. Die
Überwachung sollte an einem Vorgabenkatalog ausgerichtet sein,
insbesondere bezüglich der Zielsetzungen der Dienste.
Es wird eine „rechtliche Überprüfung“ aller Bestimmungen und Vorschläge
empfohlen. Dies sollte im Rahmen eines formellen Prozesses zur Beurteilung
des Umfangs geschehen, in dem bestehende Regelungen und alle neuen
Bestimmungsvorschläge zur Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten
beitragen. Das bedeutet die allgemeine Verbreitung der Rechte in allen
Bestimmungen; etwas, was bereits in der rechtlichen Überprüfung in Bezug
auf Geschlecht und Armut stattgefunden hat. Zu den Kriterien, die für die
rechtliche Überprüfung verwendet werden könnten, gehört die Eliminierung
aller Hindernisse und Hürden, die in Kapitel 3 im Hinblick auf die
Gleichbehandlung beim Zugang zu den sozialen Rechten identifiziert
wurden (in einer breiten Auslegung).
Um die Umsetzung sicherzustellen, muss es adäquate und transparente
Systeme für den Einspruch oder entsprechende Rechtsmittel geben, wenn
die Rechte verweigert werden. Diese sollten sich nicht nur auf Zahlungen der
sozialen Sicherheit und Sozialhilfe beziehen, für die es im Rahmen der
Europäischen Charta ein wohlbegründetes Präzedenzrecht gibt, sondern
auch auf die Bereiche Gesundheit, Wohnen, Zugang zu aktiven
Arbeitsmarktprogrammen, Ausbildung und lebenslanges Lernen. Solche
Einspruchsysteme sollten kostenlose oder erschwingliche Rechtsmittel in
angemessenen Zeitrahmen anbieten.
Um die Transparenz und die Offenheit weiter zu stärken, sollte eine Charta
für die Nutzer in Erwägung gezogen werden. Dies würde eindeutig die
Standards festlegen, die die staatlichen Anbieter von Sozialleistungen im
Umgang mit den Anträgen für Leistungen oder Dienste anstreben. Unter
den festgelegten Standards sollten sich auch jene befinden, die sich auf
höfliche Umgangsformen, Bearbeitungs- und Entscheidungszeiten bei der
Beantragung von Leistungen oder Diensten, Beschwerdewege und Kanäle
für die Einreichung von Verbesserungsvorschlägen seitens des Nutzers
beziehen.
89
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Es müssen auch Maßnahmen durchgeführt werden, um Schutz vor
Diskriminierung und Ungleichbehandlung in der Praxis zu bieten. Die
Gleichbehandlung beim Zugang kann auch eine positive Diskriminierung
erfordern, z. B. in Form gezielter Maßnahmen für bestimmte Gruppen. Auch
diskriminierende Haltungen und Praktiken seitens der Dienstleistungsanbieter müssen abgebaut werden.
Es ist auch überaus wichtig, dass die Überwachung der Rechte mittels
standardisierter und offizieller Mechanismen, besonders auf nationaler
Ebene, organisiert wird. In dieser Hinsicht wird die Gründung einer
Nationalen Beobachtungsstelle für soziale Rechte auf der Ebene der
Mitgliedstaaten empfohlen. Diese Beobachtungsstelle sollte folgende
Zielsetzungen erfüllen:
(a) Überwachung der tatsächlichen Situation im Hinblick auf soziale Rechte
in diesem Mitgliedstaat;
(b) Bereitstellen von Standardinformationen, die vom Europäischen Ausschuss
für Sozialrechte, dem Europäischen Komitee für sozialen Zusammenhalt
und anderen Organen für ihre Arbeitszwecke und für eine europaweite
Forschung und Überwachung genutzt werden könnten.
Eine solche Beobachtungsstelle allein ist aber nicht ausreichend. Es gibt keine
Alternative zu angemessenen ausführenden Organen, wie z. B. Inspektionen
für Arbeitsämter und soziale Einrichtungen mit hohem professionellem
Standard, um gesunde und sichere Arbeitsbedingungen, Einhaltung von
Mindestlöhnen und gleichen Löhnen, angemessenen Schutz von Kindern,
Behinderten und psychisch Kranken und angemessenes Wohnen sicherzustellen. Die Regulierung von Standards für Dienste und Verantwortlichkeit
ist auch für nachhaltige und hochwertige Dienste unerlässlich.
Alle diese Maßnahmen würden auch dazu beitragen, die Übertragung guter
Praktiken zu fördern.
5.3. Erhöhung der Ressourcen für die soziale Rechte
Ziel: Ausreichende Ressourcen und Fähigkeiten der Anbieter und Nutzer
sicherzustellen
Die Mitgliedstaaten müssen Schritte vornehmen, um die Hindernisse zu
beseitigen, die durch unzureichende Ressourcen seitens der Anbieter und
Nutzer von Diensten und jenen, die ihre sozialen Rechte wahrnehmen wollen,
verursacht werden und die die Ausübung der sozialer Rechte beeinträchtigen.
5.3.1. Ressourcen der Anbieter
Obwohl in einigen Ländern ein erheblicher Ressourcenmangel vorherrscht,
sollten die Mitgliedstaaten ausreichende Ressourcen zur Verfügung stellen,
damit ein angemessener und gerechter Zugang zu sozialen Rechten für alle
90
Politische Richtlinien
möglich ist, insbesondere für die, die diese am nötigsten brauchen. Zu
den notwendigen Ressourcen gehören Finanzierung, Personal, Einrichtungen
und Ausrüstung. Ausreichende Ressourcen für die Sicherstellung des
Zugangs zu sozialen Rechten muss nicht immer eine Steigerung der Kosten
beinhalten. Auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene sollte die
Haushaltsverwaltung sich bemühen, die Kontinuität der Ressourcen zu
sichern; dies gilt auch für eine angemessene Finanzierung in den Bereichen
soziale Sicherheit und Sozialhilfe, Beschäftigung, Gesundheit, Wohnen,
Bildung und Ausbildung. Eine gute Verwaltung ist untrennbar mit
angemessenen und kontinuierlichen Ressourcen verbunden.
Regierungen sollten auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene
zusammenarbeiten, um die unterschiedliche Finanzierung zwischen den
verschiedenen Ebenen und Diensten zu minimieren, soweit wie möglich eine
Gleichheit der Regionen zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass die
Unterschiede zwischen den Regionen die unterschiedlichen Bedürfnisse
widerspiegeln. Nationale Regierungen sollten den untergeordneten Ebenen
bei der Bereitstellung kommunaler Dienste ein gewisses Maß an Autonomie
zugestehen. Dies ist wichtig, um auf die speziellen Bedürfnisse sozial
schwacher Gruppen in den Kommunen eingehen zu können. Sie sollten sich
auch um die Sicherstellung der Kontinuität in der Finanzierung und um den
Abbau von Finanzierungslücken bemühen. Sind dies an sich schon wichtige
allgemeine Grundsätze, so sind sie doch im Hinblick auf grundlegende
Leistungen und Dienste unerlässlich, einschließlich Gesundheit, Wohnen und
die kontinuierliche Weiterbildung und Umschulung.
So wichtig sie auch sein mag, so ist die Frage nach ausreichenden Ressourcen
nicht nur eine Frage nach angemessener Finanzierung und guter und
transparenter Haushaltsverwaltung. Bei diesem Thema sind auch die
intellektuellen und erzieherischen Ressourcen und die Fähigkeiten der
Mitarbeiter zu beachten, es ist z.B. sicherzustellen, dass nur Mitarbeiter
eingestellt werden, die über entsprechende berufliche Qualifikationen
verfügen, und dass sie die erforderliche Ausbildung und Ausstattung
erhalten, um den Herausforderungen ihrer Arbeit gewachsen zu sein. Auch
die Erfahrung und das Wissen der Nutzer kann man als Ressource der
Anbieter betrachten.
5.3.2. Ressourcen und Befähigung der Antragsteller
Die Kenntnis über ein Recht ist die Voraussetzung für die Einforderung dieses
Rechts. Das bedeutet, dass Menschen umfassend über die Verfügbarkeit und
über die Möglichkeiten informiert werden, wie sie Zugang zu diesen Rechten
erhalten. Hier tragen die Staatsbeamten eine Verantwortung. Daher müssen
sie sich bemühen, vollständige Informationen über die von ihren eigenen
Behörden als auch von anderen relevanten Anbietern bereitgestellten Dienste
anzubieten. Informationen sind jedoch nur eine Ressource. Die Menschen
91
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
müssen, um ihre sozialen Rechte einfordern zu können, auch Zugang zu den
entsprechenden Diensten und Leistungen haben. Diejenigen, die sich z.B.
um eine nachhaltige Beschäftigung bemühen, müssen in die Lage versetzt
werden, unter Einbringung ihrer Fähigkeiten eine angemessene Arbeitsstelle
zu suchen, und sie müssen Zugang zu Diensten erhalten, einschließlich
Bildungs- und Ausbildungsdiensten, die ihnen beim Erwerb der notwendigen
Fähigkeiten für den lokalen/regionalen Arbeitsmarkt dienlich sind. In diesem
Zusammenhang sind die Artikel 1 der Europäischen Sozialcharta über das
Recht auf Arbeit (und insbesondere Artikel 1, Absatz 3 über die Einrichtung
oder Aufrechterhaltung kostenloser Arbeitsvermittlungsstellen für alle
Arbeitnehmer) und die Artikel 9 und 10 über das Recht auf Berufsberatung
und berufliche Bildung besonders relevant. Auch in anderen Bereichen der
sozialen Rechte müssen die Antragsteller ähnlich befähigt werden.
Mit der Erleichterung des Zugangs zu den Sozialleistungen müssen die
Regierungen darüber hinaus sicherstellen, dass alle diejenigen, die Hilfe beim
Ausfüllen der Formulare und bei den Verfahren sowie der Aushandlung der
Forderung ihrer Rechte benötigen, diese auch erhalten. In vielen Fällen
müssen dafür den NROs und anderen Dienstleistungsanbieters Ressourcen
zur Verfügung gestellt werden, damit sie den Menschen eine persönliche
Unterstützung und Beratung anbieten können, die es ihnen ermöglicht, ihre
sozialen Rechte einzufordern. Auch Menschen mit besonderen Bedürfnissen,
seien es mobilitätsbezogene oder sensorische Behinderungen, müssen beim
Zugang zu ihren sozialen Rechten Unterstützung finden. Grundsätzlich muss
das Prinzip zugrunde gelegt werden, dass mangelnde Fähigkeit oder
mangelndes Vertrauen in die sprachlichen und anderen Fähigkeiten oder
Fertigkeiten, die an sich bereits einen fehlenden Zugang zu den sozialen
Rechten manifestieren, keine Hindernisse beim Zugang zu den sozialen
Rechten darstellen dürfen.
5.4. Veränderung und Verbesserung des Managements und der
Verfahren
Ziel: Beträchtliche Verbesserung des Zugangs durch bessere Verwaltung
und Verfahren
5.4.1. Weitere Aufsplitterung vermeiden
Ziel sollte hierbei sein, umfassende, effiziente und effektive Dienste zu
entwickeln, die die Ressourcen so gut wie möglich einsetzen und dem
Nutzer die besten und angemessensten Dienste bieten. Um Aufsplitterung
zu vermeiden:
– Es ist eine klare Aufteilung der Verantwortung zwischen den
verschiedenen Ebenen der Regierung und den Diensten vorzunehmen.
Dies muss allen betroffenen Organen und Diensten mitgeteilt werden.
92
Politische Richtlinien
– Die verschiedenen Organe und Dienste sollten bei der Bearbeitung der
Anträge der Berechtigten unter Berücksichtigung des Datenschutzes
miteinander kooperieren.
– Integrierte Dienste sollten aktiv gefördert werden. Zu diesem Zwecke
sollten die potenziellen Plattformen oder Ausgangspunkte der Dienste
erkannt werden. Diese gehen noch weiter als die „alles-in-einem-Haus“Ansätze, da sie erkennen, dass die Bedürfnisse eines Menschen zwar in
integrierter Weise behandelt werden müssen, aber dass dies nicht
bedeutet, dass nur eine Art des Dienstes notwendig ist.
5.4.2. Beteiligung der NROs, der Nutzer und anderer Akteure der
Zivilgesellschaft
Die Rolle der NROs, Sozialpartner, Nutzer und anderer Akteure der
Zivilgesellschaft sollte anerkannt und ihr Einsatz zur Förderung des Zugangs
zu den sozialen Rechten und dem sozialen Zusammenhalt unterstützt werden.
Zu diesem Zweck sollte(n):
– die NROs rechtlich anerkannt werden und ihr rechtlicher und steuerlicher
Status klar im Gesetz oder ihre Befreiung von der Steuerpflicht, wo
angebracht, verankert werden (gemeinnützig oder „nicht gewinnorientiert“);
– die Aktivitäten der NROs und anderer Akteure angeregt und gefördert
werden, besonders in Bezug auf Ausbildung und Ausweitung der Kapazitäten;
– die Beteiligung der NROs an den Sozialdiensten im gegenseitigen
Einvernehmen mit der Regierung festgelegt werden, und die NROs sollten
nicht gezwungen sein, Mängel bei den von Regierungsstellen erbrachten
Sozialleistungen, ob auf nationaler, regionaler oder kommunaler Ebene,
auszugleichen;
– auf die Erfahrung der NROs und anderer Akteure der Zivilgesellschaft,
besonders ihre „Warnsignale“ und ihr Wissen über die Lage sozial
schwacher und benachteiligter Menschen zurückgegriffen werden und
diese für die Ausarbeitung von Richtlinien genutzt werden, die den
Zugang zu sozialen Rechten sichern helfen;
– Partnerschaften zwischen Stellen für Sozialdienste und Leistungen
einerseits und NROs und anderen Akteuren andererseits gefördert
werden, um im Rahmen der Partnerschaft die Interaktion zwischen allen
Bereichen der Sozialdienste und dem Freiwilligenbereich zu fördern;
– der potenzielle Beitrag der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände auf
kommunaler, regionaler und nationaler Ebene im Hinblick auf ihre
Förderung von Beschäftigung und Bereitstellung beruflicher Weiterbildung und Arbeitserfahrung im Rahmen eines sozialen Dialogs
anerkannt werden;
– der Beitrag der Berechtigten anerkannt und ihre Erfahrung und Kenntnisse
eingesetzt werden.
93
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Der langfristige Erfolg der politischen Ansätze und Bestimmungen hängt
nicht nur von der Beteiligung der NROs ab, sondern auch von der
Partizipation und Unterstützung der Menschen selbst. Sozial schwache
Menschen und alle Nutzer der Sozialdienste sollten sich daher selbständig so
weit wie möglich am Entscheidungsprozess beteiligen können. Dies sollte
sich nicht nur auf die Maßnahmen erstrecken, die sich auf die Verbesserung
der persönlichen Lebenssituation eines Menschen beziehen, sondern auch
auf die Einflussnahme bei der Ausarbeitung der Sozialleistungen, des
lebenslangen Lernens, der Bildung und der Ausbildung oder der Unterstützungsmaßnahmen, die Wege aus der Armut und der sozialen
Ausgrenzung und in eine anständige Beschäftigung weisen.
5.4.3. Verringerung der Komplexität und Zugangsprobleme
Neben der Festschreibung des Rechts durch die Gesetzgebung sollten auch
entsprechende Mechanismen zur Umsetzung dieser Rechte eingesetzt werden.
Die beiden Ziele sind hier, die Ausübung sozialer Rechte zu erleichtern und
dafür zu sorgen, dass die Sozialdienste zum Wohle der Berechtigten arbeiten
und die Beteiligung der Nutzer fördern. Zu diesem Zweck sollte(n):
– Antragsformulare und –verfahren klar festgelegt, den Berechtigten
angemessen, in klarer und verständlicher Sprache verfasst und leicht
durchzuführen sein;
– die staatlichen Behörden über ihre Dienste umfassend informiert sein und
sichergestellt sein, dass Antragsteller oder potenziellen Antragsteller auch
Kenntnis von anderen relevanten Diensten erhalten;
– die beratende Rolle der Sozialgremien gefördert werden, insbesondere bei
der Ausfüllung und Bearbeitung der Anträge, wenn nötig, indem
proaktive und befähigende Strategien angewendet werden (kostenlose
Rufnummern, kostenlose Informationszentren, usw.);
– jede Ablehnung eines Anspruchs oder einer Dienstleistung immer
schriftlich begründet werden und klar und ausführlich formuliert sein. Jede
Ablehnung sollte die Einspruchsmöglichkeiten auflisten;
– die Möglichkeit einer mündlichen Erklärung bestehen;
– die Räumlichkeiten aller Sozialdienste für alle zugänglich und benutzerfreundlich sein;
– bei den Öffnungszeiten die verschiedenen Bedürfnisse und Verantwortlichkeiten der Berechtigten berücksichtigt werden;
– „Mobile Dienste“, die allen potenziellen Nutzern offen stehen,
eingerichtet werden und zur Verfügung stehen, wenn diese notwendig
erscheinen;
– Informationstechnologie (Internet und Mobiltelefone) zur Verfügung
gestellt werden und/oder benutzt werden, um den Zugang zu Sozialleistungen und –diensten zu erleichtern, insbesondere für Menschen, die
94
Politische Richtlinien
in entlegenen Gebieten leben, die nicht leicht zugänglich sind
(geographisch isolierte Gebiete, ländliche Gebiete) und um den
Zeitaufwand für einen Antrag zu reduzieren.
5.5. Verbesserung der Information und Kommunikation
Ziel: Verbesserung von Fluss, Nutzung und Austausch von Informationen
Dem Kommunikations- und Informationsaustausch sollte Priorität
eingeräumt werden. Es bedarf einer multidimensionalen Kommunikationsstrategie, die davon ausgeht, dass die Verbreitung von Informationen
wesentlich für die Erstellung und Durchführung effektiver öffentlicher
Dienste und Leistungen ist. Zu diesem Zweck sollte(n):
– die Informationen an alle Berechtigten weitergegeben und so viele
Informationskanäle wie möglich genutzt werden (Versenden von
Broschüren an die gesamte Bevölkerung, Fernsehen, Radio und andere
Werbeträger, Auslage von Broschüren in bestimmten öffentlichen Stellen,
freie Telefonleitungen, Tage der offenen Tür, Internet, usw.);
– mobile Informationszentren zur Verfügung stehen;
– die Informationen so weit wie möglich in den Minderheitensprachen und
Sprachen der Migranten zur Verfügung stehen;
– die Informationen auf die Bedürfnisse der Menschen mit Behinderungen
abgestimmt sein;
– wenn Informationen in Form von Broschüren verteilt werden, diese klar,
präzise und verständlich abgefasst sein;
– alle Informationen regelmäßig aktualisiert werden;
– einige Informationen auch auf diejenigen abzielen, die im gleichen
Haushalt oder in räumlicher Nähe des potenziellen Leistungsberechtigten
leben.
Die Berechtigten müssen über die Existenz von Stellen für Sozialschutz und
Beschäftigung sowie ihrer jeweiligen Aufgaben unterrichtet werden. Dies
kann durch die Einführung von Plattformen oder Anlaufstellen für
Leistungen, Dienste und andere Regelungen geschehen, die darauf abzielen,
einen integrierten Zugang zu Sozialleistungen und –diensten zu schaffen
sowie durch andere Aktivitäten, wie z. B. Flugblätteraktionen, Medienspots
oder Werbung. Die Rolle und der Beitrag der Informationen, die unabhängig
hergestellt und verbreitet werden, wird hervorgehoben.
Zusätzlich dazu sollten die staatlichen Behörden die Qualität der verbreiteten
Informationen und ihre Informationsstrategie überwachen:
– Sie sollten regelmäßig auf allen Ebenen der Regierung Erhebungen
durchführen lassen, um die Effizienz der Informationsverbreitung zu
prüfen;
95
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
– sie sollten Überprüfungen durchführen, um sicherzustellen, dass potenzielle
Empfänger Zugang zu den Leistungen haben, z. B. durch Vergleichen der
Budgetschätzungen und der tatsächlich geleisteten Zahlungen;
– Spezifische Arbeit vor Ort sollte auf Personen oder Gruppen abzielen, von
denen bekannt ist, dass sie ihre Rechte nicht in vollem Umfang
wahrnehmen.
Die Kommunikationsfunktion sollte nicht auf die Verbreitung von Informationen beschränkt sein. Wichtig ist hierbei der Informationsaustausch,
bei dem die Kommunikation als Zweiwege-Prozess gesehen wird. Die
Kommunikation sollte auch die Beschaffung und Bewertung von
Informationen beinhalten. Daher sollten die staatlichen Stellen die
regelmäßige Zusammenstellung und Veröffentlichung relevanter
statistischer, standardisierter Informationen auf nationaler und subnationaler Ebene sicherstellen.
5.6. Überwindung psychologischer und soziokultureller
Hindernisse
Ziel: Beseitigung psychologischer und soziokultureller Hindernisse auf
Seiten der Dienstleistungsanbieter und Nutzer
Die Funktionsweise aller Dienste und Leistungen im Bereich der sozialen
Rechte sollte auf die Bedürfnisse der Berechtigten abgestimmt sein und es
ihnen ermöglichen, tätig zu werden; außerdem muss anerkannt werden,
dass psychologische und soziokulturelle Schwierigkeiten die Fähigkeit der
Menschen verringern können, ihre sozialen Rechte wahrzunehmen,
insbesondere jener Menschen, die aus sozial schwachen oder benachteiligten Gruppen stammen. Daher sollte(n):
– den Dienstleistungsanbietern eine psychologische Ausbildung in
zwischenmenschlichen Beziehungen zur Verbesserung ihrer Reaktion auf
die Bedürfnisse der Berechtigten angeboten werden;
– die Art und Weise beachtet werden, wie sozial schwache Personen
empfangen werden, insbesondere beim ersten Besuch, da ihre
Wahrnehmung und ihr Vertrauen in die Institution häufig vom ersten
Besuch abhängen. Aus diesem Grund sollten die Büros und Einrichtungen
freundlich auf sie wirken, mit einem klar erkennbaren Empfang, Stühlen
für die Wartenden und, sofern dies aus Sicherheitsgründen möglich ist,
keinen Abtrennungen zwischen der Öffentlichkeit und den Angestellten
der Organisation, die die Dienste oder Leistungen anbieten. Auch die
Privatsphäre sollte als Priorität behandelt werden. Die Mitarbeiter sollten
über die notwendigen beruflichen und persönlichen Fähigkeiten verfügen
und eine gute Kenntnis der Dienste und Leistungen haben, die ihre eigene
und andere Agenturen anbieten.
96
Politische Richtlinien
Auch die kulturellen Fragen sollten berücksichtigt werden. Zur Überwindung
soziokultureller Hindernisse sollten die Verfügungen die kulturellen
Besonderheiten berücksichtigen, und bestehende Praktiken sollten auf
mögliche Voreingenommenheit gegenüber besonderen Bevölkerungsgruppen untersucht werden. Zusätzlich:
– Die Mitarbeiter, die mit der Öffentlichkeit zu tun haben, sollten eine
Ausbildung zur Vermeidung von Diskriminierung und Überwindung von
negativen Stereotypen erhalten. Die mit der Öffentlichkeit arbeitenden
Mitarbeiter sollten Informationen und, wenn erforderlich, eine
Ausbildung, erhalten, die sie für die Situation sozial schwacher Menschen
sensibilisiert. Die Mitarbeiter sollten auch ein interkulturelles Training in
Bezug auf Migranten und Minderheiten erhalten, insbesondere im
Hinblick auf Religion und kulturelle Normen;
– Behörden und Einrichtungen in den Bereichen Beschäftigung, Gesundheit,
Bildung, Wohnen und Sozialschutz sollten Dolmetscher, Vermittler und
ggf. Personen aus Minderheitengruppen oder dem Herkunftsland
der Migranten beschäftigen, mit denen sie in Kontakt stehen, um diesen
Menschen beim Zugang zu sozialen Rechten zu helfen.
5.7. Besondere Anvisierung sozial schwacher Gruppen und
sozial schwacher Regionen
Ziel: Beseitigung der Schwäche als Hindernis für die sozialen Rechte.
5.7.1. Sozial schwache Gruppen
Länder, die dies noch nicht getan haben, sind aufgefordert, umfassende
gesetzliche Grundlagen und politische Strategien für den Zugang aller
Menschen zu sozialen Rechten zu entwickeln. Ein universaler Ansatz wird
vor allem benachteiligten Kategorien von Personen zugute kommen. Die
Schaffung eines unterstützenden Umfeldes für die soziale Integration von
Menschen, die am Rande der Gesellschaft oder unter unsicheren
Bedingungen leben, sollte besonders berücksichtigt werden. Alle Dienste
sollten als Teil einer allgemeinen und weitreichenden Strategie zur
Ermöglichung des Zugangs zu Wohnung, Gesundheit, Bildung, Berufsausbildung, anständiger Beschäftigung und Sozialschutz und anderen
Grundrechten für sozial schwache Menschen gesehen werden. Eine solche
Strategie sollte klar definierte Ziele verfolgen und Normen und Verfahren zur
Überwachung der Umsetzung und des Fortschritts und zur vollständigen
Ausübung ihrer sozialen Rechte für diese Teile der Bevölkerung festlegen.
Die Entwicklung solcher Rahmen und Strategien für sozial schwache
Gruppen ist besonders für Artikel 30 der revidierten Europäischen
Sozialcharta über das Recht auf Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung
relevant.
97
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Die Ausübung eines Rechts setzt bestimmte Ressourcen und Fähigkeiten
seitens des Einzelnen und bestimmte Bedingungen hinsichtlich einer Leistung
voraus. Es darf nicht sein, dass Menschen ihre Rechte aufgrund fehlender
Ressourcen oder Fähigkeiten nicht einfordern können oder weil die
Bedingungen für die Einforderung ausschließend sind. Befähigung und
Ermächtigung spielen in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle, weil sie helfen,
Rechte in der Praxis zu garantieren. Zu den Ressourcen zählen sowohl
materielle als auch immaterielle Ressourcen. Im Folgenden sind die
wichtigsten Ressourcen aufgelistet:
– Kenntnis des Rechts und Bewusstsein hinsichtlich des Anspruchs, dieses
Recht auszuüben;
– die Fähigkeit, einen Antrag auf das Recht zu stellen und es einzufordern.
In der Praxis wird der dynamische Ansatz der Ermächtigung und Befähigung
in Programmen und Maßnahmen verfolgt, die die Menschen auf
individueller und auf Gruppenebene mobilisieren und aktivieren. Eine
langfristige Sicht ist wesentlich im Hinblick auf die Möglichkeiten zur
Veränderung (für Einzelpersonen, Gruppen und Orte). Statt die Orte und
Menschen in situ oder nach dem status quo zu beurteilen, müssen sie
dynamisch gesehen werden, d. h., im Hinblick darauf, was sie erreichen
können und wie sie ermutigt werden können, ihr Leben oder ihre
Gemeinschaftssituation zu ändern. Zur Maximierung der Effizienz einer
solchen Ermächtigung sollten die sozialen Rechte soweit wie möglich auf
lokaler Ebene organisiert werden. Dies ermöglicht:
– eine effiziente und umfassende geographische Versorgung (unter
Verwendung mobiler Dienste, um die Versorgung auch auf isolierte
Gebiete ausdehnen zu können);
– Präsenz auf lokaler Ebene und bei den Nutzern der lokalen Dienste die
Schaffung eines Bewusstseins, dass ihnen diese Rechte zustehen;
– Entscheidungen über den größtmöglichen Umfang der Bestimmung und
den Zugang zu den Diensten, aber unter Befolgung eindeutiger
internationaler, europäischer und nationaler Standards in Bezug auf den
Zugang in einer nicht diskriminierenden Weise.
Eine besonderer Schwerpunkt sollte auf mobilen Einsätzen liegen, d. h., Maßnahmen, die Menschen in ihren eigenen Gemeinden oder Wohnbezirken
versorgen.
5.7.2. Sozial schwache Regionen – Die territoriale Dimension
Politische Strategien, die sich auf sozial schwache Gruppen konzentrieren,
müssen durch Strategien ergänzt werden, die sich mit territorialen oder
gebietsbezogenen Angelegenheiten befassen. Der Zugang sollte über den
Raum hinweg gewährleistet werden und der Aufenthaltsort sollte nicht
per se ein Hindernis für den Zugang zu sozialen Rechten darstellen. Das Ziel
98
Politische Richtlinien
ist daher, Ungleichgewichte zwischen den Gebieten zu vermeiden und
sicherzustellen, dass besonders benachteiligte Gebiete angemessen versorgt
werden. In dieser Hinsicht spielen lokale Initiativen eine besonders wichtige
Rolle. Insbesondere jene Initiativen, die auf soziale Regenerierung der
vernachlässigten und verarmten Orte oder Wohngebiete abzielen, müssen
als potenzielle Beiträge für soziale Rechte der in diesen Gebieten lebenden
Menschen gewertet werden.
Es ist nicht nur eine Frage der Investitionen in die materielle Infrastruktur, der
Sicherstellung des Zugangs zu Diensten wie Abwasser, Grundversorgung,
Straßen und dem öffentlichen Verkehrswesen oder der Gewährleistung eines
gewissen Wohnstandards, sondern auch eine Frage des Neuaufbaus der
sozialen und Gemeinschaftsinfrastruktur dieser Gebiete.
Beschäftigung ist für die Überwindung der standortbedingten Nachteile
besonders wichtig. Örtliche Beschäftigungsmöglichkeiten tragen dazu
bei, Armut zu verringern, soziale Eingliederung zu fördern und das
Selbstvertrauen und die Ressourcen derjenigen zu stärken, die von der
Gesellschaft ausgegrenzt werden. Sie dient auch der Stärkung der
finanziellen und anderen Ressourcen, die öffentlich verfügbar sind. Die
Beteiligung der örtlichen Gemeinden an dieser und anderen Initiativen ist
sehr wichtig.
99
Anhang I
Das durch CS-LO, CS-PS, CS-EM und SP-SPM gesammelte empirische Material
CS-LO = Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zu Wohnungen
Der CS-LO hat die empirischen Daten direkt von allen Mitgliedstaaten des
Europarates und dreier Staaten mit Beobachterstatus sowie von kommunalen
Verwaltungen und NROs gesammelt, die im Bereich Wohnungspolitik aktiv sind. Der
Schwerpunkt lag auf sozial schwachen Gruppen auf der Grundlage sozialer Kriterien,
da die Gruppe der Obdachlosen bereits in anderen empirischen Projekten gründlich
erfasst wurde. Die Fragebögen waren wie folgt aufgebaut:
Bereich:
–
–
–
–
–
–
Wohnsituation im Land
Kategorien sozial schwacher Menschen im Bereich Wohnung
Zugang zu Wohnungen für sozial schwache Gruppen
Rechtsinstrumente und verfassungsrechtliche Bestimmungen beim Zugang zu
Wohnungen
Zwangsräumung
Notfälle
Die Abschnitte A und B dienten der Definition und Quantifizierung der Kategorien
der verfügbaren Wohnbestände und jener Bevölkerungsgruppen, die in dem
jeweiligen Land als sozial schwach eingestuft werden. Der Zweck der Abschnitte C
und D war die Bewertung des rechtlichen Hintergrundes und der tatsächlichen Praxis
im Zugang zu Wohnungen für sozial schwache Gruppen, während die Abschnitte E
und F sich auf die zwei wichtigsten Situationen im Bereich Zugang zu Wohnungen
konzentriert, d.h., Zwangsräumungen und Notunterkünfte. Der zweite Teil des
Fragebogens erbat Beispiele aus der Praxis für die Themen in C, E und F und auch die
Praxis der Bereitstellung erschwinglicher Wohnungen.
Von insgesamt 264 Fragebögen kamen 77 ausgefüllt zurück, was einer Beantwortungsquote von 29% entspricht.
CS-PS = Expertengruppe für den Zugang zum Sozialen Schutz
Der CS-PS erstellte einen Fragebogen, um folgende Informationen zu erhalten: (a)
Auflistung aller bestehenden Leistungen im Bereich soziale Sicherheit und soziale
Unterstützung sowie aller Leistungen, die von den Sozialeinrichtungen angeboten
wurden, ob nun national, regional oder kommunal; und (b) Hindernisse, die den
Zugang zu sozialen Rechten beeinträchtigen.
Die Mitglieder des CS-PS und – für jene nicht in der Gruppe vertretenen Staaten –
die Mitglieder des CDCS kooperierten bei der Verteilung des Fragebogens in ihren
Ländern und gaben ihn an die Einrichtungen, die auf nationaler, regionaler und
kommunaler Ebene für Sozialleistungen und –dienste verantwortlich waren sowie an
Nichtregierungsorganisationen, die auf nationaler Ebene tätig waren. Der
Fragebogen wurde auch an Nichtregierungsorganisationen verschickt, die eine
internationale Vertretung darstellen, insbesondere über das Europäische Netzwerk
gegen Armut (EAPN) und die ATD-Vierte Welt Organisation.
101
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Als Reaktion auf den Fragebogen erhielt man 170 Beiträge von staatlichen Stellen
und NROs, unter denen sich dreißig Mitgliedstaaten des Europarates befanden.
CS-EM = Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zur Beschäftigung
Die wichtigsten empirischen Daten, die von dieser Expertengruppe zusammengetragen wurden, bestanden aus Beispielen „guter Praktiken“, wie Entwicklungsprojekte auf lokaler Ebene mittels eines horizontalen und koordinierten Ansatzes das
Problem von Langzeitarbeitslosigkeit bekämpft und verhindert haben. Jeder
Mitgliedstaat, der im CS-EM vertreten war, bemühte sich um mindestens zwei
Beispiele „guter Praxis“ im Hinblick auf den Erfahrungsaustausch in der Bekämpfung
von Langzeitarbeitslosigkeit.
Man kam überein, dass die Fallbeispiele sich auf kommunale Beschäftigungsprogramme, sozioökonomische Projekte oder Projekte konzentrieren sollten, die eine
Selbständigkeit und die Gründung von kleinen Unternehmen förderten. Man konnte
eine Reihe benachteiligter Gruppen berücksichtigen, wie z.B. Langzeitarbeitslose,
Menschen mit Behinderungen, ethnische Minderheiten, wirtschaftlich schwache
Frauen oder junge Menschen. Dieser Liste wurde auch die Kategorie „ältere
Arbeitnehmer“ hinzugefügt. Im Fall der Langzeitarbeitslosen wurden diese als
Personen definiert, die für zwölf Monate oder länger ohne Beschäftigung waren und
eine Arbeitsstelle suchten.
Insgesamt wurden 21 Antworten von den Mitgliedstaaten, Beobachterstaaten und
Ländern eingereicht. Dies bedeutete, dass dem CS-EM beinahe 60 Beispiele für
Programme und Initiativen zur Schaffung von Arbeitsplätzen zur Verfügung standen.
SP-SPM = Expertengruppe zur Anpassung der Gesundheitsversorgung an die
Nachfrage nach der Gesundheitsvorsorge und die Gesundheitsdienste für Menschen
am Rande der Gesellschaft
Die Experten des SP-SPM hatten den Auftrag, Länderberichte auf der Grundlage
eines durch den Berater entworfenen Fragebogens vorzubereiten. Das Ziel war die
Erstellung eines Überblicks aller Probleme, die sich auf den Zugang von Menschen in
gesellschaftlicher Randlage zu den Gesundheitsdiensten in jedem Land bezogen. Die
Berichte deckten folgende Themen ab:
–
–
–
–
–
–
allgemeine Informationen über die Gesundheits- und Sozialsysteme;
die Zunahme von Armut und die Existenz von Randgruppen;
Gesundheitsindikatoren;
Sozialschutz und die Gesundheitssysteme;
Reaktionen auf Ungleichheiten im Gesundheitswesen;
relevante Maßnahmen, die eingeleitet oder erwogen wurden.
Die Stellungnahme der Organisation ATD-Vierte Welt wurde durch ihren Vertreter im
Komitee übergeben.
Diese Arbeit der Expertengruppe führte zur Empfehlung Rec(2001) 12 über die
Anpassung der Gesundheitsversorgung an die Nachfrage nach der
Gesundheitsversorgung und die Gesundheitsdienste für Menschen am Rande der
Gesellschaft. Die Kernaussage der Empfehlung lautet: „keine zweitklassige Medizin
für arme Leute“; Die stetige Zunahme der Menschen, die am Rande der Gesellschaft
und in unsicheren Bedingungen leben, und die daraus resultierenden
102
Anhängen
schwerwiegenden gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme fordern
die Entwicklung eines umfassenden und angemessenen politischen Rahmens,
basierend auf den Grundsätzen von Gleichheit, Menschenwürde und Partizipation.
Um die Gesundheit von Menschen am Rande der Gesellschaft zu schützen und zu
verbessern schlägt die Empfehlung einen bereichsübergreifenden Ansatz vor, der sich
auf Präventivmaßnahmen und die Schaffung eines Umfeldes zur Unterstützung der
sozialen Eingliederung stützt und damit Stigmatisierung vermeidet und das Wissen
erweitert. Die durchgeführten Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs der sozial
Schwachen kommen auch der allgemeinen Bevölkerung zugute, statt eine
„zweitklassige Medizin für Arme“ zu schaffen.
103
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Anhang II
Politische Leitlinien für den Zugang zu Wohnungen für benachteiligte Menschen
I. Einleitung
1. Die im Rahmen des Projektes des Europarates über Menschenwürde und soziale
Ausgrenzung (HDSE) durchgeführte Arbeit ergab, dass die Ermöglichung des
Zugangs zu Wohnung, Beschäftigung, Sozialschutz, Gesundheit und Bildung
für benachteiligte Gruppen für alle Mitgliedstaaten des Europarates eine
Herausforderung darstellt. Während es in der Regel einen rechtlichen Anspruch auf
soziale Rechte gibt, wird für viele Menschen deren Umsetzung in der Praxis durch
unterschiedliche Hindernisse beeinträchtigt. Der Europarat hat daher eine Reihe von
Aktivitäten zur Förderung des Zugangs zu sozialen Rechten für alle Menschen
initiiert.
2. In diesem Kontext begann die Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zu
Wohnungen (CS-LO) ihre Arbeit im Juni 1999. Als erster Ausschuss des Europarates,
der systematisch Fragen der Wohnungspolitik untersuchte, bot der CS-LO eine
Gelegenheit für einen intensiven Erfahrungsaustausch unter den Mitgliedstaaten
sowie für den Start einer europaweiten, empirischen Datenerfassung in den
Mitgliedstaaten des Europarates und Beobachterstaaten über nationale Richtlinien
über den Zugang zu Wohnungen für benachteiligte Menschen.1
3. Die aktuellen politischen Leitlinien beruhen auf den Ergebnissen der
Forschungsgruppe (die in unterschiedlichen Berichten dargestellt werden) und den
Vorschlägen der CS-LO-Gruppe.
II. Allgemeine Grundsätze der Richtlinien für den Zugang zu Wohnungen für
benachteiligte Menschen
4. Die Bedeutung von Wohnung und die damit zusammenhängende
Verantwortung der nationalen Regierungen wurden in einer Reihe von internationalen Dokumenten anerkannt. Diese schließen die Europäische Sozialcharta des
Europarates von 1961 (Art. 16), ihr Zusatzprotokoll von 1988 (Art. 4 ) und die
revidierte Europäische Soziacharta von 1966 (Art. 31), die 1966 in Istanbul
verabschiedete UN Habitat Agenda und die „Erklärung zu Städten und anderen
menschlichen Siedlungen im neuen Jahrtausend“ ein, die in einer Sondersitzung der
UN-Vollversammlung für eine allgemeine Überarbeitung und Anerkennung der
Umsetzung der Habitat Agenda verabschiedet wurde (New York, 6.-8. Juni 2001).
5. Im Kontext der Wohnungspolitik müssen die grundsätzlichen Menschenrechte,
die durch die Europäische Menschenrechtskonvention bezüglich des Rechts auf
Respektierung des Privat- und Familienlebens und der Privatwohnung (Artikel 8) und
des Rechts auf friedliche Nutzung des Eigentums (Artikel 1 des Protokoll 1) besonders
respektiert und geschützt werden. In der UN Habitat Agenda bekräftigen die
______
1. In den aktuellen politischen Leitlinien meint der Terminus „benachteiligte Menschen“ alle Personen und
Gruppen, die auf dem Wohnungsmarkt aufgrund wirtschaftlicher, sozialer, psychologischer und/oder
anderer Gründe benachteiligt werden und aus diesem Grund einer angemessenen Unterstützung
bedürfen, um ihren Zugang zu Wohnung zu verbessern.
104
Anhängen
Regierungen ihr Bestreben, die vollständige Umsetzung der Menschenrechte zu
verfolgen, die in den internationalen Vertragswerken festgelegt sind, und
insbesondere in diesem Kontext das Recht auf angemessene Wohnung, wie in der
Erklärung der Menschenrechte aufgeführt und im Internationalen Vertrag über
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte festgelegt, und dafür Sorge zu tragen,
das Recht auf angemessene Wohnung Schritt für Schritt umzusetzen.
6. Die Mitgliedstaaten des Europarats sollten der Entwicklung eines
„Befähigungs”-Ansatzes für ihre Wohnungspolitik besondere Aufmerksamkeit
widmen, in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der UN Habitat Agenda. Im
allgemeinen Kontext eines solchen Befähigungsansatzes sollten die Mitgliedstaaten
in Übereinstimmung mit Artikel 61 der UN Habitat Agenda angemessene
Maßnahmen ergreifen, um die vollständige und schrittweise Umsetzung des Rechts
auf Wohnung und des Zugangs zu angemessenem Wohnraum für benachteiligte
Menschen zu fördern, zu schützen und sicherzustellen.
7. Um die Bereitstellung erschwinglicher Wohnmöglichkeiten für benachteiligte
Menschen sicherzustellen, müssen die staatlichen Behörden einen entsprechenden
rechtlichen Rahmen für den Wohnungsmarkt in Bezug auf Eigentumsrechte,
Mieterschutz und Konsumentenschutz kreieren, damit die erforderlichen
institutionellen Voraussetzungen geschaffen werden, um politische Richtlinien zur
Ausweitung des Angebotes erschwinglicher Wohnungen und einen verbesserten
Mieterschutz und einen nicht diskriminierenden Zugang zu Wohnungen für alle zu
verabschieden.
8. Die Bereitstellung von Wohnungen für benachteiligte Menschen erfordert nicht
nur Maßnahmen seitens der staatlichen Behörden auf allen Ebenen, sondern durch
alle Bereiche der Gesellschaft, einschließlich des Privatsektors und der
Nichtregierungsorganisationen sowie der Partnerorganisationen und Einrichtungen
der internationalen Gemeinschaft. Benachteiligte Menschen und die Organisationen
der Zivilgesellschaft müssen befähigt werden, mittels partizipatorischer Mechanismen
bei der Agendagestaltung eine aktive Rolle einzunehmen.
9. Der Beitrag des staatlichen Bereichs zur Beseitigung von Mängeln auf dem
Markt ist auch weiterhin erforderlich, da er die Umsetzung verschiedener
Maßnahmen unterstützt, um benachteiligte Menschen, deren Probleme nicht durch
den Markt oder den sozialen Wohnungsbau reguliert werden können, zu befähigen,
Zugang zu angemessenen und finanziell erschwinglichen Wohnungen und einer
Grundversorgung zu erhalten.
10. Es besteht eine Interdependenz zwischen Wohnungspolitik und anderen
politischen Bereichen, die den Zugang zu den sozialen Rechten, wie z. B.
Sozialschutz, Beschäftigung, Gesundheit und Bildung betreffen. Staatliche Behörden
aller Ebenen und die relevanten internationalen Organe sind daher gefordert,
integrierte Ansätze im Hinblick auf den Zugang zu den sozialen Rechten für
benachteiligte Menschen zu fördern und zu entwickeln.
11. Die Zielsetzungen der Wohnungspolitik sollten bei allen politischen
Entscheidungen und gesetzlichen Fragen Berücksichtigung finden, die sich direkt
oder indirekt auf das Angebot und die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt und den
Wohnungsbau und die Baubestimmungen auswirken. Wichtige Bereiche sind in
105
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
diesem Hinblick die Finanz- und Steuerpolitik, zivilrechtliche Gesetzgebung sowie
die rechtlichen Bedingungen für die Finanz- und Immobilienmärkte und die
Bebauungspläne.
12. Die Wohnungspolitik muss auf allen Ebenen die Bedürfnisse und Erfordernisse
benachteiligter Menschen berücksichtigen. Nationale Behörden sollten daher über
eine Strategie für den Zugang zu Wohnungen für benachteiligte Menschen mit klar
umrissenen Zielsetzungen, Standards, Verfahren zur Überwachung der Umsetzung
verfügen oder diese entwickeln und dabei die oben beschriebene Interdependenz mit
anderen politischen Bereichen berücksichtigen.
13. Jeder Mitgliedstaat sollte über Gesetze und Bestimmungen zur Verhinderung
von Diskriminierung beim Zugang zu Wohnungen verfügen und diese effizient umsetzen.
14. Mehrfach benachteiligte Menschen und Menschen, die der Pflege bedürfen,
müssen eine spezielle Unterstützung erfahren, um ihre besonderen Wohnanforderungen zu erfüllen und sollten das Recht auf angemessene Sozialleistungen und
soziale Unterstützung haben.
15. In den Staaten, die in den letzten Jahren in erheblichem Umfang ihre staatlichen
Sozialwohnungen privatisiert haben, sollten entsprechende wohnungspolitische
Maßnahmen eingeführt werden, die die unerwünschten Folgen der
Wohnungsprivatisierung ausgleichen und benachteiligte Menschen berücksichtigen.
So sollte z. B. in Ländern mit einer hohen Rate an „armen Eigentümern/Mietern“
einem allgemeinen Wohngeldsystem und der staatlichen Unterstützung für die
Instandsetzung von Wohneinheiten, zum Wohle der Eigentümer und Mieter in
zurückgegebenen Wohnungen, größere Aufmerksamkeit gewidmet werden.
16. Staatliche Stellen sollten die regelmäßige landesweite Erfassung relevanter
statistischer Daten über die Wohnungsmarktsituation benachteiligter Menschen
sicherstellen, da solche Informationen von ausschlaggebender Bedeutung für die
Entwicklung, Anpassung, Umsetzung und Überwachung besonderer politischer
Maßnahmen und Hilfsprogramme sind. Die Erfassung solcher Informationen sollte
anhand gemeinsamer europäischer Kriterien standardisiert werden.
III. Rechtlicher Rahmen
17. Alle Mitgliedstaaten des Europarates sollten erwägen, internationale
Rechtsinstrumente bezüglich Wohnungspolitik zu ratifizieren und umzusetzen,
insbesondere Artikel 31 der revidierten Europäischen Sozialcharta (das Recht auf
Wohnung).
18. Länder, die dies bisher noch nicht getan haben, sind aufgefordert, unter
Berücksichtigung der Beschränkungen und Möglichkeiten des Marktes und unter
Respektierung internationaler Standards, einen umfassenden rechtlichen Rahmen
über den Zugang zu Wohnungen für benachteiligte Menschen zu entwickeln, um die
nationale Wohnungsbaupolitik zu unterstützen.
19. Zusätzlich sollte zur gesetzlichen Verankerung des Rechts auf Wohnung
sorgfältig darauf geachtet werden, angemessene Mechanismen zur Umsetzung
dieses Rechtes für alle rechtmäßigen Bewohner einzusetzen.
106
Anhängen
20. Für Menschen in Härtefallsituationen und in Übereinstimmung mit der
Empfehlung Nr. R(2000) 3 des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten sollten die Regierungen aller Mitgliedstaaten des Europarates, wo dies noch
nicht geschehen ist, die Existenz eines individuellen, universalen und einklagbaren
Rechts auf die Erfüllung grundlegender menschlicher materieller Bedürfnisse
sicherstellen. Dieses Recht sollte mindestens das Recht auf Nahrung, Kleidung,
Unterkunft und medizinische Grundversorgung beinhalten und soll für alle Bürger
und Ausländer gelten, unabhängig von der Rechtsstellung der Letztgenannten nach
nationalem Recht, und in der von den nationalen Behörden festgelegten Weise
ausgeführt werden.
21. Jedes Land sollte in seiner Gesetzgebung das Konzept der „angemessenen
Unterbringung“ definieren, unter Berücksichtigung der menschenrechtlichen
Dimension und des Paragraphen 60 der Habitat Agenda1 sowie der wirtschaftlichen
Mittel und kulturellen Aspekte des jeweiligen Landes.
22. Standards für angemessenes Wohnen sollten nicht nur auf Neubauten, sondern
auch schrittweise auf die Renovierung bestehender Wohneinheiten angewendet
werden.
23. Ein transparentes System an Eigentumsrechten und eine entsprechende
administrative Umsetzung der Eigentumsrechte sollte in allen Mitgliedstaaten
vorhanden sein.
24. Nationale Behörden sollten allen Staatsbeamten, die auf nationaler, regionaler
und kommunaler Ebene im Bereich Wohnen Verantwortung tragen, sowie den
Organisationen der Zivilgesellschaft Informationen über den rechtlichen Rahmen
mitteilen.
IV. Der institutionelle Rahmen und die Kooperation zwischen den staatlichen
Behörden und der Zivilgesellschaft
25. Die Mitgliedstaaten sollten, wo dies erforderlich ist, eine angemessene und
effiziente institutionelle Struktur entwickeln oder weiterentwickeln, um die
Kooperation zwischen den staatlichen Behörden und anderen Akteuren im Bereich
der Wohnungspolitik sicherzustellen, einschließlich der in diesem Bereich tätigen
Organisationen der Zivilgesellschaft.
26. Im Rahmen einer nationalen Wohnungspolitik, die inter alia für die notwendige
Verteilung der Ressourcen sorgt, die die lokalen Behörden für die Erfüllung ihrer
Aufgaben benötigen, sollte ein bedeutsamer Grad an lokaler Autonomie und eine
Beteiligung an den Entscheidungen, der Umsetzung und Ressourcenmobilisierung
und –verwendung bestehen.
27. Die Rolle und Verantwortlichkeiten der lokalen Behörden und der Organisationen
der Zivilgesellschaften in der Wohnungspolitik und bei der Aufgabenverteilung
sollten eindeutig und rechtlich festgelegt werden.
______
1. Paragraph 60 der Habitat Agenda: Angemessenes Wohnen „...bedeutet...ein Dach über seinem
Kopf;...angemessene Privatsphäre; ausreichend Raum; physische Zugänglichkeit; ausreichende Sicherheit;
Mieterschutz; bauliche Stabilität und Beständigkeit; ausreichende Beleuchtung; Heizung und Belüftung;
ausreichende grundlegende Infrastruktur...; geeignete Umweltqualität und gesundheitliche Faktoren,...,
die alle zu einem erschwinglichen Preis verfügbar sind.“
107
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
28. Staatliche Stellen sollten die Einrichtung von Organisationen der Zivilgesellschaft
auf allen Ebenen fördern, stärken und unterstützen, damit diese an der Bereitstellung
von Wohnungen für benachteiligte Menschen partizipieren können, und ihnen zu
diesem Zweck, wo dies angemessen erscheint, Ressourcen für ihre Arbeit zur Verfügung
stellen.
29. Vertreter der Zivilgesellschaft sollten bei der Entwicklung von wohnungspolitischen Richtlinien und bei der Entscheidungsfindung beteiligt werden, um
sicherzustellen, dass die Bedürfnisse und Prioritäten der benachteiligten Menschen
identifiziert und erfüllt werden.
30. Die Regierungen sollten benachteiligten Menschen im Rahmen von Rechtshilfe
und kostenlosen Rechtsberatungs- und Bürgerberatungszentren Zugang zum Entscheidungsprozess und den Planungsstrukturen und rechtlichen Leistungen geben.
V. Verbesserung des Angebotes und der Finanzierung erschwinglicher Wohnungen
für benachteiligte Menschen
31. Die Versorgung mit erschwinglichen Wohnungen sollte verstärkt werden. Dies
schließt die Förderung erschwinglicher Eigenheime und die verbesserte Versorgung
mit erschwinglichen staatlichen, genossenschaftlichen und privaten Wohneinheiten
durch Partnerschaften zwischen staatlichen und privaten Initiativen und die
Förderung marktorientierter Initiativen ein. Dabei müssen die gesetzlichen
Bestimmungen und Verpflichtungen seitens der Mieter und Eigentümer respektiert
werden.
32. Der Markt sollte eine Vielfalt unterschiedlicher Wohneinheiten anbieten, u. a.
Wohnungen, die für Menschen mit niedrigem Einkommen geeignet und bezahlbar
sind. Die staatlichen Behörden sollten einen rechtlichen Rahmen einrichten,
zusammen mit einem effizienten System für Wohngeld oder andere entsprechende
Maßnahmen, die für Menschen mit niedrigem Einkommen und/oder Zugangsproblemen geeignet sind, insbesondere auf dem kommunalen Wohnungsmarkt, wo
erschwingliche Unterkünfte rar sind.
33. Um in ausreichendem Umfang geeignete Gelände sicherzustellen, und insbesondere für den sozialen Wohnungsbau zu gewinnen, sollten die Regierungen
finanzielle Anreize und andere Maßnahmen erwägen, um im Hinblick auf die
Förderung des sozialen Wohnungsbaus ein effizientes Funktionieren des Grundstücksmarktes zu fördern.
34. Im Falle eines Wohnungsmangels sollten Maßnahmen ergriffen werden, die
Anreize für den privaten Wohnungsmarkt darstellen, leerstehende Wohnungen zu
vermieten, wenn keine rechtlichen Beschränkungen dieser Vermietung
entgegenstehen.
35. Um Zugang zu Bauland und Mieterschutz zu sichern, sollten die Regierungen,
auf den entsprechenden Ebenen einschließlich der kommunalen Ebene, für
institutionelle Unterstützung, Zuständigkeit und Transparenz der Landverwaltung
sowie genaue Informationen zum Grundstückseigentum, Grundstückverkauf und
aktuelle und geplante Flächennutzung sorgen.
108
Anhängen
36. Es gibt einen großen Bedarf an Wohnungsbaufinanzierungen. Regierungen
sollten daher einen Rahmen für vielfältige Möglichkeiten für benachteiligte
Menschen schaffen, damit diese, wo dies angemessen erscheint, Zugang zu
Baufinanzierungen erhalten. Um Mieten oder Wohnungseigentum erschwinglich zu
machen, sollten die Regierungen die Finanzierungen für den Erwerb oder den Bau
von Wohneigentum für diese Gruppen unterstützen. Diese Sozialwohnungen sollten
auf der Basis transparenter und objektiver Kriterien vergeben werden.
37. Alternativ oder zusätzlich zur Subventionierung von Bauvorhaben sollte, wo dies
angemessen erscheint, ein System für die bedarfsorientierte Vergabe von Wohngeld
eingerichtet werden. Wohngeld kann ein effektives und zielgerichtetes Instrument
sein, um Wohnraum für niedrige Einkommensgruppen erschwinglich zu machen.
38. Um die Bezahlbarkeit von Wohnraum für Haushalte mit niedrigem Einkommen
zu erhöhen, sollten die Regierungen erwägen, Sparpläne und Kreditangebote
einzuführen, wie z. B. Darlehen mit niedriger Zinsrate oder zinslose Darlehen,
einschließlich Minidarlehen.
39. Anbieter von Wohnraum für benachteiligte Menschen sollten Anspruch auf
besondere Finanzierungsmaßnahmen haben.
VI. Die Bedeutung gebietsbezogener Wohnungspolitik
40. Es sollte besondere Sorgfalt darauf verwendet werden, eine soziale Mischung zu
fördern, um eine wohnortbezogene Trennung und Ghettoisierung der Armen und
geographische Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage zu vermeiden, die
allesamt unweigerlich den Zugang zu Wohnungen für die Benachteiligten weiter
erschweren würde.
41. Um die weitreichende Verschlechterung der bestehenden Wohnungsangebote
zu bekämpfen, sollten die betroffenen Länder Richtlinien und Anreize für einen
gemischten Ansatz entwickeln, der Reparatur- und Renovierungspläne miteinander
verbindet und nur in unvermeidbaren Fällen einen Neubau bevorzugt.
42. Um die Probleme einer Ballung stigmatisierter Wohneinheiten in städtischen
Gebieten zu mindern, sollten Maßnahmen ergriffen werden, um Wohnungsprogramme zu entwickeln, die tatsächliche Möglichkeiten für die Eingliederung
benachteiligter Menschen in die Gemeinschaft bieten, inter alia, die Instandsetzung
oder den Bau von Wohneinheiten in den Stadtzentren.
43. Es sollten lokale Initiativen entwickelt werden, die auf die soziale Regenerierung
heruntergekommener Wohneinheiten und verarmter Wohngebiete abzielen. In diese
Gebieten sollten speziell der Wiederaufbau der sozialen und gemeinschaftlichen
Infrastruktur und die Verbesserung der Lebensqualität der Bewohner gefördert
werden.
44. Auf kommunaler Ebene ist die Partizipation der Bewohner eine wichtige
Komponente des Wohnens, des Umfeldes und der sozialen Erneuerung. Initiativen
sollten eingesetzt werden, um eine solche Partizipation wie folgt zu fördern:
– Förderung der Beteiligung der Bewohner und Eigentümer an der Verwaltung, den
Reparaturen und der Renovierung ihrer Wohnungen;
109
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
– Unterstützung bei der Gründung von Anwohnerverbänden, z. B. durch Beratung
hinsichtlich ihres Betreibens und ihrer Verwaltung;
– Unterstützung bei der Gründung und dem Betreiben eines nationalen Netzwerks
lokaler Nachbarschaftswohnprojekte, um die Kooperation zu fördern und gute
Praktiken zu entwickeln und zu teilen.
VII. Minderung der Gefahr und der negativen Folgen von Zwangsräumungen
benachteiligter Menschen
45. Um die Schutzlosigkeit zu mindern, sollten die Regierungen auf den entsprechenden Ebenen, einschließlich der Ebene der örtlichen Behörden, alle Menschen
mittels Rechtsschutz und Rechtsmitteln vor Zwangsräumungen schützen, die nicht
rechtmäßig sind.
46. Der Vermeidung von Zwangsräumungen sollte vor der Umsiedlung Vorrang
eingeräumt werden.
47. Die Gesetze zur Zwangsräumung sollten klar die Verfahren für eine
Zwangsräumung festlegen und auch den zeitlichen Rahmen angeben, in dem Mieter
über eine anstehende Räumung informiert werden müssen.
48. Kommunale Behörden und die entsprechenden Organisationen der
Zivilgesellschaft sollten über anstehende Zwangsräumungen informiert werden,
damit sie den von der Räumung bedrohten Menschen Beratungs- und
Vermittlungsdienste und/oder Unterstützung anbieten können.
49. Es sollte eine eindeutige nationale Gesetzgebung bezüglich Zwangsvollstreckung und Zwangsräumung geben mit einer Rechtsberatung in Übereinstimmung
mit gesetzlich definierten Bedingungen für eine Umsiedlung/Umzug im Fall einer
unvermeidbaren Zwangsräumung und einem speziellen Schutz für Haushalte mit
Kindern und pflegebedürftigen Personen.
50. Im Fall von Haushalten, die von einer Zwangsräumung bedroht sind, sollten alle
entsprechenden Maßnahmen ergriffen werden, um den Zugang zu grundlegenden
Diensten sicherzustellen, die für eine würdevolle und normale Existenz notwendig
sind (i.e. Elektrizität, Wasser und Heizung, wo erforderlich).
51. Im Fall einer unvermeidbaren Zwangsräumung sollten sich die Wohnungsämter
und andere rechtlich zuständige Stellen in Zusammenarbeit mit den Sozialdiensten
und anderen zuständigen Organen bemühen, im Rahmen der gesetzlichen
Bestimmungen eine geeignete Lösung zu finden, bei der die betroffene Person mit
Respekt behandelt und ihr wieder ihre soziale Eingliederung ermöglicht wird.
52. Wo erforderlich, sollte eine Strategie verfolgt werden, um den inoffiziellen
Wohnungsmarkt neu zu ordnen, zu regulieren und Alternativen für illegales Wohnen
zu finden und nicht gewinnorientierte und partizipatorische Organe zu gründen.
VIII. Umgang mit Notfällen
53. Alle Regierungen sollten Unterbringung fördern und Basisdienste und
Einrichtungen für Bildung und Gesundheitsvorsorge für Obdachlose, Vertriebene,
Frauen und Kinder, die Opfer von familiärer Gewalt sind, sowie für Menschen mit
Behinderungen, ältere Menschen, Opfer von Natur- und menschlichen Katastrophen,
110
Anhängen
die sozial schwachen Gruppen angehören unterstützen, einschließlich der
Bereitstellung von Notunterkünften und der Grundversorgung von Flüchtlingen.
54. Regierungen sollten entsprechende Normen und Gemeindeverordnungen für
die Landnutzung und Bebauung verabschieden und umsetzen sowie
Planungsstandards einsetzen, die auf professionell begründeten Risiko- und
Bedürftigkeitsbewertungen basieren.
55. Die Regierungen sollten die Beteiligung aller benachteiligten Menschen an der
Katastrophenplanung und –leitung ermöglichen. Dabei muss die besondere dieser
Bevölkerungsteile gegenüber von Menschen verursachten und natürlichen
Katastrophen berücksichtigt werden.
56. In potenziellen Notgebieten sollten die Regierungen effektive Lösungen,
innovative Ansätze und angemessene Baustandards fördern und unterstützen, um
die Gefährdung sozial schwacher Gemeinden durch Risikoeinschätzung und die
Einrichtung von Programmen, die an der besonderen Bedürftigkeit dieser Menschen
ausgerichtet sind, zu minimieren.
57. Die Regierungen und andere zuständige Verwaltungsstellen müssen in der Lage
sein, rasch finanzielle Ressourcen bereitzustellen, die für die Umsetzung von
Notfallplänen und für Wiederaufbaumaßnahmen notwendig sind. Sie müssen
gleichzeitig sicherstellen, dass die besonderen Bedürfnisse von Frauen, Kindern,
Personen mit Behinderungen und benachteiligten Menschen bei allen
Kommunikationen, Rettungsmaßnahmen, Umsiedlungen, Instandsetzungen und
Wiederaufbaumaßnahmen berücksichtigt werden.
58. Die Regierungen sollten Ansätze identifizieren und unterstützen, die sich um die
Anforderungen an Notunterkünfte für Heimkehrer, im Land vertriebene Menschen
und Opfer von Naturkatastrophen drehen, einschließlich – wo zutreffend – dem Bau
temporärer Unterkünfte mit Grundausstattung unter Berücksichtigung
geschlechtsspezifischer Bedürfnisse.
59. Es sollte ein Überwachungsverfahren geben, das verfolgt, wie rechtliche und
administrative Verfahren im Notfall von den regionalen und kommunalen Behörden
befolgt werden.
IX. Empfehlungen für die zukünftige Arbeit des Europarats im Bereich Wohnen
60. Der CS-LO begrüßt die Entscheidung des CDCS, im Jahr 2002 eine neue
Expertengruppe über den Beitrag der Wohnungspolitik zum sozialen Zusammenhalt
einzusetzen. Auf der Grundlage der Ergebnisse des CS-LO könnte die Arbeit der
neuen Expertengruppe die folgenden Aufgaben umfassen:
– Vorbereitung einer Terminologieliste im Hinblick auf die Diskussion sozialer
Aspekte der Wohnungsbaupolitik in Europa;
– Vorlage entsprechender Hintergrundinformationen zum Überwachungsprozess
hinsichtlich Artikel 31 der revidierten Europäischen Sozialcharta über das „Recht
auf Wohnung“;
– besondere Beachtung der sub-regionalen Ebene, da ein Vergleich der politischen
Ansätze, Praktiken und Hilfsmaßnahmen in einer kleineren Gruppe von
Nachbarländern wichtige Erkenntnisse bringen könnte;
111
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
– Erwägung, mittelfristig gemeinsame Aktivitäten mit der UN-Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) (s. Absatz 66 unten) zu organisieren, mit Blick auf
die Erhöhung der Präsenz und des Einflusses dieser beiden Organisationen als zwei
der wichtigsten europäischen Akteure im Bereich Wohnungspolitik;
– Untersuchung des Umfangs der Zusammenarbeit mit den EU „National Housing
Focus Points“, insbesondere über die EU Wohnstatistiken im Hinblick auf die
Aufnahme von Indikatoren für sozialen Zusammenhalt in diese Statistiken;
– Entwurf eines Rahmens für die Überwachung und Bewertung der Umsetzung und
des Einflusses der vom CS-LO verabschiedeten Richtlinien.
61. Im Laufe seiner Arbeit fand der CS-LO viele Beispiele für die Interdependenz
zwischen Wohnungspolitik und anderen politischen Bereichen, die den Zugang zu
den sozialen Rechten, wie z. B. Sozialschutz, Beschäftigung, Gesundheit und Bildung
betreffen. Daher empfiehlt er der Redaktionsgruppe für den Bericht über den Zugang
zu sozialen Rechten (CS-ASR), dass der Bericht über den Zugang zu den sozialen
Rechten auf allen Ebenen die Entwicklung integrierter Ansätze durch die staatlichen
Stellen hinsichtlich des Zugangs zu den sozialen Rechten von benachteiligten
Menschen fördern sollte und spricht diesbezüglich Empfehlungen aus.
62. Die Beteiligung der NRO-Vertreter an der Arbeit des CS-LO wurde von allen
seinen Mitgliedern sehr geschätzt und sollte bei allen zukünftigen Aktivitäten zum
Thema Zugang zu den sozialen Rechten weitergeführt werden.
63. Die Indikatoren für sozialen Zusammenhalt, die momentan von der
Stabsabteilung zur Entwicklung des sozialen Zusammenhalts des Europarates
entwickelt werden, sollten auch jene Indikatoren einschließen, die die
Wohnungssituation in den Mitgliedstaaten berücksichtigen.
64. Der Europarat, wo möglich in Zusammenarbeit mit der Entwicklungsbank des
Europarates, sollte seine Hilfsaktivitäten im Wohnungsbereich auf der Ebene der
Mitgliedstaaten und der sub-regionalen Ebene beibehalten, insbesondere im Hinblick
auf die Verbesserung der Infrastruktur, den Abbau von Diskriminierung und
Ghettoisierung und in der Behandlung der Wohnsituation von Minderheiten,
Flüchtlingen und Vertriebenen.
65. Der Kongress der Gemeinden und Regionen in Europa, insbesondere über ihre
lokalen und regionalen Vertretungen seiner Kommission zum sozialen
Zusammenhalt, sollte Aktivitäten über die lokalen und regionalen Aspekte der
Wohnungsbaupolitik erwägen.
66. Die Ergebnisse der Arbeit des CS-LO sollte dem UNECE Ausschuss über
menschliche Siedlungen mitgeteilt werden, um die Kontakte zu nutzen, die vom
CS-LO geknüpft wurden. Der UNECE Ausschuss über menschliche Siedlungen leistet
wertvolle Arbeit über die wirtschaftlichen und technischen Aspekte der
Wohnungsbaupolitik, die die Arbeit des Europarates zu den sozialen Aspekten der
Wohnungsbaupolitik ergänzt.
67. Der Europarat sollte auch den Umfang für eine Zusammenarbeit mit dem
Sonderberichterstatter über das Recht auf Wohnung prüfen, der kürzlich vom Büro
des Hohen Kommissars für Menschenrechte (UNHCHR) ernannt wurde.
112
Anhängen
68. Insofern es die Informationen zur Wohnsituation in den europäischen Staaten
betrifft, empfiehlt der CS-LO, dass die Mitgliedstaaten des Europarates:
– die Vergleichbarkeit der Wohnstatistiken im Hinblick auf ihre Standardisierung auf
der Grundlage gemeinsamer europäischer Kriterien verbessern;
– Wege aufzeigen, wo notwendig, um die Staatsbeamten und die Öffentlichkeit
besser über internationale Verträge im Wohnungsbereich zu unterrichten, die von
ihren Staaten unterzeichnet wurden (insbesondere Artikel 31 der revidierten
Europäischen Sozialcharta).
113
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Anhang III
Leitlinien für die Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten
Die folgenden Leitlinien wurden von der Expertengruppe zum Zugang zum
Sozialschutz (CS-PS) verfasst. Ihr Zweck ist es, jenen Menschen, die die Bedingungen
für einen Anspruch von Leistungen erfüllen, aber Schwierigkeiten bei der
Beantragung haben, den Zugang zu diesen Sozialleistungen zu ermöglichen. Sie
sollen auch den Zugang zu den Sozialdiensten erleichtern. Sie basieren auf den
folgenden allgemeinen Grundsätzen:
– Die Ausübung eines Rechts setzt Kenntnisse über dieses Recht und ein
Bewusstsein hinsichtlich des Anspruchs und der Ausübung dieses Rechts voraus;
– allen Menschen, die einen solchen rechtmäßigen Anspruch haben, muss ein
effizienter Zugang zum Sozialschutz garantiert werden;
– Einrichtungen für Sozialschutz und Sozialdienste müssen zum Wohle der
berechtigten Personen arbeiten;
– den sozial schwächsten Berechtigten muss spezielle Aufmerksamkeit gewidmet
werden;
– tatsächliche Partnerschaften zwischen Einrichtungen für Sozialschutz und
Sozialdienste einerseits und verschiedenen Akteuren der Zivilgesellschaft
andererseits sind ein wesentlicher Bestandteil, um den Zugang zu den sozialen
Rechten zu verbessern;
– Um bedeutende Änderungen in der bestehenden Rechtsprechung zu vollziehen
oder wenn neue Leistungen eingeführt werden sollen, muss die Auswirkung
auf den Kampf gegen die Armut einer systematischen Bewertung unterzogen
werden.
I. Verbesserung der Kommunikation und Informationen über Rechte, Leistungen
und Dienste
1. Die Öffentlichkeit muss über alle erforderlichen Informationen über
Sozialleistungen und –dienste verfügen; die Verbreitung der Informationen sollte
Bestandteil einer effizienten Öffentlichkeitsarbeit und einer nationalen Informationspolitik sein;
– die Verbreitung von Informationen muss alle Berechtigten einschließen und es
müssen dabei so viele Informationskanäle wie möglich genutzt werden
(Versenden von Broschüren an die gesamte Bevölkerung, Fernsehen, Radio und
andere Werbeträger, Auslage von Broschüren an bestimmten öffentlichen Stellen,
freie Telefonleitungen, Tage der offenen Tür, Internet, usw.);
– diese Informationen sollten in mehreren Sprachen vorliegen (nationale
Minderheiten, Migranten);
– diese Informationen müssen auf Menschen mit Behinderungen zugeschnitten
werden (jene mit eingeschränkter Mobilität, Hör- und Sehbehinderungen);
– wenn Informationen in Form von Broschüren (Literatur) verteilt werden, müssen
diese klar, präzise und verständlich abgefasst sein und regelmäßig aktualisiert
werden;
114
Anhängen
– die Informationen müssen auch jene ansprechen, die im Umfeld von potenziellen
Leistungsberechtigten leben.
2. Berechtigte Personen müssen in der Lage sein, ihre Rechte leicht wahrzunehmen:
– Antragsformulare müssen kurz und prägnant, dem Antragsteller angemessen und
leicht auszufüllen sein;
– die beratende Funktion der Einrichtungen für Sozialschutz sollte verstärkt werden,
insbesondere beim Ausfüllen der Antragsformulare, wenn erforderlich, durch die
Anwendung eines proaktiven Ansatzes (kostenlose Callcenter, mobile Dienste);
– jeder ablehnende Bescheid muss immer Gründe aufführen, die klar und
verständlich verfasst sind, sowie die Vorgehensweise für einen Einspruch angeben;
– es muss die Möglichkeit einer mündlichen Erklärung bestehen;
3. Die staatlichen Stellen müssen der Qualität und Effizienz der Informationen
konstante Aufmerksamkeit schenken:
– Dienstleistungsanbieter sollten ein psychologisches Training absolvieren;
– es sollten regelmäßig Erhebungen durchgeführt werden, um die Effizienz der
Informationsverbreitung zu prüfen;
– es sollten regelmäßig Erhebungen durchgeführt werden, um die Zufriedenheit bei
den Leistungsberechtigten zu prüfen;
– Überprüfungen sollten durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass potenzielle
Empfänger Zugang zu den Leistungen haben, z. B. durch Vergleichen der
Budgetschätzungen mit den tatsächlich geleisteten Zahlungen;
– es sollten besondere mobile Einsätze durchgeführt werden, um die Personen
aufzuspüren, die ihre Rechte nicht wahrnehmen.
II. Verbesserung des Managements und der Organisation der Leistungsanbieter und
Sozialdienste
1. Die Einrichtung von Stellen für den Sozialschutz und Sozialdienste sollte den
Bedürfnissen der Leistungsberechtigten Rechnung tragen.
– Es ist eine klare Aufteilung der Verantwortung zwischen den verschiedenen
Organen und Diensten vorzunehmen. Dies muss allen betroffenen Organen und
Diensten mitgeteilt werden.
– Berechtigte Personen müssen sich der Existenz von Einrichtungen zum
Sozialschutz und von Sozialdiensten und ihrer jeweiligen Aufgaben bewusst sein,
wo erforderlich, durch die Einrichtung von Anlaufstellen („Alles in einem Haus“)
für die Leistungen und Sozialdienste oder andere Leistungen, die den Zugang zu
Sozialleistungen und -diensten erleichtern.
– Einrichtungen für den Sozialschutz und Sozialdienste müssen insbesondere auf die
Bedürfnisse von Menschen ausgerichtet werden, die ausgegrenzt werden;
– die Gebäude für Sozialschutz und Sozialdienste müssen allen offen stehen (den
Älteren, Menschen mit Behinderungen, Menschen mit kleinen Kindern);
– bei den Öffnungszeiten müssen die verschiedenen Bedürfnisse der Berechtigten
berücksichtigt werden;
115
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
– „mobile Sozialdienste“ müssen dort eingerichtet werden, wo sie notwendig sind;
– Informationstechnologie, insbesondere neue Technologien (Internet), muss zur
Verfügung gestellt oder genutzt werden, um den Zugang zu Sozialleistungen und
–diensten zu erleichtern, besonders den Menschen, die in entlegenen Gebieten
leben (geographisch isolierte Gebiete, ländliche Regionen).
2. Die Aufgaben der Stellen für den Sozialschutz und der Sozialdienste sollten den
Bedürfnissen der Leistungsberechtigten Rechnung tragen.(s.o.)
– Die verschiedenen Organe und Dienste sollten bei der Bearbeitung der Akten
der Berechtigten unter Berücksichtigung des Datenschutzes miteinander
kooperieren.(s.o.)
– Die Weise, in der sozial besonders schwache Personen empfangen werden,
insbesondere bei ihrem ersten Besuch, ist wesentlich, da ihr Vertrauen in die
Institution von diesem Besuch abhängt; aus diesem Grund sollte das Personal über
die entsprechenden beruflichen und zwischenmenschlichen Fähigkeiten verfügen;
– die Ausbildung des Personals, das in Kundenkontakt tritt, sollte insbesondere die
Vermeidung von Diskriminierung beherrschen und sich der Bedürfnisse von
Menschen bewusst sein, die ausgegrenzt werden. Das Personal sollte interkulturelles Training erhalten, das auf Migranten und Minderheiten zugeschnitten
ist, mit denen sie zu tun haben;
– Einrichtungen für Sozialschutz und Sozialdienste sollten mit Dolmetschern und
Mediatoren zusammenarbeiten und, wenn möglich, auf Personen, die
Minderheiten angehören oder auf Migranten zurückgreifen, mit denen sie in
Kontakt sind, um die Kommunikation mit diesen Menschen zu erleichtern.
3. Einrichtungen für Sozialschutz und Sozialdienste tragen Verantwortung
hinsichtlich der Empfänger und sollten sich dieser Tatsache bewusst sein:
– Einrichtungen des Sozialschutzes und Sozialdienste sollten effizient arbeiten,
insbesondere im Hinblick auf Zeit und Leistung;
– es sollten Mechanismen eingeführt werden, um zu bewerten, ob die
Sozialschutzorgane und Sozialdienste in dieser Hinsicht ihre Verantwortlichkeiten
effizient erfüllen.
III. Verbesserung der Partnerschaften zwischen Einrichtungen des Sozialschutzes,
Diensten, NROs und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft
Partnerschaften müssen im weitesten Sinne verstanden werden: als Partnerschaften
mit Organisationen, die die Zivilgesellschaft, kommunale Behörden, Sozialpartner
und den Privatsektor vertreten sowie Partnerschaften mit den Leistungsberechtigten,
um die Partizipation und die Ermächtigung dieser Menschen zu fördern.
1.
Die Partizipation aller Akteure muss erleichtert werden:
– Partizipation und Mitsprache von Individuen, die ausgegrenzt sind, sollte ermutigt
werden, insbesondere im Hinblick auf politische Ansätze und Initiativen, die sie
betreffen;
– die Bedeutung von freiwilliger Arbeit sollte anerkannt werden: Freiwillige arbeiten
vor Ort und ihre Erfahrungen sollten bei der Erstellung neuer Maßnahmen berücksichtigt werden.
116
Anhängen
2. Die Rolle der NROs und anderer Akteure der Zivilgesellschaft muss anerkannt
und ihre Arbeit unterstützt werden:
– Die Existenz von NROs sollte rechtlich anerkannt werden;
– die Arbeit der NROs und anderer Akteure sollte gefördert und unterstützt werden,
aber es darf nicht ihre Aufgabe sein, Mängel seitens der Einrichtungen für
Sozialschutz und der Sozialdienste auszugleichen;
– die Erfahrungen der NROs und anderer Akteure, und insbesondere ihre
„Warnfunktion“, sollten beim Entwurf politischer Ansätze, die auf die Sicherung
des Zugangs zum Sozialschutz abzielen, berücksichtigt werden.
3. Partnerschaften mit NROs und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft müssen
gefördert werden:
– Es sollte die Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen für Sozialschutz und
Sozialdiensten einerseits und den NROs und anderen Akteuren andererseits
gefördert werden, um so die Interaktion zwischen dem sozialen Sicherungssystem
und dem Freiwilligensektor zu stärken;
– die Konsultation aller Partner sollte so weit wie möglich verstärkt werden, wenn
Reformen des sozialen Sicherungssystems durchgeführt werden;
– NROs und andere Akteure müssen als Partner bei der Umsetzung und Bewertung
von Maßnahmen, die auf die Verbesserung des Zugangs zum Sozialschutz
abzielen, anerkannt werden.
117
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Anhang IV
Leitlinien für lokale Beschäftigungsinitiativen
Die folgenden Leitlinien für lokale Beschäftigungsinitiativen wurden von der
Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zur Beschäftigung (CS-EM) verfasst. Ihr
primärer Zweck ist es, das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit zu behandeln.
Lokale Partnerschaften
1. Ein vielschichtiger und inklusiver Ansatz ist bei den Partnerschaften für lokale
Beschäftigungsprogramme wesentlich. Partnerschaften sollten eine möglichst große
Bandbreite von Organisationen umfassen, einschließlich Zentral-, Regional- und
Kommunalregierungen, der für die Zahlung von Sozialleistungen zuständigen
Organe, Arbeitgeber und Unternehmensverbände, Gewerkschaften, NROs und
Organisationen der Zivilgesellschaft und einschließlich jener, die Arbeitslose und
ethnische Minderheiten vertreten.
2. Diese Partnerschaften sollten sich um die Förderung einer Politik der Integration
und des Zusammenhalts zwischen nationalen, regionalen und kommunalen
Beschäftigungsprogrammen bemühen, wie z.B. die Koordinierung von Beschäftigungsund Arbeitsmarktbestimmungen mit Geschäften, Infrastruktur und Entwicklung.
3. Adäquate und nachhaltige Finanzierung ist wesentlich für den Erfolg lokaler
Partnerschaften für Beschäftigung.
Chancengleichheit für Mann und Frau
4. Chancengleichheit für Mann und Frau sollte in allen lokalen Beschäftigungsinitiativen Priorität genießen.
5. Wo erforderlich, sollten wirtschaftlich benachteiligte Frauen, besonders jene mit
Familie oder Pflegeverantwortung, Zugang zu spezieller Ausbildung und anderen
Hilfsprogrammen haben, die speziell auf ihre besonderen Lebensumstände
zugeschnitten sind, d.h., erschwingliche, leicht erreichbare und gute Tagesstätten für
Kinder und andere Pflegebedürfnisse.
6. Die Arbeitsorganisation sollte flexible Arbeitszeitmodelle für Frauen und Männer
gestatten, z.B. Teilzeitarbeit und flexible Arbeitszeiten, damit sie ihrer familiären und
pflegerischen Verantwortung nachkommen können.
Nichtdiskriminierung von benachteiligten Gruppen
7. Der Zugang zu und die Teilnahme an den lokalen Beschäftigungsprogrammen
darf nicht aufgrund von Behinderung, Abstammung, Alter oder aus anderen
Gründen diskriminierend gestaltet sein.
8. Während der Grundsatz der Nichtdiskriminierung anerkannt ist, ist es doch
manchmal notwendig, eine positive Diskriminierung bestimmter Gruppen durch
gezielte Programme durchzuführen, um deren Langzeitarbeitslosigkeit zu
bekämpfen.
118
Anhängen
9. Eine Richtlinie zur Chancengleichheit beim Zugang zu lokalen Einrichtungen –
Ausbildungsprogramme, Berufsberatung, Leistungen der Wohnungs-, Gesundheitsämter
und Sozialdienste, etc. – sollte integraler Bestandteil beim Entwurf und der
Umsetzung lokaler Beschäftigungsinitiativen sein.
Unternehmertum
10. Für jene, die ihr eigenes kleines Unternehmen starten möchten, sind, um den
Erfolg sicherzustellen, Beratung und Ausbildung in Unternehmensfragen, Finanz-,
Rechts-, Marketing- und technische sowie Personalmanagementfragen ebenso
wichtig wie die kontinuierliche Unterstützung durch die entsprechenden lokalen und
staatlichen Behörden. Dies sollte entweder kostenlos oder zu geringen Kosten den
beginnenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden.
11. Freiwillige und Selbsthilfe-Projekte sollten besonders unterstützt werden, da sie
häufig enger an der lokalen Situation ausgerichtet sind und die Bedürfnisse der
lokalen Gemeinden erfüllen, die nicht durch den profit-orientierten Privatsektor oder
durch staatliche Einrichtungen abgedeckt werden.
12. Der Zugang zu einer angemessenen, erschwinglichen und nachhaltigen
Finanzierung ist ebenfalls für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens wichtig.
Eine solche Finanzierung sollte leicht zugänglich sein, ob durch staatliche Quellen,
den kommerziellen Banksektor, Kreditanstalten oder andere alternative
Finanzierungsquellen oder eine Kombination derselben.
13. Unternehmer müssen sich ihrer Rechte und Pflichten bezüglich Steuern,
Sozialversicherung und Arbeitsrecht bewusst sein und Zugang zu diesbezüglichen
Informationen erhalten.
14. Programme zur Unternehmensgründung müssen kontinuierlich überwacht und
bewertet werden. Dies ermöglicht, die verschiedenen Ansätze und Methoden an
veränderte Bedürfnisse und Probleme anzupassen, die möglicherweise an anderer
Stelle verwendet werden können – der sogenannte „Multiplikatoreffekt“.
Programme müssen zumindest regelmäßig überprüft werden, um ihre Effizienz
sicherzustellen und Probleme oder Mängel zu korrigieren.
Bildung, Ausbildung und lebenslanges Lernen
15. Ausbildung und Umschulungen in Fachbereichen, die für die Erfordernisse
des lokalen Arbeitsmarktes relevant sind, stellen wesentliche Elemente jeder
Beschäftigungsinitiative dar. Lokale Bildungs- und Ausbildungsbestimmungen
können jedoch nicht isoliert von allgemeinen Arbeitsplatz- und Geschäftsentwicklungen formuliert werden. Dementsprechend muss bei der Bereitstellung
solch einer Ausbildung/Umschulung die sich wandelnde Natur der Arbeit
berücksichtigt werden, und ein Schlüsselelement der Bildungs- und
Ausbildungsrichtlinien muss der Bedarf an Ausbildungsprogrammen sein, die die
Arbeiter mit Geschäfts- und technischen Kenntnissen ausstattet, die auch im Kontext
des allgemeinen nationalen und globalen Arbeitsmarktes gewinnbringend sind.
16. Um den Bedarf an nachhaltig langfristigen Beschäftigungsmöglichkeiten zu decken,
ist eine größere Kooperation zwischen den lokalen Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen, den lokalen Arbeitsämtern, den lokalen Regierungsstellen, den lokalen
119
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Unternehmen und den Vertretern der Sozialpartner bei der Entwicklung von
Bildungs- und Ausbildungsrichtlinien erforderlich, in Abstimmung mit den verfügbaren
Ressourcen und den Anforderungen des Arbeitsmarktes vor Ort und/oder in der
Region.
17. Alle Bildungs- und Ausbildungsprogramme sollten Lerneinheiten im Bereich
zwischenmenschliche und soziale Fähigkeiten, Arbeitsplatzsuche und Karriereplanung und Entwicklung einschließen, in Abstimmung mit den Grundsätzen des
„lebenslangen Lernens“ und der informellen Bildung.
18. Es muss den Arbeitern Gelegenheit gegeben werden sicherzustellen, dass ihre
Fähigkeiten und Qualifikationen auch weiterhin für die sich verändernden
Anforderungen des Arbeitsmarktes relevant bleiben. Dies sollte über nationale Ausbildungsprogramme geschehen, unterstützt durch kommunale Partnerschaften und
Unternehmen. Lebenslanges Lernen ist für jene Arbeiter eine Notwendigkeit, die mit
den ständigen Änderungen in Technologie und auf den Märkten Schritt halten
möchten.
19. Alle Bildungs- und Ausbildungsprogramme sollten daher als Mittel für die
Unterstützung der Eingliederung/Wiedereingliederung der Teilnehmer in die
Arbeiterschaft ein „Praktikum“ und das Einbringen von Berufserfahrung beinhalten.
20. Es ist wesentlich, dass staatliche Arbeits- und kommunale Beschäftigungsprogramme die Fähigkeiten fördern, die die Teilnehmer in die Lage versetzen, nach
Abschluss des Programms eine Beschäftigung zu suchen.
Überwachung und Bewertung
21. Als Teil des Entwurfs einer lokalen Beschäftigungsinitiative sollte diese ein
anerkanntes Überwachungssystem einschließen. Dieser Prozess sollte an realistischen
Zielvorgaben ausgerichtet sein; er sollte quantifizierbar sein, Daten und
Informationen liefern, die einen Mehrwert für den Entwurf und die Umsetzung
zukünftiger Programme darstellen. Er sollte in den politischen Entscheidungsprozess
eingebettet sein.
22. Die Ergebnisse der Programmbewertungen sollten auf nationaler Ebene
und/oder grenzübergreifend einem Vergleich mit anderen Projekten unterzogen
werden, was wertvolle Daten über die Effizienz der Programme liefern und eine
präzisere Verwendung finanzieller und menschlicher Ressourcen erlauben würde.
23. Bei der Beurteilung lokaler Beschäftigungsprogramme sollte auch berücksichtigt
werden, wie die Zielgruppen und einzelnen Teilnehmer die Effizienz der Programme
bewerten.
120
Anhängen
Anhang V
Empfehlung Rec(2001)12
des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten
über die Anpassung der Gesundheitsversorgung an die Nachfrage
nach der Gesundheitsversorgung und die Gesundheitsdienste
für Menschen am Rande der Gesellschaft
(durch das Ministerkomitee beim 768. Treffen der Stellvertreter der Minister
am 10. Oktober 2001 verabschiedet)
Das Ministerkomitee, gemäß Artikel 15.b der Satzung des Europarates,
unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Ziel des Europarates ist, eine größere
Einigkeit unter den Mitgliedern zu erreichen und dass dieses Ziel, inter alia, besonders
durch die Annahme gemeinsamer Regeln im Gesundheitswesen verfolgt werden
kann;
angesichts der Tatsache, dass immer mehr Menschen in den Mitgliedstaaten am
Rande der Gesellschaft leben;
unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Probleme, die spezifisch sind für Menschen
am Rande der Gesellschaft, ernste Folgen für ihre Gesundheit haben und dass dies
ein immer wichtiger werdendes Problem des staatlichen Gesundheitswesens und eine
ernste und kostenintensive Bürde für das Individuum, die Familie, die Gemeinschaft
und den Staat darstellt;
in Anerkennung, dass angesichts der Ungleichheiten im Gesundheitsbereich in den
europäischen Staaten jede diesbezügliche und effiziente Gesundheitspolitik nicht nur
die Gesundheitsprobleme der Menschen am Rande der Gesellschaft, sondern auch
jene von Menschen in unsicheren Lebensbedingungen berücksichtigen muss, wobei
die Gesundheitsvorsorge ein Schlüsselelement einer solchen Politik sein muss;
unter Beachtung, dass es heute weitestgehend belegt ist, dass psychischer Stress, der
von Menschen, die in solch unsicheren Lebensbedingungen leben, Auswirkungen auf
deren physische und geistige Gesundheit nimmt;
in Anerkennung der Notwendigkeit von politischen Richtlinien, die darauf abzielen,
die Gesundheitsprobleme von Menschen am Rande der Gesellschaft zu verhindern,
unter Berücksichtigung der Notwendigkeit nach Schutz der Privatsphäre aller
beteiligten Personen und der Vertraulichkeit;
in Anerkennung des Rechts von Menschen, die in unsicheren Lebensbedingungen
leben, auf ein Leben unter Bedingungen, die ihrer angemessenen Entwicklung
förderlich sind, frei von physischer und psychischer Belastung, sozialer Isolierung,
psychosomatischen Symptomen, die auf Stress und andere Formen der
Beeinträchtigung zurückzuführen sind;
in Erinnerung an Artikel 11 der Europäischen Sozialcharta über das Recht auf
Gesundheitsvorsorge und Artikel 3 der Konvention über Menschenrechte und
Biomedizin über den gleichen Zugang zur Gesundheitsvorsorge;
121
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
bezugnehmend auf die Ljubljana Charta über Gesundheitsreformen von 1994 und
die Kopenhagener Erklärung zur Reduzierung sozialer Ungleichheit im Gesundheitswesen vom September 2000;
bezugnehmend auf die Empfehlungen des Ministerkomitees Nr. R(2000) 5 über die
Entwicklung von Strukturen für die Beteiligung von Bürgern und Patienten an
Entscheidungsprozessen im Gesundheitswesen, Empfehlung Nr. R (97) 4 über die
Sicherung und Förderung der Gesundheit alleinerziehender Eltern und Empfehlung
Nr. R (98) 7 über die ethischen und organisatorischen Aspekte der Gesundheitsvorsorge in Gefängnissen;
im Bewusstsein, dass Maßnahmen, die primär auf die Reduzierung der
Gesundheitsprobleme von Menschen abzielen, die in unsicheren Lebensbedingungen
leben, erheblich von der Situation außerhalb der normalen Sphäre der Gesundheitsund Sozialleistungen abhängen;
unter Berücksichtigung, dass es Ziel und Pflicht des Staates ist, die allgemeinen
sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für das Gesundheitswesen zu
beeinflussen, die letztendlich die schlechtere Gesundheit von Menschen am Rande
der Gesellschaft bestimmen;
unter Berücksichtigung, dass es ebenfalls die Verantwortung des Staates ist,
sicherzustellen, dass Bestimmungen im Gesundheitswesen in zusammenhängender
Weise entwickelt werden, um das Potenzial für eine gesundheitliche Verbesserung zu
erhöhen und nachteilige Auswirkungen auf die Gesundheit zu verhindern;
in Kenntnis des Projekts des Europarates über Menschenwürde und soziale
Ausgrenzung und der auf der Helsinki-Konferenz 1998 verabschiedeten
Aktionsvorschläge;
in Kenntnis der WHO-Initiative über Partnerschaften für Gesundheit und gegen
Armut und der Stellungsnahme der Europäischen Kommission über den „Aufbau
eines eingliedernden Europas“ und des Programms der Gemeinschaftsaktion zur
Förderung der Kooperation unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur
Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung;
in Kenntnis der Charta der Grundrechte der Europäischen Union:
empfiehlt den Regierungen der Mitgliedstaaten:
i. einen zusammenhängenden und umfassenden politischen Rahmen zu entwickeln,
der
– die Gesundheit von Menschen sichert und fördert, die in unsicheren Lebensbedingungen leben;
– die Menschenwürde schützt und soziale Ausgrenzung und Diskriminierung
verhindert;
– eine zuträgliche Umwelt für die soziale Eingliederung von Menschen sicherstellt,
die am Rande der Gesellschaft oder in unsicheren Lebensbedingungen leben;
ii. ihre Gesetzgebung stärkt und durchsetzt, um den Schutz der Menschenrechte, die
soziale Solidarität und Gleichheit sicherzustellen;
122
Anhängen
iii. die bereichsübergreifende Kooperation zur Steigerung der Fähigkeit ihrer
Sozialsysteme verbessert, gesundheitliche Probleme bei Menschen zu verhindern, die
in unsicheren Lebensbedingungen leben. Dieser Ansatz sollte eindeutig die Rolle,
Verantwortlichkeiten und die Koordinierung der verschiedenen beteiligten Stellen
und sozialen Einrichtungen spezifizieren, um zu verhindern, dass diese Menschen an
den Rand der Gesellschaft gedrängt werden;
iv. die Entwicklung umfassender, wirkungsvoller und effizienter Gesundheitssysteme
für eine zeitige und adäquate Reaktion auf medizinische Bedürfnisse ermöglicht, um
Gleichheit und gleichen Zugang zur Gesundheitsvorsorge sicherzustellen, unter
Berücksichtigung der gesundheitlichen Bedürfnisse und der verfügbaren Ressourcen,
und um in der Lage zu sein, die gesundheitlichen Probleme von Menschen am Rande
der Gesellschaft zu identifizieren, zu beurteilen und zu behandeln;
v. und zu diesem Zweck die im Anhang zu dieser Empfehlung aufgeführten
Maßnahmen zu ergreifen, wo immer sie angemessen erscheinen.
Anhang zur Empfehlung Rec(2001)12
I. Grundsätze
Die Regierungen werden aufgerufen, im Rahmen der von der Weltgesundheitsorganisation bei der Ottawa-Konferenz von 1986 verabschiedeten Grundsätze eine
Sozial-/ Gesundheitspolitik zu entwickeln, um unsichere Lebensbedingungen zu
verhindern und damit die Gefahr, an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden,
zu begrenzen.
Bei der Anpassung des Gesundheitswesens und der Sozialleistungen an die Bedürfnisse
von Menschen, die am Rande der Gesellschaft oder in unsicheren Bedingungen leben,
sollten die Regierungen der Mitgliedstaaten eine Anzahl von Kriterien bedenken:
1. Die Richtlinien sollten den vom Europarat vertretenen Werten entsprechen:
Menschenrechte und Rechte der Patienten, Menschenwürde, sozialer Zusammenhalt,
Demokratie, Gleichheit, Solidarität, Gleichheit der Geschlechter, Partizipation,
Entscheidungsfreiheit – ausgewogen durch die Verpflichtung, seine eigene Gesundheit
zu schützen.
Um effizient zu sein, muss jede Gesundheitspolitik, besonders wenn sie sich an den
Bedürfnissen von Menschen am Rande der Gesellschaft ausrichtet, auf einem
integrierten Ansatz basieren und mit Maßnahmen zum Sozialschutz beginnen.
Diesen Menschen sollte ein regelmäßiges Mindesteinkommen zugestanden werden.
2. Eine der besten politischen Ansätze (neben der Anhebung des
Lebensstandards), ihre Gesundheit zu verbessern und ein Abgleiten an den Rand der
Gesellschaft zu vermeiden, ist die Sicherstellung eines gleichen Zugangs zu den
Sozial- und Gesundheitsdiensten für alle, ungeachtet seines/ihres wirtschaftlichen
oder rechtlichen Status. Der Ansatz sollte der Tatsache Rechnung tragen, dass neue
Gruppen und Personen jederzeit an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden
können.
123
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
3. Soziale und wirtschaftliche Präventivmaßnahmen, die ein Abgleiten in die
Randlage verhindern, sollten von den Regierungen und Gesellschaften als Priorität
behandelt werden.
4. Langfristige Ansätze zur Verbesserung der sozialen und gesundheitlichen
Bedingungen für Menschen am Rand der Gesellschaft oder in unsicheren
Lebensbedingungen, können nicht ohne deren Beteiligung und Zustimmung
umgesetzt werden. Sie sollten daher als verantwortliche Menschen betrachtet
werden, die in der Lage sind, ihre Eigenverantwortlichkeit anzunehmen, und sie
sollten so weit wie möglich in den Entscheidungsprozess involviert werden.
5. Um Stigmatisierung zu verhindern, sollten die Mitgliedstaaten sich in
langfristiger Sicht bemühen, die Bedürfnisse von Menschen am Rande der
Gesellschaft im Rahmen bestehender Gesundheitssysteme zu erfüllen. Sie sollten
einen gleichen Zugang zu den nationalen Gesundheitsressourcen für alle
sicherstellen, was durchaus die positive Diskriminierung in Form gezielter
Maßnahmen erfordern kann, die zeitlich und vom Umfang her begrenzt sind und
vollständig in die normalen Dienste der Gesundheitsvorsorge integriert werden.
6. Es gibt keine spezielle Krankheit der Armen. Menschen, die am Rande der
Gesellschaft leben, leiden an denselben Krankheiten wie der Rest der Bevölkerung,
aber in disproportionalem Verhältnis.
7. Die Sozial- und Gesundheitsrichtlinien müssen als Ziel haben, die Verarmung
und die schlechte Gesundheit zu vermeiden, wo neben den gesundheitlichen und
sozialen Belangen auch andere Bereiche eine Rolle spielen. Alle Richtlinien müssen im
Hinblick auf ihre Auswirkung auf den sozialen Zusammenhalt, soziale Ausgrenzung
und Gesundheit geprüft und beurteilt werden. Dies impliziert bereichsübergreifende
Aktionen und die Überprüfung aller Richtlinien, einschließlich der Wirtschafts- und
Handelsrichtlinien, im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf das gesellschaftliche
Allgemeinwohl, Gesundheit, Gleichheit und die Marginalisierung von Menschen.
8. Das Gesundheitswesen muss auf dem Gleichheitsprinzip basieren, das gemäß
dem Bedürfnis und der Finanzierung der Versorgung den gleichen Zugang zur
Versorgung garantiert, ungeachtet der Tatsache, ob jemand in der Lage ist zu
bezahlen.
9. Die Prävention, Gesundheitsförderung und sozialen Maßnahmen für
Menschen, die am Rande der Gesellschaft oder in unsicheren Lebensbedingungen
leben, sollten integraler Bestandteil der nationalen und kommunalen Sozial/Gesundheitspolitik sein.
10. Kinder sind in ärmlichen Bedingungen besonders anfällig. Regierungen sollten
diesen eine besondere Aufmerksamkeit widmen, um sicherzustellen, dass sie von
speziellen Schutzmaßnahmen im Sozial-/Gesundheitswesen profitieren.
11. Die Regierungen müssen kritische Lücken und Hindernisse beim Zugang zu den
Gesundheitsdiensten identifizieren - rechtliche, soziale, wirtschaftliche, kulturelle,
administrative und/oder physische Hindernisse. Initiativen und Programme müssen
umgesetzt werden, um diese Hindernisse abzubauen, da sie häufig die Ungleichheit
verstärken.
124
Anhängen
12. Angemessene Richtlinien müssen entwickelt werden, um das Gesundheitswesen
an die Bedürfnisse der Menschen anzupassen, die am Rande der Gesellschaft oder in
unsicheren Lebensbedingungen leben. Eine weitere Ausführung und Umsetzung
dieser Richtlinien muss die entscheidende Rolle der Zivilgesellschaft und der NROs
beim Umgang mit sozialen Ungleichheiten berücksichtigen.
II. Entwicklung einer integrierten und umfassenden Sozial-Gesundheitspolitik
Die Entwicklung einer integrierten Sozial-/Gesundheitspolitik im Rahmen der
Ottawa-Charta beinhaltet Maßnahmen, die offensichtlich die Kapazitäten des
Gesundheitsbereiches allein übersteigen. (“Die grundsätzlichen Bedingungen und
Ressourcen für Gesundheit sind Frieden, Unterkunft, Bildung, Nahrung, Einkommen,
ein stabiles Ökosystem, nachhaltige Ressourcen, soziale Gerechtigkeit und Gleichheit.
Eine Gesundheitsfördermaßnahme heißt: den Aufbau einer gesunden staatlichen
Richtlinie, die Schaffung eines unterstützenden Umfelds, die Stärkung gemeinschaftlicher Aktionen, die Entwicklung persönlicher Fähigkeiten, die Neuorientierung
der Gesundheitsdienste.“) Diese Maßnahmen sollten von den nationalen und
regionalen Bedingungen abhängen und u.a. Folgendes beinhalten:
– allgemeine Schulpflicht, einschließlich Gesundheitsunterricht von der frühen
Kindheit an;
– ein Umfeld, das geeignete Arbeitsplätze und berufliche Aktivitäten bietet;
– angemessenes Wohnen und
– weitere Maßnahmen, die einen ausreichenden Sozialschutz sicherstellen.
Diese Fragen werden momentan vom Komitee für sozialen Zusammenhalt
untersucht, um eine umfassende Empfehlung über den Zugang zu den sozialen
Leistungen und Diensten zu entwickeln.
Im Gesundheitswesen sollte primär das Ziel verfolgt werden, die Verfügbarkeit und
Bezahlbarkeit von medizinischen Diensten für alle sicherzustellen.
Die Gesundheitspolitik sollte formuliert und umgesetzt werden, um die primäre
Gesundheitsvorsorge dergestalt zu verändern, dass sie in verbesserter Form auf die
Bedürfnisse der vielfältigen sozialen und kulturellen Gruppen eingehen kann. Sie
sollte allen Menschen Dienste in angemessener Qualität anbieten, u.a. auch
Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge.
Es sollte sich speziell um die Entwicklung einer besonderen präventiven Richtlinie für
die sozial schwächsten Menschen bemüht werden, einschließlich Arbeitslose und
deren Familien, junge Alleinerziehende, Behinderte, Flüchtlinge, Migranten und
Häftlinge. Geisteskrankheiten sollte besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden,
da sie häufig Menschen betreffen, die in schlechten sozioökonomischen
Bedingungen, Armut und Ausgrenzung leben.
Programme zur Gesundheitsförderung sollte auch Menschen am Rande der
Gesellschaft erreichen und sollten in Zusammenarbeit mit ihnen entwickelt werden
und für sie akzeptabel sein.
Während alle Altersgruppen als Zielgruppen behandelt werden sollten, muss
insbesondere die frühe Kindheit, von der Schwangerschaft bis zum Einschulungsalter,
bevorzugt behandelt werden.
125
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Allen Kindern sollte ein vollständiges Impfprogramm und gleicher Zugang zu
pädiatrischer medizinischer Versorgung und allen Frauen vorgeburtliche,
geburtsbegleitende und postnatale Versorgung in angemessenen medizinischen
Einrichtungen angeboten werden.
Vorsorgeuntersuchungen und Rehabilitationsmaßnahmen müssen allen offen stehen,
unabhängig von seinem/ihrem wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Status. Der
physische Zugang zu allen Einrichtungen muss behindertengerecht gestaltet sein.
Jede Person muss über denselben Zugang zu Heilmaßnahmen verfügen,
einschließlich einer Zweit- und Drittversorgung im Krankenhaus, in die Menschen am
Rande der Gesellschaft in der Regel bei Notfällen eingeliefert werden.
III. Entwicklung besonderer Maßnahmen zur Sicherung der Gleichheit
Bei der Entscheidung und Umsetzung besonderer Maßnahmen zur Verbesserung des
Zugangs zur medizinischen Versorgung von Menschen, die am Rande der
Gesellschaft oder in unsicheren Bedingungen leben, müssen sich die Regierungen vor
allem mit der Gefahr der Stigmatisierung dieser Menschen beschäftigen. Zusätzlich
und weil es das Ziel ist, allen einen gleichen Zugang zur medizinischen Versorgung zu
ermöglichen, können für eine begrenzte Zeit und im Rahmen der normalen
medizinischen Versorgung positive diskriminierende Maßnahmen durchgeführt
werden.
1. Zugang zu Diensten und Programmen für Vorsorge, Gesundheitsförderung und
Heilung
– Es müssen regional/lokal Systeme zur Identifizierung von Menschen entwickelt
werden, die am Rande der Gesellschaft leben.
– Schwerpunkt sollte hierbei ein Netzwerk für die primäre medizinische Versorgung
sein, das Menschen am Rande der Gesellschaft bezahlbare medizinische
Versorgung ermöglicht.
– Dienste zur Gesundheitsförderung und Prävention müssen auf lokaler Ebene
organisiert werden, mit einem besonderen Schwerpunkt auf mobile Dienste für
Menschen am Rande der Gesellschaft.
– Bereitstellung und Ausführung von Notfalldiensten sollten nicht von einer
Vorauszahlung abhängig sein, sondern garantiert werden, ungeachtet der
Tatsache, ob eine Person in der Lage ist, diese Dienste zu bezahlen.
– Innovative organisatorische Ansätze, die auf die Verbesserung der Flexibilität der
medizinischen Versorgung abzielen (Anpassung der Öffnungszeiten, telefonische
Terminabsprachen etc.), müssen unterstützt werden.
– Sondermaßnahmen zur Finanzierung von Diensten zur medizinischen Grundversorgung für Menschen in illegalen Situationen müssen verabschiedet werden.
– Menschen, die am Rande der Gesellschaft oder in unsicheren Bedingungen leben,
sind häufig schlecht informiert. Die Kommunikation muss verbessert werden, um
sie über bestehende Programme und Dienste zu informieren und darüber, wie sie
diese erhalten können.
– Fachleute aus dem Gesundheitsbereich sollten als Sprecher für Menschen
auftreten, die am Rande der Gesellschaft leben und im allgemeinen nur einen
126
Anhängen
geringen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Diese Rolle könnte
Lobbyarbeit bei den Behörden, Politikern und internationalen Organisationen
beinhalten, um den Zugang zu Diensten im Gesundheitsbereich für diese
Menschen zu verbessern.
– Es sollte für jene Menschen, die in illegalen Situationen leben, eine medizinische
Versorgung angeboten werden, unter Wahrung der Anonymität.
2.
Besondere Bevölkerungsgruppen
Gesundheitsdienste sollten für alle Menschen offen stehen, aber besondere Aufmerksamkeit sollte jenen gewidmet werden, die in unsicheren Bedingungen leben,
wobei eine Stigmatisierung zu vermeiden ist.
– Frauen, die in unsicheren Bedingungen leben, weisen eine höhere Rate von
Frühgeburten und Totgeburten auf, daher sollten sie von besonderer sozialer/
medizinischer Begleitung während der Schwangerschaft und der Geburt profitieren.
– Kinder mit sozialen/familiären Risikofaktoren müssen besondere Aufmerksamkeit
durch Sozial-/Gesundheitsdienste erhalten.
– Familien mit wirtschaftlichen und/oder sozialen Schwierigkeiten müssen
Unterstützung bei der Bildung ihrer Kinder erhalten, mit besonderer Betonung auf
Maßnahmen, von denen die betroffenen Kinder direkt profitieren
(Bildungsangebote, Lebensmittelkarten, etc.).
– Besondere soziale/medizinische Dienste sollten auf kommunaler Ebene für junge
Menschen umgesetzt werden, die familiäre/soziale Risikofaktoren aufweisen, mit
besonderer Betonung von Informationen hinsichtlich Familienplanung,
Geschlechtskrankheiten, HIV/Aids, Verkehrsunfällen, Selbstmord, Drogenmissbrauch, Alkohol, etc. Ihr allgemeiner körperlicher und psychosozialer
Gesundheitszustand sollte regelmäßig geprüft werden.
– Soziale/medizinische Dienste sollten den Bedürfnissen behinderter Menschen
besondere Aufmerksamkeit widmen, was auch immer die Gründe für diese
Behinderung sind.
– Besondere Aufmerksamkeit sollte den Bedürfnissen von Menschen am Rande der
Gesellschaft geschenkt werden, die an chronischen Erkrankungen und
Stoffwechsel- und neurologischen Krankheiten leiden.
– Richtlinien zur Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz müssen für jene
Arbeitsplätze entwickelt werden, die extreme gesundheitliche Belastungen aufweisen.
– Häftlinge und deren Kinder, die in kollektiven Einrichtungen leben, sollten dieselbe
qualitativ gute medizinische Versorgung erhalten wie außerhalb der Gefängnisse.
– Bei unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen, einschließlich Flüchtlingen, vor
kurzem zugezogenen Migranten etc., muss vor allem der spezifischen kulturellen
Dimension von Gesundheit Rechnung getragen werden.
– Einige grundlegende soziale/medizinische Dienste sollten Fachleute beschäftigen,
die aus den jeweiligen Bevölkerungen stammen.
– Die medizinische Versorgung älterer Menschen, die in unsicheren Bedingungen
leben, sollte innerhalb der Gemeinde durch besonders geschulte Sozialarbeiter und
Mediziner entwickelt werden.
– Sonderdienste sollten für Alkohol- und Drogenabhängige eingerichtet werden.
127
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
IV. Verbesserung der medizinischen Kenntnisse von Menschen, die in unsicheren
Bedingungen leben
Die Regierungen sollten die medizinischen Kenntnisse von Menschen, die in
unsicheren Bedingungen leben, hinsichtlich ihrer speziellen medizinischen Bedürfnisse
verbessern. Es besteht ein Bedarf an der routinemäßigen Erfassung standardisierter
und vergleichbarer Daten auf der Grundlage gemeinsamer Definitionen.
Medizinische und soziale Indikatoren sollten miteinander verknüpft werden. Ein
Überwachungs- und Begleitsystem sollte entwickelt werden, was zu regelmäßigen,
wenn möglich jährlichen, Berichten auf Länder- und europäischer Ebene führen
würde. Die folgenden Maßnahmen werden empfohlen:
1.
Informationssystem
– Eine Beobachtungsstelle für die soziale/medizinische Entwicklung sollte auf
nationaler/ regionaler Ebene eingerichtet werden, um zuverlässige Daten über den
sozialen/medizinischen Status jener Menschen zu sammeln, zu bearbeiten und zu
verbreiten, die in unsicheren Bedingungen leben.
– Die regelmäßig erfassten Daten sollten soziale und wirtschaftliche Indikatoren
sowie Indikatoren über die Zugänglichkeit der Gesundheitsdienste umfassen.
– Um Diskriminierung zu vermeiden und den persönlichen Schutz zu gewähren,
muss die Anonymität der Daten respektiert werden.
– Regelmäßige und vorschriftsmäßige Studien sollten durchgeführt werden, um
die Nutzung der Dienste im Hinblick auf spezifische Probleme besser bewerten zu
können.
– Regionale/kommunale Konferenzen im Bereich Gesundheit sollten veranstaltet
werden, um Informationen zu sammeln und zu verbreiten.
– Informationen sollten sowohl den Sozialarbeitern und Beschäftigten des
Gesundheitswesens als auch der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.
– Bestehende Netzwerke in den Gemeinden sollten benannt werden, um ein
unterstützendes Umfeld zu schaffen.
2.
Forschung
Forschungsprogramme sollten sich folgenden Themen widmen:
– Bewertung von Kosten/Eignung, Kosten/Nutzen und Kosten/Effizienz der
verschiedenen gesundheitspolitischen Richtlinien und Programme zur
Verbesserung des Zugangs zur medizinischen Versorgung von Menschen, die in
unsicheren Bedingungen leben;
– Auswahl relevanter Indikatoren für die Überwachung und Bewertung von
politischen Leitlinien, Programmen und Aktivitäten;
– Gesundheitsstatus und Bedürfnisse von Menschen in Risikosituationen und am
Rande der Gesellschaft
– qualitative Erhebungen über die Wahrnehmung von Gesundheit und die
Hindernisse beim Zugang zur medizinischen Versorgung;
128
Anhängen
– Verlaufsanalysen individueller Lebensläufe, die zeigen, wie Menschen in eine
Randlage geraten sind und Analysen der Strategien, diese zu verlassen;
– dem Gesundheitszustand und den medizinischen Bedürfnissen junger Erwachsener
sollte besondere Aufmerksamkeit eingeräumt werden;
– Unterschiede in den Werten, soziale Sicherungsnetze, positive und negative
Erfahrungen mit Gesundheitsdiensten;
– sozialer Abstand zwischen verschiedenen Gruppen und Mitarbeitern des Gesundheitswesens;
– die Rolle und der Einfluss der NRO-Tätigkeit;
– die Wege, in denen medizinische Einrichtungen verändert werden, um die
Bedürfnisse von Randgruppen zu erfüllen.
V. Änderung im Verhalten der Behörde und der Sozialarbeiter/Mitarbeiter des
Gesundheitswesens auf zentraler und kommunaler Ebenel
Die folgenden Aktivitäten werden empfohlen, um der Verwaltung und den
Sozialarbeitern/Mitarbeitern des Gesundheitswesens auf nationaler und kommunaler
Ebene zu helfen, ihre Arbeit an die gesundheitlichen Bedürfnisse von Menschen
anzupassen, die in unsicheren Bedingungen leben:
1.
Richtlinien
– Ein Richtlinienpapier über Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung für
Menschen am Rande der Gesellschaft sollte veröffentlicht werden. Die
Formulierung einer solchen Richtlinie sollte sich auf einen umfassenden Konsens
aller potenziellen Partner und, sofern möglich, der betreffenden Gemeinschaft
stützen.
– Die Umsetzung der Richtlinie sollte auf einem bereichsübergreifenden Ansatz
basieren und seine Auswirkungen sollten systematisch überwacht und bewertet
werden.
– Es wird die Neubewertung der Verbindung zwischen Gesundheitsbehörden und
Sozialdiensten befürwortet.
– Die Erfahrung und Kapazitäten der NROs sollten bei der Umsetzung der
Richtlinien auf kommunaler Ebene genutzt werden.
– Man sollte Instrumente ausprobieren und entwickeln, die auf die Beteiligung der
Menschen in unsicheren Bedingungen am Entscheidungsprozess hinsichtlich des
Entwurfs und der Organisation von Gesundheitsdiensten abzielen.
2.
Professionelle Praktiken
– Regelmäßige Treffen sollten auf lokaler Ebene zwischen den Mitarbeitern der
Verwaltung, der Sozial-/Gesundheitsdienste und der NROs stattfinden, um
Maßnahmen für medizinische Bedürfnisse von Gruppen/Menschen am Rande der
Gesellschaft zu organisieren.
– Neue soziale Berufe sollten für junge Erwachsene, die am Rande der Gesellschaft
leben, geschaffen werden, um sie auf die Arbeit in ihren eigenen Gemeinden
vorzubereiten.
129
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
3.
Ausbildung
– Bereiche wie Gesundheitswesen, Epidemiologie (insbesondere nicht-übertragbarer
Krankheiten), Gesundheitsvorsorge, Sozialwissenschaften und Gesundheitsökonomie sollten im Rahmen der Grundausbildung von Fachleuten im
Gesundheitswesen und von Sozialarbeitern und insbesondere von Ärzten
unterstützt werden.
– Es sollte nationale Postgraduiertenprogramme geschaffen werden, die einen
Schwerpunkt auf besondere Ansätze hinsichtlich sozial schwacher Gruppen und
Menschen, Präventivmaßnahmen, mobile Einsätze und nicht diskriminierende
Identifizierungsmethoden für die medizinischen Bedürfnisse auf kommunaler
Ebene legen.
– Ausbildungsprogramme sollten für Mitarbeiter im Gesundheits- und Schulwesen
organisiert werden, um eine Früherkennung gesundheitlicher Probleme in den
Schulen zu ermöglichen.
– Sonderprogramme sollten für die Mitarbeiter im Sozial-/Gesundheits/Schulbereich vorbereitet werden, um deren Aufmerksamkeit auf die besonderen
Bedürfnisse armer, arbeitsloser Menschen, Flüchtlinge etc. zu lenken.
– Fachleute, die vor Ort arbeiten, und NROs sollten ermutigt werden, eine wichtige
Rolle in solchen Ausbildungsprogrammen einzunehmen.
130
Anhängen
Anhang VI
Zusammensetzung der CS-ASR-Gruppe*
Herr Jean-Michel Belorgey
Staatsrat
Gruppenleiter Internationale Zusammenarbeit
Abteilung Berichte und Studien
Staatsrat
Paris
Frankreich
Herr Willy Cassiers
Assistent
Interdisziplinäres Zentrum frür Grundrechte und Sozialwesen
Fakultät der Universität Notre Dame
Namur
Belgien
Frau Mary Daly
Professor
Institut für Soziologie und Sozialpolitik
Queens Universität
Belfast
Nordirland
Herr François Paul Debionne
ATD-Vierte Welt
Stellvertretender Delegierter beim Europarat
Vorsitzender der Gruppierung Gesundheit
Strassburg
Frankreich
Herr Joe Gerada
Leiter von APPOGG für Kinder, Familien und die Gemeinde
Floriana Vlt
Malta
Frau Srna Mandic
Seminar für Internationale Beziehungen – Fakultät für Sozialwissenschaften
Institut für Sozialwissenschaften
Ljubljana
Slowenien
Herr Peter Melvyn
Europäisches Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung
Wien
Österreich
_____
* in alphabetischer Folge
131
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
Herr M. Michel Mercadie
Vizepräsident
Europänischer Verband nationaler Verreinigungen, die mit Obdachlosen arbeiten
Brüssel
Belgien
Herr Christopher Murray
Leiter der Kundeninformation
Ministerium für Soziales, Gemeinde- und Familienangelegenheiten
Dublin
Irland
Herr Kevin O’Kelly
Leiter der Forschung
Europäische Stiftung für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen
Dublin
Irland
Frau Annelise Oeschger
ATD-Vierte Welt
Stellvertrende Delegierte
132
Literatur
Literatur
Béland, D. und Hansen, R. (2000), „Reforming the French welfare state: solidarity,
social exclusion and the three crises of citizenship“, in West European politics,
Band 23, Nr. 1, S. 47-64.
BIPE (2001), European public policy concerning access to housing, BoulogneBillancourt: BIPE.
Borchert, J. (1995), Die konservative Transformation des Wohlfahrtsstaates, Frankfurt
a. M.: Campus.
Bubnov-Skoberne, A. (2001), „The protection of fundamental social rights in the
associated countries: the example of Slovenia“, in The protection of fundamental
social rights in Europe, Strasbourg: Social Charter Monographs, Nr. 11.
Castel, R. (1995) Les métamorphoses de la question sociale, Paris: Fayard.
Council of the European Union (2000) Charter of Fundamental Rights of the
European Union, Luxembourg: General Affairs Council.
Council of the European Union (2001a) European Union Annual Report on Human
Rights 2001, Luxembourg: General Affairs Council.
Council of the European Union (2001b) Draft joint report on social inclusion, Brussels:
Council of the European Union.
Comité des Sages (1996) For a Europe of civic and social rights, Brussels/
Luxembourg: DG Employment and Social Affairs.
Daly, M. (1997) „Welfare states under pressure: cash benefits in European welfare
states over the last ten years“, Journal of European Social Policy, Band 7, Nr. 2: 129-46.
Deacon, B. (2000) „Eastern European welfare states: the impact of the politics of
globalization“, Journal of European Social Policy, Band 10, Nr. 2: 146-61.
Donnelly, J. (1994) „Human rights in the new world order: implications for a new
Europe“, in Forsythe, D.P. (ed) Human rights in the new Europe, Lincoln: University
of Nebraska Press.
Duffy, K. (1998) The human dignity and social exclusion project: opportunity and
risk: trends of social exclusion in Europe, Strasbourg: Council of Europe.
Eide, A. (1995a) „Economic, social and cultural rights as human rights“, in Eide,
A., Krause, K. and Rosas, A. (eds) Economic, social and cultural rights: a textbook,
Dordrecht: Martinus Nijhoff.
Eide, A. (1995b) „Cultural rights as individual human rights“, in Eide, A., Krause, K.
and Rosas, A. (eds) Economic, social and cultural rights: a textbook, Dordrecht:
Martinus Nijhoff.
Eide, A., Krause, K. and Rosas, A. (eds) (1995) Economic, social and cultural rights: a
textbook, Dordrecht: Martinus Nijhoff.
European Commission (1999) Affirming Fundamental Rights in the European Union:
Report of the Expert Group on Fundamental Rights, Brussels: European Commission.
133
Zugang zu sozialen Rechten in Europa
European Commission (2001) The Social Situation in the European Union 2001,
Luxembourg: Eurostat.
European Committee for Social Cohesion (2000) Social Cohesion Strategy,
Strasbourg: Council of Europe.
Ferrera, M. and Rhodes, M. (2000) „Building a sustainable welfare state“, West
European Politics, Band 23, Nr. 2: 257-82.
Fitzpatrick, B. (2001) „The European system of protection of fundamental social
rights“, in The protection of fundamental social rights in Europe, Strasbourg: Social
Charter Monographs, Nr; 11.
http://www.odci.gov/cia/publications/factbook/fields/population_below_poverty_li
ne.html.
Irish Presidency/Council of Europe (2000) Towards social development for all: a
European strategy based on co-operation and partnership, Strasbourg: Council of
Europe.
Marshall, T.H. (1965) Class, citizenship and social development, Garden City, NY:
Anchor Books.
Milanovic, B. (1998) Income, inequality and poverty during the transition from
planned to market economy, Washington, D.C: World Bank.
OECD (2001) Local partnerships for better governance, Paris: OECD.
Pascall, G. and Manning, N. (2000) „Gender and social policy: comparing welfare
states in central and eastern Europe and the former Soviet Union“, Journal of
European Social Policy, Band 10, Nr. 3: 240-266.
Paugam, S. (ed.) (1996) L’exclusion: l’état des savoirs Paris: la Découverte.
Phillips, A. (1999) Which equalities matter? Cambridge: Polity Press.
Pillinger, J. (2001) Quality in social public services, Dublin: European Foundation for
the Improvement of Living and Working Conditions.
Plant, R. (1992) „Citizenship, rights and welfare“ in Coote, A. (ed) The welfare of
citizens: developing new social rights, London: IPPR/Rivers Oram Press.
Rosas, A. (1995) „So-called rights of the third generation“, in Eide, A., Krause, K. and
Rosas, A. (eds) Economic, social and cultural rights: a textbook, Dordrecht: Martinus
Nijhoff, S. 243-245.
Sano, H.O. (1999) „Development and human rights: the necessary, but partial
integration of human rights and development“, Human Rights Quarterly, Band 21:
734-52.
Scott, C. (1999) „Reaching beyond (without abandoning) the category of
„economic, social and cultural rights“, Human Rights Quarterly, 21: 633-60.
Standing, G. (1998) „Societal impoverishment: The challenge for Russian social
policy“, Journal of European Social Policy, Band 8, Nr. 1: 23-42.
134
Literatur
Sykes, R., Palier, B. and Prior, P.M. (eds) (2001) Globalization and European welfare
states, Basingstoke: Palgrave.
Therborn, G. (1995) European modernity and beyond: the trajectory of European
societies 1945-2000, London: Sage.
UNDP Regional Bureau for Europe and the CIS (1998) Poverty in transition? New
York: UNDP.
Van Steenbergen, B. (ed.) The condition of citizenship, London: Sage.
World Bank (1996) From plan to market: world development report 1996,
Washington D.C: World Bank.
135
Herunterladen