ZUGANG ZU IN EUROPA SOZIALEN RECHTEN vorgelegt von Mary Daly Queen’s University, Belfast mit Unterstützung der Redaktionsgruppe für den Bericht über den Zugang zu sozialen Rechten (CS-ASR) verabschiedet vom Europäischen Komitee für Sozialen Zusammenhalt (CDCS) bei seiner 8. Sitzung (Strassburg, 28.-30. Mai 2002) Redaktionsgruppe für den Bericht über den Zugang zu sozialen Rechten (CS-ASR) Europäisches Komitee für Sozialen Zusammenhalt (CDCS) Europarat Englishe Ausgabe: Access to Social Rights in Europe ISBN 92-871-4985-2 Französische Ausgabe: L’accès aux droits sociaux en Europe ISBN 92-871-4984-4 Die in diesem Buch vertretene Meinung stellt die des Autors dar und spiegelt nicht notwendigerweise die offizielle Haltung des Europarats wider. Alle Rechte vorbehalten. Diese Veröffentlichung darf weder ganz noch in Teilen in einer wie auch immer gearteten elektronischen (CD-ROM, Internet, etc.) oder mechanischen Form übertragen oder reproduziert werden, einschließlich Kopien, Audioaufnahmen oder anderen Informationsspeichersystemen oder Aufnahmegeräten, ohne zuvor die schriftliche Genehmigung der Publishing Division, Communication and Research Directorate, F-67075 Strassburg oder [email protected] eingeholt zu haben. Europarat F-67075 Strasbourg Cedex © Europarat, Dezember 2003 Gedruckt im Europarat Inhalt Seite Vorwort ......................................................................................................... 7 Vorbemerkung .............................................................................................. 9 Liste der Abkürzungen .................................................................................. 11 Einleitung ...................................................................................................... 13 Definitionen und Umfang ........................................................................ 15 Methodologie und Ansatz ....................................................................... 16 1. Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa .............. 17 1.1. Die Ausweitung sozialer Rechte in Europa ....................................... 17 1.2. Soziale Rechte und Wandel in europäischen Gesellschaften ............ 23 1.3. Auswirkungen eines nicht-rechtlichen Ansatzes ............................... 26 2. Analyserahmen für den Zugang zu sozialen Rechten .............................. 33 2.1. Definition von sozialen Rechten und Festlegung ihres Umfangs ...... 33 2.2. Analyserahmen für die Untersuchung des Zugangs zu sozialen Rechten 35 3. Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität .............................. 39 Die Kette der Hindernisse zu sozialen Rechten ......................................... 39 3.1. Hindernisse, die sich aus der Form des Rechts ergeben und die Eignung gesetzlicher und anderer Bestimmungen ........................................... 40 3.1.1. Mangel an Genauigkeit in der Darlegung des Rechts oder Anspruchs ............................................................................. 40 3.1.2. Rechte, die auf bestimmte Bevölkerungsteile und Situationen begrenzt sind ......................................................................... 42 3.1.3. Lücken im sozialen Sicherheitsnetz ....................................... 43 3.1.4. Fehlende Festlegung einer Mindestschwelle oder eines Mindeststandards ................................................................. 44 3.1.5. Ausschließende Bedingungen für Zugang und Anspruch ......... 44 3.1.6. Kluft zwischen Art der Bestimmung und Bedarf .................... 44 3.2. Hindernisse, die sich aus unzureichender Überwachung und Umsetzung ergeben ........................................................................................... 45 3.2.1. Unzureichende Überwachung .............................................. 45 3.2.2. Unzureichender Schutz vor Nichterfüllung der Rechte ........... 46 3.2.3. Ungleichbehandlung und/oder Diskriminierung ................... 46 3.2.4. Unzureichende Verantwortung gegenüber Nutzern ................ 47 3 Zugang zu sozialen Rechten in Europa 3.3. Unzureichende Ressourcen .............................................................. 47 3.3.1. Hindernisse bei den Ressourcen seitens der Anbieter ............ 47 3.3.2. Hindernisse bei den Ressourcen, die sich auf potenzielle Antragsteller auswirken ........................................................ 49 3.4. Hindernisse durch Management und Verfahren ............................... 50 3.4.1. Aufsplitterung zwischen den Verwaltungsebenen und den Diensten ............................................................................... 50 3.4.2. Unzureichende Integration und Konsultationen der NROs und der Nutzer ............................................................................. 51 3.4.3. Komplexität der Verfahren .................................................... 52 3.4.4. Hindernisse aufgrund der Art und Praxis der Dienstleistung 53 3.5. Hindernisse in Bezug auf Informationen und Kommunikation .......... 55 3.5.1. Unzureichende Speicherung und unzureichender Austausch von qualitativ hochwertigen Informationen .................................. 55 3.5.2. Unzureichende Art und Form der Informationen ................. 56 3.5.3. Mangelhafte Verwendung „neuer“ oder alternativer Informationen und der Ansichten von Nutzungsberechtigten 57 3.6. Psychologische und soziokulturelle Hindernisse ................................ 57 3.6.1. Psychologische und soziokulturelle Hindernisse seitens der Anbieter ................................................................................ 57 3.6.2. Psychologische und soziokulturelle Hindernisse seitens der Nutzer .................................................................................. 58 3.7. Hindernisse aufgrund der mangelnden Berücksichtigung sozial schwacher Gruppen und Regionen .................................................. 60 3.7.1. Sozial schwache Gruppen ..................................................... 60 3.7.2. Sozial schwache Regionen .................................................... 61 3.8. Zusammenfassung der wichtigsten Herausforderungen für den Zugang zu sozialen Rechten in Europa ........................................................... 62 4. Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu sozialen Rechten ..... 63 4.1. Grundsätze und Praktiken .............................................................. 63 4.1.1. Nutzerorientierte Dienstleistung ........................................... 63 4 4.1.2. Ermächtigung, Befähigung und Entwicklung ........................ 65 4.1.3. Qualität ................................................................................ 66 4.1.4. Integration der Dienste und Leistungen ................................ 67 4.1.5. Partnerschaft und Beteiligung ............................................... 68 4.1.6. Transparenz und Offenheit ................................................... 70 4.1.7. Gleichheit ............................................................................. 71 4.1.8. Überwachung und Prüfung der Umsetzung ......................... 72 4.2. Einige Beispiele für gute Praktiken ..................................................... 73 Inhalt 5. Politische Richtlinien ............................................................................... 85 5.1. Stärkung des Anspruchs auf soziale Rechte und Verbesserung der Bestimmungen ................................................................................. 85 5.1.1. Umfassende und explizite Ansprüche ................................... 85 5.1.2. Auf dem Weg zu angemessenen Bestimmungen .................. 88 5.2. Verstärkung und Überwachung der Umsetzung .............................. 89 5.3. Erhöhung der Ressourcen für soziale Rechte .................................... 90 5.3.1. Ressourcen der Anbieter ....................................................... 90 5.3.2. Ressourcen und Befähigung der Antragsteller ....................... 91 5.4. Veränderung und Verbesserung des Managements und der Verfahren 92 5.4.1. Weitere Aufsplitterung vermeiden ........................................ 92 5.4.2. Beteiligung der NROs, der Nutzer und anderer Akteure der Zivilgesellschaft ..................................................................... 93 5.4.3. Verringerung der Komplexität und Zugangsprobleme ........... 94 5.5. Verbesserung der Information und Kommunikation ......................... 95 5.6. Überwindung psychologischer und soziokultureller Hindernisse ....... 96 5.7. Besondere Anvisierung sozial schwacher Gruppen und sozial schwacher Regionen .......................................................................................... 97 5.7.1. Sozial schwache Gruppen ..................................................... 97 5.7.2. Sozial schwache Regionen – Die territoriale Dimension ........ 98 Anhang I. Das durch CS-LO, CS-PS, CS-EM und SP-SPM gesammelte empirische Material ................................................................... 101 Politische Leitlinien für den Zugang zu Wohnungen für benachteiligte Menschen .......................................................... 104 Anhang III. Leitlinien für die Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten 114 Anhang IV. Leitlinien für lokale Beschäftigungsinitiativen ............................ 118 Anhang II. Anhang V. Empfehlung Rec(2001)12 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über die Anpassung der Gesundheitsversorgung an die Nachfrage nach der Gesundheitsversorgung und die Gesundheitsdienste für Menschen am Rande der Gesellschaft .................................. 121 Anhang VI. Zusammensetzung der CS-ASR-Gruppe .................................... 131 Literatur ........................................................................................................ 133 5 Vorwort Soziale Rechte bilden einen der Grundpfeiler, auf denen Europa im Laufe des letzten Jahrhunderts aufgebaut wurde. Und dennoch sind wir, trotz der bedeutenden Fortschritte, die unserer Kontinent in diesem Bereich verzeichnen konnte, weit davon entfernt, allen Europäern in der Praxis soziale Rechte in vollem Umfang zu garantieren. Wie dieser Bericht eindeutig belegt, stößt der Zugang zum Recht auf soziale Sicherheit, auf Gesundheit, auf Beschäftigung, auf Wohnen und auf Ausbildung auf viele und vielfältige Hindernisse. Denn was ist ein Recht wert, wenn es nicht in der Praxis ausgeübt werden kann? Der Bericht stellt die wichtigsten Herausforderungen dar, denen wir uns widmen müssen, wenn wir im heutigen Europa die Nutzung von sozialen Rechten sichern wollen. Er betont die Notwendigkeit, diese Rechte zu stärken und sie als Mittel zur Reduzierung der sozialen Schwäche von Einzelpersonen angesichts struktureller Änderungen zu sehen. Soziale Rechte helfen Menschen auch, sich diesen Veränderungen anzupassen; sie tragen dazu bei, die Hindernisse zu überwinden, die die sozial schwächsten Mitglieder einer Gesellschaft an der Ausübung ihrer Rechte hindern. Durch die Betonung der Interdependenz sozialer Rechte leistet der Bericht einen wertvollen Beitrag zur Reflexion und im Hinblick auf Maßnahmen, die den Zugang zu diesen Rechten verbessern können. Er fordert integrierte Ansätze, die die diversen Bedürfnisse des Individuums berücksichtigen. Jenseits ihrer ethischen Rechtfertigung bieten die vorgeschlagenen Leitlinien zur Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten auch Antworten auf die grundlegenden Fragen, die der Bekämpfung der Armut und der sozialen Ausgrenzung inhärent sind. Der Bericht bestätigt erneut die Bedeutung sozialer Rechte in Europa und die Notwendigkeit, einen nachhaltigen, auf den Menschenrechten basierten Entwicklungsansatz zu fördern, wie er durch den Europarat mit Hilfe seiner rechtlichen Instrumente und Aktivitäten vertreten wird. Ich möchte der Autorin dieses Berichts sowie den Mitgliedern der Redaktionsgruppe, die zur hohen Qualität dieses Dokuments beigetragen haben, meinen Dank aussprechen. Ich hoffe, dass die Betonung des notwendigen Umsetzungsprozesses von sozialen Rechten als dringlicher Aufruf verstanden wird, dass der Weg aus der sozialen Ausgrenzung für viele Menschen immer noch extrem schwierig 7 Zugang zu sozialen Rechten in Europa ist. Es ist unsere Aufgabe, sie mit den Möglichkeiten und Mitteln auszustatten, um diesen Weg erfolgreich zu beschreiten. Soziale Rechte sind immer ein aktuelles Thema. Europäische Bürger in den Genuss dieser Rechte zu bringen, wird dazu beitragen, die Demokratie zu stärken und in einem Klima des Vertrauens die strukturelle Reform in Europa umzusetzen. Dementsprechend sind garantierte soziale Rechte, wie dieser Bericht belegt, ein Schlüsselfaktor für den Erfolg der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Reformen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Europa umgesetzt werden. Gabriella Battaini-Dragoni Generaldirektorin für Sozialen Zusammenhalt 8 Vorbemerkung Die Staats und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Europarates benannten bei ihrem im Oktober 1997 stattfindenden Zweiten Gipfeltreffen der Organisation in Strassburg sozialen Zusammenhalt als „eines der dringlichsten Bedürfnisse des erweiterten Europas und ... eine wichtige Ergänzung im Hinblick auf die Förderung von Menschenrechten und menschlicher Würde“ (Abschlusserklärung). Sie beauftragten das Ministerkomitee mit der Ausarbeitung einer Strategie für sozialen Zusammenhalt, um auf die Herausforderungen in der Gesellschaft reagieren und innerhalb des Europarates die erforderlichen strukturellen Reformen durchführen zu können. Der erste vom Ministerkomitee unternommene Schritt war die Einrichtung eines zwischenstaatlichen Lenkungsausschusses, des Europäischen Komitees für Sozialen Zusammenhalt (CDCS), der mehrere vormals voneinander getrennt agierende Arbeitsbereiche vereint, namentlich Sozialpolitik, soziale Sicherheit und Beschäftigung. Die Arbeit am sozialen Zusammenhalt basiert demnach auf einem interdisziplinären Ansatz. Wie in seinem Aufgabenbereich dargelegt, bestand die erste Aufgabe des Komitees in der Vorbereitung einer Strategie zum sozialen Zusammenhalt, die im Jahr 2001 vom Ministerkomitee verabschiedet wurde. Diese Strategie enthält ein mittelfristiges Arbeitsprogramm. Einer der zentralen Bestandteile der Strategie zum sozialen Zusammenhalt des Europarates ist es, einen effektiven Zugang zu sozialen Rechten zu fördern, wobei ein besonderes Augenmerk auf die schwächsten Menschen gelegt wird, jene, denen es schwer fällt, ihre Rechte wahrzunehmen. Der Wunsch, die Frage nach dem Zugang zu sozialen Rechten aus einer interdisziplinären Sicht anzugehen, spiegelte sich sowohl im Aufgabenkatalog als auch in der Zusammensetzung der Expertengruppen wider, die eingerichtet wurden. Die Expertengruppe für den Zugang zum Sozialen Schutz (CS-PS), die Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zu Wohnungen(CS-LO) und die Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zur Beschäftigung (CS-EM), die von 1999 bis 2001 tätig waren, setzten sich zusammen aus nationalen Experten aus mehreren Mitgliedstaaten des Europarates, Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und Forschern aus dem sozialen Bereich. 9 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Der Bericht über den Zugang zu sozialen Rechten vereint die Ergebnisse dieser Expertengruppen1 sowie die anderer Aktivitäten, die vom Europarat in den Bereichen Gesundheit und Bildung durchgeführt wurden. Darüber hinaus betont der Bericht die Interdependenz von sozialen Rechten, indem er die Gemeinsamkeiten zwischen den Ergebnissen der verschiedenen Gruppen herausstellt. Mary Daly, Professorin für Soziologie an der Queen´s University, Belfast (Nordirland), wurde vom Europarat beauftragt, zusammen mit einer Redaktionsgruppe einen Bericht über den Zugang zu sozialen Rechten in Europa zu verfassen. Regierungsberater, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und Forscher aus dem sozialen Bereich2 trugen zur Arbeit der Redaktionsgruppe bei. Das Europäische Komitee für Sozialen Zusammenhalt (CDCS) nahm den Bericht über den Zugang zu sozialen Rechten in Europa während seiner 8. Sitzung vom 28.-30. Mai 2002 an. Angesichts der hohen Bedeutung der Ergebnisse und Empfehlungen dieses Berichtes wurden Experten der 44 Mitgliedstaaten3 zusammen mit mehreren Experten aus Nichtmitgliedstaaten eingeladen, sich im November 2002 in Malta zu einer Konferenz zu versammeln, auf der die im Bericht vorgeschlagenen politischen Leitlinien im Detail besprochen wurden. ______ 1. Anhänge II und V zu diesem Bericht 2. Anhang VI zu diesem Bericht 3. Mit dem Beitritt von Serbien und Montenegro am 3. April 2003 erhöhte sich die Zahl der Mitgliedstaaten des Europarates auf 45. 10 Liste der Abkürzungen CDCS = Europäisches Komitee für Sozialen Zusammenhalt CECODHAS = Europäischer Verbindungsausschuss für sozialen Wohnungsbau CLRAE = Kongress der Gemeinden und Regionen in Europa (KGRE) CS-ASR = Redaktionsgruppe für den Bericht über den Zugang zu den sozialen Rechten CS-EM = Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zur Beschäftigung CS-LO = Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zu Wohnungen CS-LO = Expertengruppe für den Zugang zum Sozialen Schutz E2C = Bildungseinrichtung für Schulabbrecher EAPN = Europäisches Netzwerk zur Bekämpfung von Armut ETUC = Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB) FEANTSA = Europäischer Verband nationaler Vereinigungen, die mit Obdachlosen arbeiten HDSE = Projekt über Menschenwürde und soziale Ausgrenzung NAPs/incl = Nationaler Aktionsplan gegen Armut und soziale Ausgrenzung PRAPS = Regionale Programme für den Zugang zu Gesundheitsvorsorge und Pflege SP-SPM = Expertengruppe zur Anpassung der Gesundheitsversorgung an die Nachfrage nach der Gesundheitsvorsorge und die Gesundheitsdienste für Menschen am Rande der Gesellschaft UNDP = Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNECE = Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa UNHCHR = Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte UNIRMET = Nationale Gewerkschaft für die Umschulung von Metallarbeitern WHO = Weltgesundheitsorganisation 11 Einleitung Soziale Rechte haben immer eine herausragende Rolle in der europäischen Entwicklungsgeschichte eingenommen, und sie heben Europa, in einem vergleichenden Kontext betrachtet, von anderen Regionen der Welt ab. Das europäische Modell der sozialen Rechte hat sozialen Zusammenhalt und soziale Solidarität geschaffen und bewahrt. Wirtschaftliche und andere Entwicklungen setzen jedoch das europäische Modell der sozialen Rechte unter Druck. Das Ende des goldenen Zeitalters des wirtschaftlichen Wachstums in Europa, die Schwierigkeiten der Staaten in Mittel- und Osteuropa bei der Umwandlung zentraler Planwirtschaft in freie Marktwirtschaft und die Intensivierung der Internationalisierung der globalen Wirtschaft haben das Verhältnis zwischen Staaten, Politik und Märkten verändert. Die daraus entstehende fragmentierte Gesellschaft, in der viele Menschen entweder von der vollständigen Teilnahme ausgeschlossen oder aber auf Zuwendungen und öffentliche Dienste angewiesen sind, um ihren Platz in der Gesellschaft zu behaupten, stellt bisher eine der größten Herausforderungen für den sozialen Zusammenhalt in Europa dar. Fragen bezüglich der Verfügbarkeit, des Inhalts und der Nachhaltigkeit sozialer Rechte nehmen in diesem Klima eine hohe Dringlichkeit ein. Der Europarat ist Vorreiter bei der Entwicklung eines neuen Verständnisses von sozialen Rechten und bei der Arbeit für eine Verbesserung der Lebensumstände schwacher und ausgegrenzter Gruppen und Menschen. Er erkennt, dass das Verhältnis zwischen individueller Verantwortung und sozialer Solidarität neu betrachtet werden muss und dass dem Zugang der Menschen zu sozialen Rechten im Kontext demokratischer Erneuerung Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Aus diesem Grund analysiert und prüft dieser Bericht den Zugang zu sozialen Rechten in Europa, wobei er eine Anzahl verschiedener Aktivitäten des Europarates aus den letzten Jahren in den Bereichen Wohnen, sozialer Schutz, Beschäftigung, Gesundheit und Bildung vereint. Besondere Aufmerksamkeit wird der Frage gewidmet, wie der Zugang zu sozialen Rechten in einer Situation sichergestellt werden kann, die sich durch einen rasanten sozialen und wirtschaftlichen Wandel auszeichnet. Den Hintergrund zu diesem Bericht bildet die Strategie zum sozialen Zusammenhalt des Europarates, bei dem vormals getrennte Bereiche aus der Arbeit des Rates miteinander verbunden wurden. Wie in der Strategie dargelegt, bezieht sich der soziale Zusammenhalt sowohl auf den Zustand 13 Zugang zu sozialen Rechten in Europa einer Gesellschaft als Ganzes als auch auf die Rolle und den Rang sozial schwacher Gruppen und Personen innerhalb dieser Gesellschaft. Die Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten ist ein strategisches Ziel des Europäischen Komitees für Sozialen Zusammenhalt (CDCS) und ein wichtiger Bestandteil der Strategie für sozialen Zusammenhalt. Die Behandlung der Frage nach dem Zugang zu sozialen Rechten als Teil des Programms des CDCS verdeutlicht, dass das CDCS als Nachfolge zum vorangegangenen Projekt des Europarates über Menschenwürde und soziale Ausgrenzung (HDSE) (Duffy 1998), das im Einzelnen die Themen Zugang zu Wohnungen, sozialem Schutz, Beschäftigung, Gesundheit und Bildung als essenzielle Bestandteile im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung behandelte, zu sehen ist. Sozialer Zusammenhalt und soziale Rechte werden daher in vieldimensionierter Weise wahrgenommen. Dieser Bericht sollte als weiterer Schritt bei der Verwurzelung der Bürgerrechte und sozialen Rechte in Europa betrachtet werden. Der Bericht basiert größtenteils auf der Arbeit der Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zur Wohnung (CS-LO), der Expertengruppe für den Zugang zum sozialen Schutz (CS-PS), der Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zur Beschäftigung (CS-EM), der Expertengruppe zur Anpassung der Gesundheitsversorgung an die Nachfrage nach der Gesundheitsvorsorge und die Gesundheitsdienste für Menschen am Rande der Gesellschaft (SP-SPM) und relevanten Arbeiten aus dem Bereich der Bildung.1 Jede dieser Gruppen hat einen erheblichen Beitrag zu einem tiefergehenden Verständnis der Realität hinsichtlich der sozialen Rechte in den einzelnen Mitgliedstaaten sowie der Faktoren geliefert, die den Zugang zu diesen Rechten behindern. Sie haben nicht nur neue empirische Daten gesammelt, sondern auch umfangreiche Analysen der bestehenden Politiken und Praktiken durchgeführt. Der von den Expertengruppen verwendete Ansatz sowie die Methodologie sind in Anhang I dargelegt. Die Zielsetzungen dieses Berichts sind im Einzelnen: – die Analyse der Faktoren, die den Zugang zu verschiedenen sozialen Rechten innerhalb und über verschiedene Bereiche hinweg behindern; – Beispiele anzuführen, wie Hindernisse überwunden und generelle Prinzipien für integrierende Ansätze identifiziert werden können, um den Zugang zu sozialen Rechten zu verbessern; – bereichsübergreifende politische Leitlinien für den Zugang zu sozialen Rechten aufzustellen, was die Integration verschiedener Bereiche der Sozialpolitik einschließt. Der Bericht bemüht sich insbesondere, die Bedeutung des Zugangs zu sozialen Rechten im Hinblick auf die demokratischen Prozesse ______ 1. Im Folgenden wird sich auf die hier aufgeführten Gruppen kollektiv als „Expertengruppen“ bezogen. 14 Einleitung herauszustellen, die mit aktiver Bürgerschaft assoziiert werden, sowie im Hinblick auf Minderung der sozialen Schwäche aufgrund struktureller Veränderungen und auf die Steigerung institutioneller Kapazitäten im Umgang mit Veränderungen. Soziale Rechte nehmen eine Schlüsselposition bei der Verbesserung der Kapazitäten zur Lösung von Problemen ein, ob nun im Hinblick auf Einzelpersonen, Gruppen, Organisationen, Regionen, Regierungen oder Gesellschaften. Der Bericht behandelt zwei Hauptthemen. Zum einen betont er die Interdependenz sozialer Rechte. Berücksichtigt man die Arbeiten der verschiedenen Expertengruppen zu sozialen Rechten und andere Entwicklungen des Europarates, so stimmt man heute darin überein, dass ein mangelhafter Zugang zu einem grundlegenden sozialen Recht einen Ausstrahlungseffekt hat, d.h., dieser kann es der betreffenden Person erschweren, auch Zugang zu anderen sozialen Rechten zu erlangen. Mit anderen Worten, es besteht die Gefahr einer mehrfachen Ausgrenzung. Daher ist es ein herausragendes Merkmal dieses Berichts, dass er versucht, Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Bereichen der sozialen Rechte herzustellen (anstatt sie isoliert zu betrachten). Andererseits unterstreicht der Bericht, dass die Frage nach dem Zugang an sich bereits ein Thema darstellt, das Aufmerksamkeit verdient. Studien, wie die vorliegende, die ihren Schwerpunkt auf die Umsetzung oder die Praxis der sozialen Rechte legen, unterscheiden sich erheblich von solchen, die die zur Verfügung stehenden legalen Rechte definieren oder zusammentragen oder die ihre philosophischen Grundlagen darstellen. Dieser Bericht konzentriert sich auf das Verhältnis zwischen Entwurf und Umsetzung und versucht, die Lücke zwischen der Einrichtung rechtlicher und anderer Bestimmungen und dem Zugang zu sozialen Rechten in der Praxis offen zu legen und zu untersuchen. Definitionen und Umfang Obwohl es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, soziale Rechte zu definieren und zu interpretieren, versteht der vorliegende Bericht soziale Rechte sowohl in Bezug auf individuelle Bedürfnisse als auch in Bezug auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Soziale Rechte sind demnach jene Bestimmungen, ob in juristischer oder anderer Art festgelegt, die für die Erfüllung der sozialen Bedürfnisse von Menschen und für die Förderung des sozialen Zusammenhalts und der Solidarität notwendig sind. In Bezug auf den Inhalt sozialer Rechte verfolgt dieser Bericht den Ansatz der Europäischen Sozialcharta, in ihrer Original- und revidierten Fassung, um die verschiedenen Bereiche der sozialen Rechte zu identifizieren, die im Aufgabenkatalog für diesen Bericht festgelegt wurden. Daher beziehen sich soziale Rechte auf Wohnen, Sozialschutz, Beschäftigung, Gesundheit und Bildung. 15 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Methodologie und Ansatz Dieser Bericht verwendet als Methodologie die Dokumentenanalyse. Neben der allgemeinen Überprüfung der entsprechenden Literatur basiert dieser Bericht auf der Analyse aller schriftlichen und weiteren Materialien der CS-LO, CS-PS, CS-EM und der SP-SPM sowie weiterer Quellen des Europarates. Daher stellen die Arbeiten der vier Expertengruppen, das von ihnen im Zuge ihrer Arbeit gesammelte empirische Material (einschließlich der Beispiele für gute Praktiken) und weitere relevante Arbeiten, die unter der Schirmherrschaft des Europarates durchgeführt wurden, den empirischen Hauptanteil des Berichts dar. Europa ist ein heterogener Ort. Der Europarat organisiert die Kooperation zwischen 44 Mitgliedstaaten1, die sich über den gesamten Kontinent erstrecken. Es herrscht eine breite soziale und wirtschaftliche Vielfalt. Die Behandlung von Unterschieden stellt daher eine große Herausforderung an diesen Bericht. Anstatt den Kontinent in Regionen und Unterregionen zu unterteilen, erkennt der Bericht an, dass, auch wenn es unterschiedliche Ausgangspunkte für soziale Rechte in Europa gibt, viele gemeinsame Praktiken existieren und dass diese am besten durch ein weit gefasstes und gemeinsames Verständnis des Konzeptes der sozialen Rechte dargestellt und behandelt werden sollten. Der Bericht besteht aus fünf Hauptteilen. Das erste Kapitel legt seinen Schwerpunkt auf die sozialen Rechte und stellt dar, wie sie sich in Europa entwickelt haben und welchen Stellenwert sie heute einnehmen. Das zweite Kapitel erläutert den in diesem Bericht verwendeten Analyserahmen. Das dritte Kapitel berichtet über die Ergebnisse einer Reihe von Forschungsarbeiten, die unter der Schirmherrschaft des CDCS über die Hindernisse bei der Realisierung von sozialen Rechten und deren Zugang durchgeführt wurden. Das vierte Kapitel diskutiert und dokumentiert das, was als „gute Praxis sozialer Rechte“ gelten kann. Neben der Aufstellung von Grundsätzen für einen integrierten Ansatz beinhaltet es auch Beispiele guter Praktiken aus den Mitgliedstaaten des Europarates. Das fünfte und abschließende Kapitel entwickelt politische Leitlinien, die sich aus der Analyse der Situation vor Ort über verschiedene Bereiche der sozialen Rechte ergeben. ______ 1. Albanien, Andorra, Armenien, Österreich, Azerbaidschan, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Zypern, Tschechische Republik, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Island, Irland, Italien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Moldawien, Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, Russische Föderation, San Marino, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Schweiz, „ehemalige jugoslawische Republik von Mazedonien“, Türkei, Ukraine, Großbritannien. 16 1. Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa Dieses Kapitel diskutiert die ursprünglich den sozialen Rechten zugrundeliegenden Motive und legt die kontinuierliche Bedeutung sozialer Rechte dar, selbst wenn einige ihrer Gründungswerte in Frage gestellt oder ausgehebelt werden. Diese Diskussion gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil behandelt und untersucht die Grundsätze, Vorgehensweisen und politischen Ansätze, die die Entstehung sozialer Rechte in Europa ermöglicht haben. Der zweite Teil konzentriert sich auf die Veränderungen (der wirtschaftlichen und sozialen Werte und der politischen Praktiken innerhalb und zwischen den Staaten), die gegebenenfalls die Unterstützung der sozialen Rechte ändern könnten. Die Vorzüge sozialer Rechte und die Kosten, die entständen, wenn man auf diesen rechtlichen Rahmen verzichten würde, stellen den dritten Schwerpunkt der Diskussion dar. 1.1. Die Ausweitung sozialer Rechte in Europa Soziale Rechte stellen ein bedeutendes Erbe des europäischen Sozialmodells dar. Als sich die europäischen Gesellschaften entwickelten, sah man die Einführung sozialer Rechte in enger Verbindung mit Bürgerschaft und Fortschritt. Öffentliche Stellen kamen darin überein, allen Bürgern ein Mindestangebot an Gesetzen anzubieten, unabhängig von ihrer Position auf dem Markt, so dass das Wohlergehen der Menschen nicht mehr länger von ihren eigenen Möglichkeiten oder karitativen Einrichtungen abhängig sein würde. Sozialprogramme dienten nicht nur dem Wohlergehen einzelner Menschen, sondern auch der Formung einer politischen Gemeinschaft und dem Verständnis einer kollektiven Identität. Daher war die kontinuierliche Ausweitung der sozialen Rechte Teil des Projektes, Nationalstaaten in Europa zu gründen. Es gibt zwei Grundpfeiler der sozialen Rechte in Europa. Der erste Grundpfeiler ist auf nationaler Ebene zu finden, wo die soziale Entwicklung durch das Anwachsen des Wohlfahrtstaates definiert und vorangetrieben wurde. Im Westen das Keynesianische Modell, in Mittel- und Osteuropa die zentralistischen Einparteienstaaten. Ob nun in der nationalen Verfassung enthalten oder als soziale Gesetzgebung formuliert, es wurde vor und nach dem Zweiten Weltkrieg ein Kerngebilde an sozialen und wirtschaftlichen Rechten eingeführt, um die Verteilung von Macht, Partizipation, Einkommen und Lebensmöglichkeiten durchzusetzen. Soziale und wirtschaftliche Rechte in den europäischen Staaten werden in der Regel durch eine miteinander verwobene Reihe politischer Ansätze erreicht. Obwohl es große 17 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Unterschiede gibt, werden soziale Rechte in der Regel durch drei verschiedene Säulen der Politik getragen. Zum einen werden soziale Rechte durch eine Reihe von Programmen zur sozialen Sicherung und Besteuerung verkörpert, die auf die Einkommensabsicherung, Einkommensumverteilung und Bekämpfung der Armut abzielen. Die Hauptpfeiler sind hierbei Mindestlohn, Pensionen, Arbeitslosenunterstützung, Mutterschafts- und Familienunterstützung, die in unterschiedlichem Ausmaß durch Arbeitgeber, Arbeitnehmer und öffentliche Stellen finanziell getragen werden. Ein typischer zweiter Pfeiler der nationalen sozialen Rechte besteht aus einem Netzwerk sozialer Einrichtungen. Während Gesundheit, Bildung und Wohnen fundamentale Bestandteile sind, bieten die meisten europäischen Staaten darüber hinaus eine Reihe sozialer Einrichtungen und Sozialleistungen an, die auf eine Steigerung der Lebensqualität abzielen. Diese öffentlichen Dienstleistungen bieten den zusätzlichen Vorteil, dass sie auch Arbeitsplätze schaffen. Sie haben in der Vergangenheit auch öffentliches Eigentum und die Kontrolle grundlegender Dienstleistungen dargestellt, aber Veränderungen in der Finanzierung und Organisation dieser Dienste haben in den letzten Jahrzehnten die Unterscheidung zwischen „öffentlich“ und „privat“ verschwimmen lassen. Schließlich stellt die Regulierung im Verhältnis zum Arbeitsmarkt einen weiteren wichtigen Pfeiler in Bezug auf die sozialen Rechte dar, da sie bestimmte beschäftigungsbezogene Rechte übertragen und geschützt hat. Hierbei gibt es eine doppelte Betonung bei der Ausübung von Kontrolle über die Arbeitsbedingungen und über die Maßnahmen zur Aktivierung von Menschen, eine Beschäftigung aufzunehmen. Der zweite, bereits beschriebene Grundpfeiler der sozialen Rechte besteht auf internationaler Ebene, wo eine Reihe von Normen und rechtlichen Instrumenten, wie in den Resolutionen und Empfehlungen des Europarates, der Vereinten Nationen und in letzter Zeit auch der Europäischen Union (EU) verkörpert, der Etablierung internationaler Standards und Vorgehensweisen für soziale Rechte und sozialen Zusammenhalt dienen. Der Europarat ist besonders bedeutsam bei der Förderung der sozialen Entwicklung und für die Schaffung eines politischen, wirtschaftlichen und sozialen Klimas, das günstig ist für den sozialen Zusammenhalt in Europa. Dies ist sowohl historisch betrachtet als auch für die heutige Zeit zutreffend. Soziale Rechte haben stets eine herausragende Stellung im Ansatz des Europarates eingenommen. Mit der Vorlage der Europäischen Sozialcharta zur Unterschrift im Jahr 1961 und ihres Inkrafttretens im Jahr 1965 wies der Europarat den Weg für die Etablierung eines umfassenden Kodex an wirtschaftlichen und sozialen Rechten. Wirtschaftliche Rechte, wie sie die Charta festlegt, beziehen sich hauptsächlich auf Beschäftigung und den Arbeitsmarkt, während die sozialen Rechte vorwiegend auf die Bereiche Gesundheit und Wohlfahrt abzielen. Die Charta enthält neunzehn Hauptartikel, wobei die ersten zehn 18 Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa sich vorwiegend auf Beschäftigung, Arbeitsmarkt und industrielle Fragen beziehen, und sich die verbleibenden Artikel eingehender mit den sozialen Rechten befassen. Einige der Artikel kann man als „Kern”1 bezeichnen und die vertragschließenden Parteien müssen eine bestimmte Anzahl dieser Kernartikel akzeptieren. Die Einhaltung der Inhalte der Charta wird durch einen internationalen Überwachungsmechanismus auf der Grundlage von Berichten überprüft, die von den ratifizierenden Staaten alle zwei Jahre vorgelegt werden müssen.2 Die Einführung eines kollektiven Beschwerdemechanismus, der 1998 in Kraft trat, hat nach Fitzpatrick (2001) die Maßnahmen zur Durchsetzung der Europäischen Sozialcharta revolutioniert. Dem Europäischen Gewerkschaftsbund (ETUC=EGB), NROs auf europäischer Ebene (und, wenn die ratifizierenden Staaten es zulassen, auch auf nationaler Ebene) und Nationalverbänden von Gewerkschaften ist es nun gestattet, Beschwerden direkt dem Europäischen Ausschuss für Sozialrechte vorzutragen. Beschäftigung (das Recht auf Arbeit) könnte man in dem Sinne als Mittelpunkt der Charta bezeichnen, da ca. die Hälfte der Rechte sich auf bezahlte Arbeit beziehen oder sich aus dieser ergeben. Unter diesen Rechten befinden sich z. B. das Recht, seinen eigenen Lebensunterhalt in einer frei gewählten Beschäftigung zu verdienen sowie das Recht auf gerechte, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen und auf faire Entlohnung und Sozialschutz. Arbeitern werden ebenfalls politische Rechte zugestanden, wie z. B. das Recht auf Vereinigung zum Zwecke des Schutzes ihrer wirtschaftlichen und sozialen Interessen und das Recht, gemeinsam Tarifverträge auszuhandeln. Die Europäische Sozialcharta legt auch eine Reihe von Rechten fest, die sich mit der Förderung der Berufsausbildung befassen, so z. B. das Recht auf Berufsberatung und berufliche Weiterbildung. Unter die allgemeineren Rechte fallen das Recht auf gesundheitlichen Schutz, das Recht auf soziale Sicherheit, das Recht auf soziale und medizinische Unterstützung sowie das Recht auf Dienstleistungen der sozialen Wohlfahrt. Neben den Arbeitern wird die Schutzbedürftigkeit einer Reihe bestimmter Gruppen hervorgehoben. Diese schließen Menschen mit Behinderungen, Mütter, Kinder und Migrantenarbeiter und deren Familien ein. Der Schutz der sozialen Rechte von Migranten und deren Familien nimmt für den Europarat Priorität ein. Das Europäische Übereinkommen über die Rechtsstellung der Wanderarbeitnehmer (1977) regelt einerseits den rechtlichen Status der Wanderarbeiter im Hinblick darauf, dass ihre Gleichbehandlung mit Einheimischen des jeweiligen Staates in Aspekten der ______ 1. Diese behandeln das Recht auf Arbeit, das Recht, sich zu organisieren, das Recht, Tarifverträge auszuhandeln, das Recht auf Sozialschutz, das Recht auf soziale und medizinische Versorgung, das Recht der Familie auf soziale, rechtliche und wirtschaftliche Unterstützung, das Recht von Migrantenarbeitern und deren Familien auf Schutz und Unterstützung. 2. Die Kernartikel werden in jeder Periode und die anderen Artikel alternierend dazu überprüft . 19 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Lebens- und Wohnbedingungen sichergestellt wird, und andererseits die soziale Förderung von Wanderarbeitern und deren Familien. Das Übereinkommen fordert die Gleichbehandlung der Wanderarbeiter und der nationalen Arbeiter in den folgenden Bereichen (u.a.): Wohnen, Bildung, soziale Sicherheit, soziale und medizinische Unterstützung. Andere Bestimmungen fordern die Gleichbehandlung in den Bereichen Berufsbildung, die Nutzung von Arbeitsvermittlung und Rehabilitation und Arbeitsbedingungen. Das Ziel der rechtlichen Instrumente des Europarates im Bereich der Koordinierung der sozialen Sicherheit, im Besonderen das Europäische Übereinkommen über Soziale Sicherheit (1972), ist, den Wanderarbeitern und deren Familien den Zugang zur sozialen Sicherheit zu ermöglichen. Diese Instrumente beinhalten die Eliminierung diskriminierender Bestimmungen auf der Grundlage der Nationalität durch die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und der Neutralisierung von Restriktionen, die auf der Gesetzgebung von Einzelstaaten beruhen. Zusätzlich hat das Europäische Fürsorgeabkommen (1953) das Ziel, einen gewissen Grad an Reziprozität von Rechten sicherzustellen (so dass Personen einer vertragschließenden Partei, die sich legal im Gebiet einer anderen vertragschließenden Partei befinden und über keine ausreichenden Mittel verfügen, denselben Anspruch auf soziale und medizinische Unterstützung haben wie Einheimische). 1996 wurde die überarbeitete Fassung der Europäischen Sozialcharta zur Unterzeichnung freigegeben und trat 1999 in Kraft. Damit ist ein Dokument entstanden, in dem sowohl die Rechte der ursprünglichen Sozialcharta, in ihrer letzten Fassung, als auch die Rechte, die im Zusatzprotokoll von 19881 aufgeführt sind, als auch eine Reihe neuer Rechte enthalten sind. Die überarbeitete Charta zielte sowohl auf die Berücksichtigung als auch die Widerspiegelung sich verändernder sozialer Bedingungen und Werte ab. Sie beruht auf dem Grundsatz der Unteilbarkeit aller Menschenrechte und betont die Nichtdiskriminierung als grundlegendes Prinzip, insbesondere, dass die Ausübung von Rechten ohne Diskriminierung aufgrund von Abstammung, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder anderer Gesinnung, nationaler oder sozialer Herkunft, Gesundheitszustand, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Geburt oder eines anderen Status sichergestellt wird. Auch hier nehmen beschäftigungsbezogene Rechte eine herausragende Stellung ein. Zusätzlich zu den im Zusatzprotokoll von 1988 enthaltenen Rechten sind auch folgende Rechte enthalten: das Recht auf Schutz im Fall einer Kündigung und Insolvenz des Arbeitgebers sowie das Recht auf Würde am Arbeitsplatz. ______ 1. Dieses legte Folgendes fest: das Recht auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung im Hinblick auf Anstellung und Beschäftigung ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, das Recht auf Information und Konsultation, das Recht, an der Bestimmung und Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Arbeitsumfeld teilzunehmen sowie das Recht älterer Personen auf Sozialschutz. 20 Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa Vertretern der Arbeitnehmer wird ebenfalls ein Schutz vor gegen sie gerichtete Handlungen gewährt und das Recht auf entsprechende Einrichtungen, um ihren Aufgaben nachgehen zu können. Neben diesen arbeitsbezogenen Rechten bestätigt die revidierte Europäische Sozialcharta das Recht älterer Menschen auf Sozialschutz und das Recht der Arbeitnehmer oder potenziellen Arbeitnehmer mit Familienverpflichtungen, ohne Diskriminierung einer Beschäftigung nachzugehen, die möglichst wenig Konflikte zwischen Beschäftigung und Familienverpflichtungen verursacht. Zwei neue soziale Rechte wurden in die überarbeitete Charta aufgenommen: das Recht auf Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung und das Recht auf zumutbares Wohnen zu angemessenen Preisen. Diese sind angesichts der sich verändernden Bedingungen in der Gesellschaft bedeutsam, da sie den Umfang der Charta erweitern und ihre Rolle als internationalen Standard im Hinblick auf soziale Rechte erhöhen. Die Untersuchung des von der Charta verwendeten Ansatzes, sowohl in der ursprünglichen als auch in der revidierten Fassung, legt die Natur der sozialen Rechte offen. Diese Rechte werden in der Charta im Hinblick auf Maßnahmen durch Staaten umrissen und nicht etwa als Rechte von Individuen. Die Charta stellt damit einen institutionellen und rechtlichen Rahmen dar. Dies ist in vielerlei Hinsicht eine Vorgabe für gute Praxis, die sich vor allem auf die Sozialpolitik und die Gewährung von Rechten bezieht, und dabei eine Reihe von politischen Maßnahmen festlegt. Die Charta geht jedoch über die bloße Bereitstellung hinaus, weil sie auch auf die Etablierung von Standards und auf die Förderung bestimmter Praktiken und Werte abzielt (wie z. B. die Beratung und, im Fall sozialer Einrichtungen und Leistungen, auf die Partizipation einzelner Personen und Freiwilligen- oder anderen Organisationen). Ein weiterer bedeutender Aspekt des Ansatzes der Europäischen Sozialcharta ist, dass sie nicht nur grundlegende soziale Rechte seitens der einzelnen Staaten garantiert, sondern dass sie im Laufe der Zeit eine Verbesserung der Standards gestattet. Es gibt ein Verfahren, bei dem die Regierungen verpflichtet sind, in regelmäßigen Abständen zu prüfen, welche neuen Verpflichtungen sie akzeptieren könnten. Ein Nichtakzeptieren von Bestimmungen wird dementsprechend immer als vorübergehend betrachtet. Mit anderen Worten, es wird nicht das statische, sondern das dynamische Wesen der Rechte betont. Zusätzlich basiert die Charta nicht auf einem uniformen Modell, sondern auf gemeinsamen Werten. Die Uniformität wird durch den Grundsatz, harmonisch zu gemeinsamen Standards zu gelangen, außer Kraft gesetzt. Soziale Rechte wurden aber auch in anderen Foren entwickelt. So z. B. der Internationale Pakt der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der 1976 in Kraft trat, und der zehn Jahre zuvor verabschiedet und zur Unterzeichnung freigegeben worden war. Einige der in diesem Dokument festgelegten Rechte überschneiden sich mit jenen der Europäischen Sozialcharta, besonders im Fall der arbeitsbezogenen Rechte. 21 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Eine weitere wichtige Entwicklung im Bereich der sozialen Rechte in Europa war die Einführung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Jahr 2000 (Rat der Europäischen Union 2000). Der Ansatz ist hier wiederum ein anderer, wie die Verwendung der Worte „Grundrechte“ impliziert. Rechte und Grundsätze stehen in einem Dokument nebeneinander, das Rechte und Grundsätze festlegt, die durch die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts eingehalten werden müssen. Sechs Grundwerte werden von der Union gefördert: Würde, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte und Gerechtigkeit. Die von der Charta der Grundrechte zugewiesenen Rechte sind eng verwandt mit jenen Grundsätzen und können, folgt man der Meinung des Rats der Europäischen Union (2001a), in vier Grundkategorien eingeteilt werden: – Rechte und Freiheiten und verfahrensrechtliche Garantien: Bei den hier aufgeworfenen Rechten handelt es sich um bürgerliche und politische Rechte, wie z. B. den Grundsatz der Gleichheit und der Respektierung der Privatsphäre, und Rechte, die von öffentlichen Freiheiten herrühren, wie z. B. die Pressefreiheit, die Gewissensfreiheit und die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. – Rechte, die den Bürgern der Europäischen Union vorbehalten sind: Diese Rechte, die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft enthalten sind, beinhalten Wahlrechte, den allgemeinen diplomatischen Schutz sowie das Recht auf Petition vor dem Europäischen Parlament und Fälle an den Europäischen Ombudsmann weiterzuleiten; – wirtschaftliche und soziale Rechte: Diese beinhalten Bestimmungen zum Arbeitsrecht, wie z. B. das Recht, einer Gewerkschaft beizutreten, zu streiken und das Recht auf Mindestlohn. Andere Rechte werden ebenfalls abgedeckt, wie z. B. jene von Menschen mit Behinderungen auf Integration in die Arbeitswelt, die Rechte von Kindern und älteren Menschen und Bestimmungen des Sozialrechts, wie z.B. der Sozialschutz oder das Recht auf Gesundheitsvorsorge; – moderne Rechte: Diese schließen z.B. das Recht auf den Schutz persönlicher Daten oder die Rechte in Bezug auf Bio-Ethik ein. Die Charta strebt auch eine größere Transparenz und Unparteilichkeit in den Institutionen der Gemeinschaft an, indem sie das Recht auf Zugang zu Verwaltungsunterlagen und das Recht auf eine gute Verwaltung aufgenommen hat. Generell kann man sagen, dass die sozialen Rechte bereits seit mehr als 40 Jahren Teil der europäischen Ordnung sind. In dieser Hinsicht hat der Europarat eine führende Rolle eingenommen. Betrachtet man das Ganze aus vergleichender Sicht, dann verfügt Europa über ein starkes Modell für soziale Rechte. Darüber hinaus spiegeln in Europa die sozialen Rechte eine Ordnung wider, in der nationale und internationale Entwicklungen und Standards miteinander verwoben und interdependent sind. Es ist wichtig, sich 22 Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa angesichts der steigenden Globalisierung die Rolle der europäischen Staaten ins Bewusstsein zu rufen, die, ob nun individuell oder kollektiv, einem an sozialen Rechten ausgerichteten Ansatz bei der Entwicklung den Vorzug geben. 1.2. Soziale Rechte und Wandel in europäischen Gesellschaften Die europäischen Gesellschaften verändern sich rasant. Vor diesem Hintergrund widmet sich dieses Kapitel der Frage, wie soziale Rechte sich angesichts wirtschaftlicher, politischer und sozialer Entwicklungen bewährt haben. Die vergangenen zwei Jahrzehnte stellten wahrscheinlich die größte Herausforderung für die Sozialpolitik und soziale Rechte dar. Die Entwicklungen werfen die schwerwiegende Frage auf, wie tauglich ein starkes Modell der sozialen Rechte für die heutige Wirtschaft und Gesellschaft ist. Entworfen für eine Gesellschaft, die auf Produktion ausgerichtet ist, betrachtete der europäische Wohlfahrtsstaat die Arbeitslosigkeit als temporäres Problem (Béland und Hansen 2000: 56) und ging von der Annahme aus, dass Frauen und Kinder am besten innerhalb der Familie unterstützt würden. Diese Situation besteht nicht mehr und die heutigen Sozialplaner sehen sich mit einer völlig anderen Situation konfrontiert. Die Entwicklungen haben sowohl zur Unterminierung der Wohlfahrtsmaßnahmen der öffentlichen Stellen auf nationaler und lokaler Ebene beigetragen als auch das Ausmaß in Frage gestellt, in dem soziale Bürgerrechte wünschenswert oder erforderlich sind. Eine Bandbreite an Faktoren ist für diese Veränderung verantwortlich. Diese beinhalten Globalisierung, besonders im Hinblick auf die wirtschaftlichen Praktiken und sozialen Werte, die sie vertritt, politische und wirtschaftliche Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa, das veränderte Verständnis der Funktion von Sozialschutz und ein sich wandelndes Verständnis über die angemessene Rolle des Staates und der Beziehung zwischen Staat, Individuum und Gesellschaft. Jeder dieser Punkte wird kurz besprochen. Obwohl es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, welche Implikationen das Phänomen der Globalisierung aufwirft, ist sie im Kern ein Prozess, der einen erhöhten wirtschaftlichen Wettbewerb in einer Welt verursacht, in der die technische Entwicklung rasant ist und in der Grenzen nicht mehr länger die Funktion haben, unerwünschte Entwicklungen und Einflüsse abzuweisen. Der gesteigerte grenzübergreifende Wettbewerb (einschließlich dem zwischen verschiedenen sozialen Modellen) geht Hand in Hand mit einem gesteigerten Wettbewerb innerhalb der Staaten und auch zwischen den Regionen. Eine größere Flexibilität wird gefordert, nicht nur von den nationalen Wirtschaftssystemen, sondern auch auf lokaler Ebene und selbst von Individuen und Familien. In dem von der Globalisierung 23 Zugang zu sozialen Rechten in Europa geförderten ideologischen Klima nehmen wirtschaftliche Belange eine herausragende Stellung ein, so dass den Bedürfnissen der Wirtschaft gegenüber denen der Gesellschaft der Vorrang eingeräumt wird. Die Meinungen über Globalisierung sind sehr vielfältig, könnten aber dahingehend zusammengefasst werden, dass die Globalisierung sowohl Risiken, Möglichkeiten als auch Herausforderungen mit sich bringt. Trotz der wirtschaftlichen Vorzüge der Globalisierung und der Tatsache, dass sie ein Motor für die Wirtschaft und das Beschäftigungswachstum ist, gibt es dennoch Grund zur Sorge hinsichtlich der Implikationen der Globalisierung für den Zugang zu sozialen Rechten. Die Globalisierung legt die Kosten der Finanzierung von sozialer Sicherheit offen und wird mit dem Druck assoziiert, den Anspruch auf Sozialschutz zu schwächen. In einem Kontext, in dem Regierungen sich der Notwendigkeit nach Flexibilität ausgesetzt sehen, wie sie auf Risiken reagieren, und immer stärker im Hinblick auf Löhne, Kosten und Wettbewerb unter Druck geraten, könnten soziale Rechte in einem negativen Licht erscheinen, als ein optionales Extra oder als zu kostenintensiv. Solche Ansichten sind in einigen Staaten stärker vertreten als in anderen. Somit hängen die Auswirkungen der Globalisierung in gewissem Sinne davon ab, wie man sie auf nationaler Ebene betrachtet und auf sie reagiert. Statt einer vollkommen negativen Darstellung ist es jedoch wichtig herauszustellen, dass einige Maßnahmen zum Sozialschutz ergriffen wurden, um den negativen Entwicklungen, die man mit der Globalisierung assoziiert, entgegenzuwirken. Pillinger (2001: 7) stellt eine allgemeine Entwicklung zu mehr individualisierten Rechten fest, die sich durch ein Abwenden von universalen Dienstleistungen und einem Zuwenden zu ausgewählten Leistungen auszeichnet, die in einer koordinierteren Weise vielfältige Bedürfnisse behandeln. Obwohl die Globalisierung eine größere Flexibilität ermöglicht, kann sie gleichzeitig auch mit einer neuen Form der Ausgrenzung einhergehen. Jene, die bereits einen gesicherten Platz in der Gesellschaft haben, sind diejenigen, die am ehesten von den Möglichkeiten der Globalisierung profitieren. In diesem Kontext ist es wichtig, die Möglichkeit jedes Einzelnen sicherzustellen, sich mit neuen Technologien und den Massenmedien zu befassen und Gelegenheiten für ein lebenslanges Lernen zu erhalten. Im Ganzen können drei wichtige Punkte im Hinblick auf die Globalisierung formuliert werden. Der erste Punkt ist, dass es nicht angemessen ist, die Globalisierung in eindimensionaler oder homogener Weise zu betrachten; ihr Erscheinungsbild und ihre Auswirkungen sind von Ort zu Ort unterschiedlich. Zweitens ist die Reaktion auf die Globalisierung, sei es seitens supranationaler Einrichtungen, Staaten, Regionen oder selbst auf lokaler Ebene, ausschlaggebend im Hinblick auf ihre Auswirkungen und wahrscheinlichen Manifestationen. Drittens haben sich im Prozess der Globalisierung sowohl das Ausmaß der regionalen Unterschiede und 24 Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa Ungleichheiten innerhalb Europas als auch die Geschwindigkeit erhöht, in der sie wachsen. Der Zerfall der zentralen Planwirtschaften in Mittel- und Osteuropa hat ebenfalls eine erhebliche Bedeutung für die sozialen Rechte. Er hat die beteiligten Staaten nicht nur auf den Weg eines schwierigen Übergangsprozesses gebracht, sondern hat, im gesamteuropäischen Kontext, die Besorgnis über die Gefahren zentralistischer staatlicher Zuwendungen erhöht, besonders in Bezug auf die wahrgenommenen negativen Auswirkungen sowohl auf den Markt als auch auf die individuelle Autonomie. Ein damit zusammenhängender Faktor, der vielleicht dazu beigetragen hat, die Legitimität der sozialen Rechte für Europa zu unterminieren, ist das Anwachsen regionaler Unterschiede innerhalb der Staaten und zwischen den Staaten. Wenn man die Staaten miteinander vergleicht, die sich über den Kontinent erstrecken, sind die Unterschiede offensichtlich. Die Auswirkungen des Wandels in Ökonomie, Politik und Werten haben einen erheblichen Einfluss genommen, besonders in mittelund osteuropäischen Staaten. Während politische Entwicklungen eine wichtige Rolle für den Aufbau und den Zerfall der ehemaligen Systeme dieser Staaten gespielt haben, scheinen wirtschaftsbezogene Fragen und Interessen für den Neuaufbau im Vordergrund zu stehen (Deacon 2000). Alle Anzeichen belegen, dass die Reformen sehr hohe soziale und wirtschaftliche Kosten haben (Weltbank 1996; Milanovic 1998; Standing 1998; UNDP 1998). Sich verschärfende Unterschiede und Ungleichheit können die Aufgabe erschweren, einen Ansatz der sozialen Rechte anzuwenden und zu legitimieren. Auch andere politische Änderungen haben Auswirkungen auf soziale Rechte. In den Staaten und grenzübergreifend wird die Politik immer mehr durch eine Politik der Unterschiede und/oder Anerkennung geformt (Phillips 1999). Angesichts eines sich ausweitenden Individualismus zeichnen sich die Regierungen dadurch aus, einerseits die Unterschiede zwischen den Gruppen (z. B. aufgrund von Geschlecht, Ethnie, Herkunft, Sprache und Kultur) und andererseits die Gruppenzugehörigkeit von Individuen anzuerkennen. In diesem Kontext wird die Frage nach der Bedeutung von politischer Gleichheit zwischen Individuen und Gruppen aufgeworfen. Eine damit verwandte Herausforderung stellt das Anwachsen von Nationalismus dar, der, in seinen am stärksten ausgrenzenden und aggressivsten Formen, dem Grundsatz der Universalität entgegensteht, der einem rechtsbezogenen Ansatz zugrunde liegt. Neben den wirtschaftlichen und politischen Veränderungen wirkt sich auch ein Wandel der Werte auf die sozialen Rechte aus. Die traditionelle Idee der Versorgung durch öffentliche Stellen wird in Frage gestellt, besonders durch Deregulierung. Dies ist eine Entwicklung, die ebenfalls Risiken und Möglichkeiten beinhaltet. Die Wahlmöglichkeit wird immer stärker als ein wichtiges öffentliches Gut betrachtet, was wiederum zur Schaffung von Dienstleistungen führt, die 25 Zugang zu sozialen Rechten in Europa besser auf die Bedürfnisse der Nutzer eingehen. Die Möglichkeit für eine stärkere Rolle von NROs und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft eröffnet sich hier. Ein großes Risiko im Hinblick auf die Wahlmöglichkeit ist jedoch, dass der Zugang sozial benachteiligter Gruppen zu den Dienstleistungen und Zuwendungen behindert wird. Es besteht auch das Risiko, dass sich die öffentliche Meinung und die öffentliche Unterstützung für soziale Rechte ändern, indem, aus Eigeninteresse oder aus anderen Gründen, einige Bereiche der Gemeinschaft nicht mehr länger bereit sind, die Steuern zu zahlen, die für ein umfassendes Netz an sozialen Zuwendungen und Rechten erforderlich sind. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Globalisierung, der Zerfall der zentralistischen Staaten in Mittel- und Osteuropa und der Wandel in Politik und Werten zu einem erneuten Nachdenken über die bestehenden Grundpfeiler von Solidarität und sozialer Zusammenarbeit geführt haben. Es besteht daher kein Zweifel, dass sich der Kontext verändert, in dem die Allgemeingültigkeit sozialer, politischer und wirtschaftlicher Rechte in Europa entstanden ist. Dies darf man jedoch nicht dahingehend verstehen, dass die Verpflichtung gegenüber sozialen Rechten in Europa unterminiert worden ist. Tatsächlich belegen die bereits durchgeführten Reformen, dass die Mehrheit der europäischen Staaten keineswegs ihre Bindung an soziale Rechte aufgeben. Es ist unbestritten, dass Maßnahmen ergriffen wurden, um Zuwendungen und Dienstleistungen zielgerichteter zu gestalten, mehr individuelle Eigenverantwortung zu fördern und eine Übertragung der Risiken von öffentlichen Bereichen auf den Privatbereich und den freien Markt vorzunehmen. Soziale Leistungen und Rechte haben sich jedoch bisher als sehr beständig erwiesen. Aus Platzmangel kann nicht eingehend auf dieses Thema eingegangen werden, aber es gibt, wie Ferrera und Rhodes (2000: 258) und andere1 feststellen, Grund zur Annahme, dass der generelle Einfluss der Globalisierung und anderer Kräfte des Wandels überbewertet wurden. Obwohl kein Zweifel besteht, dass die Staaten Mittel- und Osteuropas einen grundlegenden Wandel erfahren, bewegen auch sie sich in Richtung eines auf sozialen Gesetzen basierenden Ansatzes. Tatsächlich haben sich soziale Rechte erneut als essenzielle Bestandteile der Marktwirtschaft erwiesen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass soziale Rechte ein herausragendes Merkmal der heutigen europäischen Gesellschaft sind. 1.3. Auswirkungen eines nicht-rechtlichen Ansatzes Hier wenden wir uns der Frage nach der Relevanz sozialer Rechte in der heutigen Welt zu und der Frage, ob das Konzept der sozialen Rechte geändert werden muss, um die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Realitäten des gegenwärtigen Europas zu berücksichtigen. ______ 1. Siehe z. B. Borchert (1995), Daly (1997) und Sykes, Palier und Prior (2001). 26 Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa Angesichts der Tatsache, dass heute stärker als in der Vergangenheit soziale Rechte als Grundlage des europäischen Sozialmodells in Frage gestellt werden, muss die beständige Relevanz sozialer Rechte in einer fragmentierten und globalisierten Welt nachgewiesen werden. Es gibt nur zwei Argumente, die Relevanz sozialer Rechte in Frage zu stellen. Das erste Argument gegen die Notwendigkeit sozialer Rechte dreht sich um einen möglichen Wandel in solidarischen Werten (unter Individuen und Regierungen). Wenn die Grundwerte, die den sozialen Rechten zugrunde liegen, nicht mehr länger weit verbreitet unterstützt werden, dann wird die Legitimität sozialer Rechte unterminiert. In dieser Hinsicht sollte die politische Bedeutung sozialer Rechte nicht unterschätzt werden. Da sie Ressourcen für sich beanspruchen, stellen sie eine bedeutende Herausforderung für die Annahme dar, dass Bürgerschaft hauptsächlich eine Frage des politischen und zivilen Status sei (Plant 1992: 16). Soziale Rechte zielen darauf ab, dem Status als Bürger eine materielle Grundlage zu verleihen. T. H. Marshall (1965) definierte sie als das Recht auf ein Minimum an wirtschaftlichem Wohlergehen und wirtschaftlicher Sicherheit, das Recht, in vollem Umfang am sozialen Erbe teilzuhaben, und das Leben eines zivilisierten Menschen zu leben gemäß den Standards, die in der jeweiligen Gesellschaft vorherrschen. Wie Plant bemerkt, bedeuten soziale Rechte, dass die Verpflichtungen der Bürger nicht beim gegenseitigen Nichteinmischen aufhören; sie beinhalten auch positive Verpflichtungen, Ressourcen für das allgemeine, kollektive Wohl bereitzustellen. Es gibt nur wenige Belege für eine starke Abnahme der solidarischen Werte. Tatsächlich sprechen sich die Menschen in Europa heute für die sogenannten traditionellen Werte und Prinzipien aus – wie z. B. Vertrauen, Gemeinschaft und Solidarität (Europäische Kommission 2001). Das zweite Argument gegen soziale Rechte besagt, dass sich die Natur der grundlegenden Bedürfnisse gewandelt hat. Auch für diese Behauptung lassen sich keine Belege finden. Tatsächlich ist der Bedarf an Schutz im Hinblick auf Beschäftigung, Gesundheit, Wohnen, Einkommen, Wohlfahrt und Bildung stärker denn je. Das heißt, dass neue Bedürfnisse oder Rechte keineswegs die grundlegenden sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedürfnisse ersetzt haben, die ursprünglich einmal der Ausgangspunkt für die Institutionalisierung sozialer Rechte gewesen sind. Wenn überhaupt, so muss man für eine Ausweitung der Bereiche plädieren, die man als grundlegende Bedürfnisse erachtet. Bedenken wir die heutige technologisierte und wissensbasierte Gesellschaft und wie leicht Menschen den Anschluss verlieren, wenn sie keinen Zugang zu Massenmedien und neuer Technologie haben. Lebenslanges Lernen wird in dieser sich wandelnden Umgebung essenziell. Der Bedarf an neuen Kategorien sozialer Rechte wurde durch die EU in ihrer kürzlich vorgestellten Charta der Grundrechte anerkannt. Wie bereits oben beschrieben, bezieht sie sich auf 27 Zugang zu sozialen Rechten in Europa moderne Rechte in Bezug auf Bio-Ethik und auf den Schutz persönlicher Daten. Ob wir auch über neue soziale Rechte sprechen müssen, ist eine wichtige Frage. Zu den Rechten, die sich in dieser Hinsicht ergeben, gehören kulturelle Rechte, globale und ökologische Bürgerrechte und Rechte von Kindern.1 Eine Diskussion kultureller Rechte wirft wichtige Fragen über den Respekt im Hinblick auf Unterschiede in kulturellen Werten und auch über die Anerkennung des Rechts von Gruppen oder eines Individuums innerhalb eines Staates auf, deren/dessen eigene kulturelle Identität sowie diese Identität und Kultur zu bewahren und weiterzuentwickeln. Das Inkrafttreten des Rahmenabkommens zum Schutz der Nationalen Minderheiten sowie der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen im Jahr 1998 ist hier von Bedeutung, da sie Minderheiten, die in diesen Dokumenten genannt werden, die Inanspruchnahme ihrer sozialen Rechte garantieren. Globale und ökologische Bürgerrechte beinhalten das Recht auf eine soziale Ordnung, in der es einen Umweltschutz und eine Anerkennung des Anspruchs von Individuen auf Zugang zu Informationen und Ressourcen gibt, die sie in die Lage versetzen, Umweltzerstörungen entgegenzuwirken. Im Hinblick auf die Rechte von Kindern wurden im letzten Jahrzehnt gemeinsame Maßnahmen ergriffen, um Kindern sowohl Menschenrechte als auch wirtschaftliche und soziale Rechte zu garantieren. Die UN Konvention über die Rechte des Kindes aus dem Jahr 1989 erklärt z. B. Kinder als Nutznießer einer ganzen Reihe von Rechten, einschließlich der Rechte, die zu dieser Zeit als innovativ galten, wie z. B. das Recht auf Überleben, Schutz und Entwicklung sowie das Recht auf Partizipation. Die Europäische Konvention über die Ausübung der Rechte von Kindern (1996), die kürzlich in Kraft trat, zielt auf den Schutz der Interessen und Rechte von Kindern ab. Sie enthält eine Anzahl von Verfahrensmaßnahmen, die sicherstellen sollen, dass die Rechte von Kindern respektiert werden und richtete einen Ständigen Ausschuss ein, der sich mit den Fragen beschäftigt, die sich aus dieser Konvention ergeben. Kinder können ihre Rechte – z. B. informiert zu werden und ihre Meinung darzulegen - entweder selbst oder über andere Personen oder Einrichtungen wahrnehmen. Dieses neue europäische Rechtsmittel wird darüber hinaus Staaten helfen, die UN Konvention über die Rechte des Kindes umzusetzen. Es ist zweifellos unbestritten, dass wir heute nicht mehr mit fixen Kategorien des Rechts auskommen. So kann man z. B. gute Gründe anführen, in einer Gesellschaft, wie der heutigen, Entwicklung und Fortschritt als grundlegende menschliche Bedürfnisse zu bezeichnen. So sind in einer Welt, in der Fähigkeiten schnell überholt sind und in der dem Wissen, der Innovation und der Risikofreude Priorität eingeräumt werden, Anpassung und Änderung ______ 1. Diese und weitere neue Rechte werden in den von Van Steenbergen (1994) und Eide, Krause und Rosas (1995) herausgegebenen Sammlungen behandelt. 28 Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa essenzielle Bestandteile. Der Zugang zu Bildung und Lernen auf einer mehr oder weniger kontinuierlichen Basis gewinnt in diesem Kontext eine erhebliche Bedeutung. Man könnte in der Tat argumentieren, dass Bildung und Entwicklung in Bezug auf Wissen und Technologie lebenswichtig sind, um ein Ansteigen von Marginalisierung und Ausgrenzung zu verhindern. Jeder sollte das Recht auf Fortschritt und Weiterentwicklung haben, ob in kognitiver, sozialer, kultureller oder emotionaler Hinsicht. Man kann auch für soziale Rechte plädieren, indem man die Kosten eines Verzichts auf einen nicht-rechtlichen Ansatz hervorhebt. Die Zahlen über Armut und soziale Ausgrenzung sind ein schwerwiegendes Anzeichen für die Unfähigkeit der Menschen, Zugang zu sozialen Rechten zu erhalten. Die neuesten über die EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung stehenden Informationen besagen, dass im Jahr 1997 18% der EU-Bevölkerung in armen Haushalten lebten1, und dass ein vergleichbarer Prozentsatz (17%) der Bevölkerung vielfältige Benachteiligungen im Hinblick auf ihre finanzielle Lage, Grundbedürfnisse und Wohnen erlebte (Rat der Europäischen Union 2001b: 16). Laut den verfügbaren Daten über Armut in den ehemals sozialistischen Staaten wurden im Jahr 2000 in den mitteleuropäischen Staaten zwischen 9% und 45% der Bevölkerung als arm bezeichnet (Rumänien: 45%, Polen: 18%, Ungarn: 9%, während die Rate in einigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion zwischen 40% und 75% lag2 (http://www.odci.gov)). All dies kann man zum Anlass nehmen, die Implementierung von sozialen Rechten in Europa zu intensivieren und den politischen Willen und den Einsatz zur Mobilisierung von Ressourcen zu verstärken, um die sozialen Fragen mittels eines rechtlichen Ansatzes zu lösen. Neuste Entwicklungen hinsichtlich des Ansatzes der EU zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung sind in diesem Kontext von Bedeutung. Der sogenannte Prozess der sozialen Eingliederung wurde im Dezember 2000 mit einem Treffen des Europäischen Rates in Nizza gestartet. Es basiert auf vier weitgespannten Zielsetzungen. Die erste Zielsetzung ist es, den Menschen die Teilnahme an Beschäftigung zu ermöglichen und allen Zugang zu den Ressourcen, Rechten, Gütern und Dienstleistungen zu ermöglichen, die für eine solche Teilnahme erforderlich sind. Die zweite Zielsetzung ist, das Risiko der sozialen Ausgrenzung zu verhindern und die dritte, den sozial Schwächsten zu helfen. In dieser Hinsicht erwähnt diese Strategie insbesondere die „Garantie, dass jeder über die Ressourcen verfügt, die notwendig sind, um menschenwürdig leben zu können“. Schließlich verfolgt die Strategie das Ziel, eine Reihe sogenannter „relevanter Akteure“ zu involvieren. Dies bezieht sich auf jene Einrichtungen, Gruppen und ______ 1. Definiert im Hinblick auf ein Einkommen, das 60% unter dem nationalen, mittleren Einkommen lag. 2. Die Angaben waren wie folgt: Russland: 40%, Armenien: 45%, Ukraine: 50%, Aserbaidschan: 60%, Georgien: 60%, Modawien: 75%. 29 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Individuen, die sich entweder aktiv an der politischen Arbeit in diesem Bereich engagieren oder die in der Gemeinde oder anderer Arbeit tätig sind und deren Tätigkeit sie in die Lage versetzt, die unterschiedlichen Probleme anzugehen, die dort auftreten. Menschen, die arm sind oder ausgegrenzt werden, sind ebenfalls als potenzielle Teilnehmer aufgeführt. Der Prozess zur sozialen Eingliederung besteht aus zwei Phasen. Die erste Phase ist die Vorlage eines nationalen Aktionsplans (NAPs/incl)1 durch die Mitgliedstaaten der Kommission und ihre Prüfung durch die Kommission und den Europäischen Rat. Die zweite Phase des Prozesses zur sozialen Eingliederung besteht in einem multinationalen Aktionsplan, der die Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten im Kampf gegen soziale Ausgrenzung fördern soll. Für diesen Fünf-Jahres-Plan, der im Januar 2002 beginnt, steht ein Budget in Höhe von EUR 75 Millionen zur Verfügung, womit Maßnahmen in einzelnen Mitgliedstaaten oder gemeinsame Maßnahmen finanziert werden. Auch die menschlichen Kosten eines nicht-rechtlichen Ansatzes sollten hervorgehoben werden. Alle bisher besprochenen Änderungen haben sich auf Individuen, Familien und Gemeinschaften und die Gesellschaften als Ganzes ausgewirkt. Tatsächlich ist es so, dass sozial schwache Gruppen einige der größten Kosten der Anpassung und des Wandels tragen. Diese Kosten beziehen sich auf eine Liste verpasster Möglichkeiten, ob in Bezug auf die eigene Entwicklung von Menschen und deren Wohlergehen oder in Bezug auf die Chance, für seine Gemeinschaft oder sein Land einen positiven Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten. Soziale Sicherheitsnetze sind daher sehr wichtig, wenn die Kosten für ihre Entwicklung dort anfallen, wo sie am ehesten getragen werden können. Sie haben darüber hinaus noch eine weitere wichtige Funktion, da sie den Vorteil bieten, Menschen in die Lage zu versetzen, Risiken zu übernehmen. Schließlich können wir die Ausweitung der sozialen Rechte, die unter der Schirmherrschaft des Europarates und der EU vorgenommen wurde, als Beleg für die kontinuierliche Bedeutung eines rechtlichen Ansatzes nehmen. Ein Merkmal in dem Ansatz der EU ist heute, Sozialpolitik nicht nur als Faktor für Produktion, sondern auch als Produktionsfaktor zu betrachten. Ökonomien können nicht in einem sozialen Vakuum existieren und die Stärkung der sozialen Rechte dient, inter alia, der Risikominderung im Hinblick auf zukünftige soziale und politische Spaltungen. In diesem Licht betrachtet, helfen soziale Rechte, soziale Spannungen zu mindern und zur wirtschaftlichen Entwicklung beizutragen. Sie unterstützen auch nachhaltige Gesellschaften, und diese nachhaltigen Gesellschaften sind wiederum eine Grundvoraussetzung für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und ______ 1. NAPs/incl steht für „National Action Plans against Poverty and Social Exclusion“ (Nationaler Aktionsplan gegen Armut und soziale Ausgrenzung). In der ersten Phase des Prozesses zur sozialen Eingliederung präsentiert jeder Mitgliedstaat seine geplanten Prioritäten und Maßnahmen für zwei Jahre (Juli 2001-Juni 2003) in Form eines Plans zur Förderung sozialer Eingliederung und Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Die nächste Phase der nationalen Aktionspläne beginnt 2003. 30 Trends und Entwicklungen sozialer Rechte im heutigen Europa für nachhaltige Demokratien. In dieser und anderer Weise sorgen soziale Rechte für einen sozialen Mehrwert. Dies ist eine Tatsache, die weder durch Globalisierung noch andere Entwicklungen verändert wird. Die Antwort sollte sich demnach auf das klassische Muster stützen, das sich im Laufe des letzten halben Jahrhunderts in Europa herausgebildet hat – bei dem Probleme nicht auf nationaler Ebene als einzigartig behandelt werden. In diesem Sinne werden sowohl supranationale als auch nationale, regionale sowie lokale Ressourcen in der Überzeugung zusammengelegt, dass Europa kollektiv agieren muss, um wahrhaft „sozial“ sein zu können. 31 2. Analyserahmen für den Zugang zu sozialen Rechten Dieses Kapitel legt seinen Schwerpunkt auf die Definition und Abgrenzung des Umfangs dieses Berichtes und legt den Analyserahmen fest. 2.1. Definition von sozialen Rechten und Festlegung ihres Umfangs Es gibt keine eindeutige Definition von sozialen Rechten. Es ist jedoch allgemein üblich, in juristischen Texten und in der Forschung von Rechten zwischen zwei allgemeinen Kategorien von Menschenrechten zu unterscheiden: zivilen und politischen Rechten und wirtschaftlichen und sozialen Rechten. Es gibt eine Reihe von Gründen für diese Unterscheidung, wobei der zentrale Punkt die Annahme ist, dass diese beiden Bereiche sich ihrem Wesen nach unterscheiden. Ein erstes Unterscheidungsmerkmal bezieht sich auf die Rolle des Staates. Bürger- und politische Rechte orientieren sich in der Regel an der Freiheit von staatlicher Einmischung, wohingegen soziale Rechte eher einen Anspruch an den Staat auf Schutz und Unterstützung beinhalten. Soziale Rechte implizieren demnach einen aktiven (wenn nicht sogar einen interventionistischen) Staat und begründen sich in einer Philosophie, die sich auf eine „gute Gesellschaft“ bezieht und wie der Staat zu dieser beitragen kann. Dies führt zu einem weiteren Unterscheidungsmerkmal der sozialen Rechte. Bürger- und politische Rechte sind ihrem Wesen nach häufiger „justitiabel“ (in Gesetzen festgelegt und durch Gerichte und rechtliche Einrichtungen anwendbar), wohingegen soziale Rechte eher durch die Politik und soziale Bestimmungen realisiert werden. Darüber hinaus wurden Bürger- und politische Rechte stets als „absolut“ und „unmittelbar“ betrachtet, während soziale Rechte eher als programmatisch und als graduell umsetzbar betrachtet wurden (Eide 1995a: 22). Es scheint nun, dass viele dieser angenommenen Unterschiede übertrieben sind. Auch soziale Rechte können justitiabel sein und die „Unmittelbarkeit“ und „Absolutheit“ von Bürger- und politischen Rechten steht nicht außer Frage. Außerdem ging im Laufe der Zeit die Richtung in eine stärkere Integration zwischen Bürger-/politischen Rechten und sozialen Rechten (Eide 1995b). Dies lässt sich nicht nur anhand der UN Konvention über die Rechte des Kindes nachweisen, sondern auch anhand der neueren Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Beide Dokumente verwenden einen umfassenden Ansatz und schließen die verschiedenen Rechte gleichrangig ein. Der vom Europarat genommene Ansatz betont das Komplementäre der unterschiedlichen Kategorien von Rechten. Menschenrechte sind 33 Zugang zu sozialen Rechten in Europa unveräußerliche Rechte, die den Respekt vor der grundsätzlichen Würde eines Menschen garantieren. Mit diesem Rahmen garantiert die Europäische Menschenrechtskonvention staatsbürgerliche und politische Menschenrechte; die durch die Europäische Sozialcharta und die revidierte Europäische Sozialcharta garantierten sozialen Rechte sind das natürliche Gegenstück zu diesen Menschenrechten. Diese sozialen Rechte umfassen das Recht auf Beschäftigung, Sozialschutz, Wohnung, Gesundheit, Bildung und Gleichbehandlung. Die sozialen Rechte weisen jedoch einige bedeutende Merkmale auf, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Zum einen ist es wichtig zu wissen, dass Gesetze nicht der einzige Bezugspunkt für soziale Rechte sind. Sie stellen vielmehr eine Mischung aus Gesetzen und sozialer Dienstleistung dar. Tatsächlich weist Bubnov-Skoberne (2001: 27) darauf hin, dass sowohl der Typus und der Umfang der sozialen Rechte in einem bestimmten Staat als auch die Gruppe der Leistungsberechtigten viel stärker durch die wirtschaftliche und politische Situation des Staates beeinflusst werden, als durch internationale und verfassungsmäßige gesetzliche Regulierung. Demnach nehmen soziale Rechte eine primäre Rolle bei der positiven Verpflichtung und Bereitstellung seitens des Staates ein, und zwar in dem Sinne, dass Schritte unternommen werden, Ressourcen zur Verfügung zu stellen und soziale Leistungen und Einrichtungen zu schaffen, damit die sozialen Rechte realisiert werden. Der Zugang zu sozialen Rechten, also der Gegenstand dieses Berichts, wird erheblich beeinflusst durch die, wie wir sie nennen, Architektur der sozialen Leistungen. Eine Schlüsselfrage im Hinblick auf soziale Rechte ist: Wie ist der Anspruch formuliert? Ist er gesetzlich festgelegt oder findet er lediglich Ausdruck in allgemeinen politischen Zielsetzungen? Ein anderes Verständnis sozialer Rechte ergibt sich im Hinblick auf die Werte und Vorgaben, die sie in Bezug zur Gesellschaft und dem gesellschaftlichen Wohl implizieren. Das bedeutet, dass soziale Rechte ihre Bedeutung auch durch die Definition erhalten, was es heißt, Teilnehmer oder Mitglied einer Gesellschaft zu sein. In dieser Hinsicht implizieren sie eine Verpflichtung zu sozialem Zusammenhalt, Solidarität, Gleichheit und Eingliederung. Sie bedeuten auch eine große Verpflichtung zum Schutze von sozial schwachen Gruppen. Obwohl es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, soziale Rechte zu definieren und zu interpretieren, versteht der vorliegende Bericht, unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Punkte, soziale Rechte sowohl in Bezug auf individuelle Bedürfnisse als auch in Bezug auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Soziale Rechte sind demnach jene Bestimmungen, ob in juristischer oder anderer Art festgelegt, die für die Erfüllung der sozialen Bedürfnisse von Menschen und für die Förderung des sozialen Zusammenhalts und der Solidarität notwendig sind. In Bezug auf den Inhalt 34 Analyserahmen für den Zugang zu sozialen Rechten sozialer Rechte verfolgt dieser Bericht den Ansatz der Europäischen Sozialcharta, in ihrer Original- und revidierten Fassung, um die verschiedenen Bereiche sozialer Rechte zu identifizieren, die im Aufgabenkatalog für diesen Bericht festgelegt wurden. Daher legt er soziale Rechte dahingehend aus, dass sie Wohnen, Sozialschutz, Beschäftigung, Gesundheit und Bildung umfassen. 2.2. Analyserahmen für die Untersuchung des Zugangs zu sozialen Rechten Der Zugang zu sozialen Rechten wird hier als Teil einer integrierten Analyse entwickelt. Daher ist die Beurteilung von Rechten Teil eines Prozesses und bestimmte Bedingungen müssen vorherrschen, damit soziale Rechte realisiert werden oder zugänglich sind. Dies lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Reihe von Hindernissen, die die Umsetzung sozialer Rechte behindern. Es ist nicht ungewöhnlich, sich bei der Diskussion hinsichtlich der Probleme bei der Umsetzung sozialer Rechte auf die Defizite oder Fehler bestimmter Personen oder Gruppen zu konzentrieren. In einem schlechten Licht wiedergegeben, entsteht oft der Eindruck, dass, in dem Umfang, in dem Probleme beim Zugang zu sozialen Rechten bestehen, diese auf eine Unfähigkeit oder einen Fehler von Personen oder Gruppen zurückzuführen sind. Dies heißt nicht nur, das Wesen sozialer Rechte misszuverstehen, sondern es führt zur Unterlassung oder Aufgabe des Leistungsangebotes. Gleichzeitig versäumt es diese Haltung anzuerkennen, dass bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen, wenn Menschen in die Lage versetzt werden sollen, ihre sozialen Rechte auszuüben. Bei der Realisierung von Rechten spielen nicht nur verschiedene Faktoren eine Rolle, sondern auch verschiedene Akteure. Hier sind sowohl das Gesetz, die Verfahren und die Bestimmungen gemeint, die alle unzureichend oder so gestaltet sein können, dass sie die Ausübung der sozialen Rechte erschweren. Es sind hier eine Reihe von Akteuren beteiligt, einschließlich Regierung, Behörden, Anbieter aus dem Freiwilligen- und Gemeindebereich und NROs sowie Anbieter auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene, aber auch Berechtigte oder Antragsteller selbst. Der Zugang zu sozialen Rechten hängt daher von folgenden Punkten ab: – der Erklärung, dem Rahmen oder der Form des Rechts; – dem Prozess und den eingesetzten Verfahren sowie den zur Verfügung gestellten Ressourcen, um dem Recht Wirkung zu verleihen; – der Lage, einschließlich der Fähigkeiten und verfügbaren Ressourcen der potenziellen Antragsteller. Diese werden in dieser Analyse als eng miteinander verbunden behandelt. Wir gehen von dem Standpunkt aus, dass der Zugang zu sozialen Rechten eine Kette bildet, bei der die Erklärung und der Rahmen des Rechts, der 35 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Prozess und die erforderlichen Programme und Ressourcen, durch die er realisiert wird, insbesondere auf Seiten der potenziellen Berechtigten oder Nutzer, miteinander verbunden sind. In Bezug auf den ersten oben angeführten Punkt meint dies den Rahmen oder die Form des Rechts, seinen gesetzlichen Charakter und die strukturellen und weiteren Aspekte der sozialen Bestimmung, die ihm Wirkung verleihen. Es ist wichtig, in diesem Kontext darauf hinzuweisen, dass der Zugang zu sozialen Rechten nicht aus dem gesetzlichen Rahmen oder Status des Rechts abzulesen ist (selbst, wenn ein Recht durch die Gesetzgebung begründet wurde). Darüber hinaus gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Ausmaß, in dem soziale Rechte durch eine nationale Verfassung verankert sind, und dem Ausmaß der individuellen Rechte, die durch das Gesetz oder die soziale Stellung der Bevölkerung festgelegt sind (Bubnov-Skoberne 2001: 36). Daher muss die rechtliche Position anhand der Schlüsselaspekte der Strukturen und der Entwürfe von Programmen betrachtet werden. Das Verfahren ist das zweite Element bei der Beurteilung von Rechten. Dies lenkt die Aufmerksamkeit auf die staatlichen sozialen Bestimmungen und ob diese Programme, Bedingungen und Ressourcen bereitstellen, die für die Umsetzung oder Ausübung sozialer Rechte erforderlich sind. Dienste und Leistungen, wenn sie Menschen zur Verfügung gestellt und ausgegeben werden, sind in dieser Hinsicht vorrangig zu behandeln. In gleicher Weise liegt die Verpflichtung der Regierungen und staatlichen Einrichtungen nicht nur in der Bereitstellung von Ressourcen, sondern auch darin, diese Ressourcen effizient einzusetzen. Die relevanten Faktoren beinhalten die Verfahren zur Beurteilung und Inanspruchnahme von Rechten und Leistungen, die Art und Weise, in der Dienste verwaltet, organisiert und geliefert werden, das Ausmaß der Umsetzung und wie die Mitteilungen über Zuwendungen, Dienste und Verfahren organisiert sind. Fragen der Personalschulung und der Bereitstellung von Informationen für potenziell Berechtigte sind hierbei ebenfalls wichtige Punkte. Beim dritten Glied in der Kette – den potenziellen Leistungsberechtigten – ist es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass Menschenrechte grundsätzlich nicht mehrheitsgebunden sind (Donnelly 1994:19). Nicht mehrheitsgebunden bedeutet, dass sie sich mit Einzelpersonen, nicht mit der Menschheit an sich befassen und darauf abzielen, jeden Einzelnen zu schützen, und nicht nur generell die meisten Menschen, wobei dann einige ausgeschlossen werden. Kurz gesagt handelt es sich um Rechte, die auf Menschen aufgrund ihrer Menschlichkeit Anwendung finden. Vor diesem Hintergrund gewinnen die Erfahrung und die Lage der einzelnen (potenziellen) Antragsteller zentrale Bedeutung. Die Beantragung oder Geltendmachung eines Rechts hängt nicht nur von der rechtlichen Position einer Person ab, sondern auch von den Ressourcen und Fähigkeiten, die 36 Analyserahmen für den Zugang zu sozialen Rechten dieser Person zur Verfügung stehen. Ebenso wie finanzielle Ressourcen kann dies auch die intellektuellen, sozialen und kulturellen Fähigkeiten einschließen. Sowohl sprachliche Fähigkeiten, Informationen und Wissen, wirtschaftliche Ressourcen, soziale, psychologische und soziokulturelle Fähigkeiten als auch soziale Kontakte (einschließlich zu NROs) müssen gegebenenfalls mobilisiert werden, um Zugang zu sozialen Rechten zu erhalten. Angesichts der ungleichen Verteilung von Ressourcen innerhalb und zwischen den Gesellschaften ist die Erfahrung jener Menschen, die nicht über eine oder mehrere dieser Ressourcen verfügt, von ausschlaggebender Bedeutung. Dabei kann es sich um sozial schwache Gruppen handeln, aber dies ist nicht immer der Fall, denn viele Menschen, die nicht unbedingt als „sozial schwach“ eingestuft werden, sehen sich trotzdem nicht in der Lage, die Bedingungen für eine Inanspruchnahme zu erfüllen. Dies kann z. B. dann vorliegen, wenn Menschen ihre Arbeitsstelle wechseln oder wenn eine drastische Veränderung der Familiensituation auftritt (wie z. B. eine Scheidung). Der Europarat hat seine Arbeit immer auf der Würde des Individuums aufgebaut und dies stets mit dem Respekt und der besonderen Verpflichtung gegenüber sozial schwachen Mitgliedern einer Gesellschaft verbunden. Die Menschen im Blick zu behalten ist ebenfalls ein zusätzliches Prüfkriterium hinsichtlich der Angemessenheit von Bestimmungen, weil das Ausmaß, in dem ein solcher Rahmen „schwachen“ oder „ausgegrenzten“ Gruppen den Zugang gewährt, der Lackmustest für die bereitgestellten sozialen Rechte ist. In dieser Hinsicht lautet eine wichtige analytische Frage: Welche Ressourcen sind erforderlich, um soziale Rechte geltend zu machen, und verfügen die Menschen, insbesondere sozial schwache, in der Regel in ausreichender Form über diese Ressourcen? 37 3. Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität Es liegen zwingende Beweise vor, bestätigt sowohl durch die Arbeiten der Expertengruppen als auch durch das Projekt des Europarates über Menschenwürde und soziale Ausgrenzung (HDSE) und andere Quellen (Duffy 1998), dass der offizielle Anspruch auf ein soziales Recht keine Garantie dafür ist, dass dieses Recht in der Praxis ausgeübt werden kann oder wird. Mit anderen Worten, es gibt eine Reihe von Hürden, die die Umsetzung sozialer Rechte behindern. Die Ergebnisse der von den verschiedenen Expertengruppen durchgeführten Forschungsarbeiten legen nahe, dass der Frage nach dem Zugang zu sozialen Rechten, anstatt diesen als selbstverständlich zu betrachten, unbedingt Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Hindernisse ergeben sich über die gesamte Bandbreite sozialer Rechte, d.h., von der Form oder der Erklärung des Rechts über die Prozesse, Verfahren und verfügbaren Ressourcen, die für ihre Umsetzung bereitstehen, bis zu der Lage der Nutzer oder potenziell Berechtigten, wenn sie diese Rechte realisieren möchten. Eine genaue Untersuchung dieser Hindernisse ist lohnenswert. Die Hindernisse sind vielgestaltig und nicht auf einen Bereich beschränkt. In diesem Bericht wird dargelegt, dass sich die Hindernisse in sieben Kategorien einteilen lassen. Tabelle 1 listet diese zusammen mit ihren verbreitetsten Erscheinungsformen auf. Es sei darauf hingewiesen, dass sie lediglich zum Zweck der Analyse und Diskussion einzeln behandelt werden. In der Praxis sind sie interdependent und überschneiden sich, so dass man sie als Aneinanderkettung von Hindernissen betrachten sollte. Mit anderen Worten, man sollte sie als Spirale der Ausgrenzung von sozialen Rechten verstehen. Die Kette der Hindernisse zu sozialen Rechten Die Verbreitung und die Bedeutung dieser Hindernisse variieren von Staat zu Staat und innerhalb dieser Staaten, je nach Gruppe oder Bereich der Rechte, in denen sie am stärksten auftreten. Bezug genommen wird daher, je nach Sachlage, auf regionale Unterschiede und auf Unterschiede bei Untergruppen. Entsprechend des allgemeinen Analyserahmens, der für diesen Bericht verwendet wurde, wird jedoch die Hauptgewichtung auf die gemeinsamen Strukturen in den Mitgliedstaaten gelegt. 39 Zugang zu sozialen Rechten in Europa 3.1. Hindernisse, die sich aus der Form des Rechts ergeben und die Eignung gesetzlicher und anderer Bestimmungen Wesentlich ist hier der Rahmen, sowohl in gesetzlicher Hinsicht als auch in Hinsicht auf die Struktur und Form von Bestimmungen, in der das soziale Recht juristisch kodifiziert und organisiert wurde. Die sich ergebenden Hindernisse schaffen nicht nur Schwierigkeiten hinsichtlich der Umsetzung von Rechten, sondern schließen einige Menschen tatsächlich von der Berechtigung aus. Die erste Hinderniskategorie bezieht sich darauf, wo und wie dieses Recht dargelegt ist und insbesondere den Genauigkeitsgrad der Darlegung. Ein zweites Hindernis ergibt sich, wenn die Rechte auf bestimmte Bevölkerungsteile begrenzt sind. Lücken im sozialen Sicherheitsnetz bilden das dritte Hindernis bei der Umsetzung sozialer Rechte. Ein viertes Hindernis ergibt sich daraus, dass keine Mindestschwelle oder kein Mindeststandard (für Dienste und Leistungen) festgelegt wurde. Ein fünftes mögliches Hindernis bezieht sich auf die Form der Berechtigung oder Qualifikation, insbesondere darauf, wie dies zur Ausgrenzung einiger Menschen führen kann. Ein sechstes Hindernis (und eine Ursache für Ausgrenzung oder Schwierigkeiten) tritt auf, wenn die Struktur der Bestimmung mit der Art der Nachfrage oder des Bedarfs nicht übereinstimmt. 3.1.1. Mangel an Genauigkeit in der Darlegung des Rechts oder Anspruchs Sowohl die Art als auch der Umfang, in dem soziale Rechte in der nationalen Gesetzgebung dargelegt sind, variieren erheblich. Diese Unterschiede reichen von der klaren Festlegung von sozialen Rechten im Gesetz bis zu allgemeinen Zielsetzungen oder Grundprinzipien, die durch die Politik erreicht werden sollen. Die Rolle des Staates reicht dabei von der einfachen Respektierung von Rechten über den Schutz dieser Rechte bis zur aktiven Erfüllung derselben (Eide 1995b: 233). Eine neue Studie zum Wohnen (BIPE 2000) hilft bei der Unterscheidung von vier Ebenen (der Darlegung) dieser Rechte: – ein in die Verfassung aufgenommenes Recht; – ein durch die Gesetzgebung entstandenes Recht; – die Existenz einer Politik, die auf die Realisierung eines Rechts abzielt; – ein durch die Praxis garantiertes Recht. Es liegen nur wenige Informationen über die Bedeutung dieser und anderer Varianten hinsichtlich der Form rechtlicher Anerkennung von Rechten sowie über die Zugänglichkeit von Rechten in der Praxis vor. Ohne Zweifel ist die Justitiabilität von Bedeutung, aber andere Formen des Anspruchs können ebenfalls wirksam sein. In Bezug auf wohnungsbezogene Rechte legt z. B. die eben zitierte Studie nahe, dass die Chancen auf Realisierung des Rechts auf Wohnung steigen, wenn man von der ersten auf die vierte Darlegungsform des Anspruchs wechselt. Mit anderen Worten, es gibt einen 40 Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität Tabelle 1. Hauptfaktoren, die den Zugang zu sozialen Rechten behindern Kategorie Hindernisse Darlegung des Rechts und Angemessenheit der gesetzlichen und anderen Bestimmungen Mangel an Genauigkeit in der Darlegung des Rechts oder des Anspruchs Rechte sind auf bestimmte Bereiche der Bevölkerung begrenzt Lücken im sozialen Sicherheitsnetz Fehlende Festlegung einer Mindestschwelle oder eines Mindeststandards Ausschließende Bedingungen für den Zugang und Anspruch Kluft zwischen der Art der Bestimmung und dem Bedarf Unzureichende Überwachung und Durchsetzung Unzureichende Überwachung Unzureichender Schutz vor Nichterfüllung der Rechte Diskriminierung und/oder unterschiedliche Behandlung Unzureichende Verantwortung gegenüber den Nutzern Ressourcenmangel Für die Anbieter: Unzureichende Ressourcen (Finanzierung, Mitarbeiter, Einrichtungen, Ausrüstung) Keine Garantie oder Bereitstellung von langfristigen Ressourcen Ungleiche Ressourcen auf verschiedenen Ebenen der Verwaltung Für Nutzer oder Antragsteller: Unzureichende Ressourcen und Kapazitäten, einschließlich Finanzressourcen, Bildungskapazität, Humanressourcen, soziale Fähigkeiten und Kontakte Management und Verfahren Aufsplitterung zwischen den Verwaltungsebenen und den Diensten Unzureichende Integration und Konsultationen der NROs und der Nutzer Komplexität der Verfahren Hindernisse aufgrund der Art und Praxis der Dienstleistung Information und Kommunikation Unzureichende Lagerung und unzureichender Austausch von qualitativ hochwertigen Informationen Unzureichende Art und Form der gegebenen Informationen Fehlende Ausnutzung „neuer“ oder alternativer Kanäle Psychologische und soziokulturelle Hindernisse Auf Seiten der Anbieter: Negative Erwartungen und Bevorzugung bestimmter Gruppen Stigmatisierung bestimmter Gruppen Mangelndes Verständnis von Minderheitenkulturen Auf Seiten der Nutzer oder Antragsteller: Furcht und Unsicherheit aufgrund der öffentlichen Verfahren und Termine Geringes Selbstvertrauen Kulturelle Hindernisse Unzureichende Beachtung sozial schwacher Gruppen und Regionen Sozial schwache Gruppen: Sozial schwache Gruppen, denen die „Ressourcen“ fehlen, um Leistungen und Dienste einzufordern Sich überschneidende Schwierigkeiten zwischen den Bevölkerungsteilen Sozial schwache Regionen: Regionen oder Orte, die mehrfach benachteiligt sind Mangel an Investitionen in bestimmten Gemeinden und Orten Klimatische und geographische Hindernisse, durch die Gebiete oder Regionen abgeschnitten sind 41 Zugang zu sozialen Rechten in Europa großen Unterschied zwischen dem in einer Verfassung oder im Gesetz verankerten Recht und der Realisierung dieses Rechts in der Praxis. Darüber hinaus erfordern soziale Rechte, um in die Praxis umgesetzt zu werden, eine Politik, die auf die aktive Umsetzung dieser Rechte ausgerichtet ist. Eine weitere in diesem Kontext relevante Information ist die der CS-LO, die besagt, dass sich die Anerkennung eines bestehenden Rechts auf Wohnung umgekehrt proportional zum relativen Grad des in diesem Staat vorherrschenden Wohnstandards verhält. Das bedeutet, dass Staaten in Westeuropa weniger als Staaten in Mittel- und Osteuropa dazu neigen, formal ein Recht auf Wohnung anzuerkennen, obwohl ihr Standard der Wohnungsbereitstellung höher ist. Es bestehen nicht nur nationale Unterschiede in der Form der Anerkennung, sondern auch zwischen den unterschiedlichen sozialen Rechten, die in diesem Bericht behandelt werden. Das Recht auf Wohnraum und das Recht auf Beschäftigung bezogene Ressourcen, wie z. B. Ausbildung, Entwicklung von Fähigkeiten und lebenslanges Lernen, sind weniger entwickelte soziale Rechte als z. B. das Recht auf Zugang zur Einkommensunterstützung und auf medizinische Grundversorgung. 3.1.2. Rechte, die auf bestimmte Bevölkerungsteile und Situationen begrenzt sind Rechte sind manchmal auf bestimmte Kategorien der Bevölkerung begrenzt, was andere wiederum ausgrenzt. So stehen Steuervergünstigungen nur jenen Menschen offen, die Steuern zahlen. Um ein weiteres Beispiel zu nennen: wohnbezogene Rechte gelten manchmal nur für Staatsangehörige eines Landes. Daher sind sowohl Ausländer, die sich legal aufhalten, als auch illegale Bewohner ausgeschlossen. Laut der CS-LO sind es die Staaten Mittel- und Osteuropas, die über den integrativsten formalen Rahmen wohnbezogener Rechte verfügen. Man muss dies jedoch im Kontext der in Abschnitt 3.1.1 vorgestellten Informationen sehen, dass nämlich Staaten mit der umfassendsten Anerkennung von Wohnrechten in der Praxis die ärmlichsten Wohnungen anbieten. Es ist auch eine Tatsache, dass bestimmte Situationen manchmal nicht nur von sozialen Rechten nicht berücksichtigt werden, sondern Menschen sogar von der Einforderung ihrer Rechte abhalten. Ein klassisches Beispiel dafür ist das Fehlen eines festen Wohnsitzes. Diese ist eine Vorbedingung für den Bezug praktisch aller Leistungen und Dienste. Eine Übergangssituation, ob nun der Wechsel eines Arbeitsplatzes, des Ortes oder der Familiensituation, kann ebenfalls dazu führen, dass ein Mensch seinen Anspruch auf soziale Rechte verliert. Dies kann auch bei einer Situation geschehen, in der der Grad an Ressourcen einer Person innerhalb einer kurzen Phase erheblich variiert. Es können auch Altersbegrenzungen vorliegen. Ein hier zugrunde liegender Schlüsselfaktor ist, dass Ungleichheit im Hinblick auf soziale Rechte nicht nur auf allgemeine Ungleichheiten oder anerkannte Ursachen sozialer Benachteiligung zurückzuführen sind. 42 Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität Der CS-PS liefert ein Beispiel für etwas, was man als neue Form der Ausgrenzung bezeichnen kann, eine Praxis, bei der Staaten ihre Einwanderungs- und Sozialgesetze dazu verwenden, Immigranten und/oder Asylsuchende vom Zugang zu sozialen Leistungen und Diensten auszuschließen oder eine separate Behandlung zu rechtfertigen. Im Ergebnis erhält man in zwei Ebenen aufgeteilte Rechte, wobei generell schlechtere Angebote für Immigranten und/oder Asylsuchende bestehen. Damit haben diese Gruppen keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zu Beschäftigung, Ausbildung und Bildungsmöglichkeiten. Wo dies der Fall ist, sind sie und ihre Familien nicht nur zu einer ärmlichen Existenz verdammt, sondern werden effektiv gehindert, eine positive Rolle in ihren Wahlgemeinden zu übernehmen. Es sei hier noch einmal wiederholt, dass es gegen den Geist und die Logik der Menschenrechte verstößt, irgendjemanden auf einem Staatsgebiet auszugrenzen. 3.1.3. Lücken im sozialen Sicherheitsnetz Eine weitere Form der Ausgrenzung ergibt sich aus Lücken im sozialen Sicherheitsnetz. Es gibt eine Anzahl benennbarer Lücken im sozialen Sicherheitsnetz in den Mitgliedstaaten, die sich negativ auf die Möglichkeiten der Menschen auswirken, ihre sozialen Rechte in Anspruch zu nehmen oder sie insgesamt ausgrenzen. Der CS-PS berichtet, dass es aus diesen Gründen in einigen Staaten unmöglich ist, einige Rechte umzusetzen, die eindeutig im Gesetz verankert sind. Obwohl fast alle Übergangsstaaten ein Mindestmaß an Garantien für Sozialschutz eingerichtet haben, treten bei ihrer Umsetzung immer noch erhebliche Probleme auf. Schwierigkeiten ergeben sich z. B. in der Form unregelmäßiger Zahlungen von Leistungen aufgrund fehlender staatlicher Mittel, Personalmangel oder langer Bearbeitungszeiten. Je größer die Lücken, desto höher die Wahrscheinlichkeit der Ablehnung oder Ausgrenzung. Realität ist, dass es in einigen Teilen Europas Lücken im sozialen Sicherheitsnetz gibt, seien sie auf eine Fragmentierung der Leistung, auf eine mangelnde Abdeckung oder fehlende Ressourcen zurückzuführen. Ein weiterer Faktor, der zu solchen Lücken führt, ist das Fehlen einer umfassenden Vision hinsichtlich Gesundheit und sozialem Wohlergehen. Staaten, die innerhalb kurzer Zeitspannen großen Umwandlungen ausgesetzt waren, sehen sich in dieser Hinsicht mit besonders großen Herausforderungen konfrontiert. Der Druck auf einige Staaten ist erheblich und sie haben ein vollkommen neues soziales Modell entwickelt. Der Grad an politischem Willen kann auch zu Lücken beitragen. Manchmal mangelt es am erforderlichen Mut, um unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Dies ist ein Grund für die mangelnde Unterstützung von Maßnahmen, die diskriminierende Behandlung von Ausländern in Bezug auf Beschäftigung verhindern sollen. Der CS-EM weist allgemein darauf hin, dass das Pflichtbewusstsein oder der politische Wille auf allen Ebenen der Regierung oder der Verwaltung fehlen können. 43 Zugang zu sozialen Rechten in Europa 3.1.4. Fehlende Festlegung einer Mindestschwelle oder eines Mindeststandards In einigen Bereichen der Grundbedürfnisse, wie z. B. Einkommen und Wohnung, wurde entweder überhaupt kein oder aber kein akzeptabler Mindeststandard eingerichtet. Dies ist ein Problem, das in einigen Staaten stärker auftritt als in anderen. Ein damit zusammenhängendes Problem ist das Fehlen einer eindeutigen Definition, welche Verpflichtungen die staatlichen Stellen haben, Dienste und Ressourcen zur Deckung der Grundbedürfnisse bereitzustellen. Die CS-LO hat z. B. nach der Beurteilung der bestehenden Situation die Empfehlung ausgesprochen, dass die Staaten in ihrer Rechtsprechung das Konzept von „angemessenem Wohnen“ aufnehmen und eindeutige Zuständigkeiten formulieren sollten, um eine solche Angemessenheit in der Praxis sicherzustellen. 3.1.5. Ausschließende Bedingungen für Zugang und Anspruch Ein weiteres mögliches Hindernis resultiert aus dem Entwurf oder der Darlegung eines Rechts. Eine der wichtigsten Punkte ist hierbei, wie die Bedingungen für einen Anspruch dargelegt sind. Dies kann z. B. Forderungen betreffen, die einige Gruppen oder Bevölkerungsteile unmöglich erfüllen können. Die Notwendigkeit eines festen Wohnsitzes ist auch hier ein klassisches Beispiel. Ein weiteres mögliches Problem in den Entwürfen der Programme und Leistungen ist, dass die fehlende Qualifikation für eine Leistung oder einen Dienst zu einer Reihe von Ablehnungen oder zur Ausgrenzung führt. Es gibt einige Belege dafür, dass dies in den Mitgliedstaaten geschieht. Ein weiterer Problempunkt bezieht sich auf die Inanspruchnahme und die Tatsache, dass die Inanspruchnahme einer Leistung tatsächlich andere Möglichkeiten verhindern kann. In einigen Staaten etwa schließt der Bezug von an der Bedürftigkeit ausgerichteten Leistungen das Nachgehen einer geregelten Arbeit aus. Während anerkannt wird, dass der Zugang geregelt werden muss und dass es daher notwendig ist, Bedingungen aufzustellen, scheinen diese Bedingungen für die Bezugsberechtigung so, als seien sie eher auf Ausgrenzung und nicht auf Eingliederung ausgerichtet. Die Arbeit des CS-PS legt dieses Problem für manche Bereiche des Sozialschutzes offen, insbesondere bei sozialer Unterstützung und anderen Leistungen, die im Ermessensspielraum von Beamten liegen. Es kann auch der Fall sein, dass der Entwurf der Programme und Leistungen dergestalt ist, dass jene, die sie am stärksten benötigen, die größten Schwierigkeiten haben, diese zu erlangen. 3.1.6. Kluft zwischen Art der Bestimmung und Bedarf Bedenkt man den rasanten Wandel der Gesellschaften, so hinkt die Sozialleistung immer der Realität hinterher. Demographische und andere Entwicklungen sind so schnell und weitreichend, dass sie die Einrichtung 44 Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität regelmäßiger Überprüfungen von Diensten und Leistungen erfordern. Geschieht dies nicht, entwickelt sich eine Kluft zwischen den Leistungen und den Forderungen oder Bedürfnissen, auf die diese Leistungen reagieren sollen. Dies könnte auch zur Ausgrenzung von Menschen führen. Dies ist besonders wichtig in Bezug auf Wohnen. So weist z. B. die Arbeit des CS-LO auf die unzulängliche Größe, Art und die Lage der angebotenen Wohnungen hin. Er beschreibt das Fehlen erschwinglicher Wohnungen für sozial Schwache als universales Problem, das besonders in den städtischen Regionen, aber auch in bedeutenden Teilen ländlicher Regionen besteht. Der CS-LO und andere Expertengruppen lenken die Aufmerksamkeit auf die Vorbereitung seitens der politisch Verantwortlichen, bereits im Vorfeld die Mängel zu identifizieren und zu beheben, besonders in Bezug auf die Verteilung und Bereitstellung von Wohnungen. Im gegenwärtigen Klima muss die Politik selbst modernisiert werden, insbesondere um die Auswirkungen der Privatisierung zu lenken und zu kontrollieren. Der CS-EM stellte für die mittel- und osteuropäischen Staaten eine etwas anders geartete Lücke fest. Er fand heraus, dass ein erhebliches Hindernis für die Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit besteht und ein Faktor, der die lokalen Projekte in dieser Hinsicht behindert, war der erhebliche Umfang der Schattenwirtschaft und des grauen Marktes und das Fehlen eines umfassenden Ansatzes zur Bekämpfung der Schattenwirtschaft, der Niedriglöhne und der nur unzureichend ausgerichteten Sozialleistungen. 3.2. Hindernisse, die sich aus unzureichender Überwachung und Umsetzung ergeben Es reicht nicht aus, gute Gesetze und Leistungen zu haben; sie müssen auch überwacht und umgesetzt werden. Weitere Faktoren, die den Zugang zu sozialen Rechten behindern, ergeben sich aus der fehlenden Überwachung, ob und wie diese Leistungen in der Praxis funktionieren. In diesem Zusammenhang gibt es eine Reihe verwandter Hindernisse. Es fehlt eine ausreichende Überwachung; Systeme zur Sicherstellung der Umsetzung von Rechten sind nicht vorhanden oder unangemessen. Außerdem existieren Diskriminierung und Ungleichbehandlung in der Praxis und es fehlt an Verantwortungsgefühl gegenüber den Leistungsempfängern. 3.2.1. Unzureichende Überwachung Die praktische Umsetzung der Leistungen und Dienste wird zu wenig überwacht. Angesichts dieser Tatsache ist der Umfang, in dem diese Dienste ihre eigene Zielsetzung erreichen, häufig unbekannt. Darüber hinaus bleibt auch ihr Beitrag zur Erfüllung der Bedürfnisse der Nutzer oder potenziellen Nutzer im Dunkeln. Es kann auch sein, dass die Effektivität der Leistung durch das Fehlen anderer Leistungen, wie z. B. Mediation, beeinträchtigt wird. Die Überwachung sollte fester Bestandteil jedes Programms und jeder 45 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Leistung sein. Laut CS-EM bieten Überwachung und Beurteilung die Gelegenheit, aus der Distanz die Zielsetzungen zu begutachten und zu prüfen, wie sie erfüllt werden oder wurden. Leistungsempfänger können am besten beurteilen, ob die Programme ihre Zielsetzungen erreichen oder nicht. 3.2.2. Unzureichender Schutz vor Nichterfüllung der Rechte Ein unzureichender Schutz gegen die Nichterfüllung von Rechten führt zu Schwierigkeiten in der Praxis. Zum einen wirft dies die Frage nach der Existenz und der Art der Verfahren für die Antragstellung und den Rechtsschutz auf. In dieser Hinsicht ist es wichtig, auf die Ergebnisse des CS-PS hinzuweisen, die besagen, dass es in einigen Staaten keine Rechtsmittel für im freien Ermessen liegende Leistungen gibt, obwohl dies ein klarer Grundsatz des Präzedenzrechts bezüglich Artikel 13 der Sozialcharta zum Recht auf soziale und medizinische Unterstützung ist. Neben ihrer Funktion als Rechtsmittel haben die Rechtsmittelverfahren wichtige Funktionen in Bezug auf ein Feedback darüber, wie ein Dienst oder eine Leistung in der Praxis funktionieren. Das Fehlen von Rechtsmitteln belegt daher auch eine gewisse Abwertung der Überwachung der Leistung. Neben dem völligen Fehlen von Rechtsmittelverfahren gibt es auch Belege dafür, dass die Effektivität von Rechtsmittelverfahren durch eine Reihe von Faktoren beeinträchtigt wird. Ein Faktor hierbei sind Beschränkungen der Abteilungen und Bereiche. Ein weiteres mögliches Hindernis bei der angemessenen Nutzung von Rechtsmittelverfahren ist das Versäumnis, Nutzer in die Lage zu versetzen, den größten Nutzen aus den Rechtsmittelverfahren zu ziehen. Selbst wenn die Verfahren für Berufung oder Rechtsmittel auf dem Papier angemessen erscheinen, müssen die Nutzer in die Lage versetzt werden, sie auch anzuwenden. Im Hinblick auf das Rechtsmittel kann die Qualität des erhaltenen Dienstes oder der Behandlung genauso wichtig sein wie die tatsächlich erreichte Entscheidung. Neben den Rechtsmitteln impliziert der Schutz gegen die Nichterfüllung von Rechten auch eine Reihe präventiver Maßnahmen sowie das Vorbereitetsein auf Notfälle. Zu nennen wären hierbei z. B. der Fall einer Zwangsräumung oder andere Notfälle. Die Arbeit des CS-LO und der anderen Expertengruppen stellten in den einzelnen Staaten für diese Notsituationen eine Reihe von Unterschieden bezüglich des Umfangs der Schutzmechanismen fest. 3.2.3. Ungleichbehandlung und/oder Diskriminierung Ein weiteres in diesem Zusammenhang relevantes Versäumnis stellt die Ungleichbehandlung und Diskriminierung dar. Beide sind offensichtlich weit verbreitet. Obwohl sie auch aufgrund von Gesetzesschwächen oder -lücken entstehen können, ist es wahrscheinlicher, dass Ungleichbehandlung und Diskriminierung entweder auf mangelnde Überwachung und Umsetzung zurückzuführen ist oder aber dass eine Politik der Ausgrenzung, nicht der 46 Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität Eingliederung verfolgt wird. Die von dem CS-PS durchgeführte Untersuchung legt z. B. nahe, dass es in vielen Staaten Belege für eine Ungleichbehandlung in Bezug auf den Zugang zu Sozialschutz gibt. Die am weitesten verbreiteten Gründe für eine Ungleichbehandlung lassen sich auf Herkunft, Ethnie und Geschlecht zurückführen. Der CS-EM berichtet über offenen Rassismus gegenüber Migranten und/oder ethnischen Minderheiten und über direkte Ausgrenzung von Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund der Abstammung. In Bezug auf das Geschlecht hebt jeder der Expertengruppen hervor, dass Frauen als Nutzer von Diensten anders als Männer behandelt werden und dass Frauen, insofern diese Dienste auf männlichen Normen basieren, auf erhebliche Hürden stoßen können. 3.2.4. Unzureichende Verantwortung gegenüber Nutzern Die Arbeit der Expertengruppen betont, dass das Funktionieren der für den Sozialschutz zuständigen Stellen und der öffentlichen Dienste allgemein mehr auf die Bedürfnisse der Nutzer ausgerichtet werden muss und dass Verfahren notwendig sind, um diesbezüglich die Dienstleistungen zu beurteilen und zu überwachen. Dies trifft zum gegenwärtigen Zeitpunkt vielerorts nicht zu, und es gibt nur wenige Belege dafür, dass ein Ansatz, der die Bedürfnisse der Berechtigten vorrangig behandelt, weit verbreitet ist. Ein Perspektivenwandel seitens vieler Anbieter ist daher erforderlich. Dies würde auch beinhalten, die Informationen über die Bedürfnisse der Nutzer und das Ausmaß zu erhöhen, in dem diese Bedürfnisse erfüllt werden, und Maßnahmen einzurichten, die auf der Basis dieser Informationen arbeiten. Insbesondere im Hinblick auf Vorgabenziele über die Qualität von Diensten und Leistungen sollten sie auf den Bedürfnissen der Nutzer aufbauen. Hinsichtlich der Umsetzung ist es wichtig, dass das Personal der öffentlichen Stellen mit dem Gesetz vertraut ist und sich vollständig der eigenen Verpflichtungen als Dienstanbieter bewusst ist. 3.3. Unzureichende Ressourcen Ausreichende Ressourcen sind ein sine qua non der sozialen Rechte. Wenn man Ressourcen als mögliches Hindernis bei der Realisierung von sozialen Rechten betrachtet, ist es wichtig, diese auch unter Einbeziehung der Fähigkeiten der Menschen zu untersuchen. Sie beinhalten finanzielle Mittel ebenso wie unzureichende oder unangemessene Verfügbarkeit oder Bereitstellung menschlicher Ressourcen und persönlicher Fähigkeiten. Hindernisse bei den Ressourcen können sowohl die Anbieter als auch die Empfänger (oder möglichen Empfänger) betreffen. 3.3.1. Hindernisse bei den Ressourcen seitens der Anbieter Im Hinblick auf die Anbieter und ihre Dienstleistungen ist die wichtigste Ressource ein qualifiziertes und ausreichend ausgebildetes Personal. Dies ist 47 Zugang zu sozialen Rechten in Europa eine Sache, die vom SP-SPM besonders stark hervorgehoben wurde. Dabei sind es nicht nur die beruflichen Qualifikationen, die hierbei entscheidend sind, sondern auch die Fähigkeit und die Bereitschaft, Menschen würdevoll und mit Respekt zu behandeln und als Ausgangspunkt die Bedürfnisse der Nutzer oder Antragsteller zu nehmen. Gebäude und Einrichtungen (einschließlich Technologie und Ausstattung) stellen weitere wichtige Ressourcen dar. Es gibt Belege für das Fehlen von Geldern, Gebäuden und Einrichtungen. Es muss wohl kaum darauf hingewiesen werden, dass die Art und Großzügigkeit sozialer Programme vom Umfang der verfügbaren Ressourcen abhängen. Unzureichende finanzielle Ressourcen wirken sich nicht nur auf den Umfang von Leistungen und Diensten aus, sondern auch auf die Qualität und Effektivität (sowohl für diejenigen, die in den Dienststellen arbeiten, als auch für jene, die sie nutzen). So führt z. B. ein Mitarbeitermangel ebenso zu niedrigeren Standards wie ein Mangel an qualifiziertem Personal, das über eine psychologische Schulung in zwischenmenschlichen Beziehungen verfügt, besonders an Schlüsselpunkten (z. B. Rezeption und Leistungsberechnung). Alle Expertengruppen betonen, dass öffentliche Stellen auf allen Ebenen der Verwaltung mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet werden müssen, um ihre Aufgaben wahrnehmen zu können, und dass die Finanzierung von Programmen langfristig sichergestellt sein muss. Wohnungen stellen ein dringliches Beispiel im Hinblick auf unzureichende Ressourcen seitens der Anbieter dar. Der CS-LO weist auf die Knappheit erschwinglicher Wohnungen hin, die die Umsetzung des Rechts auf Wohnung unterminiert. Im Kontext unzureichender Angebote stellen Wohnbeihilfen ein wichtiges Mittel dar, um Menschen in die Lage zu versetzen, ihre wohnungsbezogenen Rechte in Anspruch zu nehmen. In einigen Staaten sind jedoch die öffentlichen Mittel, die für erschwingliche Wohnungen zur Verfügung stehen, unzureichend, ob sie sich nun auf das Angebot von Wohnungen oder auf Wohnbeihilfen beziehen. Es ist wichtig, die Aufmerksamkeit auf den prekären Wohnungsnotstand in einigen der Übergangsstaaten hinzuweisen. In einigen Ländern hat sich die Lage durch massive Privatisierungsmaßnahmen verschärft; in anderen Ländern geriet der Wohnungsmarkt durch Einwanderung und Bevölkerungsbewegungen unter Druck. Es gibt sowohl eine langfristige als auch kurzfristige Dimension des Angebots und der Bereitstellung finanzieller Ressourcen. Darüber hinaus wirkt sich der Wohnungsnotstand auch auf die Beschäftigung aus, da er die Möglichkeit der Arbeiter beschneidet, in Gebiete zu ziehen, in denen es gegebenenfalls ihren Qualifikationen und Berufserfahrungen angemessene Arbeitsplätze gibt. Besonders in den mittel- und osteuropäischen Staaten zögern die Menschen, ihre Wohnung für die Suche nach besseren Beschäftigungsmöglichkeiten aufzugeben, weil mit einem neuen Ort 48 Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität die Unsicherheit verbunden ist, eine geeignete Unterkunft zu finden, insbesondere für Familien. Ein weiteres relevantes Hindernis für soziale Rechte rührt von der ungleichen Verteilung der Ressourcen auf nationaler Ebene und den untergeordneten Ebenen her. Der CS-LO weist auf die mangelnden Ressourcen für die Aktivitäten der regionalen und lokalen Verwaltungen in den post-sozialistischen Staaten hin. Die meisten lokalen Verwaltungen in mittel- und osteuropäischen Staaten sind zu klein, um alle ihre Aufgaben und Funktionen erfüllen zu können, selbst wenn ihre Verantwortung für bestimmte Dienstleistungen per Gesetz vorgeschrieben ist. 3.3.2. Hindernisse bei den Ressourcen, die sich auf potenzielle Antragsteller auswirken In Bezug auf Antragsteller haben alle Arbeiten über den Zugang zu sozialen Rechten gezeigt, dass die Menschen über Ressourcen verfügen bzw. mit ihnen ausgestattet werden müssen, um ein Recht umsetzen zu können. Dies trifft als allgemeine Aussage zu. Jene, die nicht über die erforderliche Art oder den erforderlichen Umfang an Ressourcen verfügen, sehen sich mit erheblichen Hindernissen hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer sozialen Rechte konfrontiert. Unter den verschiedenen Hindernisarten, auf die sozial schwache Gruppen beim Zugang zu Wohnungen stoßen, erweisen sich laut CS-LO finanzielle Hürden als die schwerwiegendsten. Aber die Ausstattung mit Ressourcen reicht weit über das rein Finanzielle hinaus. Der CS-EM weist auf das fast vollständige Fehlen aller Grundkenntnisse für Jobsuche und Bewerbung bei einigen Bevölkerungsteilen hin. Diese werden, zusammen mit der Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten, durch die meisten Formen der sozialen Leistungen als selbstverständlich vorausgesetzt. Der CS-EM ist überzeugt, dass Ressourcen, wie z. B. persönliche und soziale Fähigkeiten, wichtig sind und dass Bildung, Ausbildung und lebenslanges Lernen eine Schlüsselrolle bei den Bemühungen einnehmen, die Beschäftigungsrate zu erhöhen. Die Tatsache, dass einige Menschen nur dann in der Lage sind, ihre Rechte zu beanspruchen, wenn sie gleichzeitig Zugang zu Beratung und persönlicher Unterstützung haben, unterstreicht diese Aussage. Die meisten NROs wiesen in den vom CS-PS ausgegebenen Fragebögen darauf hin, dass ein großer Anteil ihrer Ressourcen für die Unterstützung potenzieller Antragsteller beim Zugang zu ihren Rechten eingesetzt wird, da einige Menschen, aus einer Reihe von Gründen, dies nicht allein bewältigen könnten. Das französische Konzept des „accompagnement“ umreißt die Praxis (und den Bedarf) an persönlicher Unterstützung, der als Ausgangspunkt den Grund für die Schwierigkeiten und die Ausgrenzung der jeweiligen Person nimmt. Dies kann unterschiedliche Formen annehmen: in Bezug auf Verwaltung, Psychologie oder Wohnungen und es kann auch ein 49 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Mittel zur Befähigung von Obdachlosen sein. Wie das Konzept der „accompagnement“ impliziert, kann auch Mediation erforderlich sein. Regierungsquellen erkennen auch an, dass Unterstützung und selbst Mediation bei der Beantragung einiger Leistungen und Dienste notwendig sein können. 3.4. Hindernisse durch Management und Verfahren Hindernisse ergeben sich auch durch die Art und Weise, wie Programme und Leistungen organisiert und ausgeführt werden. Diese Hindernisse ergeben sich z. B. durch Aufsplitterung der Zuständigkeit auf verschiedene Ebenen der Verwaltung und auf verschiedene Dienstleister, unzureichende Konsultation und Zusammenarbeit mit NROs und Nutzern, Komplexität der Verfahren und Hindernisse, die sich auf die Leistungserbringung und den physischen Zugang beziehen. 3.4.1. Aufsplitterung zwischen den Verwaltungsebenen und den Diensten Das Bereitstellen einer Leistung in Bezug auf soziale Rechte wird in der Regel auf verschiedenen Ebenen der Regierung und Verwaltung umgesetzt. Es wird laut CS-PS üblicherweise davon ausgegangen, dass ein dezentralisiertes System eine größere Flexibilität gestattet und über eine höhere Kapazität verfügt, sich an regionale und lokale Bedürfnisse anzupassen. Bei dieser Aussage handelt es sich aber eher um ein Ideal, als um die Wirklichkeit. Dezentralisierung ist nur dann eine positive Entwicklung, wenn: sie (a) auf nationaler Ebene durch die Verpflichtung auf eine Politik der Dezentralisierung gestützt wird; und (b) auf lokaler Ebene ausreichende Ressourcen und Kapazitäten vorhanden sind, um Programme und Dienste entwickeln zu können. Die Arbeit des CS-EM ergab, dass die Erfolgschancen lokaler Beschäftigungsprogramme erheblich stiegen, wenn auch die Entscheidungsmacht und die Verwaltung der Mittel auf die lokale Ebene übertragen wurden. Jedoch muss dies im Rahmen eines politischen Ansatzes auf nationaler Ebene erfolgen. Ein weiteres wichtiges Hindernis für Beschäftigungsinitiativen, das von der CS-EM identifiziert wurde, ist das Fehlen gemeinsamer politischer Strategien über alle Ebenen der Verwaltung hinweg. Daher ist Unklarheit in der Definition und Verteilung der Befugnisse und Zuständigkeiten eine große Hürde für Menschen, ihre sozialen Rechte geltend zu machen. Dies wurde auch für den Bereich Gesundheit erwähnt. Es kann eine Frage der Organisation des Dienstes sein oder sich aus mangelnder Koordinierung und Netzwerkarbeit zwischen den verschiedenen Berufssparten in diesem Bereich ergeben. Im Folgenden findet sich eine Auflistung von Problemen, die sich aus einer Aufsplitterung ergeben, und die für den Bereich Gesundheit und andere Bereiche der sozialen Rechte identifiziert wurden: – fehlende Koordinierung zwischen den politischen Bereichen; 50 Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität – unzureichende Informationen und Details über die Verantwortlichkeiten und die Aufteilung der Funktionen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene. Dies trifft insbesondere für soziale Einrichtungen und Sozialleistungen zu und kann auch in Bezug auf Gesundheit, Beschäftigung und Wohnen auftreten; – unzureichende Autonomie auf lokaler Ebene, besonders bei der Verwendung der Ressourcen, aber auch in Bezug auf die Beteiligung am Entscheidungsprozess, bei der Umsetzung und der Mobilisierung von Ressourcen; – unzureichende Umsetzung und Überwachung auf nationaler Ebene, um die gleichmäßige Erbringung im ganzen Land sicherzustellen. Während diese Probleme nicht auf bestimmte Staaten beschränkt sind, ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Übergangsstaaten diesbezüglich besondere Schwierigkeiten erleben. Die Arbeit des CS-PS weist darauf hin, dass in diesen Staaten aufgrund des Fehlens klar umrissener Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten, hauptsächlich auf Bezirks- und lokaler Ebene, Reibungen in Bezug auf soziale Unterstützung und soziale Einrichtungen und Leistungen entstehen. In einigen dieser Staaten wurde ein Dezentralisierungsprozess initiiert, bei dem die lokalen Behörden neue Zuständigkeiten erhielten, aber dies geht nicht immer Hand in Hand mit der erforderlichen Finanzierung und den Richtlinien, um diese Zuständigkeiten umsetzen zu können. Neben der Aufsplitterung der Verwaltungsebenen kann auch eine Aufsplitterung der einzelnen Dienste auftreten. Es geschieht nur selten, dass die Dienste und Leistungen nahtlos ineinander übergehen oder als integrierte Einheit auftreten. Viel eher ist es der Fall, dass organisatorische und andere Unterteilungen den Dienst mit dem Ergebnis fragmentieren, dass die Nutzer nur selten in die Lage versetzt werden, eine Reihe möglicher Dienste von einem Ort oder Büro aus oder sogar als integrierten Dienst in Anspruch zu nehmen. 3.4.2. Unzureichende Integration und Konsultationen der NROs und der Nutzer NROs haben häufig sehr engen Kontakt zu den Nutzern staatlicher Dienste und Leistungen. Auf diese und andere Weise übernehmen sie eine wichtige Rolle beim Zugang zu den sozialen Rechten. NROs stellen daher eine wichtige, sogar lebenswichtige Ressource für die Anbieter staatlicher Dienste, die Entscheidungen über das öffentliche Gemeinwohl und die Nutzer dar. Trotzdem belegen die Arbeiten der verschiedenen Expertengruppen, dass eine tatsächliche Zusammenarbeit zwischen den staatlichen Stellen und den Akteuren der zivilen Gesellschaft nur allzu selten stattfindet. NROs, die Sozialpartner und andere Akteure der zivilen Gesellschaft werden häufig ausgegrenzt oder ihr Beitrag wird minimiert. Der CS-LO hat z. B. herausgefunden, dass im Bereich Wohnen die NROs, während sie durchaus 51 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Einfluss auf die allgemeinen Richtlinien und Funktionen in Bezug auf die physische Umgebung nehmen können, nur über wenig Einflussmöglichkeiten in finanziellen Fragen verfügen. Man kann daher nicht sagen, dass sich die Politik für die NROs geöffnet hat. Die Intensität der Konsultationen mit den NROs variiert aber in den verschiedenen Ländern. In Westeuropa scheint sie weiter entwickelt, während in Mittel- und Osteuropa die NROs etwas weniger Aufmerksamkeit erhalten. Historisch betrachtet spielten die NROs in den letztgenannten Staaten keine Rolle. Die Bedeutung eines „partnerschaftlichen Ansatzes“, der besonders vom CS-EM betont und entwickelt wurde, verdient in dieser Hinsicht Aufmerksamkeit.1 Dies wirkt sich nicht nur auf die Partner aus, sondern auch auf das Ausmaß, in dem sie in den politischen Prozess eingebunden werden. Alle Expertengruppen befürworten umfassende Partnerschaften, die so viele Organisationen und Interessen wie möglich einschließen sollen. Sie weisen auch darauf hin, dass die NROs zu diesem Zweck von den zentralen und lokalen Behörden (einschließlich der Abtretung von Zuständigkeiten) ausreichende Ressourcen und Unterstützung erhalten müssen. Darüber hinaus bedeutet Partnerschaft die Integration in den politischen Prozess vom Entwurfsstadium an. Grundsätzlich handelt es sich um eine Beziehung von Gleichgestellten. In diesem Kontext ist laut CS-PS die Frage nach der rechtlichen Anerkennung der NROs von Bedeutung, denn die vollständige rechtliche Anerkennung ist essenziell, wenn NROs auf gleicher Ebene mit den gesetzlichen und anderen Stellen agieren sollen. Dies kann auch zu einer Verbesserung der Überwachung und Umsetzung beitragen. Es ist jedoch wichtig, dass die NROs eng mit den Nutzern der Dienste und potenziellen Antragstellern verbunden sind und bleiben. Es gibt jedoch keinen Ersatz für die direkte Beteiligung der Nutzer und potenziellen Nutzer. Denn sie sind ebenfalls Experten, und versäumt man es, sie in die Konsultationen und Entscheidungen mit einzubeziehen, kann dies zur Errichtung neuer oder zur Verstärkung bestehender Hindernisse führen. Manchmal werden die Nutzer von NROs vertreten, aber dies ist nicht immer der Fall. Noch ist es unbedingt wünschenswert. Daher müssen die Nutzer aus eigenem Recht als Partner eines breit angelegten partnerschaftlichen Ansatzes betrachtet werden. Dafür müssen sie jedoch als verantwortliche und befähigte Menschen angesehen werden, dem Gegenstück zur Idee der „abhängigen Klienten“. 3.4.3. Komplexität der Verfahren Wie im Bericht des CS-PS beschrieben, gab es unter den verschiedenen befragten Regierungs- und Nichtregierungsquellen dahingehend Einstimmigkeit, dass „Leistungen leicht zu beantragen und leicht zu verteilen“ sein sollten. ______ 1. Siehe auch OECD (2001). 52 Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität Dies spiegelt jedoch nicht immer die Realität wider. So berichteten z. B. mehrere NROs dem CS-PS, dass häufige Anpassungen, vorübergehende Regelungen oder unterschiedliche Versionen derselben Regelung erhebliche Verwirrung schaffen können und zu Verzögerungen bei der Antragstellung oder zum Ausbleiben einer Antragstellung führen. Weitere Probleme, die aufgeführt wurden, werden durch umfangreiche und häufig komplizierte Formulare und die Notwendigkeit an die Nutzer verursacht, sich durch mehrere Behörden oder Abteilungen zu arbeiten. Es ist verständlich, dass eine gewisse Komplexität unvermeidbar ist (nicht nur aufgrund der komplexen Bedürfnisse, die die staatlichen Anbieter erfüllen sollen). Man muss jedoch überdenken, in welchem Ausmaß diese Komplexität an die Nutzer weitergeleitet werden soll. Es gibt Belege für eine umfangreiche Bürokratie und unnötigen Bürokratismus in den Bestimmungen und Verfahren, die den Antrag eines Nutzers auf bestimmte Leistungen und Dienste regeln. Es kann mitunter für potenzielle Antragsteller sehr schwierig sein, die juristischen Texte und komplizierten Antragsverfahren zu verstehen. Dies führt nicht nur zur Nichtinanspruchnahme von Leistungen und Diensten, sondern kann auch für Beamte und NROs Mehrarbeit bedeuten. Zusätzlich weist der CS-PS darauf hin, dass je komplexer ein Dienst oder eine Leistung, desto schwieriger ist es, die entsprechenden Informationen effektiv zu vermitteln. Die mangelnde Transparenz in den Rechten und Ansprüchen stellt ein weiteres potenzielles Hindernis beim Zugang zu sozialen Rechten dar, was wiederum zu mehr Komplexität führt. Je bekannter das Recht, desto wahrscheinlicher ist auch seine Inanspruchnahme (Europäische Kommission 1999). Ein Mangel an Transparenz kann eine Anzahl von Gründen haben. Einer davon ist die Komplexität, entweder in Bezug auf die Struktur der Leistungen oder Dienste oder in Bezug auf den Anspruch und das Antragsverfahren. Aufsplitterung und eine mangelhafte Abstimmung der Leistungen und Dienste können ebenfalls zur Minderung der Transparenz beitragen. 3.4.4. Hindernisse aufgrund der Art und Praxis der Dienstleistung Die Form der Begrüßung, mit der ein Antragsteller empfangen wird, und die allgemeinen Bedingungen, die in einem Amt vorherrschen1, können, wenn sie von schlechter Qualität sind, zur negativen Erfahrung des Antragstellers beitragen und ihn davon abhalten oder entmutigen, sein Recht in Anspruch zu nehmen. Es wurde diesbezüglich eine breite Palette von Hindernissen beschrieben. Sie schließen z. B. den Mangel an Diskretion, lange Wartezeiten, schlechte Rezeptionsdienste, die mangelnde Eignung der Gebäude und das Fehlen von Notausgängen, komplizierte und die Privatsphäre verletzende Antragsverfahren und Wiederholungen bei den geforderten Informationen ______ 1. Alle hier gemachten Aussagen beziehen sich auf die Dienste, die von anderen Stellen angeboten werden. 53 Zugang zu sozialen Rechten in Europa ein. All dies führt natürlich zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen des Personals. Die Verwendung von Informationstechnologie kann zu einer Verbesserung der bereitgestellten Dienste beitragen. Eine schwedische Regierungsquelle (in der vom CS-PS ausgeführten Erhebung) wies darauf hin, dass es eine der Vorteile der Technologie sei, Menschen zu identifizieren, die keine Leistungen beantragt haben, obwohl sie Anspruch darauf hätten. Es bestehen jedoch ethische Fragen im Hinblick auf die Verwendung von Technologie, die Fragen der Vertraulichkeit und die ethisch legitime Verwendung persönlicher Daten betreffen. Dann ist es auch eine Kostenfrage und die Tatsache, dass Technologie immer noch eine rare Ressource ist – was dazu führt, dass den Regierungen ärmerer Länder und den ärmeren Schichten der Bevölkerung innerhalb dieser Länder der Zugang zur Technologie versperrt bleibt. Es besteht des Weiteren die Möglichkeit, dass der Einsatz neuer Technologien bestimmten Leistungsempfängern wegen der Wege Probleme bereiten, auf denen die Leistungen dann gewährt oder Anträge gestellt werden (z. B. Zahlungen per Computer, direkte Zahlung an eine Bank oder ein Postscheckkonto usw.). Aus diesen Gründen beziehen sich viele der Beispiele für eine gute Praxis, die von den Expertengruppen genannt werden, auf integrierte Projekte. Die Bedürfnisse der Menschen sind nicht generell fragmentiert, sondern sie werden in fragmentierter Weise behandelt. Daher sind Programme, die Menschen in ganzheitlicher Weise betrachten und als Ausgangspunkt die ganze Person und ihre Bedürfnisse sehen, besonders wichtig. Ein weiterer Faktorenblock, der die Umsetzung sozialer Rechte behindert, bezieht sich auf praktischere Fragen, wie z. B. den Zugang für jene, die Behinderungen aufweisen oder älter sind und jene, die in entlegenen Gebieten leben. Es ist wichtig, die Situation behinderter Menschen hervorzuheben, da sie laut CS-EM mehrfacher Benachteiligung ausgesetzt sind. Schwierigkeiten in Bezug auf den physischen Zugang, so z. B. bei der Benutzung öffentlicher Transportmittel und den Zugang zu Ämtern, die nicht in angemessener Weise ausgestattet sind, um Menschen mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit zu empfangen, stellen nur eine Form der Schwierigkeiten dar. Behinderte Menschen erleben in der Regel eine Kombination beschäftigungsbezogener Nachteile. Diese ergeben sich aus Nachteilen in Bezug auf Alter, Bildung und Ort. Es ist bedauerlich, dass der Zugang von den Anbietern von Diensten im Großen und Ganzen als Einbahnstraße betrachtet wird; Nutzer oder potenzielle Nutzer müssen zu ihnen kommen. Das fast vollständige Fehlen von mobilen Diensten, die versuchen, die Menschen in ihren eigenen Wohnbereichen oder in unmittelbarer Nähe derselben zu treffen und zu versorgen, ist in diesem Kontext zu vermerken. Laut der vielfältigen Probleme, die aus den unterschiedlichen Staaten berichtet werden, wird die Mobilität der Menschen nicht nur in Bezug auf die 54 Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität Beantragung sozialer Leistungen eingeschränkt, sondern auch in Bezug auf Beschäftigung, Wohnung und Bildung. Besonders Mütter mit kleinen Kindern berichten über Schwierigkeiten beim Zugang zu sozialen Rechten. Neben dem physischen Zugang schließen die Probleme Hilfseinrichtungen, wie z. B. Horte ein, deren Vorhandensein Voraussetzung ist, damit bestimmte Kategorien von Menschen, z. B. alleinerziehende und andere Mütter, ihre sozialen Rechte nutzen können. Eine weitere festgestellte Schwierigkeit bezog sich auf die mangelhafte Abstimmung der Bürozeiten mit den Arbeitszeiten der Nutzer. 3.5. Hindernisse in Bezug auf Informationen und Kommunikation Bürger kennen nicht immer ihre Rechte. Informationen und Bildung sind der Ausgangspunkt jeder Unterstützung und jedes Leistungsangebotes. Es ist daher von herausragender Bedeutung, dass Informationen über soziale Rechte für die Nutzer und potenziellen Nutzer leicht zugänglich sind und die Ansichten der Nutzungsberechtigten berücksichtigt werden. Es gibt Belege dafür, dass Menschen nur unzureichend über ihre Ansprüche informiert sind, der Mangel an Informationen zu einem Verlust oder einer Verzögerung von Bezügen führt und die Ansichten von Nutzungsberechtigten bei der Bereitstellung der Dienste nicht ausreichend Berücksichtigung finden. Es wurden drei grundsätzliche Probleme bei der Kommunikation und den Informationen identifiziert: – Unzureichende Speicherung und unzureichender Austausch von qualitativ hochwertigen Informationen – unzureichende Art und Form der gegebenen Informationen – nur unzureichende Nutzung „neuer“ oder alternativer Informationskanäle und der Ansichten der Nutzer und/oder potenziellen Nutzer. 3.5.1. Unzureichende Speicherung und unzureichender Austausch von qualitativ hochwertigen Informationen Der Informationsfluss muss sorgfältig überwacht werden, denn, während aus einigen Ländern über exzessive Informationen bezüglich einiger Dienste berichtet wurde, ist ein Mangel an Informationen über Dienste und Leistungen weitaus verbreiteter. Auf jeden Fall stellen die Unstimmigkeiten innerhalb der Dienste und Leistungen in Bezug auf den Umfang und die Art der Informationen ein weiteres Problem dar. Eine weitere Frage, die im Kontext der Speicherung und des Austausches von Informationen auftaucht, bezieht sich auf die Aufsplitterung der Informationen über verschiedene Ebenen der Verwaltung: national, regional und lokal. Anstatt Informationen über vielfältige Leistungen zu erstellen und zur Verfügung zu stellen, neigt jeder Anbieter dazu, nur Informationen über seine Dienste und Leistungen auszugeben. Probleme bei der Speicherung und Ausgabe von Informationen können sich auch aus dem Versäumnis ergeben, eindeutig Verantwortung 55 Zugang zu sozialen Rechten in Europa für die Produktion von Informationen zu übertragen. Ein weiteres mögliches Problem ist der Mangel an Informationen, die von unabhängigen Quellen hergestellt und zur Verfügung gestellt werden. Ein weiteres Problem betrifft Fälle, in denen Beamte Informationen zu anderen Diensten, die gegebenenfalls geeignet sind, nicht an die Nutzer oder potenziellen Nutzer weiterleiten. Es kann auch vorkommen, dass Beamte nicht über solche Informationen verfügen oder aber die Weitergabe dieser Informationen bezüglich der Dienste anderer Stellen nicht als Teil ihrer Aufgaben betrachten. Im letztgenannten Fall kann der Umgang mit „Informationen“ als spezielles Aufgabengebiet oder Funktion das Problem verschärfen, da es zu einer „Bürokratisierung“ des Informationsflusses beiträgt und diesen behindert. All dies setzt natürlich voraus, dass die Beamten Zugang zu den relevanten Informationen besitzen. Diesbezüglich ist es wichtig, die Aufmerksamkeit auf die Tatsache zu lenken, dass in den Erhebungen des CS-LO bei den Mitarbeitern ein Mangel an Informationen über den Inhalt internationaler Verträge und ihre Bedeutung für die nationalen Sozialwohnungsrichtlinien herrschte. Es scheint, dass diese Art der Informationen nicht immer an die Beamten oder die Öffentlichkeit im Allgemeinen weitergeleitet werden. Dies kann zu einer mangelhaften Umsetzung internationaler Standards auf nationaler und lokaler Ebene führen. 3.5.2. Unzureichende Art und Form der Informationen „Qualität“ ist ein weiterer relevanter Punkt, der sich nicht nur auf die Genauigkeit der Informationen, sondern auch auf den Stil und die Verständlichkeit bezieht. Die Verwendung einer verständlichen und unbürokratischen Sprache und Formulierung ist äußerst wichtig. Viele, die auf die vom CS-PS durchgeführten Befragungen reagierten, waren der Ansicht, dass die in den Informationsbroschüren und andernorts verwendete Sprache nur von den Verantwortlichen oder Rechtsanwälten verstanden werden kann. In Bezug auf die Form der bereitgestellten Informationen ist es in den Berichten der verschiedenen Expertengruppen ein immer wiederkehrendes Thema, dass eine effektive öffentliche Informationsstrategie Informationen enthalten muss, die nicht nur verständlich und hochwertig, sondern auch den Bedürfnissen bestimmter Gruppen und Bevölkerungsschichten angepasst sind. Sie müssen für diese Menschen sowohl verständlich als auch nützlich sein. Besonders bei Minderheiten (einschließlich ethnischen und sprachlichen Minderheiten) und bei jenen mit besonderen Bedürfnissen (insbesondere jene mit Verständnisschwierigkeiten) handelt es sich um Gruppen, die speziell zugeschnittene Informationen benötigen. Als die NROs in der vom CS-PS durchgeführten Erhebung kritische Antworten in Bezug auf die Informationen zu den von staatlichen Quellen ausgegebenen sozialen Leistungen machten, nannten sie explizit die mangelhafte 56 Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität Anpassung an den Bildungsstand oder das Sprachvermögen verschiedener Gruppen, einschließlich Einwanderer und Menschen mit Sehbehinderungen. Sie lenkten die Aufmerksamkeit auch auf den relativen Mangel an Informationen für benachteiligte Gruppen. 3.5.3. Mangelhafte Verwendung „neuer“ oder alternativer Informationen und der Ansichten von Nutzungsberechtigten Der dritte relevante Faktor bezieht sich auf die Kanäle für den Vertrieb und den Austausch von Informationen. Schriftliche Informationen stellen die vorherrschende (wenn nicht alleinige) Form der Informationsverbreitung in den Mitgliedstaaten dar. Im Vergleich dazu werden mündliche Kanäle (wie z. B. Radio- oder Fernsehspots, kostenlose Telefonschaltungen) und Technologien (wie z. B. Handys und das Internet) nur selten eingesetzt. Das gewaltige Bildungs- und Informationspotenzial dieser Kanäle sowie ihre Vielfältigkeit werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig vernachlässigt. Es ist jedoch wichtig, sich in diesem Kontext in Erinnerung zu rufen, dass der zwischenmenschliche Kontakt nach wie vor die beste Form des Informationsaustausches ist. Die Tatsache, dass der Zugang zu Informationen und anderen Technologien immer noch nicht Standard bei den sozial schwachen Gruppen ist, unterstreicht die Notwendigkeit nach zwischenmenschlichen Formen des Informationsaustauschs. Informationen müssen als Zwei-Wege-Kanal betrachtet werden. Die Idee des Informationsaustausches ist ein hilfreicher Weg bei der Schaffung eines Rahmens, wie Informationen organisiert werden sollten. Indem sie der landläufigen Ansicht entgegentritt, nach der Menschen passive Empfänger von Informationen sind, greift sie die Idee auf, dass diese Menschen auch die Gelegenheit erhalten sollten, die erhaltenen Informationen in Frage zu stellen und ihren eigenen Informationsbedarf einzubringen. Jede dieser informationsbezogenen Hindernisse trägt zur Minimierung des Bewusstseinsstands und des Wissens über Rechte in der Bevölkerung bei. So kommentierte eine NRO gegenüber dem CS-PS: ein Mangel an Informationen ist ein Mangel an Macht. 3.6. Psychologische und soziokulturelle Hindernisse Diese Art der Hindernisse lassen sich sowohl seitens der Anbieter als auch der Nutzer finden. 3.6.1. Psychologische und soziokulturelle Hindernisse seitens der Anbieter Die erste Frage bezieht sich hierbei auf die Behandlung der Antragsteller und potenziellen Antragsteller. Das Verhalten der Beamten und die Behandlung der Menschen kann mit entscheidend sein, ob diese Zugang zu ihren sozialen Rechten erhalten. Laut der durch die verschiedenen Expertengruppen 57 Zugang zu sozialen Rechten in Europa durchgeführten Studien ist die Stigmatisierung von Leistungsempfängern recht verbreitet. Unter den in diesem Zusammenhang genannten Gruppen befinden sich Sozialhilfeempfänger, Alleinerziehende, Aidspatienten, jene mit einer HIV-Infektion, Drogenabhängige, Menschen mit Behinderungen, Flüchtlinge und Asylsuchende. Negatives Verhalten gegenüber Frauen und anderen Bevölkerungsgruppen, besonders in Bezug auf ihr angenommenes Recht auf Zugang zu bestimmten öffentlichen Ressourcen, kann ebenfalls vorkommen. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei der Stigmatisierung um ein gesellschaftliches Phänomen handelt und daher nur selten auf die Sozialleistung an sich zurückzuführen ist. Die Stigmatisierung kann jedoch absichtlich erfolgen, und wenn sie im Kontext einer Sozialleistung auftritt, kann es dazu führen, dass Menschen nicht in der Lage sind, ihre sozialen Rechte in Anspruch zu nehmen. Es kann insbesondere durch die Organisation der öffentlichen Dienste und die Einstellung und das Verhalten der Mitarbeiter verfestigt werden. Eine Etikettierung der Menschen ist eine Praxis, die zur Stigmatisierung beiträgt. Sind Dienste und Leistungen z. B. bedürfnisabhängig, dann verursachen sie eher Gefühle und Praktiken der Stigmatisierung als z. B. solche, deren Anspruch durch ein Gesetz verankert sind. Die Wichtigkeit des Dialogs und der Partnerschaft mit den Anspruchsberechtigten kann diesbezüglich nur nochmals unterstrichen werden. Ein weiteres kulturbezogenes Problem ist das mangelnde Verständnis seitens der Beamten und anderer Personen für eine bestimmte Subkultur der Antragsteller oder potenziellen Antragsteller, die sich von der allgemein vorherrschenden Kultur unterscheidet. So kann es für Menschen wichtig sein, in der Nähe ihrer Verwandten oder in der Umgebung von Mitgliedern ihrer Gemeinschaft zu leben. Soziokulturelle Hindernisse ergeben sich nicht nur aus Schwierigkeiten in der Kommunikation mit Menschen, sondern auch aus unzureichendem Wissen über und mangelndem Verständnis seitens der Beamten für Minderheitenkulturen. Dieses Wissen und die Anerkennung der Vielfalt wird immer wichtiger, da auch die Gesellschaften immer vielfältiger werden. 3.6.2. Psychologische und soziokulturelle Hindernisse seitens der Nutzer Mangelndes Selbstvertrauen und Unsicherheiten im Umgang mit offiziellen Verfahren sind als größtes Hindernis für die Nutzer zu nennen. Der behördliche Rahmen kann Furcht und Unsicherheit hervorrufen. Die Gebäude an sich können einschüchternd wirken. Man bedenke z. B. die Trennung vom Personal durch Sicherheitsvorkehrungen, wie z. B. Glasscheiben und Alarmvorrichtungen und der Mangel an Privatsphäre bei den Gesprächen. Eine institutionelle Atmosphäre, die besondere Art, in der Mitglieder eines bestimmten Berufsstandes miteinander und mit den Nutzern ihrer Dienste kommunizieren sowie die bürokratischen Verfahren können häufig als einschüchternd und abweisend empfunden werden. 58 Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität Darüber hinaus können schlechte Einrichtungen zu einem niedrigen Selbstwertgefühl beitragen. Zusätzlich kann eine negative Erfahrung, wie z.B. eine zwangsweise verordnete Weiterbildung, es einer Person erschweren, sich wieder an eine öffentliche Behörde zu wenden. Andere psychologische Hindernisse entstehen durch das Gefühl der Isolierung, Marginalisierung sowie eines niedrigen Selbstwertgefühls, die oftmals für die Lebenslage einiger potenzieller Empfänger kennzeichnend sind. Viele dieser Menschen verfügen nur über wenig Vertrauen in sich und ihre eigenen Fähigkeiten. Es gibt noch andere Gründe, warum sich Nutzer oder potenzielle Nutzer von Diensten eingeschüchtert fühlen. Diese beziehen sich auf die Macht der Beamten und die Tatsache, dass sie Entscheidungen treffen können, die große Auswirkungen auf das Leben der Berechtigten und das ihrer Familien haben. Hat z. B. ein Beamter die Macht, jemandem die eigenen Kinder zu entziehen oder jemanden auszuweisen, dann verstärkt dies das Gefühl der Unsicherheit seitens der Nutzer. Vor diesem Hintergrund sehen die meisten Regierungen und NROs, die auf die Fragebögen der CS-PS reagierten, ihre Hauptaufgabe in der Beratung und Unterstützung der Antragsteller bei den Antragsverfahren, da viele von ihnen damit alleine nicht fertig werden. Diese und andere Informationen belegen eindeutig, dass viele Menschen befähigt werden müssen, damit sie ihre Rechte in Anspruch nehmen können. Der CS-EM nennt eine Anzahl von damit zusammenhängenden Hindernissen in Bezug auf Fahrten zur Arbeitsstelle und der Aufnahme von Ausbildungsmöglichkeiten. Diese beinhalten ein mangelndes Selbstvertrauen, das, wenn es in Verbindung mit Analphabetismus auftritt, einer Person erschwert, an aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen und Beschäftigungsprogrammen teilzunehmen oder ein Angebot wahrzunehmen oder sich eine Beschäftigung zu suchen. Ein niedriger Bildungsgrad, schlechte Erfahrungen in Bezug auf Bildung und unterschiedliche Werte und Erwartungen bei bestimmten Menschen oder Gruppen können negative Auswirkungen auf ihren Zugang zu Leistungen oder Diensten sowie Beschäftigung haben. Sie haben Auswirkungen auf die Frage, wie Menschen ihre eigenen Ansprüche auf soziale Rechte und ihren Platz im System beurteilen. Es gibt viele Aspekte der sozialen Rechte, die kultureller Natur und kulturell begründet sind. So kann z. B. der Rückgriff auf Unterstützung außerhalb der Familie oder Gemeinschaft in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Konnotationen hervorrufen. Dies trifft vor allem auf Frauen und Kinder zu, die nach in vielen Kulturen vorherrschender Meinung am besten durch die Familie versorgt werden. Diese und andere Überzeugungen lassen einige Menschen zögern, ihre Rechte zu beanspruchen oder eine Beschäftigung aufzunehmen, oder aber die Überzeugungen lassen sie die Erfahrung, dies zu tun, anderes bewerten, als dies ein Großteil der Bevölkerung täte. Kulturelle Faktoren können bei 59 Zugang zu sozialen Rechten in Europa bestimmten Bevölkerungsteilen auch zum Gefühl der Abhängigkeit führen oder sie von anderen abhängig machen, ihre Rechte auszuüben. Stigmatisierung und andere negative Aspekte der Behandlung bewirken Eigenzensur seitens der Empfänger, von denen viele wenig oder kein Verständnis für die „Berechtigung des Anspruchs“ haben. Dies kann zur Beschneidung ihrer Ansprüche oder Dienstleistungen führen oder sogar zum völligen Verzicht. Bildung und lebenslanges Lernen müssen eine große Rolle spielen, besonders bei der Bekämpfung von Stigmatisierung und der Offenlegung derselben. 3.7. Hindernisse aufgrund der mangelnden Berücksichtigung sozial schwacher Gruppen und Regionen Während jedes der bisher identifizierten Hindernisse sich auf alle Bevölkerungsteile auswirken kann, gibt es noch ein Hindernis, das durch eine mangelnde Aufmerksamkeit für die speziellen Bedürfnisse sozial schwacher Gruppen und Regionen geschaffen wird. 3.7.1. Sozial schwache Gruppen Ein immer wiederkehrendes Ergebnis, das sich aus der Arbeit in den verschiedenen Bereichen der sozialen Rechte ergeben hat, ist die Existenz einer Anzahl von sozial schwachen Gruppen in jeder Gesellschaft. Während die Identität dieser Gruppen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ist, sind bestimmte Kategorien von Menschen mehr oder weniger universal. Dabei handelt es sich um Flüchtlinge, ältere Menschen, ethnische und andere Minderheiten, Menschen mit Behinderungen, aus Institutionen und Gefängnissen entlassene Menschen, Kranke oder jene, die in schlechtem Gesundheitszustand sind, Obdachlose und Menschen in ärmlichen Unterkünften, Asylsuchende, Alleinerziehende, Frauen mit Familie und Pflegeaufgaben, Langzeitarbeitslose, ältere Arbeitnehmer, wirtschaftlich schwache Frauen, junge Menschen und Kinder. Viele von ihnen sind natürlich nicht per se schwach. Vielmehr wird ihre sozial schwache Lage sowohl durch das System der sozialen Leistungen als auch durch die Praktiken und Werte, die in einer Gesellschaft als Ganzem vorherrschen, hervorgerufen oder verschärft. Es gibt einige regionale Unterschiede in der Identität der meisten sozial schwachen Gruppen. Während diese von Land zu Land verschieden ist, sind einheimische Minderheitengruppen (besonders Roma/Zigeuner und Nomaden) mehr oder weniger überall schwach und Gegenstand ungleicher Behandlung. Darüber hinaus muss laut CS-PS darauf hingewiesen werden, dass im Vergleich mit westeuropäischen Ländern die Lage von gefährdeten Individuen und Gruppen in den Übergangsstaaten besonders schwierig ist (angesichts des Ausmaßes und der großen Lücken im sozialen Sicherheitsnetz). In diesen Ländern stellen die Armen einen erheblichen Teil 60 Zugang zu sozialen Rechten in Europa – die Realität der Bevölkerung. Doch ihre Zusammensetzung ist manchmal überraschend. So suchen z. B. vormals relativ gesicherte Gruppen Sozialschutz, weil die Zeit des Übergangs sich in negativer Weise auf sie auswirkt. Eine dieser Gruppen, die heute in einigen osteuropäischen Ländern von Armut bedroht sind, ist die Gruppe der Wissenschaftler und des technischen Personals, die beim Militär oder in Industriekomplexen arbeiten oder gearbeitet haben. Die Ausweitung des Konzepts der sozialen Ausgrenzung (das in Westeuropa in relativ kurzer Zeit weite Verbreitung fand) reflektiert, dass Marginalisierung und Benachteiligung systematisch auftauchen und tief verwurzelt sind (Castel 1995; Paugam 1996). Dieses Konzept beinhaltet die Idee der sich überschneidenden Schwierigkeiten; die Tatsache, dass sozial schwache Gruppen Benachteiligungen erleben, die häufig vielfältig sind. In Bezug auf Langzeitarbeitslose lenkt der CS-EM z. B. die Aufmerksamkeit auf die Spirale der Benachteiligungen, wobei Faktoren wie z. B. frühzeitiger Schulabgang, Alphabetisierungsgrad und Lernprobleme, niedriges Selbstwertgefühl und das Fehlen von Fertigkeiten, wie z. B. Zeitmanagement, Teamgeist und die Fähigkeit, Befehle auszuführen oder Entscheidungen zu treffen, dazu beitragen, dass viele Dienste und Leistungen nicht von jenen erhalten werden, die sie am meisten benötigen. Dazu gesellen sich Probleme in Zusammenhang mit Unterbringung und unzureichendem Einkommen. Der SP-SPM weist darauf hin, dass die Situation der Unsicherheit, die ein mehr oder weniger beständiges Merkmal im Leben sozial schwacher Gruppen ist, auch erheblich zur Verschlechterung des Gesundheitszustands beiträgt. 3.7.2. Sozial schwache Regionen Die gesamte Arbeit zum Zugang zu den sozialen Rechten lenkt die Aufmerksamkeit auf die Existenz von Regionen und Orten, die benachteiligt sind. Dies trifft für alle Mitgliedstaaten zu. Die Faktoren, die einen Nachteil verursachen, variieren. In vielen Fällen sind sie infrastruktureller Natur, vor allem geringe Angebote von Dienstleistungen, Versorgungseinrichtungen und anderen Stellen sowie ein Mangel an Arbeitsplätzen, und können zu Umwelt- und sozialen Problemen führen. Klimatische Bedingungen (wie z. B. lange und kalte Winter) und Entfernungen/Lage an der Peripherie (häufig zusammen mit wenig Transportmöglichkeiten) stellen eine weitere Reihe von Gründen dar, diese Regionen als schwach zu bezeichnen. Während einige Staaten diesen Hindernissen durch dichte und vielfältige Netzwerke von Serviceleistungen entgegengewirkt haben, gibt es in anderen Staaten Belege, dass Menschen in entlegenen Siedlungen nicht das ganze Jahr über mit bestimmten Diensten versorgt werden können. Eine zweite Form der räumlichen Benachteiligung dreht sich um das Problem mehrfach benachteiligter Gemeinden. Die Arbeiten von CS-EM und CS-LO beschäftigen sich beide mit der lokalen Ebene und zeigen, wie Probleme und 61 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Unzulänglichkeiten zusammentreffen können und Orte bilden, die nicht nur aus sozial schwachen Menschen bestehen, sondern aus diesen und anderen Gründen selbst schwach sind. Das Fehlen von Investitionen in diesen Gebieten, ob nun lokale, nationale oder ausländische, trägt mit zur Benachteiligung bei. Das führt zu einer Benachteiligung kompletter Gebiete, die dergestalt ist, dass ohne gebietsbezogene politische Schritte nicht nur Individuen, sondern vollständige Gemeinden auf der Verliererseite stehen. 3.8. Zusammenfassung der wichtigsten Herausforderungen für den Zugang zu sozialen Rechten in Europa Auf der Grundlage aller Informationen sind wir nun in der Lage, die wichtigsten Herausforderungen in Bezug auf den Zugang zu sozialen Rechten im heutigen Europa zu benennen. Es gibt sieben Kernaufgaben: – Stärkung des Anspruchs auf soziale Rechte und Verbesserung der entsprechenden Bestimmungen; – Stärkung der Überwachung und Ausübung sozialer Rechte; – Erhöhung der verfügbaren Ressourcen für die Umsetzung sozialer Rechte; – Veränderung und Verbesserung der Verfahren und Verwaltung der Dienste und Leistungen, die durch soziale Rechte abgedeckt sind; – Verbesserung der Information und Kommunikation über soziale Rechte und der damit zusammenhängenden Leistungen und Dienste; – Bekämpfung der psychologischen und soziokulturellen Hindernisse, die den Zugang zu sozialen Rechten beeinträchtigen und sowohl Dienstleistungsanbieter als auch Nutzer betreffen; – Anvisieren besonders sozial schwacher Gruppen und Regionen zur Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten. Das nächste Kapitel zeigt einige Grundsätze und Praktiken, die helfen können, bestehende Hindernisse abzubauen. 62 4. Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu sozialen Rechten Vor dem Hintergrund der Herausforderungen und vielfältigen Hindernisse, die die Umsetzung von sozialen Rechten beeinträchtigen, beschäftigt sich dieses Kapitel mit den „guten Praktiken der Rechte“. Diese werden als miteinander verbundenes Netz von Grundsätzen interpretiert, die zusammen eine Kultur schaffen, die sozialen Rechten und staatlicher Verantwortlichkeit förderlich ist. Während einige der Grundsätze recht eng mit einem oder mehreren Hindernissen, die im vorausgegangenen Kapitel identifiziert wurden, verbunden sind, werden sie hier in allgemeiner Form behandelt und ausgeführt. Dies hängt damit zusammen, dass man eine Kultur der Rechte als allgemeinen Ansatz betrachten muss, als miteinander verknüpfte Grundsätze, die zusammen eine Reihe universeller Werte und eine allgemeine Verfahrensweise bilden. Die Arbeit der verschiedenen Expertengruppen beinhaltet umfangreiche Informationen zu den Faktoren, die für die Umsetzung sozialer Rechte unumgänglich sind (wie auch Informationen über die Hindernisse und Hürden, die in Kapitel 3 vorgestellt wurden). Wir verwenden im ersten Teil dieses Kapitels diese und andere Informationen, um Grundsätze und Verfahren für die Umsetzung sozialer Rechte zu entwickeln, während wir im zweiten Teil einige Beispiele für gute Praktiken vorstellen. Die Idee, gute Praktiken vorzustellen, beruht auf ihrem Potenzial der Übertragbarkeit auf andere Staaten, wobei gleichzeitig anerkannt wird, dass Maßnahmen den nationalen Gegebenheiten angepasst werden müssen. 4.1. Grundsätze und Praktiken Wie bereits in der Strategie für sozialen Zusammenhalt festgelegt, erfordert die Garantie, dass alle Mitglieder einer Bevölkerung von ihren Rechten profitieren, unterschiedliche und vorausschauende politische Ansätze und Programme. Acht Grundsätze sind unserer Meinung nach wesentlich für die guten Praktiken des Rechts. Diese ergeben sich nicht in direkter Linie aus den im vorausgegangenen Kapitel identifizierten Herausforderungen, sondern überschneiden sich vielmehr mit diesen. Darüber hinaus sollten sie in ihrem Verhältnis zueinander eher komplementär als hierarchisch betrachtet werden. Keine geht der anderen voraus, vielmehr ist der Ausgangspunkt immer der Nutzer oder potenzielle Nutzer der Leistungen und Dienste. 4.1.1. Nutzerorientierte Dienstleistung Idealerweise entwickeln die Menschen in Bezug auf staatliche Dienstleistungen das Gefühl, dass diese Dienste für sie geschaffen wurden. Die Dienste müssen 63 Zugang zu sozialen Rechten in Europa zu diesem Zweck so nah wie möglich am Bürger ausgerichtet sein. Nutzerorientierte Dienste können auf verschiedene Arten erreicht werden, wichtig ist jedoch, dass die Hindernisse zur Beantragung und Teilnahme beseitigt werden, die sich aus Verfahren und anderen Bestimmungen ergeben. Diese Hindernisse entstehen durch das Versäumnis, eine „nutzerorientierte“ Perspektive einzunehmen, anstatt den Belangen der Organisation den Vorrang zu geben. Man findet in der Praxis eine ganze Serie organisatorischer Hindernisse für die sozialen Rechte, die durch Aufsplitterung und Aufteilung, unzureichende oder unangemessene Verbindungen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene, Komplexität, unangemessene und unzureichende Informationen und die fehlende Beteiligung der Nutzer und NROs geschaffen werden. Heute stehen ausreichende Informationen über gute nutzerorientierte Praktiken zur Verfügung. Mit der europäischen Erfahrung in sozialen Dienstleistungen kam nicht nur eine wachsende Anerkennung der Tatsache, dass viele Menschen vielfältige Probleme haben, sondern dass diese miteinander verbunden sind. Daraus ergab sich dann das Entstehen integrierter und ganzheitlicher Formen der Bildung und Unterstützung. Eine Entwicklung in dieser Hinsicht sind die „personifizierten Unterstützungsprogramme“. Die zugrunde liegende Idee ist, dass Dienste den besonderen Bedürfnissen, insbesondere im Fall sozial schwacher Menschen, zugeschnitten werden müssen. Einige Beispiele für Leistungen nach dem ganzheitlichen Ansatz sind z. B. das IGLOO-Projekt und das Family Service Projekt, die im folgenden Abschnitt vorgestellt werden. Eine flexible Unterstützung sowie die Schaffung eines einzigen Zugangspunktes sind weitere wichtige Elemente bei der Entwicklung von nutzerorientierten Ansätzen. Pillingers (2001: 42) Studie über soziale Leistungen in den Mitgliedstaaten der EU verwendet ein Problemlösungsdreieck bestehend aus Nutzer, Organisation und Mitarbeiter. Die Nutzerorientierthung beinhaltet auch die Berücksichtigung der Bedürfnisse und Umstände sozial schwacher Gruppen. Dies ist eine spezielle Form der Sozialrechtsperspektive, eben weil die Schwierigkeiten sozial schwacher Gruppen schwerwiegende Folgen für die Fähigkeit haben, soziale Rechte auszuüben (im Fall sozial schwacher Gruppen), oder in dem Ausmaß, in dem lokal vorherrschende Bedingungen die Inanspruchnahme sozialer Rechte begünstigen (im Fall benachteiligter Regionen). Im nächsten Abschnitt wird gezeigt, dass sozial schwache Menschen befähigt werden müssen, ihre Rechte einzufordern, ebenso sind auch sozial schwache Regionen oder Orte von vielen Nachteilen betroffen, die sie bei der Ausübung ihrer Rechte beeinträchtigen. Tatsächlich besteht manchmal die Notwendigkeit, zugunsten bestimmter Gruppen und Regionen gezielte Programme einzusetzen. 64 Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten 4.1.2. Ermächtigung, Befähigung und Entwicklung Viele der im vorangegangenen Kapitel identifizierten und besprochenen Hindernisse ergeben sich aus einer statischen Sichtweise der Dienstleistung. Völlig konträr dazu konzentriert sich der Ermächtigungsansatz auf die Berücksichtigung eines Bedürfnisses, während er gleichzeitig die Fähigkeit erhöht und Menschen ermächtigt. Eine sich beständig wiederholende Feststellung in der Arbeit der verschiedenen Expertengruppen ist, dass viele Menschen Unterstützung und Hilfe benötigen, um überhaupt befähigt zu werden, ihre Rechte wahrzunehmen. Menschen wenden sich in diesem Kontext häufig an die NROs. Die Intervention zugunsten von Menschen sollte jedoch kein langfristiges Ziel darstellen. Statt dessen müssen Menschen und Gemeinden ermächtigt werden, damit sie die eigene Situation meistern können. Ermächtigung resultiert in direkter Partizipation. Der Ausbau von Fähigkeiten ist integraler Bestandteil, wobei es das Ziel ist, die Fähigkeit einer Person (oder einer Region/Gemeinde/Ort) zu steigern, besonders bei der Realisierung ihrer/seiner sozialen Rechte. Ermächtigung beinhaltet demnach sowohl die Arbeit mit bestimmten Gruppen oder Regionen, die als sozial schwach gelten, als auch allgemeine Programme zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. In diesem Licht betrachtet stellt die Verbesserung des Zugangs zu den sozialen Rechten eine Form der sozialen Investition dar. Bei der Gestaltung spielt auch die Entwicklung von Humankapital und sozialem Kapital eine Rolle; die Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten trägt zum Ausbau des Humankapitals von Menschen bei. Es dient auch dazu, das soziale Kapital der Gemeinden und Gesellschaften durch Autonomie, Vertrauen und allgemeine Ressourcen für den sozialen Aufbau zu stärken. Ein Meilenstein der Politik und der Bestimmung bei einer Ermächtigungsstrategie ist, aktive statt passive Maßnahmen zu verwenden. Leistungen und Dienste sind mit Aktivitäten verbunden und nicht nur mit dem Status. So sollte es z. B. möglich sein, Zugang zu einer Leistung oder einem Dienst nicht nur aufgrund des Status als alleinerziehende Mutter zu erlangen, sondern weil man alleine die Kindeserziehung als alleinstehendes Elternteil übernimmt. Diese Ausrichtung verlangt einen präventiven und fördernden Ansatz, während er gleichzeitig sicherstellt, dass Menschen einen angemessenen Schutz erhalten. Ein Beispiel für eine Ermächtigungsstrategie ist die UN Habitat Agenda, die eine Reihe von Möglichkeiten aufzählt, wie die Sozialwohnungspolitik die vollständige und progressive Umsetzung des Rechts auf Wohnung berücksichtigen kann. Ein zweiter Meilenstein der Ermächtigungsstrategie ist, die Veränderung an sich zum Ziel zu haben – tatsächlich könnte man sagen, dass eine Ermächtigungsstrategie sich am Neustart orientiert. Eine Ermächtigungsstrategie stellt sich der Herausforderung, Risiken in Möglichkeiten zu verwandeln. Die Gefahr des Einkommensverlustes wird z. B. als Möglichkeit behandelt, sich an neuen 65 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Aktivitäten zu beteiligen oder neue Verhaltensregeln zu erlernen. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Selbständigkeit natürlich an Bedeutung, ein Ansatz, der vom CS-EM sehr hervorgehoben wird. Der CS-EM versteht unter Selbständigkeit die Schaffung eines „neuen Umfelds“, das Arbeitslosen Anreize und Möglichkeiten bietet, ihr eigenes Unternehmen aufzubauen und das Eigeninitiative unterstützt, gleichzeitig aber einige Sicherheitsvorkehrungen zur Verfügung stellt, um einen gewissen Schutz gegen eventuelle Risiken zu bieten. Der CS-EM weist auch auf eine wichtige Verbindung zwischen Eigeninitiative und Innovation bei der Schaffung von Beschäftigung hin und hält dies besonders in Mittel- und Osteuropa für relevant, wo die Privatisierung viele Möglichkeiten bietet, Lücken in der Versorgung von Gütern und Dienstleistungen zu schließen. Bei diesem dynamischen Ansatz wird nicht ein Wandel um des Wandel willens angestrebt, sondern weil dieser Entwicklung bedeutet. Viele der Diskussionspunkte, die bereits in diesem Bericht angesprochen wurden, unterstreichen den sich verändernden Charakter der Bedürfnisse, sozialen Leistungen und des gesellschaftlichen Lebens an sich. Entwicklung ist daher immer erforderlich. Sano (1999: 751) sagt, dass Rechte einen Schutzraum und Würde um eine Person schaffen (sollten), von dem aus dann Entwicklung stattfinden kann. In der Arbeit der Stabsabteilung für die Entwicklung von sozialem Zusammenhalt des Europarates wird der Begriff „Fortschritt“ verwendet, der sich auf die Fähigkeit bezieht, neue Möglichkeiten vollständig nutzen zu können. Dabei versteht man unter Entwicklung das Recht auf Wachstum und Prozesse wie z. B. persönliche Entwicklung, berufliche Weiterbildung und Möglichkeiten für lebenslanges Lernen. 4.1.3. Qualität Qualität gewinnt als Thema immer größere Bedeutung in Westeuropa. Eine der Vorzüge des Grundsatzes Qualität ist, dass es sich dabei um ein relativ offenes Konzept handelt, seine Bedeutung kann mit dem Kontext variieren und tut dies auch. Qualität kann sowohl ein allgemeiner als auch ein bestimmter Wert sein. Das HDSE-Projekt versucht, die Bedeutung von Qualität zu konkretisieren (Duffy 1998). Es entwickelte den Standard der „3A“-Leistungen. Als Ausgangspunkt für diesen Standard dient die Annahme, dass staatliche Bestimmungen so viele Kriterien der Universalität und Sicherheit wie möglich erfüllen sollten. Die „3A“-Referenz bedeutet im Einzelnen: – Adequacy = Angemessenheit: der angebotene Mindeststandard sollte ausreichend hoch sein und ein hoher Prozentsatz der bedürftigen Bevölkerung sollte durch ihn abgedeckt werden; – Accessibility = Zugänglichkeit: weniger Komplexität in den Bestimmungen, die den Zugang zu den sozialen Rechten regeln, eindeutige Berechtigungsverfahren und vollständige Umsetzung der Bestimmung; 66 Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten – Affordability = Erschwinglichkeit: die Fähigkeit von Menschen und Haushalten, Waren und Dienstleistungen zu erwerben, sollte für die Bestimmung Vorrang haben, ebenso die Kosten der Bestimmung. Es wird hier nochmals darauf hingewiesen, dass der „3A“-Standard sowohl quantitative als auch qualitative Elemente berücksichtigt. Die Garantie für ein ausreichendes Einkommen und andere Ressourcen, sowohl für die Anbieter als auch für die Nutzer, ist hierbei ein wichtiges Element. Als allgemeine Qualitätsinitiative könnte der „3A”-Standard als Grundlage für Vorgaben oder für die Einrichtung von Standards dienen. Qualität ist bereits ein weit verbreitetes Kriterium in Bezug auf Sozialleistungen. Pillinger (2001) berichtet in ihrer Untersuchung über zehn1 Mitgliedstaaten der EU über einen massiven Anstieg dieser Art von Aktivitäten in den staatlichen Sozialleistungen. Qualitätsorientierte Maßnahmen reichen von der einfachen Qualitätsaussage bis hin zu ausgeklügelten Qualitätssicherungsmechanismen. Laut Pillinger ist eine der wichtigsten Errungenschaften im Prozess zur Verbesserung der Qualität in den staatlichen Sozialleistungen in den Mitgliedstaaten der EU die Identifizierung der nicht berücksichtigten Bedürfnisse. Einige Qualitätsinitiativen haben neue Dienstleistungen hervorgebracht, während andere die Qualität bestehender Dienstleistungen verbessert, neu ausgerichtet oder weiterentwickelt haben. Zu den besten Praktiken bei der Qualitätsentwicklung zählt Pillinger (2001: 118): – Partizipationsansätze, bei denen Qualität mit der Wahlmöglichkeit und Autonomie der Nutzer verbunden wird; – Ermächtigung der Nutzer und Einbindung bei der Planung; – Verbesserungen, die bedeutsame und praktische Methoden der Beurteilung einschließen, die unter Beteiligung der Nutzer und Mitarbeiter vor Ort umgesetzt werden; – Qualitätszielsetzungen, die auf lokale Gegebenheiten passen und modifiziert werden können; – Qualitätsstandards, die in Partnerschaft mit den Mitarbeitern, dem Management und den Nutzern entwickelt werden. Es sei darauf hingewiesen, dass Qualität im Grunde die Förderung effektiver und hochwertiger Dienste impliziert und dass die verfügbaren Ressourcen zu diesem Zweck eingesetzt werden. 4.1.4. Integration der Dienste und Leistungen „Integration“ ist ein Begriff, der heutzutage zwar häufig verwendet, dessen Bedeutung aber selten genauer spezifiziert wird. Grundsätzlich erkennt die ______ 1. Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, Spanien und Großbritannien. 67 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Integration die Verbindung zwischen sozialen Rechten an. Dies beruht auf der Erkenntnis, dass ein fehlender Zugang zu einem grundlegenden sozialen Recht den Betroffenen erschwert, Zugang zu anderen sozialen Rechten zu erlangen, was wiederum die Gefahr der mehrfachen Ausgrenzung erhöht. Gesundheit hängt z. B. grundsätzlich vom Ausmaß ab, in dem jemand Zugang zu einer angemessenen Wohnung, Einkommen und Beschäftigung hat. In die Praxis transferiert erfordert die Integration den Abbau administrativer und anderer Hürden (Pillinger 2001). Obwohl die Integration Koordinierung beinhaltet – die Verknüpfung von Diensten durch administrative und organisatorische Strukturen – ist sie doch radikaler als die bloße Koordinierung. Vielmehr bedeutet sie einen ganzheitlichen Ansatz, der einerseits auf der Anerkennung der multi-dimensionalen Natur der Bedürfnisse basiert und andererseits auf dem Miteinanderverbundensein von Menschen. Statt einer Aufteilung liegt die Betonung auf dem miteinander verbundenen Ganzen. Faktoren, die gegen die Integration in sozialen Bestimmungen agieren, beinhalten etablierte berufliche Kulturen, Zugangssperren innerhalb der Grenzen von Abteilungen und Behörden, unterschiedliche Finanzierungsgrundlagen und bürokratische Strukturen, Hierarchien und eine Reihe anderer organisatorischer Komplexitäten (Pillinger 2001: 66). Integration kann und sollte aber sowohl als Mittel als auch als Zweck betrachtet werden. Als Mittel beinhaltet sie einen bestimmten Verfahrensweg, der Partizipation und Partnerschaft betont (wird im Folgenden besprochen). Als Zweck kann es in zweierlei Hinsicht interpretiert werden. Zum einen im Hinblick auf die gesamte Bestimmung, deren Ergebnis eine umfassende Dienstleistung sein könnte. Die Idee des „alles in einem Haus“ wird in diesem Zusammenhang oft erwähnt. Dies vereinfacht jedoch die komplexe Natur von Bedürftigkeit und rückt die öffentlichen Dienste ins Licht von Konsumierbarkeit. Zu bevorzugen sind Konzepte wie z. B. ein „integrierter Zugang“ zu Diensten oder eine „Dienstplattform“. Diese betonen, dass Menschen zu den entsprechenden Diensten hingeleitet werden müssen und dass dies in integrierter Weise geschehen muss, gleichzeitig erkennen sie aber an, dass es unmöglich ist, komplexe Bedürfnisse im Rahmen eines einzigen Dienstes anzubieten. In seiner zweiten Bedeutung beinhaltet die Integration ein Denken im Hinblick auf die ganze Person. Legt man dies als Rahmen zugrunde, erlangen Projekte und Programme Priorität, die darauf abzielen, alle Bedürfnisse in integrierter Weise anzugehen. Diese zwei Auslegungen der Integration schließen sich nicht gegenseitig aus – tatsächlich sind sie eng miteinander verbunden – und idealerweise sollten beide angestrebt werden. 4.1.5. Partnerschaft und Beteiligung Partnerschaft stellt die prozessuale Seite der Integration dar, ein Medium, mit dem die Integration betrieben wird. 68 Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten Soziale Partnerschaften, das Zusammenkommen unterschiedlicher Interessen, insbesondere zum Zweck der wirtschaftlichen und sozialen Planung, wurden in Europa erfunden. Ihre Vorteile sind vielfältiger Natur. Eine neue OECD-Studie (2001) berichtet z. B., dass Partnerschaften auf lokaler Ebene erfolgreich die lokale Selbstverwaltung verbessert haben und Synergien zwischen Regierungsprogrammen und lokalen Initiativen bei der Behandlung nicht berücksichtigter Bedürfnisse freigesetzt haben. Die Arbeit von CS-EM und CS-PS unterstreicht den Vorteil von Partnerschaften, da sie belegt, wie sie zur Verbesserung der Effektivität und Qualität beitragen. Wie jedoch von den NROs beim Weltgipfel für soziale Entwicklung in Genf im Jahr 2000 angemerkt wurde, ist ein neuer bewusster Ansatz der Koordinierung und Partnerschaft zwischen den staatlichen Strukturen und den Organisationen der zivilen Gesellschaft erforderlich (irische Präsidentschaft/Europarat 2000): Mit anderen Worten, Partnerschaft ist nicht notwendigerweise spontan. Gleichzeitig begünstigen die Kulturen in den europäischen Staaten nicht immer Partnerschaften. Aus diesen und anderen Gründen ist es daher notwendig, die Aufmerksamkeit auf die Bedingungen zu lenken, die für das Entstehen und Gedeihen von Partnerschaften günstig sind. Ein Teil der Philosophie, die den Partnerschaften zugrunde liegt, ist die Erneuerung und Stärkung der Demokratie. Die Partnerschaft muss also für die Partizipation aller Beteiligten sorgen. Partnerschaft ist aber nicht nur inklusiv, sondern sie bedeutet auch die Bereitschaft, alle diejenigen zu motivieren, die beteiligt werden sollten. Im Hinblick auf das Ausmaß oder den Umfang der Partnerschaft empfehlen sowohl der CS-EM als auch der CS-PS, dass Partnerschaften so viele Organisationen und Akteure wie möglich einschließen sollten und auch alle jene, die von ihnen profitieren sollen. Zu den potenziellen Partnern zählen die Zentral-, Kommunal- und Regionalregierungen, zuständige Organe für die Auszahlung von Sozialleistungen, Arbeitgeber und Geschäftsorganisationen, Gewerkschaften, NROs und andere Akteure der Zivilgesellschaft sowie diejenigen, die die Arbeitslosen, Frauen und ethnischen Minderheiten vertreten. Partnerschaft berücksichtigt auch die Form der Beziehungen, die mit ihr verbunden sind. Sie ist unvereinbar mit Hierarchie und erfordert kooperierende und nichthierarchische Beziehungen, bei denen alle mehr oder weniger gleichberechtigte Partner sind. Es ist also ein Ansatz von unten nach oben, statt von oben nach unten erforderlich. Partnerschaften können vielfältige Formen annehmen und auf unterschiedlichen Ebenen arbeiten. Eine Art der Partnerschaft kommt unter Anbieterorganisationen verschiedener Zuständigkeitsbereiche vor. So arbeiten z. B. die Anbieter von Gesundheits-, Bildungs- und Sozialdiensten und Leistungen sowie Wohnungs- und Arbeitsämter, einschließlich NROs, zum Zweck der Planung und Erbringung von Diensten zusammen. Eine zweite Form der Partnerschaft dient der Verknüpfung verschiedener administrativer und geographischer Ebenen. In diesem Zusammenhang sei 69 Zugang zu sozialen Rechten in Europa auf das Argument des Kongresses der Gemeinden und Regionen in Europa (CLRAE) in seiner Empfehlung 52 (1998) hingewiesen, das besagt, dass die Region seiner Ansicht nach die angemessene Ebene für eine Partnerschaft zwischen öffentlichen und privaten Organisationen sei. Die Arbeit des CS-EM befürwortet eine starke kommunale Dimension der Partnerschaft und weist darauf hin, dass es die kommunale Ebene ist, auf der sozial schwache Gruppen leben und auch versuchen, ihre Rechte geltend zu machen. Sowohl CS-EM als auch CS-LO lenken die Aufmerksamkeit auf die kommunale Natur vieler Arbeits- und Wohnungsmärkte. In ihrer inklusivsten Form bieten Partnerschaften jenen Menschen, die selbst davon betroffen sind, Möglichkeiten, dass man ihre Stimmen hört und sie Einfluss auf den Planungsprozess nehmen können. Wie bereits der Europarat in seiner Strategie für sozialen Zusammenhalt betont hat, haben die NROs gezeigt, wie die Stimmen der Ohnmächtigen wertvolle Ideen für den politischen Entscheidungsprozess liefern können. 4.1.6. Transparenz und Offenheit Geheimniskrämerei und Mangel an Informationen sind das Gegenteil von Transparenz und die wahren Feinde der sozialen Rechte. In vielen Bereichen der öffentlichen Einrichtungen herrscht immer noch die Vorstellung von intern-extern oder Insider-Outsider vor. Dies bewirkt Abgrenzungen, nicht nur zwischen Mitarbeitern und Nutzern von Diensten (oder ihren Vertretern), sondern auch innerhalb der Dienste und Behörden im Hinblick auf die Fragmentierung in unterschiedliche Einheiten, Abteilungen und so weiter. Dies führt zu Erstarrung und kann in seiner extremsten Form zu einem angeblichen Interessenkonflikt zwischen „uns“ und „denen“ führen. In diesem Rahmen werden Verantwortlichkeit, Informationsaustausch und andere Aspekte guter Praxis in den Verfahren vornehmlich als interne Belange behandelt. Die Nutzer von Diensten werden tendenziell nicht als separat und „da draußen“ gesehen, sondern in gewisser Weise als undifferenzierte Masse. Dies ist sowohl Ursache als auch Folge einer geringen Priorität, die man der Umsetzung, dem Erbringen von Leistungen und der Überwachung der Zufriedenheit seitens der Nutzer einräumt. Darüber hinaus werden Kommunikation und Information weder vorrangig behandelt noch problematisiert. Wir haben in Abschnitt 3.5 gesehen, dass die Speicherung und der Fluss von Informationen, die Qualität der Informationen als auch die Kanäle, über die sie weitergeleitet werden, alle einer Verbesserung bedürfen. Ein Ansatz der Transparenz und Offenheit impliziert, dass die Organisationen eine Kommunikationsstrategie verfolgen. Eine solche Strategie sollte vielschichtig und gut durchdacht sein (Anvisierung verschiedener „Zuhörer“ und Verwendung verschiedener Kanäle) und sollte auch den Menschen die Möglichkeit geben, ihre Bedürfnisse kund zu tun. Andere Elemente, die für einen offenen Ansatz wichtig sind, z. B. Bürgerbeauftragte, Berufungsverfahren, klare Verantwortung 70 Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten der Anbieter und Sektoren sowie Offenheit darüber, wie die Entscheidungen gefällt werden, müssen eingesetzt werden. Dies geschieht momentan aber nur äußerst selten. 4.1.7. Gleichheit Es darf keine Ungleichbehandlung bei sozialen Rechten geben. Sie sind von Natur aus für alle gedacht. Angesichts der tiefen Verankerung der sozialen Unterschiede führt gesellschaftliche Ungleichheit für einige zu einem fehlenden Zugang zu sozialen Rechten. Die Ungleichheit fließt in den Bereich sozialer Rechte, so dass Menschen, die betroffen sind oder durch die allgemeine soziale Ungleichheit geschwächt sind, besondere Schwierigkeiten in Bezug auf soziale Rechte haben. Das Geschlecht ist eine universale Quelle von Ungleichheit, die man daran erkennt, dass Frauen bei der Ausübung ihrer sozialen Rechte generell größere Schwierigkeiten haben als Männer. Gleichheit ist jedoch sehr komplex, d. h., verschiedene Ursachen der Ungleichheit treten häufig zusammen auf. Neben dem Geschlecht sind vor allem Abstammung, ethnische Zugehörigkeit und sozioökonomischer Hintergrund Gründe für Ungleichheit. Die Arbeit der verschiedenen Expertengruppen belegt nicht nur die Existenz sozial schwacher Gruppen in allen Staaten, sondern auch offensichtlich beständige Ähnlichkeiten in der Identität solcher Gruppen in allen Ländern. Es scheint daher höchste Zeit, erneut Gleichheit als Grundsatz für gute Rechtspraktiken zu unterstreichen. Die Verfahren für die Umsetzung von Gleichheit sind am besten in Bezug auf das Geschlecht entwickelt. Besonders die EU ist weltführend bei den Bestimmungen zur Gleichstellung der Geschlechter und hat im letzten Jahrzehnt den Ansatz zur umfassenden Gleichstellung von Mann und Frau angeführt. Das vorherrschende Denken in Bezug auf die Gleichheit der Geschlechter scheint nun zu sein, dass der offizielle rechtliche Ansatz durch aktive Maßnahmen ergänzt werden sollte, die die Gleichheit der Geschlechter in Verfahrensbestimmungen und Praktiken integrieren. Das Ziel ist demnach, eine generelle Berücksichtigung der Gleichheit der Geschlechter in allen politischen Entscheidungen auszunehmen, indem man ihre Aufnahme als Ziel in alle Bestimmungen, auf allen Ebenen und bei allen Phasen des politischen Entscheidungsprozesses fordert. Dieser doppelte Ansatz könnte auch in Bezug auf andere Ursachen der Ungleichheit angewandt werden. Der CS-EM untersuchte z. B. die Ungleichheit beim Zugang zu Beschäftigung und Weiterbildung aus der Perspektive anderer wirtschaftlich benachteiligter Gruppen, insbesondere Menschen mit Behinderungen, ethnische Minderheiten und aufgrund von Alter Diskriminierte (sowohl die Jungen als auch die Älteren). Alle diesen Gruppen wurden unterschiedliche Bedürfnisse bescheinigt, die durch Bestimmungen zur Gleichbehandlung abgedeckt werden müssen, einschließlich in kommunalen Partnerschaften. 71 Zugang zu sozialen Rechten in Europa 4.1.8. Überwachung und Prüfung der Umsetzung Die empirischen Beweise bei der Analyse der Hürden und Hindernisse zu sozialen Rechten zeigen, dass es Lücken bei den Leistungsansprüchen und zwischen der offiziellen Formulierung eines Rechts oder einer Bestimmung und der Umsetzung in der Praxis gibt, selbst dann, wenn der Anspruch klar und deutlich festgelegt ist. Daher ist der potenzielle Beitrag der Überwachung, Prüfung und Durchsetzung als allgemeine Praxis immens. Es ist wichtig für die Zukunft der sozialen Rechte, einen Prozess einzuführen, der einerseits offen ist, die Mängel bei den bestehenden Bestimmungen aufzuzeigen, und andererseits die Berücksichtigung der Bedürfnisse ermöglicht. Der Mangel an Informationen ist momentan ein großes Problem. Wir beziehen uns hier zum einen auf den Mangel an Informationen auf der Ebene der Mitgliedstaaten (und auch auf regionaler und kommunaler Ebene) in Bezug auf die praktische Umsetzung sozialer Rechte. Ein Mangel an Informationen besteht nicht nur für ein Land als Ganzes, sondern auch im Hinblick auf die lokalen Unterschiede beim Zugang zu sozialen Rechten innerhalb einzelner Länder. Es gibt auch das Problem einer fehlenden europaweiten vergleichbaren Datenbank zu sozialrechtlichen Aspekten. Die Tatsache, dass jede der Expertengruppen gezwungen war, neue empirische Daten zu sammeln, ist ein bedeutender Hinweis auf den Mangel länderübergreifender Vergleichsdaten. Es muss weiter auf Ebene der Mitgliedstaaten daran gearbeitet werden, die Vergleichbarkeit von Statistiken im Hinblick auf ihre letztendliche Standardisierung auf der Grundlage gemeinsamer europäischer Kriterien zu verbessern. Die Auswahl der Indikatoren, besonders qualitativer Indikatoren, ist sehr wichtig. Dies wurde vom Europarat erkannt, der unter der Schirmherrschaft der Stabsabteilung zur Entwicklung sozialen Zusammenhalts bereits an der Ausarbeitung von Indikatoren zum sozialen Zusammenhalt arbeitet. In diesem Kontext sei noch einmal auf die Bedeutung von Studien über soziale Ausgrenzung und Ungleichheit in allen Staaten hingewiesen. Die Empfehlung des CS-LO für Nationale Beobachtungsstellen für Wohnungen ist als Mittel der Überwachung auf nationaler Ebene überzeugend. Diese könnte im Hinblick auf Nationale Beobachtungsstellen für Sozialrecht weiterentwickelt werden, die, indem sie Informationen sammeln und zur Verfügung stellen, eine Reihe von Vorzügen bieten. Zum einen würden sie einen integrierten Ansatz zu den sozialen Rechten auf nationaler Ebene darstellen. Zweitens würden Prüfstellen die Arbeit des Europäischen Ausschusses für Sozialrechte unterstützen (der die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta und der revidierten Europäischen Sozialcharta überwacht). Drittens würden Nationale Sozialrechtsprüfstellen die Funktion erfüllen, Informationen zu sammeln und zur Verfügung zu stellen. Überwachung sollte aber auch auf anderen Ebenen erfolgen und Erhebungen 72 Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten einschließen, um die Nutzerzufriedenheit mit einer Reihe von Aspekten bei den Bestimmungen abzustimmen. Das Sammeln dieser Daten würde sich positiv auswirken im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Daten, neuen Analysen und Feedback zum Zweck der Ausarbeitung neuer Programme und Bestimmungen. 4.2. Einige Beispiele für gute Praktiken Dieser Abschnitt stellt eine kleine Auswahl von Beispielen für bestehende Projekte und Initiativen vor, die aus einer Reihe von Ländern ausgewählt wurden, um die praktischen Ansätze hervorzuheben, mit denen Probleme und Hindernisse bei sozialen Rechten identifiziert und gelöst werden. Der Hinweis ist wichtig, dass viele dieser Beispiele die Ausweitung und/oder Abänderung bestehender Praktiken darstellen und dass sie alle in der einen oder anderen Hinsicht auf die Fortführung breit angelegter Unterstützungssysteme aufbauen, die bereits existieren. Diese Beispiele, manche von ihnen sind neu, wurden aus einer Reihe von Gründen ausgewählt. Zum einen hielten wir Ausschau nach Initiativen, die Anzeichen für einen integrierten Ansatz der Arbeit aufwiesen. Diese Art der Aktivitäten bietet eine Verbindung mit der vorangegangenen Diskussion der Grundsätze zur Förderung des Zugangs zu sozialen Rechten, indem sie belegt, dass soziale Rechte von Menschen und ihre Bedürfnisse (und die Reaktion darauf) untrennbar miteinander verbunden sind. Zweitens interessierten wir uns für Praktiken, die von den Dienstleistungsanbietern selbst stammen, was die interne Dynamik des Wandels belegt. Drittens waren auch jene Projekte von Interesse, die auf der Ethik der Partnerschaft beruhen oder diese fördern, ob nun zwischen verschiedenen Anbietern und Sektoren oder auf verschiedenen Ebenen (kommunal, regional, national und international). Ein viertes Kriterium bezog sich auf die Art und Weise, in der Nutzer involviert waren und ob sie tatsächlich die Initiative oder das Projekt initiierten, oder diese aus ihren Bedürfnissen herrührten. Die erste ausgewählte Aktivität stellt eines der besten Beispiele für einen Ansatz dar, der einerseits auf mehrere soziale Rechte abzielt und dies andererseits in einer Art und Weise macht, die integrierend wirkt und Partnerschaften aufbaut. Die Bedürfnisse der Menschen werden als multidimensional erkannt und man bemüht sich dementsprechend, den Bedarf an sicherer und angemessener Unterbringung sicherzustellen, indem man den Menschen den Zugang zu Ausbildung und Beschäftigung vermittelt. Die Menschen, die Hilfe benötigen, sind unmittelbar an der Erfüllung ihrer eigenen Bedürfnisse beteiligt. Die Tatsache, dass es IGLOO-Projekte in so vielen Ländern innerhalb der EU und in einigen außerhalb der EU gibt, verleiht ihnen sowohl eine europäische als auch eine nationale und kommunale Perspektive. 73 Zugang zu sozialen Rechten in Europa IGLOO (innerhalb der Europäischen Union und darüber hinaus) Es handelt sich um eine gemeinsame Initiative des Europäischen Verbindungsausschusses für Sozialwohnungen (CECODHAS), des Europäischen Gewerkschaftsbundes (ETUC) und des Europäischen Verbandes nationaler Vereinigungen, die mit Obdachlosen arbeiten (FEANTSA). Auf der Grundlage eines integrierten Ansatzes für Unterbringung und Beschäftigung ist ein Hauptziel, auf kommunaler Basis eine Ressource zu bieten für jene, die im Bereich Unterbringung, Ausbildung und Zugang zu Beschäftigung für sozial schwache Menschen arbeiten. Begründet im Jahr 1995 beinhaltet es die Einrichtung einer Plattform auf europäischer Ebene sowie von Plattformen auf nationaler und regionaler Ebene, um Lösungen für die Integration durch Wohnung und Beschäftigung auf kommunaler Ebene zu finden. Partnerschaften, über eine Bandbreite von Organisationen und Ebenen, stellen ein Schlüsselprinzip und den modus operandi dar. So auch die Integration, da das gesamte Modell auf der Grundlage einer integrierten „Wohnung-Beschäftigung-Ausbildung“-Philosophie betrieben wird. Die Zielsetzung der IGLOO-Partnerschaften ist es, die Menschen zu befähigen, Zugang zu angemessener Unterbringung zu erlangen und Beschäftigung durch Ausbildung sicherzustellen. Das unmittelbare Vehikel dafür ist die Partizipation beim Bau oder der Renovierung ihrer eigenen Unterkünfte. Solche Projekte schaffen permanente Unterkünfte, die den Bedürfnissen der Zielgruppen angepasst sind, die Entwicklung nachhaltiger Beschäftigung und/oder die Entwicklung von Systemen zur sozialen Unterstützung. Bei den beteiligten Zielgruppen handelt es sich um jene, die am Rande der Gesellschaft leben, wie z. B. Obdachlose, jene, die in schlechten Unterkünften leben, oder jene, die Gefahr laufen, ihre Unterkunft zu verlieren. Viele der IGLOO-Projekte hängen von den Wohnungsrenovierungs- oder Wohnungsbauprojekten ab, die von den kommunalen Behörden ins Leben gerufen werden. IGLOO, deren europäische Aktivitäten Gelder von der EU erhalten (als Pilotprojekt des Europäischen Sozialfonds), ist nicht auf ein einzelnes Land beschränkt. Tatsächlich haben die nationalen und regionalen Mitglieder der verschiedenen Organisationen in vierzehn Mitgliedstaaten der EU ein Kooprationsprotokoll unterzeichnet und bisher wurden über 100 Projekte geprüft. Neben den Projekten ermöglicht IGLOO auch den systematischen Austausch von Informationen. Für weitere Informationen siehe: http://www.feantsa.org Das nächste Beispiel stammt aus Irland, und es handelt sich dabei um ein Pilotprojekt, das vom Ministerium für soziale Sicherheit eingerichtet wurde, um mittels eines integrierten Ansatzes auf die vielen Bedürfnisse bedürftiger Familien zu reagieren. Erst einmal ist die Tatsache bemerkenswert, dass dieses Projekt durch einen öffentlichen Dienstleister initiiert wurde. Aber in seiner Ausführung arbeitet es mit einer Reihe von Organen und Diensten zusammen. Darüber hinaus erkennt es an, dass Menschen vielfältige Bedürfnisse haben und versucht, auf diese in einer koordinierten Weise zu reagieren. Bemerkenswert sind auch die Schwerpunktlegung auf die Bereitstellung von Informationen und einen integrierten Ansatz in Bezug auf 74 Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten Informationen. Schließlich wird auch die Bedeutung eines Ansatzes vor Ort durch das Family Service Project belegt, das ein gemeinsames Bemühen darstellt, Menschen in der Umgebung, in der sie leben, Dienste zur Verfügung zu stellen. Family Services Project (Irland) Dieses irische Projekt, das sich noch in der Pilotphase befindet und nur in einer relativ kleinen Anzahl von benachteiligten städtischen Gebieten betrieben wird, zielt auf die Bereitstellung eines integrierten Zugangs zu Informationen und Diensten für gefährdete Familien in ihrer kommunalen Umgebung ab. Es wurde durch das für soziale Sicherheit und Sozialhilfe zuständige Ministerium, dem Ministerium für Soziales, Gemeinde- und Familienangelegenheiten, initiiert. Die Entwicklung eines „alles in einem Haus”-Ansatzes, bei dem Menschen an einem Ort und/oder einem Dienst so viele Bedürfnisse wie möglich bearbeiten lassen können, ist integraler Bestandteil des Projektes, das die Verbesserung der persönlichen Lebensumstände von Individuen und Familien als übergeordnetes Ziel verfolgt. Die Philosophie dieses Projektes basiert auf der Erkenntnis, dass die Beteiligung der Gemeinde und die lokale Präsenz Schlüsselelemente bei der erfolgreichen Bereitstellung von Hilfen an Familien darstellen. Es wird ein zwischenbehördlicher Ansatz betont, der enge Arbeitsbeziehungen zwischen einer Reihe von Regierungsstellen und Freiwilligenverbänden einschließt. Ein personalisiertes Unterstützungsprogramm wird einer kleinen Gruppe von Familien mit komplexen Bedürfnissen zur Verfügung gestellt. Daher stehen die besonderen Bedürfnisse des Individuums oder der Familie im Vordergrund. Dies schließt einen einzigen Anlaufpunkt für den Kontakt und den Erhalt von Informationen und Diensten ein. Die Zielfamilien umfassen alleinerziehende Mütter und andere alleinstehende Elternteile und deren Kinder, die von Sozialhilfe leben, sowie Familien, deren Oberhaupt Pflegedienste versieht. Das Projekt befasst sich mit der persönlichen Arbeit mit Menschen, um ihre Fähigkeit zu erhöhen, ihre persönlichen und familiären Umstände zu verbessern und Zugang zu Möglichkeiten für Bildung und Beschäftigung zu erlangen. Die Pilotprojekte unterliegen einer kontinuierlichen Überprüfung, und ein kürzlich erschienener Bericht empfiehlt den allgemeinen Einsatz dieser Projekte auf Landesebene. Für weitere Informationen siehe: http://www.dscfa.ie Das nächste Beispiel stammt aus Ungarn und ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen demonstriert es nicht nur, dass Menschen unterstützt werden müssen, um ihre eigenen Bedürfnisse zu stillen, sondern auch, dass sie, wenn sie mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet werden, selbständig werden können. Manchmal muss man den Menschen den richtigen Weg zeigen. Ein zweites Element für gute Praxis in diesem Projekt ist die multi-dimensionale Natur des Lösungsansatzes. Land oder Ausstattung allein reichen nicht aus; vielmehr werden die Menschen mit 75 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Ausbildung und Hilfe versehen, damit sie unabhängige Erzeuger oder Unternehmer werden können. Dieses Projekt ist drittens ein gutes Beispiel für die Früchte, die eine Zusammenarbeit zwischen öffentlichen, privaten und freiwilligen Organen tragen kann. Es konzentriert sich auch auf besonders benachteiligte Gruppen im Hinblick auf den Zugang zu den sozialen Rechten und Beschäftigung, insbesondere in Mittel- und Osteuropa: Roma/Zigeuner. Ein soziales Landprogramm zur Ermöglichung unternehmerischer Tätigkeit (Ungarn) Sarkad, Ungarn, ist ein von Agrarwirtschaft geprägtes Gebiet nahe der rumänischen Grenze. Im Jahr 1992 lag die Arbeitslosenrate bei 25%. Unter den dort lebenden Roma, die 12% der örtlichen Bevölkerung stellten, lag diese Rate bei 100%. Dieses Projekt, das 1993 begann, hatte zum Ziel, den Familien mit Langzeitarbeitslosen oder mit mehr als drei Kindern oder deren Einkommen unterhalb des Durchschnittseinkommens lag, zu helfen Initiiert wurde dieses Projekt durch das örtliche „Family Support and Assistance Social Centre“ (Soziales Zentrum für Familienunterstützung und –hilfe); Unterstützung erhielt es durch die CERES Foundation und den Békés County Employment Service (Arbeitsvermittlung der Gemeinde Békés). Die Békés County Enterprise Development Foundation (Stiftung der Gemeinde Békés zur Unternehmensentwicklung) bietet Beratung, während das damalige Ministerium für Öffentliche Wohlfahrt Gelder zur Verfügung stellt und die National Savings Bank den interessierten Teilnehmern Geschäftskredite verschaffte. Das Programm behandelte eine Mischung wirtschaftlicher, arbeits- und sozialpolitischer Fragen. Es betrieb ein Arbeitshilfsprogramm und versorgte die Teilnehmer mit Ausbildung in innovativen Produktionsformen in der Landwirtschaft, unternehmerischen Fähigkeiten, Kursen in Bewerbungstechniken und persönlicher Ermächtigung. Materialien und Werkzeuge, wie z. B. Saatgut, Chemikalien und Maschinen, sowie Land wurden zur Verfügung gestellt. Ziel war, die „Familien in die Lage zu versetzen, ihren eigenen Unterhalt zu erarbeiten und sie zu unabhängigen Produzenten und Unternehmern zu machen“. Bis 1996 hatten bereits 300 Familien an dem Projekt teilgenommen. Das Programm wurde auf ca. 300 Gemeinden, Dörfer und Siedlungen ausgedehnt, in denen heute mehr als 12.000 Familien an diesem Projekt teilnehmen. Das nächste Beispiel stammt aus dem gesetzlichen Bereich Frankreichs und beinhaltet eine Reihe koordinierte Maßnahmen zur effektiven Umsetzung des Gleichheitsgrundsatzes in Bezug auf Dienstleistungen im Gesundheitswesen. Die Initiative behandelt Gesundheitsdienste als Tor zu anderen sozialen Rechten und versucht, Hürden zwischen den Gesundheitsdiensten und anderen sozialen Einrichtungen abzubauen. Insbesondere werden Dienste auf regionaler Ebene anvisiert. Den Regionalprogrammen liegt nicht nur das Verständnis zugrunde, dass die 76 Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten Schwierigkeiten und Bedürfnisse von Menschen miteinander verbunden sind, sondern sie versuchen auch, in multi-dimensionaler und koordinierter Weise auf die Bedürftigen einzugehen. Das Recht auf Gesundheit wird hierbei als Kernrecht, nicht als paralleles Recht betrachtet. Der modus operandi ist eine breit angelegte Partnerschaft, die auch die Nutzer der Dienstleistungen einschließt. Regionalprogramme für den Zugang zu Gesundheitsvorsorge und Pflege (Frankreich) Das französische Gesetz zur sozialen Ausgrenzung vom 29. Juli 1998, das auf dem Gleichheitsgrundsatz basiert, beschäftigt sich sowohl mit den Grundrechten als auch mit der Koordinierung von Bestimmungen, die die Ansprüche auf Leistungen festlegen. Der Gesundheitsaspekt dieses integrierten Ansatzes basiert auf dem vorgeschriebenem regionalen Zugang zu Vorsorge- und Pflegeprogrammen (PRAPS). Ziel ist die Verbesserung der Gesundheit von Personen in Schwierigkeiten, aber die Programme gewähren auch Anspruch auf andere soziale Leistungen und helfen, die Barrieren zwischen Diensten im Gesundheitswesen, sozialen Diensten und anderen Arten der öffentlichen Unterstützung abzubauen, die einen direkten Einfluss auf die Gesundheit haben. Die im Rahmen von PRAPS gestarteten Aktivitäten beinhalten: Einrichtung von Zentren zur Überwachung der Umsetzung der allgemeinen Gesundheitsbestimmungen, unter Einbeziehung von Krankenversicherungen und Verbänden, die die Empfänger vertreten; – Verpflichtung der städtischen Krankenhäuser, die Krankenversicherungsrechte zu aktualisieren und sicherzustellen, dass Personen, die das Krankenhaus verlassen, zufriedenstellende häusliche Bedingungen für die Weiterversorgung vorfinden; – Versorgung Arbeitsloser mit medizinischer Nachsorge durch die betriebliche Krankenversicherung im Hinblick auf ihre erneute Beschäftigung oder weitergehende Pflege, wenn dies durch Behinderung oder Krankheit angesagt ist; – verstärkte Identifizierung von Menschen mit Sprachschwierigkeiten, um ihren Zugang zu Bildung zu verbessern; – Kontaktaufnahme mit den Zuständigen für die Verbesserung von Wohnbedingungen und Identifizierung ungeeigneter Unterkünfte; – Organisation interdisziplinären Trainings in Partnerschaften mit jenen, die große Schwierigkeiten haben; Die Zentralregierung hat einen erheblichen Beitrag zum Abbau von Hindernissen, zur Einrichtung von Verbindungen und zur Koordinierung von Aktivitäten geleistet, sowohl in ihren eigenen Bereichen, die sich mit sozialer Ausgrenzung befassen, d.h. Gesundheit, soziale Sicherheit, Bildung, Wohnen und Beschäftigung, als auch in ihrem Verhältnis zu den kommunalen Behörden, Gesundheitsträgern und Freiwilligenverbänden. Laut Gesetz von 1998 sind diese potenziellen Partner gemeinsam verantwortlich für die Beurteilung der Situation innerhalb ihrer betreffenden Départments sowie für den Entwurf, die Umsetzung und die Überwachung ihrer PRAPS. 77 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Die Einrichtung solcher Partnerschaften in jeder Region bedarf gemeinsamer Kenntnisse der Bedürfnisse und Wünsche all jener in schwierigen Lagen. Die betreffenden Gruppen müssen daher in den Prozess dieser Bewusstwerdung, der Motivierung und Ausbildung der relevanten Institutionen und Berufsvertreter eingeschlossen werden. Für weitere Informationen siehe: http://www.sante.gouv.fr (unter PRAPS) Die nächste Initiative ist ein Beispiel für einen multi-dimensionalen und innovativen Ansatz zur Umschulung und Integration von Arbeitern, deren Fachkenntnisse nicht mehr benötigt werden. Dies ist für all jene Gemeinden, Städte, Großstädte und Regionen in Europa interessant, die eine wirtschaftliche Umorientierung erlebt haben, sowie für die vielen Menschen und Berufsgruppen, deren Fachkenntnisse überflüssig geworden sind oder in deren Beruf die Stellen erheblich reduziert wurden. Dieses Projekt ist auch ein Beispiel für Menschen, die aktiv werden, um ihre eigene Zukunft zu bestimmen und die eine etablierte Struktur innovativ einsetzen – in diesem Fall die Gewerkschaft. Die Partnerschaft zwischen Gewerkschaft. Management und Arbeitern bildet den Kern für den Erfolg dieses Projektes. Verbesserung der Arbeitsvermittlung erwerbsloser Stahlarbeiter (Rumänien) Aufgrund der Restrukturierung der Metallindustrie in Rumänien wurden über 40.000 Stahlarbeiter arbeitslos. Die Umstrukturierungsmaßnahmen wurden durch ein Abkommen begleitet, das die Unterstützung der erwerbslos gewordenen Arbeiter bei der Suche nach einer sicheren Anstellung durch eine Umschulung, Übergangsbeschäftigung erwerbsloser Arbeiter bei Gemeindeprojekten, die Förderung selbständiger Arbeit und den Umzug in andere Gebiete, in denen Stellen zu finden waren, zusicherte. Die Nationale Gewerkschaft für die Umschulung von Metallarbeitern (UNIRMET) wurde gegründet. Es handelt sich dabei um eine dreigeteilte Körperschaft, bestehend aus Management, Arbeitern und regionalen Ausbildungszentren. Es wurde ein nationaler Solidaritätsfonds für die Metallarbeiter eingerichtet, um diese Unterstützungsmaßnahmen zu finanzieren. Die finanziellen Mittel dieses Fonds stammen von Unternehmen, die das Abkommen unterschrieben haben, und von Angestellten sowie aus Spenden aus anderen Quellen. Erwerbslos gewordene Arbeiter unterzeichneten einen 1-Jahresvertrag mit UNIRMET, um an den Programmen teilnehmen zu können, die Folgendes beinhalteten: – kostenlose Umschulungsmaßnahmen, mit der Möglichkeit eines anschließenden Beschäftigungsangebotes; – Teilnahme an Gemeindeprojekten, während UNIRMET geeignete Beschäftigung für die Beschäftigten suchte; – Beratung hinsichtlich der Unternehmensgründung, unterstützt durch Zuschüsse für die Startphase; 78 Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten – Übernahme der Umzugskosten für die Teilnehmer, die in einer anderen Region eine Beschäftigung finden. Diese Maßnahmen, die unter aktiver Beteiligung der Gewerkschaften und des Managements durchgeführt wurden, erleichterten es denjenigen, die ihren Arbeitsplatz verloren hatten, eine neue Beschäftigung zu finden oder ihre eigenen kleinen Unternehmen zu gründen. Die belgische Charta zur Sozialversicherung zeigt, wie auf gesetzlichem Wege eine Reihe von Grundsätzen eingeführt wurde, die die sozialen Rechte von Menschen verbessern. Diese Charta regelt alle Angebote der Anbieter in den Bereichen soziale Sicherheit und soziale Unterstützung und macht die Anbieter für die Qualität ihrer Dienstleistungen gegenüber den Antragstellern oder Empfängern verantwortlich. Informationen über Rechte nehmen eine herausragende Stellung in der Charta ein, nach der die Einrichtungen für soziale Sicherheit nicht nur den Begünstigten alle erforderlichen Informationen zu ihren Rechten geben müssen, sondern diese auch in die Lage versetzen müssen, Informationen zu den dienstleistenden Organisationen zu suchen. Die Anbieter sind auch verpflichtet, so rasch wie möglich auf die Anträge für Dienstleistungen zu reagieren und, falls sie keine Unterstützung gewähren können, die Person an die zuständige Einrichtung zu verweisen. Durch die Betonung der Verpflichtungen seitens der Anbieter zielt die Charta darauf ab, sie ihrer Rolle bewusster und respektvoller gegenüber den Begünstigten zu machen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Charta versucht, die Situation der Begünstigten durch die Verbesserung der Effektivität der sozialen Rechte zu verändern. Zu diesem Zweck nimmt sie die Bedürfnisse der Rechtsinhaber als Ausgangspunkt für die Organisation der sozialen Sicherheit und der Sozialleistungen. Charta für versicherte Personen (Belgien) Das belgische Bundesgesetz vom 11. April 1995, das im Januar 1997 unter dem Namen „Charta für versicherte Personen“ in Kraft trat, beinhaltet eine Reihe wichtiger Grundsätze bezüglich der Rechte der Öffentlichkeit (versicherte Personen) im Verhältnis zu den Einrichtungen der sozialen Sicherheit. Sein Hauptzweck ist der Schutz der Öffentlichkeit durch die Einrichtung von Maßnahmen, die alle Einrichtungen für soziale Sicherheit einhalten müssen. Zahlreiche Bestimmungen dienen, direkt oder indirekt, der Sicherstellung eines effektiven Zugangs zu den Sozialleistungen und zur Sozialhilfe. Es sind alle Einrichtungen für soziale Sicherheit abgedeckt, d.h., alle quasistaatlichen Einrichtungen für Angestellte oder Selbständige und Beamte und Sozialämter. 79 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Die in diesem Gesetz verankerten Grundsätze lauten wie folgt: 1. Die Einrichtung für soziale Sicherheit ist verpflichtet, die Begünstigten auf Anfrage oder auf eigene Initiative so klar wie möglich über ihre Rechte aufzuklären. Einerseits kann eine versicherte Person spezifische Fragen an eine Einrichtung stellen; andererseits ist die Einrichtung verpflichtet, eigene Schritte zu ergreifen, um die Öffentlichkeit zu informieren. Die Charta weist den Einrichtungen für soziale Sicherheit die Verantwortung zu, innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens Informationen bereitzustellen. 2. Einrichtungen für soziale Sicherheit müssen Antragsformulare für Leistungen, die von der versicherten Person falsch an sie adressiert wurden, an die zuständige Stelle weiterleiten und die betreffende Person darüber informieren. 3. Hat jemand Anspruch auf eine Leistung, dann ist die Einrichtung unter bestimmten Umständen verpflichtet, diese Leistung zu erbringen, auch wenn sie von der betreffenden Person keinen ausdrücklichen Antrag erhalten hat. (Bisher gibt es jedoch keine Durchführungsbestimmung bezüglich dieser Verpflichtung.) 4. Die Einrichtung für soziale Sicherheit muss unverzüglich auf die Anträge für Leistungen reagieren. Der Antragsteller muss nach spätestens vier Monaten über die Entscheidung unterrichtet und die Leistung innerhalb der folgenden vier Monate ausgezahlt werden. Im Fall einer Verzögerung muss die Einrichtung dem Empfänger Zinsen zahlen. 5. Die Einrichtung muss der an die versicherte Person geschickten Entscheidung die Bedingungen für einen Einspruch beilegen und sie über die Gründe für die Entscheidung und das Aktenzeichen informieren sowie die für diesen Vorgang verantwortlichen Personen nennen und wie sie diese kontaktieren können. 6. Stellt sich heraus, dass eine Entscheidung falsch ist, muss eine neue Entscheidung getroffen werden. Nach Ablauf der Einspruchsfrist sind etwaige Folgen nicht durch den Antragsteller zu tragen (falls z. B. die revidierte Leistung für die versicherte Person geringer ist als die ursprüngliche). Für den Fall, dass die ursprüngliche, günstigere Entscheidung durch Betrug oder falsche Angaben seitens der versicherten Person zustande kam, muss diese Person die Leistungen, auf die sie keinen Anspruch hat, zzgl. Zinsen zurückerstatten. Für weitere Informationen siehe: http://securitesociale.fgov.be http://securitesociale.fgov.be/lex/francais/charte/19950411.htm Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist der Schwerpunkt des nächsten Beispiels. Es beschreibt umfassende Maßnahmen, initiiert durch die litauische Regierung, die zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf kommunaler Ebene umgesetzt werden. Diese Programme haben eine starke kommunale Ausrichtung. Sie zielen nicht nur besonders stark auf die Bedürfnisse kommunaler Gebiete ab, sondern erfordern auch eine umfangreiche Unterstützung durch die Gemeindeverwaltung und werden von den kommunalen Arbeitsämtern organisiert. Es werden strikte Beurteilungskriterien angewendet. Innovation und Übertragbarkeit auf andere Bereiche sind wichtige Grundsätze dieser Initiative. 80 Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten Kommunale Initiative zur Schaffung von Arbeitsplätzen (Litauen) Die litauische Regierung stellte 2001 eine Reihe von Gesetzesinitiativen vor, um angesichts des Bedarfs an Arbeitsplätzen auf kommunaler Ebene die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten zu fördern. Das Ziel dieser Richtlinien ist es, die kommunalen Verwaltungen mit Möglichkeiten auszustatten, an wirtschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen und dadurch ihre sozioökonomischen Probleme zu meistern. Weitere Zielsetzungen sind, die Auswirkungen des Strukturwandels in sozial schwachen Gebieten zu mindern und zur Entwicklung aktiver, selbstversorgender und stabiler Gemeinden beizutragen. Das Programm zielt speziell auf marginalisierte Gruppen ab, wie. z. B. Arbeitslose (insbesondere Langzeitarbeitslose), junge Menschen, Frauen mit Familienpflichten und andere Gruppen, die von den kommunalen Arbeitsämtern in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern benannt wurden. Die Arbeitsämter sind für die Organisation kommunaler Beschäftigungsinitiativen verantwortlich. Gremien zur Umsetzung des Projektes, die sich aus kommunalen Sozial- und Wirtschaftspartnern zusammensetzen und als Teil der Arbeitsämter eingerichtet sind, beurteilen die Projekte anhand einer Reihe von Beurteilungskriterien. Ein Projekt muss mehrere Kriterien erfüllen, damit es genehmigt wird. Erstens muss die lokale Verwaltung das Projekt durch Finanzierung der Räumlichkeiten, der Ausstattung usw. unterstützen. Zweitens muss das Projekt wichtige Bedürfnisse des kommunalen Arbeitsmarktes ansprechen und die Anzahl derjenigen, die Sozialhilfe beziehen, reduzieren. Es muss auch die Möglichkeit für eine umfassende Anwendung auf andere Gemeinden bestehen. Darüber hinaus sollten sich z. B. mittels neuer Wirtschaftsaktivitäten und/oder Sozialleistungen zusätzliche Möglichkeiten zur Senkung der Arbeitslosenzahlen ergeben. Das Programm wird durch staatliche Zuwendungen gefördert, wobei als Ziel anvisiert wurde, dass die Kosten zur Schaffung eines Arbeitsplatzes nicht die Summe von vierzig monatlichen Mindestlöhnen (EUR 125 pro Monat) übersteigen dürfen. Außerdem müssen die Organisatoren eines genehmigten Projektes mindestens 35% der gesamten Projektkosten stellen. In diesem Rahmen hat im Jahr 2001 die litauische Regierung EUR 359.420 aus dem Staatshaushalt beigesteuert. Die Projekte zielten auf die zehn Gemeinden mit den höchsten Arbeitslosenraten ab. Bisher wurden 86 Projekte vorbereitet. Aufgrund begrenzter Ressourcen konnten jedoch nur sechzehn Projekte ausgewählt und umgesetzt werden. Ein wichtiges Ergebnis der erfolgreichen Umsetzung dieser Programme im Jahr 2001 ist, dass Ausbildungscurricula und Materialien für die Teilnehmer und Mitarbeiter der Projekte, einschließlich Bewertung, Finanzen, Supervision und Berichtsmethodologien, für den Entwurf, die Vorbereitung und die Durchführung neuer Projekte verwendet werden. Darüber hinaus stellt die litauische Regierung in Anerkennung des Erfolgs dieses Programms im Jahr 2002 weitere EUR 724.638 für neue Projekte zur Verfügung. Für weitere Informationen siehe: http://www.ldb.lt 81 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Das letzte Beispiel betrifft ebenfalls ein länderübergreifendes Projekt. Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher bieten sozial schwachen Menschen eine zweite Chance auf Bildung. Eine der wichtigsten Merkmale dieser Schulen ist, dass sie Kurse anbieten, die auf die Bedürfnisse der Person ausgerichtet sind und den kulturellen Hintergrund berücksichtigen, besonders, wenn die Person einer Minderheitengruppe angehört. Dieser individuelle Ansatz wird durch die Verwendung eines Mentorsystems in Bezug auf Ausbildung und Beschäftigung unterstützt. Ein weiteres bemerkenswertes Merkmal der Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher ist, dass sie Bildung und Berufsausbildung mit Berufserfahrungen und der Arbeitsvermittlung verbindet. Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher (innerhalb der Europäischen Union und darüber hinaus) Das Weißbuch „Lehren und Lernen: Auf dem Weg zu einer lernenden Gesellschaft“, das am 29. November 1995 durch die Europäische Kommission verabschiedet wurde, war der Ausgangspunkt für die Initiative der Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher. Durch diese Versuchsschulen erhalten junge Menschen, die nicht über die erforderlichen Fähigkeiten oder Qualifikationen für die Zulassung zu Programmen der höheren Bildung oder für den Arbeitsmarkt verfügen und nicht mehr der offiziellen Schulpflicht unterliegen, über Bildungs- und Ausbildungsangebote neue Chancen. Heute gibt es ca. 20 Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher in 11 verschiedenen EU-Mitgliedstaaten und zwei Beitrittsstaaten (Bulgarien und Lettland). Es existiert zwischen den Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher in den verschiedenen Ländern ein Netzwerk (bekannt unter dem Namen „E2C“). Das Konzept für die Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher basiert auf der Kooperation zwischen Schulen und lokaler Industrie und bietet eine Mischung aus Schule und praktischer Arbeit. Ein wichtiger Teil der Bildung besteht aus der Vermittlung von Wissen über die Gesellschaft und ihre Aufgaben. Das Ziel ist es, jungen Menschen mit sozialen Problemen und fehlender Bildung durch individuell angepasste Lehrpläne und praktische Ausbildung bei der Suche nach Arbeitsplätzen und Einkommen zu helfen. Europäische Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher unterscheiden sich erheblich im Hinblick auf die Lehrmethoden, die Anzahl und das Alter der Gruppen. In Schweden zielen die Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher auf junge Menschen zwischen 16 und 20 Jahren ab. In der ersten schwedischen Bildungseinrichtung für Schulabbrecher in Norrköping versucht man eine neue Arbeitsmethode zur Bekämpfung sozialer Anpassungsmängel, indem man Bildung und Berufsausbildung miteinander verbindet. Aus diesem Grund wird Menschen mit psycho-sozialen Problemen, Studenten aus Einwandererfamilien (einschließlich Roma) und jenen mit Lernschwächen der Vorrang gegeben. Die Norrköping-Schule hat eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Geschäften aufgebaut, insbesondere mit kleinen und mittleren Unternehmen. Unter den anderen Partnern, die Ausbildungsplätze angeboten haben, finden sich Regierungsstellen, eine kommunale Vorschule und ein Verband für 82 Gute Praktiken bei der Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten Erwachsenenbildung. Die Ausbildung ist auf die Bedürfnisse und Wünsche der Schüler maßgeschneidert. Jeder Schüler erhält einen Mentor aus einem geeigneten Unternehmen, und es wird ein Vertrag zwischen dem Schüler und dem Mentor abgeschlossen, der ihre jeweiligen Verpflichtungen ausführlich beschreibt. Das Projekt der Bildungseinrichtungen für Schulabbrecher wurde geprüft, und im Juli 2000 wurde ein Abschlussbericht mit vierzehn geprüften Pilotprojekten verabschiedet. Unter den beteiligten Ländern befanden sich neben Schweden auch Dänemark, Finnland, Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und Großbritannien. Für weitere Informationen siehe: http://europa.eu.int/comm/education/2chance 83 5. Politische Richtlinien Die meisten für die Verwirklichung der sozialen Rechte notwendigen Strukturen existieren bereits in Europa. Obwohl es noch einige Lücken gibt, lassen sich die Probleme oft auf mangelhafte Ausführung oder Funktionsweise der bestehenden Bestimmungen oder der Darlegung des Rechts zurückführen. Es kann z. B. der Fall sein, dass die Bestimmungen nicht die sich verändernden Bedürfnisse berücksichtigen, die sie eigentlich behandeln sollen, oder dass sie nicht den speziellen und komplexen Situationen angemessen sind, um die Realisierung sozialer Rechte zu regeln. Angesichts dieser Tatsache müssen Dienstleistungsanbieter sich bewusst sein, dass Probleme bei der Funktionsweise ihrer Dienste und Einrichtungen existieren, und sie sollten offener sein hinsichtlich ihrer Überwachung und sich regelmäßig mit den Nutzern und NROs treffen, um gute Praktiken zu besprechen. Auch die Gelegenheit und Bereitschaft zum Austausch guter Praktiken unter den Ländern und auch unter den Regionen Europas sind hier hervorzuheben. Außerdem müssen die Nutzer der Dienste und Leistungen als Bürger anerkannt werden. Das heißt, sie müssen als Rechtsinhaber behandelt werden. Nach der Beschreibung der allgemeinen Grundsätze betrachten wir nun die Entwicklung spezifischer Richtlinien. Dieses Kapitel entwickelt auf der Grundlage der sieben Herausforderungen, die in Kapitel 3 identifiziert wurden, bereichsübergreifende Richtlinien, und verwendet dabei zusätzlich die Grundsätze und Praktiken zur Förderung des Zugangs, die in Kapitel 4 diskutiert wurden. Prioritäten für zukünftige Aktivitäten, sowohl kurzfristiger als auch langfristiger, sind zentraler Bestandteil. Das Konzept eines „paneuropäischen und nationalen politischen Rahmens der sozialen Rechte“ steht dabei im Vordergrund. Tabelle 2 listet die wichtigsten politischen Leitlinien auf. 5.1. Stärkung des Anspruchs auf soziale Rechte und Verbesserung der Bestimmungen Ziel: ein expliziter, auslegbarer und inklusiver Rahmen sozialer Rechte 5.1.1. Umfassende und explizite Ansprüche Es bedarf eines umfassenden rechtlichen und politischen Rahmens, der die Rechtsgrundlage des Anspruchs und eine Verpflichtung zu einem angemessenen Mechanismus darstellt, der die Rechte bewirkt. Der gesetzliche Rahmen ist ausschlaggebend. Die Rechte als Ansprüche müssen 85 Zugang zu sozialen Rechten in Europa genauer definiert werden. Die Rechte, die so explizit wie möglich sein sollten, sind in einer Art und Weise darzulegen, die gerichtlich und anderweitig auslegbar ist. Aus diesen Gründen muss im Hinblick auf die Gesetzgebung, die Politik und die Bereitstellung des Konzepts und der Inhalte sozialer Rechte deren Bedeutung genau definiert werden. Dies trifft vor allem auf jene Rechte zu, die relativ neu sind, wie z. B. die Rechte zum Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung und auf angemessenes Wohnen, die in Artikel 30 und 31 der revidierten Europäischen Sozialcharta festgelegt sind. Ungeachtet der Notwendigkeit für einen umfassenden gesetzlichen Rahmen, müssen gesetzliche und andere Definitionen und Praktiken beseitigt werden, die momentan Ausgrenzung verursachen oder die bestimmte Kategorien von Menschen und Situationen von Sozialleistungen und –diensten ausschließen. Da gesetzliche Bestimmungen nicht alle Situationen abdecken können, muss der gesetzliche Rahmen in einer Art und Weise gestaltet werden, in dem es genügend Flexibilität gibt, um unvorhersehbaren und unbeabsichtigten Situationen von Ausgrenzung vorzubeugen, die durch starre rechtliche Formulierungen und veränderte Umstände auftreten. Mit anderen Worten sollte für eine gewisse Auslegungsfreiheit in den gesetzlichen Bestimmungen gesorgt werden. In diesem Hinblick bilden die Europäische Sozialcharta und die Revidierte Europäische Sozialcharta die Ausgangspunkte. Alle Mitgliedstaaten, die die Charta in ihrer ursprünglichen und revidierten Fassung noch nicht ratifiziert haben, sollten dies nachholen und dabei insbesondere Artikel 30 über das Recht auf Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung (dies ist ein einzigartiges Recht in internationalen Vertragswerken) und Artikel 31, Recht auf Wohnung, akzeptieren. Zusätzlich sollten alle Mitgliedstaaten des Europarates die Ratifizierung der rechtlichen Instrumente des Europarates im sozialen Bereich als Priorität behandeln, die zur Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten aller oder bestimmter sozial schwacher Gruppen beitragen. Diese umfassen das Europäische Übereinkommen über die Rechtsstellung der Wanderarbeitnehmer (1997) und die rechtlichen Instrumente über die Koordinierung der sozialen Sicherheit (insbesondere das Europäische Übereinkommen über soziale Sicherheit, 1972). Darüber hinaus wird im Kontext eines allgemeinen Bestrebens, den Anspruch auf soziale Rechte zu stärken, auch die Ratifizierung der rechtlichen Instrumente über die Einrichtung sozialer Standards durch die Mitgliedstaaten (wie z. B. den Europäischen Code zur Sozialen Sicherheit und das Protokoll zum Europäischen Code zur Sozialen Sicherheit) als Priorität empfohlen. Die Mitgliedstaaten sollten weiterhin aufgefordert werden, andere internationale Rechtsinstrumente in Bezug auf soziale Rechte umzusetzen, einschließlich 86 Politische Richtlinien Tabelle 2: Die politischen Leitlinien zur Beseitigung der Hindernisse, die den Zugang zu sozialen Rechten beeinträchtigen Kategorie Politische Leitlinien Darlegung des Rechts und Angemessenheit der rechtlichen und anderer Bestimmungen Umfassende und explizite Ansprüche Maßnahmen zur Verbesserung der Angemessenheit der Bestimmung Unzureichende Überwachung und Durchsetzung Bessere Überwachung der Bestimmungen Rechtliche Überprüfung aller Bestimmungen und Vorschläge Eine Charta für die Nutzer Maßnahmen gegen Diskriminierung und/oder Ungleichbehandlung Einrichtung einer Nationalen Beobachtungsstelle für soziale Rechte Ressourcen Ressourcen der Anbieter: Verbesserung der Angemessenheit und Kontinuität der Ressourcen (Finanzierung, Mitarbeiter, Einrichtungen, Ausrüstung) Minimierung des Ungleichgewichts der Ressourcen auf verschiedenen Ebenen der Verwaltung Ressourcen der Berechtigten: Information und Befähigung der Menschen, damit sie ihre sozialen Rechte einfordern können Angemessene Vermittlung und Unterstützung Management und Verfahren Verringerung der Aufsplitterung zwischen den Verwaltungsebenen und Diensten Beteiligung der NROs, der Nutzer und anderer Akteure der Zivilgesellschaft Verringerung der Komplexität der Verfahren und der Zugangsprobleme Information und Kommunikation Kommunikations- und Informationsaustausch sollte Priorität eingeräumt werden Verwendung „neuer“ und alternativer Kanäle sowie mobiler Dienste Anpassung der Informationen an die verschiedenen Teile der Bevölkerung Regelmäßige Überprüfung der Qualität der Information und der Effizienz der Kommunikationsstrategie Psychologische und soziokulturelle Hindernisse Auf Seiten der Anbieter: Gegenmaßnahmen im Hinblick auf Stigmatisierung und Benachteiligung bestimmter Gruppen durch Ausbildung und Änderung des Verhaltens Auf Seiten der Nutzer oder Antragsteller: Bessere Aufnahme, Einrichtungen und Anerkennung der Lage der Nutzer Unzureichende Beachtung der sozial schwachen Gruppen und Regionen Sozial schwache Gruppen: Unterstützung (im weitesten Sinne) dieser Bevölkerungsteile, damit sie ihre sozialen Rechte einfordern können Sozial schwache Regionen: Anvisierung der sozial schwachen Regionen und Orte durch die Politik 87 Zugang zu sozialen Rechten in Europa der Empfehlungen, die durch das Ministerkomitee des Europarates und durch andere internationale Organisationen verabschiedet wurden. Sie sollten sich auch um die Ratifizierung und Umsetzung der Empfehlungen internationaler Institutionen im Hinblick auf die Übereinstimmung mit internationalen Vertragswerken im Bereich sozialer Rechte bemühen, wie. z.B. denen des Europarates. Für die Überwachung der Umsetzung dieser rechtlichen Vertragswerke wird die Schaffung eines geeigneten Mechanismus empfohlen. Die Regierungen sollten ferner ihre innerstaatliche Gesetzgebung weiterentwickeln, stärken und umsetzen, um kritische Lücken im sozialen Sicherheitsnetz zu schließen, und ein Mindesteinkommen und einen Lebensstandard definieren, falls dies noch nicht geschehen ist. Es ist wichtig, dass diese Schwelle nicht zu niedrig angesetzt wird. 5.1.2. Auf dem Weg zu angemessenen Bestimmungen Das Folgende soll zur Verbesserung der Angemessenheit der Bestimmungen beitragen, indem die rechtliche Formalisierung ergänzt und die Ansprüche präziser abgefasst werden: – In allen Mitgliedstaaten sollten ein transparentes System der sozialen Rechte und zufriedenstellende administrative Verfahren und Ressourcen eingeführt werden, um sie umzusetzen; – alle Dienste und Leistungen sollten auf der Anerkennung der Verknüpfung zwischen Bedürfnis und sozialen Rechten basieren und sollten danach streben, integrierte Dienste anzubieten; – öffentliche Stellen auf allen Ebenen und alle relevanten internationalen Organe sind daher aufgefordert, Ansätze zu fördern und zu entwickeln, die Dienste und Leistungen in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Gesundheit, Wohnung und Sozialschutz miteinander verbinden. Zusätzlich sollten die Zielsetzungen der oben genannten Bereiche Berücksichtigung finden, wenn über Bestimmungen im Bereich Besteuerung und bei Fragen des Grundbesitzes und der Landnutzung entschieden wird. Die nationalen Behörden sollten die Staatsbeamten, die Verantwortung im Bereich sozialer Rechte tragen, die Organisationen der Zivilgesellschaft und die Öffentlichkeit über alle rechtlichen Rahmenbedingungen aufklären (ob international, national oder sub-national). Dies sollten nicht nur Informationen zu den tatsächlichen Standards sein, sondern auch darüber, wie diese im nationalen und sub-nationalen Kontext erreicht und umgesetzt werden können und darüber, welchen Beitrag Organisationen der Zivilgesellschaft dabei leisten können. 88 Politische Richtlinien 5.2. Verstärkung und Überwachung der Umsetzung Ziel: die Umsetzung und zufriedenstellende Funktionsweise der Rechtsansprüche, Rechtsmittel und anderer Bestimmungen sicherzustellen, die für soziale Rechte von Relevanz sind Der Überwachung der Bestimmungen ist größere Aufmerksamkeit zu schenken. Bei der Erstellung neuer Programme (und der Überarbeitung bestehender Programme, wo erforderlich) sollte ein abgestimmtes Überwachungsverfahren eingesetzt werden. Es sollten regelmäßige Erhebungen durchgeführt werden, um den Grad der Zufriedenheit bei den potenziell berechtigten Personen und Empfängern festzustellen. Diese Erhebungen sollten auch die Meinung der Mitarbeiter berücksichtigen. Die Überwachung sollte an einem Vorgabenkatalog ausgerichtet sein, insbesondere bezüglich der Zielsetzungen der Dienste. Es wird eine „rechtliche Überprüfung“ aller Bestimmungen und Vorschläge empfohlen. Dies sollte im Rahmen eines formellen Prozesses zur Beurteilung des Umfangs geschehen, in dem bestehende Regelungen und alle neuen Bestimmungsvorschläge zur Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten beitragen. Das bedeutet die allgemeine Verbreitung der Rechte in allen Bestimmungen; etwas, was bereits in der rechtlichen Überprüfung in Bezug auf Geschlecht und Armut stattgefunden hat. Zu den Kriterien, die für die rechtliche Überprüfung verwendet werden könnten, gehört die Eliminierung aller Hindernisse und Hürden, die in Kapitel 3 im Hinblick auf die Gleichbehandlung beim Zugang zu den sozialen Rechten identifiziert wurden (in einer breiten Auslegung). Um die Umsetzung sicherzustellen, muss es adäquate und transparente Systeme für den Einspruch oder entsprechende Rechtsmittel geben, wenn die Rechte verweigert werden. Diese sollten sich nicht nur auf Zahlungen der sozialen Sicherheit und Sozialhilfe beziehen, für die es im Rahmen der Europäischen Charta ein wohlbegründetes Präzedenzrecht gibt, sondern auch auf die Bereiche Gesundheit, Wohnen, Zugang zu aktiven Arbeitsmarktprogrammen, Ausbildung und lebenslanges Lernen. Solche Einspruchsysteme sollten kostenlose oder erschwingliche Rechtsmittel in angemessenen Zeitrahmen anbieten. Um die Transparenz und die Offenheit weiter zu stärken, sollte eine Charta für die Nutzer in Erwägung gezogen werden. Dies würde eindeutig die Standards festlegen, die die staatlichen Anbieter von Sozialleistungen im Umgang mit den Anträgen für Leistungen oder Dienste anstreben. Unter den festgelegten Standards sollten sich auch jene befinden, die sich auf höfliche Umgangsformen, Bearbeitungs- und Entscheidungszeiten bei der Beantragung von Leistungen oder Diensten, Beschwerdewege und Kanäle für die Einreichung von Verbesserungsvorschlägen seitens des Nutzers beziehen. 89 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Es müssen auch Maßnahmen durchgeführt werden, um Schutz vor Diskriminierung und Ungleichbehandlung in der Praxis zu bieten. Die Gleichbehandlung beim Zugang kann auch eine positive Diskriminierung erfordern, z. B. in Form gezielter Maßnahmen für bestimmte Gruppen. Auch diskriminierende Haltungen und Praktiken seitens der Dienstleistungsanbieter müssen abgebaut werden. Es ist auch überaus wichtig, dass die Überwachung der Rechte mittels standardisierter und offizieller Mechanismen, besonders auf nationaler Ebene, organisiert wird. In dieser Hinsicht wird die Gründung einer Nationalen Beobachtungsstelle für soziale Rechte auf der Ebene der Mitgliedstaaten empfohlen. Diese Beobachtungsstelle sollte folgende Zielsetzungen erfüllen: (a) Überwachung der tatsächlichen Situation im Hinblick auf soziale Rechte in diesem Mitgliedstaat; (b) Bereitstellen von Standardinformationen, die vom Europäischen Ausschuss für Sozialrechte, dem Europäischen Komitee für sozialen Zusammenhalt und anderen Organen für ihre Arbeitszwecke und für eine europaweite Forschung und Überwachung genutzt werden könnten. Eine solche Beobachtungsstelle allein ist aber nicht ausreichend. Es gibt keine Alternative zu angemessenen ausführenden Organen, wie z. B. Inspektionen für Arbeitsämter und soziale Einrichtungen mit hohem professionellem Standard, um gesunde und sichere Arbeitsbedingungen, Einhaltung von Mindestlöhnen und gleichen Löhnen, angemessenen Schutz von Kindern, Behinderten und psychisch Kranken und angemessenes Wohnen sicherzustellen. Die Regulierung von Standards für Dienste und Verantwortlichkeit ist auch für nachhaltige und hochwertige Dienste unerlässlich. Alle diese Maßnahmen würden auch dazu beitragen, die Übertragung guter Praktiken zu fördern. 5.3. Erhöhung der Ressourcen für die soziale Rechte Ziel: Ausreichende Ressourcen und Fähigkeiten der Anbieter und Nutzer sicherzustellen Die Mitgliedstaaten müssen Schritte vornehmen, um die Hindernisse zu beseitigen, die durch unzureichende Ressourcen seitens der Anbieter und Nutzer von Diensten und jenen, die ihre sozialen Rechte wahrnehmen wollen, verursacht werden und die die Ausübung der sozialer Rechte beeinträchtigen. 5.3.1. Ressourcen der Anbieter Obwohl in einigen Ländern ein erheblicher Ressourcenmangel vorherrscht, sollten die Mitgliedstaaten ausreichende Ressourcen zur Verfügung stellen, damit ein angemessener und gerechter Zugang zu sozialen Rechten für alle 90 Politische Richtlinien möglich ist, insbesondere für die, die diese am nötigsten brauchen. Zu den notwendigen Ressourcen gehören Finanzierung, Personal, Einrichtungen und Ausrüstung. Ausreichende Ressourcen für die Sicherstellung des Zugangs zu sozialen Rechten muss nicht immer eine Steigerung der Kosten beinhalten. Auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene sollte die Haushaltsverwaltung sich bemühen, die Kontinuität der Ressourcen zu sichern; dies gilt auch für eine angemessene Finanzierung in den Bereichen soziale Sicherheit und Sozialhilfe, Beschäftigung, Gesundheit, Wohnen, Bildung und Ausbildung. Eine gute Verwaltung ist untrennbar mit angemessenen und kontinuierlichen Ressourcen verbunden. Regierungen sollten auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene zusammenarbeiten, um die unterschiedliche Finanzierung zwischen den verschiedenen Ebenen und Diensten zu minimieren, soweit wie möglich eine Gleichheit der Regionen zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass die Unterschiede zwischen den Regionen die unterschiedlichen Bedürfnisse widerspiegeln. Nationale Regierungen sollten den untergeordneten Ebenen bei der Bereitstellung kommunaler Dienste ein gewisses Maß an Autonomie zugestehen. Dies ist wichtig, um auf die speziellen Bedürfnisse sozial schwacher Gruppen in den Kommunen eingehen zu können. Sie sollten sich auch um die Sicherstellung der Kontinuität in der Finanzierung und um den Abbau von Finanzierungslücken bemühen. Sind dies an sich schon wichtige allgemeine Grundsätze, so sind sie doch im Hinblick auf grundlegende Leistungen und Dienste unerlässlich, einschließlich Gesundheit, Wohnen und die kontinuierliche Weiterbildung und Umschulung. So wichtig sie auch sein mag, so ist die Frage nach ausreichenden Ressourcen nicht nur eine Frage nach angemessener Finanzierung und guter und transparenter Haushaltsverwaltung. Bei diesem Thema sind auch die intellektuellen und erzieherischen Ressourcen und die Fähigkeiten der Mitarbeiter zu beachten, es ist z.B. sicherzustellen, dass nur Mitarbeiter eingestellt werden, die über entsprechende berufliche Qualifikationen verfügen, und dass sie die erforderliche Ausbildung und Ausstattung erhalten, um den Herausforderungen ihrer Arbeit gewachsen zu sein. Auch die Erfahrung und das Wissen der Nutzer kann man als Ressource der Anbieter betrachten. 5.3.2. Ressourcen und Befähigung der Antragsteller Die Kenntnis über ein Recht ist die Voraussetzung für die Einforderung dieses Rechts. Das bedeutet, dass Menschen umfassend über die Verfügbarkeit und über die Möglichkeiten informiert werden, wie sie Zugang zu diesen Rechten erhalten. Hier tragen die Staatsbeamten eine Verantwortung. Daher müssen sie sich bemühen, vollständige Informationen über die von ihren eigenen Behörden als auch von anderen relevanten Anbietern bereitgestellten Dienste anzubieten. Informationen sind jedoch nur eine Ressource. Die Menschen 91 Zugang zu sozialen Rechten in Europa müssen, um ihre sozialen Rechte einfordern zu können, auch Zugang zu den entsprechenden Diensten und Leistungen haben. Diejenigen, die sich z.B. um eine nachhaltige Beschäftigung bemühen, müssen in die Lage versetzt werden, unter Einbringung ihrer Fähigkeiten eine angemessene Arbeitsstelle zu suchen, und sie müssen Zugang zu Diensten erhalten, einschließlich Bildungs- und Ausbildungsdiensten, die ihnen beim Erwerb der notwendigen Fähigkeiten für den lokalen/regionalen Arbeitsmarkt dienlich sind. In diesem Zusammenhang sind die Artikel 1 der Europäischen Sozialcharta über das Recht auf Arbeit (und insbesondere Artikel 1, Absatz 3 über die Einrichtung oder Aufrechterhaltung kostenloser Arbeitsvermittlungsstellen für alle Arbeitnehmer) und die Artikel 9 und 10 über das Recht auf Berufsberatung und berufliche Bildung besonders relevant. Auch in anderen Bereichen der sozialen Rechte müssen die Antragsteller ähnlich befähigt werden. Mit der Erleichterung des Zugangs zu den Sozialleistungen müssen die Regierungen darüber hinaus sicherstellen, dass alle diejenigen, die Hilfe beim Ausfüllen der Formulare und bei den Verfahren sowie der Aushandlung der Forderung ihrer Rechte benötigen, diese auch erhalten. In vielen Fällen müssen dafür den NROs und anderen Dienstleistungsanbieters Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, damit sie den Menschen eine persönliche Unterstützung und Beratung anbieten können, die es ihnen ermöglicht, ihre sozialen Rechte einzufordern. Auch Menschen mit besonderen Bedürfnissen, seien es mobilitätsbezogene oder sensorische Behinderungen, müssen beim Zugang zu ihren sozialen Rechten Unterstützung finden. Grundsätzlich muss das Prinzip zugrunde gelegt werden, dass mangelnde Fähigkeit oder mangelndes Vertrauen in die sprachlichen und anderen Fähigkeiten oder Fertigkeiten, die an sich bereits einen fehlenden Zugang zu den sozialen Rechten manifestieren, keine Hindernisse beim Zugang zu den sozialen Rechten darstellen dürfen. 5.4. Veränderung und Verbesserung des Managements und der Verfahren Ziel: Beträchtliche Verbesserung des Zugangs durch bessere Verwaltung und Verfahren 5.4.1. Weitere Aufsplitterung vermeiden Ziel sollte hierbei sein, umfassende, effiziente und effektive Dienste zu entwickeln, die die Ressourcen so gut wie möglich einsetzen und dem Nutzer die besten und angemessensten Dienste bieten. Um Aufsplitterung zu vermeiden: – Es ist eine klare Aufteilung der Verantwortung zwischen den verschiedenen Ebenen der Regierung und den Diensten vorzunehmen. Dies muss allen betroffenen Organen und Diensten mitgeteilt werden. 92 Politische Richtlinien – Die verschiedenen Organe und Dienste sollten bei der Bearbeitung der Anträge der Berechtigten unter Berücksichtigung des Datenschutzes miteinander kooperieren. – Integrierte Dienste sollten aktiv gefördert werden. Zu diesem Zwecke sollten die potenziellen Plattformen oder Ausgangspunkte der Dienste erkannt werden. Diese gehen noch weiter als die „alles-in-einem-Haus“Ansätze, da sie erkennen, dass die Bedürfnisse eines Menschen zwar in integrierter Weise behandelt werden müssen, aber dass dies nicht bedeutet, dass nur eine Art des Dienstes notwendig ist. 5.4.2. Beteiligung der NROs, der Nutzer und anderer Akteure der Zivilgesellschaft Die Rolle der NROs, Sozialpartner, Nutzer und anderer Akteure der Zivilgesellschaft sollte anerkannt und ihr Einsatz zur Förderung des Zugangs zu den sozialen Rechten und dem sozialen Zusammenhalt unterstützt werden. Zu diesem Zweck sollte(n): – die NROs rechtlich anerkannt werden und ihr rechtlicher und steuerlicher Status klar im Gesetz oder ihre Befreiung von der Steuerpflicht, wo angebracht, verankert werden (gemeinnützig oder „nicht gewinnorientiert“); – die Aktivitäten der NROs und anderer Akteure angeregt und gefördert werden, besonders in Bezug auf Ausbildung und Ausweitung der Kapazitäten; – die Beteiligung der NROs an den Sozialdiensten im gegenseitigen Einvernehmen mit der Regierung festgelegt werden, und die NROs sollten nicht gezwungen sein, Mängel bei den von Regierungsstellen erbrachten Sozialleistungen, ob auf nationaler, regionaler oder kommunaler Ebene, auszugleichen; – auf die Erfahrung der NROs und anderer Akteure der Zivilgesellschaft, besonders ihre „Warnsignale“ und ihr Wissen über die Lage sozial schwacher und benachteiligter Menschen zurückgegriffen werden und diese für die Ausarbeitung von Richtlinien genutzt werden, die den Zugang zu sozialen Rechten sichern helfen; – Partnerschaften zwischen Stellen für Sozialdienste und Leistungen einerseits und NROs und anderen Akteuren andererseits gefördert werden, um im Rahmen der Partnerschaft die Interaktion zwischen allen Bereichen der Sozialdienste und dem Freiwilligenbereich zu fördern; – der potenzielle Beitrag der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene im Hinblick auf ihre Förderung von Beschäftigung und Bereitstellung beruflicher Weiterbildung und Arbeitserfahrung im Rahmen eines sozialen Dialogs anerkannt werden; – der Beitrag der Berechtigten anerkannt und ihre Erfahrung und Kenntnisse eingesetzt werden. 93 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Der langfristige Erfolg der politischen Ansätze und Bestimmungen hängt nicht nur von der Beteiligung der NROs ab, sondern auch von der Partizipation und Unterstützung der Menschen selbst. Sozial schwache Menschen und alle Nutzer der Sozialdienste sollten sich daher selbständig so weit wie möglich am Entscheidungsprozess beteiligen können. Dies sollte sich nicht nur auf die Maßnahmen erstrecken, die sich auf die Verbesserung der persönlichen Lebenssituation eines Menschen beziehen, sondern auch auf die Einflussnahme bei der Ausarbeitung der Sozialleistungen, des lebenslangen Lernens, der Bildung und der Ausbildung oder der Unterstützungsmaßnahmen, die Wege aus der Armut und der sozialen Ausgrenzung und in eine anständige Beschäftigung weisen. 5.4.3. Verringerung der Komplexität und Zugangsprobleme Neben der Festschreibung des Rechts durch die Gesetzgebung sollten auch entsprechende Mechanismen zur Umsetzung dieser Rechte eingesetzt werden. Die beiden Ziele sind hier, die Ausübung sozialer Rechte zu erleichtern und dafür zu sorgen, dass die Sozialdienste zum Wohle der Berechtigten arbeiten und die Beteiligung der Nutzer fördern. Zu diesem Zweck sollte(n): – Antragsformulare und –verfahren klar festgelegt, den Berechtigten angemessen, in klarer und verständlicher Sprache verfasst und leicht durchzuführen sein; – die staatlichen Behörden über ihre Dienste umfassend informiert sein und sichergestellt sein, dass Antragsteller oder potenziellen Antragsteller auch Kenntnis von anderen relevanten Diensten erhalten; – die beratende Rolle der Sozialgremien gefördert werden, insbesondere bei der Ausfüllung und Bearbeitung der Anträge, wenn nötig, indem proaktive und befähigende Strategien angewendet werden (kostenlose Rufnummern, kostenlose Informationszentren, usw.); – jede Ablehnung eines Anspruchs oder einer Dienstleistung immer schriftlich begründet werden und klar und ausführlich formuliert sein. Jede Ablehnung sollte die Einspruchsmöglichkeiten auflisten; – die Möglichkeit einer mündlichen Erklärung bestehen; – die Räumlichkeiten aller Sozialdienste für alle zugänglich und benutzerfreundlich sein; – bei den Öffnungszeiten die verschiedenen Bedürfnisse und Verantwortlichkeiten der Berechtigten berücksichtigt werden; – „Mobile Dienste“, die allen potenziellen Nutzern offen stehen, eingerichtet werden und zur Verfügung stehen, wenn diese notwendig erscheinen; – Informationstechnologie (Internet und Mobiltelefone) zur Verfügung gestellt werden und/oder benutzt werden, um den Zugang zu Sozialleistungen und –diensten zu erleichtern, insbesondere für Menschen, die 94 Politische Richtlinien in entlegenen Gebieten leben, die nicht leicht zugänglich sind (geographisch isolierte Gebiete, ländliche Gebiete) und um den Zeitaufwand für einen Antrag zu reduzieren. 5.5. Verbesserung der Information und Kommunikation Ziel: Verbesserung von Fluss, Nutzung und Austausch von Informationen Dem Kommunikations- und Informationsaustausch sollte Priorität eingeräumt werden. Es bedarf einer multidimensionalen Kommunikationsstrategie, die davon ausgeht, dass die Verbreitung von Informationen wesentlich für die Erstellung und Durchführung effektiver öffentlicher Dienste und Leistungen ist. Zu diesem Zweck sollte(n): – die Informationen an alle Berechtigten weitergegeben und so viele Informationskanäle wie möglich genutzt werden (Versenden von Broschüren an die gesamte Bevölkerung, Fernsehen, Radio und andere Werbeträger, Auslage von Broschüren in bestimmten öffentlichen Stellen, freie Telefonleitungen, Tage der offenen Tür, Internet, usw.); – mobile Informationszentren zur Verfügung stehen; – die Informationen so weit wie möglich in den Minderheitensprachen und Sprachen der Migranten zur Verfügung stehen; – die Informationen auf die Bedürfnisse der Menschen mit Behinderungen abgestimmt sein; – wenn Informationen in Form von Broschüren verteilt werden, diese klar, präzise und verständlich abgefasst sein; – alle Informationen regelmäßig aktualisiert werden; – einige Informationen auch auf diejenigen abzielen, die im gleichen Haushalt oder in räumlicher Nähe des potenziellen Leistungsberechtigten leben. Die Berechtigten müssen über die Existenz von Stellen für Sozialschutz und Beschäftigung sowie ihrer jeweiligen Aufgaben unterrichtet werden. Dies kann durch die Einführung von Plattformen oder Anlaufstellen für Leistungen, Dienste und andere Regelungen geschehen, die darauf abzielen, einen integrierten Zugang zu Sozialleistungen und –diensten zu schaffen sowie durch andere Aktivitäten, wie z. B. Flugblätteraktionen, Medienspots oder Werbung. Die Rolle und der Beitrag der Informationen, die unabhängig hergestellt und verbreitet werden, wird hervorgehoben. Zusätzlich dazu sollten die staatlichen Behörden die Qualität der verbreiteten Informationen und ihre Informationsstrategie überwachen: – Sie sollten regelmäßig auf allen Ebenen der Regierung Erhebungen durchführen lassen, um die Effizienz der Informationsverbreitung zu prüfen; 95 Zugang zu sozialen Rechten in Europa – sie sollten Überprüfungen durchführen, um sicherzustellen, dass potenzielle Empfänger Zugang zu den Leistungen haben, z. B. durch Vergleichen der Budgetschätzungen und der tatsächlich geleisteten Zahlungen; – Spezifische Arbeit vor Ort sollte auf Personen oder Gruppen abzielen, von denen bekannt ist, dass sie ihre Rechte nicht in vollem Umfang wahrnehmen. Die Kommunikationsfunktion sollte nicht auf die Verbreitung von Informationen beschränkt sein. Wichtig ist hierbei der Informationsaustausch, bei dem die Kommunikation als Zweiwege-Prozess gesehen wird. Die Kommunikation sollte auch die Beschaffung und Bewertung von Informationen beinhalten. Daher sollten die staatlichen Stellen die regelmäßige Zusammenstellung und Veröffentlichung relevanter statistischer, standardisierter Informationen auf nationaler und subnationaler Ebene sicherstellen. 5.6. Überwindung psychologischer und soziokultureller Hindernisse Ziel: Beseitigung psychologischer und soziokultureller Hindernisse auf Seiten der Dienstleistungsanbieter und Nutzer Die Funktionsweise aller Dienste und Leistungen im Bereich der sozialen Rechte sollte auf die Bedürfnisse der Berechtigten abgestimmt sein und es ihnen ermöglichen, tätig zu werden; außerdem muss anerkannt werden, dass psychologische und soziokulturelle Schwierigkeiten die Fähigkeit der Menschen verringern können, ihre sozialen Rechte wahrzunehmen, insbesondere jener Menschen, die aus sozial schwachen oder benachteiligten Gruppen stammen. Daher sollte(n): – den Dienstleistungsanbietern eine psychologische Ausbildung in zwischenmenschlichen Beziehungen zur Verbesserung ihrer Reaktion auf die Bedürfnisse der Berechtigten angeboten werden; – die Art und Weise beachtet werden, wie sozial schwache Personen empfangen werden, insbesondere beim ersten Besuch, da ihre Wahrnehmung und ihr Vertrauen in die Institution häufig vom ersten Besuch abhängen. Aus diesem Grund sollten die Büros und Einrichtungen freundlich auf sie wirken, mit einem klar erkennbaren Empfang, Stühlen für die Wartenden und, sofern dies aus Sicherheitsgründen möglich ist, keinen Abtrennungen zwischen der Öffentlichkeit und den Angestellten der Organisation, die die Dienste oder Leistungen anbieten. Auch die Privatsphäre sollte als Priorität behandelt werden. Die Mitarbeiter sollten über die notwendigen beruflichen und persönlichen Fähigkeiten verfügen und eine gute Kenntnis der Dienste und Leistungen haben, die ihre eigene und andere Agenturen anbieten. 96 Politische Richtlinien Auch die kulturellen Fragen sollten berücksichtigt werden. Zur Überwindung soziokultureller Hindernisse sollten die Verfügungen die kulturellen Besonderheiten berücksichtigen, und bestehende Praktiken sollten auf mögliche Voreingenommenheit gegenüber besonderen Bevölkerungsgruppen untersucht werden. Zusätzlich: – Die Mitarbeiter, die mit der Öffentlichkeit zu tun haben, sollten eine Ausbildung zur Vermeidung von Diskriminierung und Überwindung von negativen Stereotypen erhalten. Die mit der Öffentlichkeit arbeitenden Mitarbeiter sollten Informationen und, wenn erforderlich, eine Ausbildung, erhalten, die sie für die Situation sozial schwacher Menschen sensibilisiert. Die Mitarbeiter sollten auch ein interkulturelles Training in Bezug auf Migranten und Minderheiten erhalten, insbesondere im Hinblick auf Religion und kulturelle Normen; – Behörden und Einrichtungen in den Bereichen Beschäftigung, Gesundheit, Bildung, Wohnen und Sozialschutz sollten Dolmetscher, Vermittler und ggf. Personen aus Minderheitengruppen oder dem Herkunftsland der Migranten beschäftigen, mit denen sie in Kontakt stehen, um diesen Menschen beim Zugang zu sozialen Rechten zu helfen. 5.7. Besondere Anvisierung sozial schwacher Gruppen und sozial schwacher Regionen Ziel: Beseitigung der Schwäche als Hindernis für die sozialen Rechte. 5.7.1. Sozial schwache Gruppen Länder, die dies noch nicht getan haben, sind aufgefordert, umfassende gesetzliche Grundlagen und politische Strategien für den Zugang aller Menschen zu sozialen Rechten zu entwickeln. Ein universaler Ansatz wird vor allem benachteiligten Kategorien von Personen zugute kommen. Die Schaffung eines unterstützenden Umfeldes für die soziale Integration von Menschen, die am Rande der Gesellschaft oder unter unsicheren Bedingungen leben, sollte besonders berücksichtigt werden. Alle Dienste sollten als Teil einer allgemeinen und weitreichenden Strategie zur Ermöglichung des Zugangs zu Wohnung, Gesundheit, Bildung, Berufsausbildung, anständiger Beschäftigung und Sozialschutz und anderen Grundrechten für sozial schwache Menschen gesehen werden. Eine solche Strategie sollte klar definierte Ziele verfolgen und Normen und Verfahren zur Überwachung der Umsetzung und des Fortschritts und zur vollständigen Ausübung ihrer sozialen Rechte für diese Teile der Bevölkerung festlegen. Die Entwicklung solcher Rahmen und Strategien für sozial schwache Gruppen ist besonders für Artikel 30 der revidierten Europäischen Sozialcharta über das Recht auf Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung relevant. 97 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Die Ausübung eines Rechts setzt bestimmte Ressourcen und Fähigkeiten seitens des Einzelnen und bestimmte Bedingungen hinsichtlich einer Leistung voraus. Es darf nicht sein, dass Menschen ihre Rechte aufgrund fehlender Ressourcen oder Fähigkeiten nicht einfordern können oder weil die Bedingungen für die Einforderung ausschließend sind. Befähigung und Ermächtigung spielen in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle, weil sie helfen, Rechte in der Praxis zu garantieren. Zu den Ressourcen zählen sowohl materielle als auch immaterielle Ressourcen. Im Folgenden sind die wichtigsten Ressourcen aufgelistet: – Kenntnis des Rechts und Bewusstsein hinsichtlich des Anspruchs, dieses Recht auszuüben; – die Fähigkeit, einen Antrag auf das Recht zu stellen und es einzufordern. In der Praxis wird der dynamische Ansatz der Ermächtigung und Befähigung in Programmen und Maßnahmen verfolgt, die die Menschen auf individueller und auf Gruppenebene mobilisieren und aktivieren. Eine langfristige Sicht ist wesentlich im Hinblick auf die Möglichkeiten zur Veränderung (für Einzelpersonen, Gruppen und Orte). Statt die Orte und Menschen in situ oder nach dem status quo zu beurteilen, müssen sie dynamisch gesehen werden, d. h., im Hinblick darauf, was sie erreichen können und wie sie ermutigt werden können, ihr Leben oder ihre Gemeinschaftssituation zu ändern. Zur Maximierung der Effizienz einer solchen Ermächtigung sollten die sozialen Rechte soweit wie möglich auf lokaler Ebene organisiert werden. Dies ermöglicht: – eine effiziente und umfassende geographische Versorgung (unter Verwendung mobiler Dienste, um die Versorgung auch auf isolierte Gebiete ausdehnen zu können); – Präsenz auf lokaler Ebene und bei den Nutzern der lokalen Dienste die Schaffung eines Bewusstseins, dass ihnen diese Rechte zustehen; – Entscheidungen über den größtmöglichen Umfang der Bestimmung und den Zugang zu den Diensten, aber unter Befolgung eindeutiger internationaler, europäischer und nationaler Standards in Bezug auf den Zugang in einer nicht diskriminierenden Weise. Eine besonderer Schwerpunkt sollte auf mobilen Einsätzen liegen, d. h., Maßnahmen, die Menschen in ihren eigenen Gemeinden oder Wohnbezirken versorgen. 5.7.2. Sozial schwache Regionen – Die territoriale Dimension Politische Strategien, die sich auf sozial schwache Gruppen konzentrieren, müssen durch Strategien ergänzt werden, die sich mit territorialen oder gebietsbezogenen Angelegenheiten befassen. Der Zugang sollte über den Raum hinweg gewährleistet werden und der Aufenthaltsort sollte nicht per se ein Hindernis für den Zugang zu sozialen Rechten darstellen. Das Ziel 98 Politische Richtlinien ist daher, Ungleichgewichte zwischen den Gebieten zu vermeiden und sicherzustellen, dass besonders benachteiligte Gebiete angemessen versorgt werden. In dieser Hinsicht spielen lokale Initiativen eine besonders wichtige Rolle. Insbesondere jene Initiativen, die auf soziale Regenerierung der vernachlässigten und verarmten Orte oder Wohngebiete abzielen, müssen als potenzielle Beiträge für soziale Rechte der in diesen Gebieten lebenden Menschen gewertet werden. Es ist nicht nur eine Frage der Investitionen in die materielle Infrastruktur, der Sicherstellung des Zugangs zu Diensten wie Abwasser, Grundversorgung, Straßen und dem öffentlichen Verkehrswesen oder der Gewährleistung eines gewissen Wohnstandards, sondern auch eine Frage des Neuaufbaus der sozialen und Gemeinschaftsinfrastruktur dieser Gebiete. Beschäftigung ist für die Überwindung der standortbedingten Nachteile besonders wichtig. Örtliche Beschäftigungsmöglichkeiten tragen dazu bei, Armut zu verringern, soziale Eingliederung zu fördern und das Selbstvertrauen und die Ressourcen derjenigen zu stärken, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Sie dient auch der Stärkung der finanziellen und anderen Ressourcen, die öffentlich verfügbar sind. Die Beteiligung der örtlichen Gemeinden an dieser und anderen Initiativen ist sehr wichtig. 99 Anhang I Das durch CS-LO, CS-PS, CS-EM und SP-SPM gesammelte empirische Material CS-LO = Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zu Wohnungen Der CS-LO hat die empirischen Daten direkt von allen Mitgliedstaaten des Europarates und dreier Staaten mit Beobachterstatus sowie von kommunalen Verwaltungen und NROs gesammelt, die im Bereich Wohnungspolitik aktiv sind. Der Schwerpunkt lag auf sozial schwachen Gruppen auf der Grundlage sozialer Kriterien, da die Gruppe der Obdachlosen bereits in anderen empirischen Projekten gründlich erfasst wurde. Die Fragebögen waren wie folgt aufgebaut: Bereich: – – – – – – Wohnsituation im Land Kategorien sozial schwacher Menschen im Bereich Wohnung Zugang zu Wohnungen für sozial schwache Gruppen Rechtsinstrumente und verfassungsrechtliche Bestimmungen beim Zugang zu Wohnungen Zwangsräumung Notfälle Die Abschnitte A und B dienten der Definition und Quantifizierung der Kategorien der verfügbaren Wohnbestände und jener Bevölkerungsgruppen, die in dem jeweiligen Land als sozial schwach eingestuft werden. Der Zweck der Abschnitte C und D war die Bewertung des rechtlichen Hintergrundes und der tatsächlichen Praxis im Zugang zu Wohnungen für sozial schwache Gruppen, während die Abschnitte E und F sich auf die zwei wichtigsten Situationen im Bereich Zugang zu Wohnungen konzentriert, d.h., Zwangsräumungen und Notunterkünfte. Der zweite Teil des Fragebogens erbat Beispiele aus der Praxis für die Themen in C, E und F und auch die Praxis der Bereitstellung erschwinglicher Wohnungen. Von insgesamt 264 Fragebögen kamen 77 ausgefüllt zurück, was einer Beantwortungsquote von 29% entspricht. CS-PS = Expertengruppe für den Zugang zum Sozialen Schutz Der CS-PS erstellte einen Fragebogen, um folgende Informationen zu erhalten: (a) Auflistung aller bestehenden Leistungen im Bereich soziale Sicherheit und soziale Unterstützung sowie aller Leistungen, die von den Sozialeinrichtungen angeboten wurden, ob nun national, regional oder kommunal; und (b) Hindernisse, die den Zugang zu sozialen Rechten beeinträchtigen. Die Mitglieder des CS-PS und – für jene nicht in der Gruppe vertretenen Staaten – die Mitglieder des CDCS kooperierten bei der Verteilung des Fragebogens in ihren Ländern und gaben ihn an die Einrichtungen, die auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene für Sozialleistungen und –dienste verantwortlich waren sowie an Nichtregierungsorganisationen, die auf nationaler Ebene tätig waren. Der Fragebogen wurde auch an Nichtregierungsorganisationen verschickt, die eine internationale Vertretung darstellen, insbesondere über das Europäische Netzwerk gegen Armut (EAPN) und die ATD-Vierte Welt Organisation. 101 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Als Reaktion auf den Fragebogen erhielt man 170 Beiträge von staatlichen Stellen und NROs, unter denen sich dreißig Mitgliedstaaten des Europarates befanden. CS-EM = Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zur Beschäftigung Die wichtigsten empirischen Daten, die von dieser Expertengruppe zusammengetragen wurden, bestanden aus Beispielen „guter Praktiken“, wie Entwicklungsprojekte auf lokaler Ebene mittels eines horizontalen und koordinierten Ansatzes das Problem von Langzeitarbeitslosigkeit bekämpft und verhindert haben. Jeder Mitgliedstaat, der im CS-EM vertreten war, bemühte sich um mindestens zwei Beispiele „guter Praxis“ im Hinblick auf den Erfahrungsaustausch in der Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit. Man kam überein, dass die Fallbeispiele sich auf kommunale Beschäftigungsprogramme, sozioökonomische Projekte oder Projekte konzentrieren sollten, die eine Selbständigkeit und die Gründung von kleinen Unternehmen förderten. Man konnte eine Reihe benachteiligter Gruppen berücksichtigen, wie z.B. Langzeitarbeitslose, Menschen mit Behinderungen, ethnische Minderheiten, wirtschaftlich schwache Frauen oder junge Menschen. Dieser Liste wurde auch die Kategorie „ältere Arbeitnehmer“ hinzugefügt. Im Fall der Langzeitarbeitslosen wurden diese als Personen definiert, die für zwölf Monate oder länger ohne Beschäftigung waren und eine Arbeitsstelle suchten. Insgesamt wurden 21 Antworten von den Mitgliedstaaten, Beobachterstaaten und Ländern eingereicht. Dies bedeutete, dass dem CS-EM beinahe 60 Beispiele für Programme und Initiativen zur Schaffung von Arbeitsplätzen zur Verfügung standen. SP-SPM = Expertengruppe zur Anpassung der Gesundheitsversorgung an die Nachfrage nach der Gesundheitsvorsorge und die Gesundheitsdienste für Menschen am Rande der Gesellschaft Die Experten des SP-SPM hatten den Auftrag, Länderberichte auf der Grundlage eines durch den Berater entworfenen Fragebogens vorzubereiten. Das Ziel war die Erstellung eines Überblicks aller Probleme, die sich auf den Zugang von Menschen in gesellschaftlicher Randlage zu den Gesundheitsdiensten in jedem Land bezogen. Die Berichte deckten folgende Themen ab: – – – – – – allgemeine Informationen über die Gesundheits- und Sozialsysteme; die Zunahme von Armut und die Existenz von Randgruppen; Gesundheitsindikatoren; Sozialschutz und die Gesundheitssysteme; Reaktionen auf Ungleichheiten im Gesundheitswesen; relevante Maßnahmen, die eingeleitet oder erwogen wurden. Die Stellungnahme der Organisation ATD-Vierte Welt wurde durch ihren Vertreter im Komitee übergeben. Diese Arbeit der Expertengruppe führte zur Empfehlung Rec(2001) 12 über die Anpassung der Gesundheitsversorgung an die Nachfrage nach der Gesundheitsversorgung und die Gesundheitsdienste für Menschen am Rande der Gesellschaft. Die Kernaussage der Empfehlung lautet: „keine zweitklassige Medizin für arme Leute“; Die stetige Zunahme der Menschen, die am Rande der Gesellschaft und in unsicheren Bedingungen leben, und die daraus resultierenden 102 Anhängen schwerwiegenden gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme fordern die Entwicklung eines umfassenden und angemessenen politischen Rahmens, basierend auf den Grundsätzen von Gleichheit, Menschenwürde und Partizipation. Um die Gesundheit von Menschen am Rande der Gesellschaft zu schützen und zu verbessern schlägt die Empfehlung einen bereichsübergreifenden Ansatz vor, der sich auf Präventivmaßnahmen und die Schaffung eines Umfeldes zur Unterstützung der sozialen Eingliederung stützt und damit Stigmatisierung vermeidet und das Wissen erweitert. Die durchgeführten Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs der sozial Schwachen kommen auch der allgemeinen Bevölkerung zugute, statt eine „zweitklassige Medizin für Arme“ zu schaffen. 103 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Anhang II Politische Leitlinien für den Zugang zu Wohnungen für benachteiligte Menschen I. Einleitung 1. Die im Rahmen des Projektes des Europarates über Menschenwürde und soziale Ausgrenzung (HDSE) durchgeführte Arbeit ergab, dass die Ermöglichung des Zugangs zu Wohnung, Beschäftigung, Sozialschutz, Gesundheit und Bildung für benachteiligte Gruppen für alle Mitgliedstaaten des Europarates eine Herausforderung darstellt. Während es in der Regel einen rechtlichen Anspruch auf soziale Rechte gibt, wird für viele Menschen deren Umsetzung in der Praxis durch unterschiedliche Hindernisse beeinträchtigt. Der Europarat hat daher eine Reihe von Aktivitäten zur Förderung des Zugangs zu sozialen Rechten für alle Menschen initiiert. 2. In diesem Kontext begann die Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zu Wohnungen (CS-LO) ihre Arbeit im Juni 1999. Als erster Ausschuss des Europarates, der systematisch Fragen der Wohnungspolitik untersuchte, bot der CS-LO eine Gelegenheit für einen intensiven Erfahrungsaustausch unter den Mitgliedstaaten sowie für den Start einer europaweiten, empirischen Datenerfassung in den Mitgliedstaaten des Europarates und Beobachterstaaten über nationale Richtlinien über den Zugang zu Wohnungen für benachteiligte Menschen.1 3. Die aktuellen politischen Leitlinien beruhen auf den Ergebnissen der Forschungsgruppe (die in unterschiedlichen Berichten dargestellt werden) und den Vorschlägen der CS-LO-Gruppe. II. Allgemeine Grundsätze der Richtlinien für den Zugang zu Wohnungen für benachteiligte Menschen 4. Die Bedeutung von Wohnung und die damit zusammenhängende Verantwortung der nationalen Regierungen wurden in einer Reihe von internationalen Dokumenten anerkannt. Diese schließen die Europäische Sozialcharta des Europarates von 1961 (Art. 16), ihr Zusatzprotokoll von 1988 (Art. 4 ) und die revidierte Europäische Soziacharta von 1966 (Art. 31), die 1966 in Istanbul verabschiedete UN Habitat Agenda und die „Erklärung zu Städten und anderen menschlichen Siedlungen im neuen Jahrtausend“ ein, die in einer Sondersitzung der UN-Vollversammlung für eine allgemeine Überarbeitung und Anerkennung der Umsetzung der Habitat Agenda verabschiedet wurde (New York, 6.-8. Juni 2001). 5. Im Kontext der Wohnungspolitik müssen die grundsätzlichen Menschenrechte, die durch die Europäische Menschenrechtskonvention bezüglich des Rechts auf Respektierung des Privat- und Familienlebens und der Privatwohnung (Artikel 8) und des Rechts auf friedliche Nutzung des Eigentums (Artikel 1 des Protokoll 1) besonders respektiert und geschützt werden. In der UN Habitat Agenda bekräftigen die ______ 1. In den aktuellen politischen Leitlinien meint der Terminus „benachteiligte Menschen“ alle Personen und Gruppen, die auf dem Wohnungsmarkt aufgrund wirtschaftlicher, sozialer, psychologischer und/oder anderer Gründe benachteiligt werden und aus diesem Grund einer angemessenen Unterstützung bedürfen, um ihren Zugang zu Wohnung zu verbessern. 104 Anhängen Regierungen ihr Bestreben, die vollständige Umsetzung der Menschenrechte zu verfolgen, die in den internationalen Vertragswerken festgelegt sind, und insbesondere in diesem Kontext das Recht auf angemessene Wohnung, wie in der Erklärung der Menschenrechte aufgeführt und im Internationalen Vertrag über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte festgelegt, und dafür Sorge zu tragen, das Recht auf angemessene Wohnung Schritt für Schritt umzusetzen. 6. Die Mitgliedstaaten des Europarats sollten der Entwicklung eines „Befähigungs”-Ansatzes für ihre Wohnungspolitik besondere Aufmerksamkeit widmen, in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der UN Habitat Agenda. Im allgemeinen Kontext eines solchen Befähigungsansatzes sollten die Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit Artikel 61 der UN Habitat Agenda angemessene Maßnahmen ergreifen, um die vollständige und schrittweise Umsetzung des Rechts auf Wohnung und des Zugangs zu angemessenem Wohnraum für benachteiligte Menschen zu fördern, zu schützen und sicherzustellen. 7. Um die Bereitstellung erschwinglicher Wohnmöglichkeiten für benachteiligte Menschen sicherzustellen, müssen die staatlichen Behörden einen entsprechenden rechtlichen Rahmen für den Wohnungsmarkt in Bezug auf Eigentumsrechte, Mieterschutz und Konsumentenschutz kreieren, damit die erforderlichen institutionellen Voraussetzungen geschaffen werden, um politische Richtlinien zur Ausweitung des Angebotes erschwinglicher Wohnungen und einen verbesserten Mieterschutz und einen nicht diskriminierenden Zugang zu Wohnungen für alle zu verabschieden. 8. Die Bereitstellung von Wohnungen für benachteiligte Menschen erfordert nicht nur Maßnahmen seitens der staatlichen Behörden auf allen Ebenen, sondern durch alle Bereiche der Gesellschaft, einschließlich des Privatsektors und der Nichtregierungsorganisationen sowie der Partnerorganisationen und Einrichtungen der internationalen Gemeinschaft. Benachteiligte Menschen und die Organisationen der Zivilgesellschaft müssen befähigt werden, mittels partizipatorischer Mechanismen bei der Agendagestaltung eine aktive Rolle einzunehmen. 9. Der Beitrag des staatlichen Bereichs zur Beseitigung von Mängeln auf dem Markt ist auch weiterhin erforderlich, da er die Umsetzung verschiedener Maßnahmen unterstützt, um benachteiligte Menschen, deren Probleme nicht durch den Markt oder den sozialen Wohnungsbau reguliert werden können, zu befähigen, Zugang zu angemessenen und finanziell erschwinglichen Wohnungen und einer Grundversorgung zu erhalten. 10. Es besteht eine Interdependenz zwischen Wohnungspolitik und anderen politischen Bereichen, die den Zugang zu den sozialen Rechten, wie z. B. Sozialschutz, Beschäftigung, Gesundheit und Bildung betreffen. Staatliche Behörden aller Ebenen und die relevanten internationalen Organe sind daher gefordert, integrierte Ansätze im Hinblick auf den Zugang zu den sozialen Rechten für benachteiligte Menschen zu fördern und zu entwickeln. 11. Die Zielsetzungen der Wohnungspolitik sollten bei allen politischen Entscheidungen und gesetzlichen Fragen Berücksichtigung finden, die sich direkt oder indirekt auf das Angebot und die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt und den Wohnungsbau und die Baubestimmungen auswirken. Wichtige Bereiche sind in 105 Zugang zu sozialen Rechten in Europa diesem Hinblick die Finanz- und Steuerpolitik, zivilrechtliche Gesetzgebung sowie die rechtlichen Bedingungen für die Finanz- und Immobilienmärkte und die Bebauungspläne. 12. Die Wohnungspolitik muss auf allen Ebenen die Bedürfnisse und Erfordernisse benachteiligter Menschen berücksichtigen. Nationale Behörden sollten daher über eine Strategie für den Zugang zu Wohnungen für benachteiligte Menschen mit klar umrissenen Zielsetzungen, Standards, Verfahren zur Überwachung der Umsetzung verfügen oder diese entwickeln und dabei die oben beschriebene Interdependenz mit anderen politischen Bereichen berücksichtigen. 13. Jeder Mitgliedstaat sollte über Gesetze und Bestimmungen zur Verhinderung von Diskriminierung beim Zugang zu Wohnungen verfügen und diese effizient umsetzen. 14. Mehrfach benachteiligte Menschen und Menschen, die der Pflege bedürfen, müssen eine spezielle Unterstützung erfahren, um ihre besonderen Wohnanforderungen zu erfüllen und sollten das Recht auf angemessene Sozialleistungen und soziale Unterstützung haben. 15. In den Staaten, die in den letzten Jahren in erheblichem Umfang ihre staatlichen Sozialwohnungen privatisiert haben, sollten entsprechende wohnungspolitische Maßnahmen eingeführt werden, die die unerwünschten Folgen der Wohnungsprivatisierung ausgleichen und benachteiligte Menschen berücksichtigen. So sollte z. B. in Ländern mit einer hohen Rate an „armen Eigentümern/Mietern“ einem allgemeinen Wohngeldsystem und der staatlichen Unterstützung für die Instandsetzung von Wohneinheiten, zum Wohle der Eigentümer und Mieter in zurückgegebenen Wohnungen, größere Aufmerksamkeit gewidmet werden. 16. Staatliche Stellen sollten die regelmäßige landesweite Erfassung relevanter statistischer Daten über die Wohnungsmarktsituation benachteiligter Menschen sicherstellen, da solche Informationen von ausschlaggebender Bedeutung für die Entwicklung, Anpassung, Umsetzung und Überwachung besonderer politischer Maßnahmen und Hilfsprogramme sind. Die Erfassung solcher Informationen sollte anhand gemeinsamer europäischer Kriterien standardisiert werden. III. Rechtlicher Rahmen 17. Alle Mitgliedstaaten des Europarates sollten erwägen, internationale Rechtsinstrumente bezüglich Wohnungspolitik zu ratifizieren und umzusetzen, insbesondere Artikel 31 der revidierten Europäischen Sozialcharta (das Recht auf Wohnung). 18. Länder, die dies bisher noch nicht getan haben, sind aufgefordert, unter Berücksichtigung der Beschränkungen und Möglichkeiten des Marktes und unter Respektierung internationaler Standards, einen umfassenden rechtlichen Rahmen über den Zugang zu Wohnungen für benachteiligte Menschen zu entwickeln, um die nationale Wohnungsbaupolitik zu unterstützen. 19. Zusätzlich sollte zur gesetzlichen Verankerung des Rechts auf Wohnung sorgfältig darauf geachtet werden, angemessene Mechanismen zur Umsetzung dieses Rechtes für alle rechtmäßigen Bewohner einzusetzen. 106 Anhängen 20. Für Menschen in Härtefallsituationen und in Übereinstimmung mit der Empfehlung Nr. R(2000) 3 des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten sollten die Regierungen aller Mitgliedstaaten des Europarates, wo dies noch nicht geschehen ist, die Existenz eines individuellen, universalen und einklagbaren Rechts auf die Erfüllung grundlegender menschlicher materieller Bedürfnisse sicherstellen. Dieses Recht sollte mindestens das Recht auf Nahrung, Kleidung, Unterkunft und medizinische Grundversorgung beinhalten und soll für alle Bürger und Ausländer gelten, unabhängig von der Rechtsstellung der Letztgenannten nach nationalem Recht, und in der von den nationalen Behörden festgelegten Weise ausgeführt werden. 21. Jedes Land sollte in seiner Gesetzgebung das Konzept der „angemessenen Unterbringung“ definieren, unter Berücksichtigung der menschenrechtlichen Dimension und des Paragraphen 60 der Habitat Agenda1 sowie der wirtschaftlichen Mittel und kulturellen Aspekte des jeweiligen Landes. 22. Standards für angemessenes Wohnen sollten nicht nur auf Neubauten, sondern auch schrittweise auf die Renovierung bestehender Wohneinheiten angewendet werden. 23. Ein transparentes System an Eigentumsrechten und eine entsprechende administrative Umsetzung der Eigentumsrechte sollte in allen Mitgliedstaaten vorhanden sein. 24. Nationale Behörden sollten allen Staatsbeamten, die auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene im Bereich Wohnen Verantwortung tragen, sowie den Organisationen der Zivilgesellschaft Informationen über den rechtlichen Rahmen mitteilen. IV. Der institutionelle Rahmen und die Kooperation zwischen den staatlichen Behörden und der Zivilgesellschaft 25. Die Mitgliedstaaten sollten, wo dies erforderlich ist, eine angemessene und effiziente institutionelle Struktur entwickeln oder weiterentwickeln, um die Kooperation zwischen den staatlichen Behörden und anderen Akteuren im Bereich der Wohnungspolitik sicherzustellen, einschließlich der in diesem Bereich tätigen Organisationen der Zivilgesellschaft. 26. Im Rahmen einer nationalen Wohnungspolitik, die inter alia für die notwendige Verteilung der Ressourcen sorgt, die die lokalen Behörden für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen, sollte ein bedeutsamer Grad an lokaler Autonomie und eine Beteiligung an den Entscheidungen, der Umsetzung und Ressourcenmobilisierung und –verwendung bestehen. 27. Die Rolle und Verantwortlichkeiten der lokalen Behörden und der Organisationen der Zivilgesellschaften in der Wohnungspolitik und bei der Aufgabenverteilung sollten eindeutig und rechtlich festgelegt werden. ______ 1. Paragraph 60 der Habitat Agenda: Angemessenes Wohnen „...bedeutet...ein Dach über seinem Kopf;...angemessene Privatsphäre; ausreichend Raum; physische Zugänglichkeit; ausreichende Sicherheit; Mieterschutz; bauliche Stabilität und Beständigkeit; ausreichende Beleuchtung; Heizung und Belüftung; ausreichende grundlegende Infrastruktur...; geeignete Umweltqualität und gesundheitliche Faktoren,..., die alle zu einem erschwinglichen Preis verfügbar sind.“ 107 Zugang zu sozialen Rechten in Europa 28. Staatliche Stellen sollten die Einrichtung von Organisationen der Zivilgesellschaft auf allen Ebenen fördern, stärken und unterstützen, damit diese an der Bereitstellung von Wohnungen für benachteiligte Menschen partizipieren können, und ihnen zu diesem Zweck, wo dies angemessen erscheint, Ressourcen für ihre Arbeit zur Verfügung stellen. 29. Vertreter der Zivilgesellschaft sollten bei der Entwicklung von wohnungspolitischen Richtlinien und bei der Entscheidungsfindung beteiligt werden, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse und Prioritäten der benachteiligten Menschen identifiziert und erfüllt werden. 30. Die Regierungen sollten benachteiligten Menschen im Rahmen von Rechtshilfe und kostenlosen Rechtsberatungs- und Bürgerberatungszentren Zugang zum Entscheidungsprozess und den Planungsstrukturen und rechtlichen Leistungen geben. V. Verbesserung des Angebotes und der Finanzierung erschwinglicher Wohnungen für benachteiligte Menschen 31. Die Versorgung mit erschwinglichen Wohnungen sollte verstärkt werden. Dies schließt die Förderung erschwinglicher Eigenheime und die verbesserte Versorgung mit erschwinglichen staatlichen, genossenschaftlichen und privaten Wohneinheiten durch Partnerschaften zwischen staatlichen und privaten Initiativen und die Förderung marktorientierter Initiativen ein. Dabei müssen die gesetzlichen Bestimmungen und Verpflichtungen seitens der Mieter und Eigentümer respektiert werden. 32. Der Markt sollte eine Vielfalt unterschiedlicher Wohneinheiten anbieten, u. a. Wohnungen, die für Menschen mit niedrigem Einkommen geeignet und bezahlbar sind. Die staatlichen Behörden sollten einen rechtlichen Rahmen einrichten, zusammen mit einem effizienten System für Wohngeld oder andere entsprechende Maßnahmen, die für Menschen mit niedrigem Einkommen und/oder Zugangsproblemen geeignet sind, insbesondere auf dem kommunalen Wohnungsmarkt, wo erschwingliche Unterkünfte rar sind. 33. Um in ausreichendem Umfang geeignete Gelände sicherzustellen, und insbesondere für den sozialen Wohnungsbau zu gewinnen, sollten die Regierungen finanzielle Anreize und andere Maßnahmen erwägen, um im Hinblick auf die Förderung des sozialen Wohnungsbaus ein effizientes Funktionieren des Grundstücksmarktes zu fördern. 34. Im Falle eines Wohnungsmangels sollten Maßnahmen ergriffen werden, die Anreize für den privaten Wohnungsmarkt darstellen, leerstehende Wohnungen zu vermieten, wenn keine rechtlichen Beschränkungen dieser Vermietung entgegenstehen. 35. Um Zugang zu Bauland und Mieterschutz zu sichern, sollten die Regierungen, auf den entsprechenden Ebenen einschließlich der kommunalen Ebene, für institutionelle Unterstützung, Zuständigkeit und Transparenz der Landverwaltung sowie genaue Informationen zum Grundstückseigentum, Grundstückverkauf und aktuelle und geplante Flächennutzung sorgen. 108 Anhängen 36. Es gibt einen großen Bedarf an Wohnungsbaufinanzierungen. Regierungen sollten daher einen Rahmen für vielfältige Möglichkeiten für benachteiligte Menschen schaffen, damit diese, wo dies angemessen erscheint, Zugang zu Baufinanzierungen erhalten. Um Mieten oder Wohnungseigentum erschwinglich zu machen, sollten die Regierungen die Finanzierungen für den Erwerb oder den Bau von Wohneigentum für diese Gruppen unterstützen. Diese Sozialwohnungen sollten auf der Basis transparenter und objektiver Kriterien vergeben werden. 37. Alternativ oder zusätzlich zur Subventionierung von Bauvorhaben sollte, wo dies angemessen erscheint, ein System für die bedarfsorientierte Vergabe von Wohngeld eingerichtet werden. Wohngeld kann ein effektives und zielgerichtetes Instrument sein, um Wohnraum für niedrige Einkommensgruppen erschwinglich zu machen. 38. Um die Bezahlbarkeit von Wohnraum für Haushalte mit niedrigem Einkommen zu erhöhen, sollten die Regierungen erwägen, Sparpläne und Kreditangebote einzuführen, wie z. B. Darlehen mit niedriger Zinsrate oder zinslose Darlehen, einschließlich Minidarlehen. 39. Anbieter von Wohnraum für benachteiligte Menschen sollten Anspruch auf besondere Finanzierungsmaßnahmen haben. VI. Die Bedeutung gebietsbezogener Wohnungspolitik 40. Es sollte besondere Sorgfalt darauf verwendet werden, eine soziale Mischung zu fördern, um eine wohnortbezogene Trennung und Ghettoisierung der Armen und geographische Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage zu vermeiden, die allesamt unweigerlich den Zugang zu Wohnungen für die Benachteiligten weiter erschweren würde. 41. Um die weitreichende Verschlechterung der bestehenden Wohnungsangebote zu bekämpfen, sollten die betroffenen Länder Richtlinien und Anreize für einen gemischten Ansatz entwickeln, der Reparatur- und Renovierungspläne miteinander verbindet und nur in unvermeidbaren Fällen einen Neubau bevorzugt. 42. Um die Probleme einer Ballung stigmatisierter Wohneinheiten in städtischen Gebieten zu mindern, sollten Maßnahmen ergriffen werden, um Wohnungsprogramme zu entwickeln, die tatsächliche Möglichkeiten für die Eingliederung benachteiligter Menschen in die Gemeinschaft bieten, inter alia, die Instandsetzung oder den Bau von Wohneinheiten in den Stadtzentren. 43. Es sollten lokale Initiativen entwickelt werden, die auf die soziale Regenerierung heruntergekommener Wohneinheiten und verarmter Wohngebiete abzielen. In diese Gebieten sollten speziell der Wiederaufbau der sozialen und gemeinschaftlichen Infrastruktur und die Verbesserung der Lebensqualität der Bewohner gefördert werden. 44. Auf kommunaler Ebene ist die Partizipation der Bewohner eine wichtige Komponente des Wohnens, des Umfeldes und der sozialen Erneuerung. Initiativen sollten eingesetzt werden, um eine solche Partizipation wie folgt zu fördern: – Förderung der Beteiligung der Bewohner und Eigentümer an der Verwaltung, den Reparaturen und der Renovierung ihrer Wohnungen; 109 Zugang zu sozialen Rechten in Europa – Unterstützung bei der Gründung von Anwohnerverbänden, z. B. durch Beratung hinsichtlich ihres Betreibens und ihrer Verwaltung; – Unterstützung bei der Gründung und dem Betreiben eines nationalen Netzwerks lokaler Nachbarschaftswohnprojekte, um die Kooperation zu fördern und gute Praktiken zu entwickeln und zu teilen. VII. Minderung der Gefahr und der negativen Folgen von Zwangsräumungen benachteiligter Menschen 45. Um die Schutzlosigkeit zu mindern, sollten die Regierungen auf den entsprechenden Ebenen, einschließlich der Ebene der örtlichen Behörden, alle Menschen mittels Rechtsschutz und Rechtsmitteln vor Zwangsräumungen schützen, die nicht rechtmäßig sind. 46. Der Vermeidung von Zwangsräumungen sollte vor der Umsiedlung Vorrang eingeräumt werden. 47. Die Gesetze zur Zwangsräumung sollten klar die Verfahren für eine Zwangsräumung festlegen und auch den zeitlichen Rahmen angeben, in dem Mieter über eine anstehende Räumung informiert werden müssen. 48. Kommunale Behörden und die entsprechenden Organisationen der Zivilgesellschaft sollten über anstehende Zwangsräumungen informiert werden, damit sie den von der Räumung bedrohten Menschen Beratungs- und Vermittlungsdienste und/oder Unterstützung anbieten können. 49. Es sollte eine eindeutige nationale Gesetzgebung bezüglich Zwangsvollstreckung und Zwangsräumung geben mit einer Rechtsberatung in Übereinstimmung mit gesetzlich definierten Bedingungen für eine Umsiedlung/Umzug im Fall einer unvermeidbaren Zwangsräumung und einem speziellen Schutz für Haushalte mit Kindern und pflegebedürftigen Personen. 50. Im Fall von Haushalten, die von einer Zwangsräumung bedroht sind, sollten alle entsprechenden Maßnahmen ergriffen werden, um den Zugang zu grundlegenden Diensten sicherzustellen, die für eine würdevolle und normale Existenz notwendig sind (i.e. Elektrizität, Wasser und Heizung, wo erforderlich). 51. Im Fall einer unvermeidbaren Zwangsräumung sollten sich die Wohnungsämter und andere rechtlich zuständige Stellen in Zusammenarbeit mit den Sozialdiensten und anderen zuständigen Organen bemühen, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen eine geeignete Lösung zu finden, bei der die betroffene Person mit Respekt behandelt und ihr wieder ihre soziale Eingliederung ermöglicht wird. 52. Wo erforderlich, sollte eine Strategie verfolgt werden, um den inoffiziellen Wohnungsmarkt neu zu ordnen, zu regulieren und Alternativen für illegales Wohnen zu finden und nicht gewinnorientierte und partizipatorische Organe zu gründen. VIII. Umgang mit Notfällen 53. Alle Regierungen sollten Unterbringung fördern und Basisdienste und Einrichtungen für Bildung und Gesundheitsvorsorge für Obdachlose, Vertriebene, Frauen und Kinder, die Opfer von familiärer Gewalt sind, sowie für Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, Opfer von Natur- und menschlichen Katastrophen, 110 Anhängen die sozial schwachen Gruppen angehören unterstützen, einschließlich der Bereitstellung von Notunterkünften und der Grundversorgung von Flüchtlingen. 54. Regierungen sollten entsprechende Normen und Gemeindeverordnungen für die Landnutzung und Bebauung verabschieden und umsetzen sowie Planungsstandards einsetzen, die auf professionell begründeten Risiko- und Bedürftigkeitsbewertungen basieren. 55. Die Regierungen sollten die Beteiligung aller benachteiligten Menschen an der Katastrophenplanung und –leitung ermöglichen. Dabei muss die besondere dieser Bevölkerungsteile gegenüber von Menschen verursachten und natürlichen Katastrophen berücksichtigt werden. 56. In potenziellen Notgebieten sollten die Regierungen effektive Lösungen, innovative Ansätze und angemessene Baustandards fördern und unterstützen, um die Gefährdung sozial schwacher Gemeinden durch Risikoeinschätzung und die Einrichtung von Programmen, die an der besonderen Bedürftigkeit dieser Menschen ausgerichtet sind, zu minimieren. 57. Die Regierungen und andere zuständige Verwaltungsstellen müssen in der Lage sein, rasch finanzielle Ressourcen bereitzustellen, die für die Umsetzung von Notfallplänen und für Wiederaufbaumaßnahmen notwendig sind. Sie müssen gleichzeitig sicherstellen, dass die besonderen Bedürfnisse von Frauen, Kindern, Personen mit Behinderungen und benachteiligten Menschen bei allen Kommunikationen, Rettungsmaßnahmen, Umsiedlungen, Instandsetzungen und Wiederaufbaumaßnahmen berücksichtigt werden. 58. Die Regierungen sollten Ansätze identifizieren und unterstützen, die sich um die Anforderungen an Notunterkünfte für Heimkehrer, im Land vertriebene Menschen und Opfer von Naturkatastrophen drehen, einschließlich – wo zutreffend – dem Bau temporärer Unterkünfte mit Grundausstattung unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Bedürfnisse. 59. Es sollte ein Überwachungsverfahren geben, das verfolgt, wie rechtliche und administrative Verfahren im Notfall von den regionalen und kommunalen Behörden befolgt werden. IX. Empfehlungen für die zukünftige Arbeit des Europarats im Bereich Wohnen 60. Der CS-LO begrüßt die Entscheidung des CDCS, im Jahr 2002 eine neue Expertengruppe über den Beitrag der Wohnungspolitik zum sozialen Zusammenhalt einzusetzen. Auf der Grundlage der Ergebnisse des CS-LO könnte die Arbeit der neuen Expertengruppe die folgenden Aufgaben umfassen: – Vorbereitung einer Terminologieliste im Hinblick auf die Diskussion sozialer Aspekte der Wohnungsbaupolitik in Europa; – Vorlage entsprechender Hintergrundinformationen zum Überwachungsprozess hinsichtlich Artikel 31 der revidierten Europäischen Sozialcharta über das „Recht auf Wohnung“; – besondere Beachtung der sub-regionalen Ebene, da ein Vergleich der politischen Ansätze, Praktiken und Hilfsmaßnahmen in einer kleineren Gruppe von Nachbarländern wichtige Erkenntnisse bringen könnte; 111 Zugang zu sozialen Rechten in Europa – Erwägung, mittelfristig gemeinsame Aktivitäten mit der UN-Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) (s. Absatz 66 unten) zu organisieren, mit Blick auf die Erhöhung der Präsenz und des Einflusses dieser beiden Organisationen als zwei der wichtigsten europäischen Akteure im Bereich Wohnungspolitik; – Untersuchung des Umfangs der Zusammenarbeit mit den EU „National Housing Focus Points“, insbesondere über die EU Wohnstatistiken im Hinblick auf die Aufnahme von Indikatoren für sozialen Zusammenhalt in diese Statistiken; – Entwurf eines Rahmens für die Überwachung und Bewertung der Umsetzung und des Einflusses der vom CS-LO verabschiedeten Richtlinien. 61. Im Laufe seiner Arbeit fand der CS-LO viele Beispiele für die Interdependenz zwischen Wohnungspolitik und anderen politischen Bereichen, die den Zugang zu den sozialen Rechten, wie z. B. Sozialschutz, Beschäftigung, Gesundheit und Bildung betreffen. Daher empfiehlt er der Redaktionsgruppe für den Bericht über den Zugang zu sozialen Rechten (CS-ASR), dass der Bericht über den Zugang zu den sozialen Rechten auf allen Ebenen die Entwicklung integrierter Ansätze durch die staatlichen Stellen hinsichtlich des Zugangs zu den sozialen Rechten von benachteiligten Menschen fördern sollte und spricht diesbezüglich Empfehlungen aus. 62. Die Beteiligung der NRO-Vertreter an der Arbeit des CS-LO wurde von allen seinen Mitgliedern sehr geschätzt und sollte bei allen zukünftigen Aktivitäten zum Thema Zugang zu den sozialen Rechten weitergeführt werden. 63. Die Indikatoren für sozialen Zusammenhalt, die momentan von der Stabsabteilung zur Entwicklung des sozialen Zusammenhalts des Europarates entwickelt werden, sollten auch jene Indikatoren einschließen, die die Wohnungssituation in den Mitgliedstaaten berücksichtigen. 64. Der Europarat, wo möglich in Zusammenarbeit mit der Entwicklungsbank des Europarates, sollte seine Hilfsaktivitäten im Wohnungsbereich auf der Ebene der Mitgliedstaaten und der sub-regionalen Ebene beibehalten, insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung der Infrastruktur, den Abbau von Diskriminierung und Ghettoisierung und in der Behandlung der Wohnsituation von Minderheiten, Flüchtlingen und Vertriebenen. 65. Der Kongress der Gemeinden und Regionen in Europa, insbesondere über ihre lokalen und regionalen Vertretungen seiner Kommission zum sozialen Zusammenhalt, sollte Aktivitäten über die lokalen und regionalen Aspekte der Wohnungsbaupolitik erwägen. 66. Die Ergebnisse der Arbeit des CS-LO sollte dem UNECE Ausschuss über menschliche Siedlungen mitgeteilt werden, um die Kontakte zu nutzen, die vom CS-LO geknüpft wurden. Der UNECE Ausschuss über menschliche Siedlungen leistet wertvolle Arbeit über die wirtschaftlichen und technischen Aspekte der Wohnungsbaupolitik, die die Arbeit des Europarates zu den sozialen Aspekten der Wohnungsbaupolitik ergänzt. 67. Der Europarat sollte auch den Umfang für eine Zusammenarbeit mit dem Sonderberichterstatter über das Recht auf Wohnung prüfen, der kürzlich vom Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte (UNHCHR) ernannt wurde. 112 Anhängen 68. Insofern es die Informationen zur Wohnsituation in den europäischen Staaten betrifft, empfiehlt der CS-LO, dass die Mitgliedstaaten des Europarates: – die Vergleichbarkeit der Wohnstatistiken im Hinblick auf ihre Standardisierung auf der Grundlage gemeinsamer europäischer Kriterien verbessern; – Wege aufzeigen, wo notwendig, um die Staatsbeamten und die Öffentlichkeit besser über internationale Verträge im Wohnungsbereich zu unterrichten, die von ihren Staaten unterzeichnet wurden (insbesondere Artikel 31 der revidierten Europäischen Sozialcharta). 113 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Anhang III Leitlinien für die Verbesserung des Zugangs zu sozialen Rechten Die folgenden Leitlinien wurden von der Expertengruppe zum Zugang zum Sozialschutz (CS-PS) verfasst. Ihr Zweck ist es, jenen Menschen, die die Bedingungen für einen Anspruch von Leistungen erfüllen, aber Schwierigkeiten bei der Beantragung haben, den Zugang zu diesen Sozialleistungen zu ermöglichen. Sie sollen auch den Zugang zu den Sozialdiensten erleichtern. Sie basieren auf den folgenden allgemeinen Grundsätzen: – Die Ausübung eines Rechts setzt Kenntnisse über dieses Recht und ein Bewusstsein hinsichtlich des Anspruchs und der Ausübung dieses Rechts voraus; – allen Menschen, die einen solchen rechtmäßigen Anspruch haben, muss ein effizienter Zugang zum Sozialschutz garantiert werden; – Einrichtungen für Sozialschutz und Sozialdienste müssen zum Wohle der berechtigten Personen arbeiten; – den sozial schwächsten Berechtigten muss spezielle Aufmerksamkeit gewidmet werden; – tatsächliche Partnerschaften zwischen Einrichtungen für Sozialschutz und Sozialdienste einerseits und verschiedenen Akteuren der Zivilgesellschaft andererseits sind ein wesentlicher Bestandteil, um den Zugang zu den sozialen Rechten zu verbessern; – Um bedeutende Änderungen in der bestehenden Rechtsprechung zu vollziehen oder wenn neue Leistungen eingeführt werden sollen, muss die Auswirkung auf den Kampf gegen die Armut einer systematischen Bewertung unterzogen werden. I. Verbesserung der Kommunikation und Informationen über Rechte, Leistungen und Dienste 1. Die Öffentlichkeit muss über alle erforderlichen Informationen über Sozialleistungen und –dienste verfügen; die Verbreitung der Informationen sollte Bestandteil einer effizienten Öffentlichkeitsarbeit und einer nationalen Informationspolitik sein; – die Verbreitung von Informationen muss alle Berechtigten einschließen und es müssen dabei so viele Informationskanäle wie möglich genutzt werden (Versenden von Broschüren an die gesamte Bevölkerung, Fernsehen, Radio und andere Werbeträger, Auslage von Broschüren an bestimmten öffentlichen Stellen, freie Telefonleitungen, Tage der offenen Tür, Internet, usw.); – diese Informationen sollten in mehreren Sprachen vorliegen (nationale Minderheiten, Migranten); – diese Informationen müssen auf Menschen mit Behinderungen zugeschnitten werden (jene mit eingeschränkter Mobilität, Hör- und Sehbehinderungen); – wenn Informationen in Form von Broschüren (Literatur) verteilt werden, müssen diese klar, präzise und verständlich abgefasst sein und regelmäßig aktualisiert werden; 114 Anhängen – die Informationen müssen auch jene ansprechen, die im Umfeld von potenziellen Leistungsberechtigten leben. 2. Berechtigte Personen müssen in der Lage sein, ihre Rechte leicht wahrzunehmen: – Antragsformulare müssen kurz und prägnant, dem Antragsteller angemessen und leicht auszufüllen sein; – die beratende Funktion der Einrichtungen für Sozialschutz sollte verstärkt werden, insbesondere beim Ausfüllen der Antragsformulare, wenn erforderlich, durch die Anwendung eines proaktiven Ansatzes (kostenlose Callcenter, mobile Dienste); – jeder ablehnende Bescheid muss immer Gründe aufführen, die klar und verständlich verfasst sind, sowie die Vorgehensweise für einen Einspruch angeben; – es muss die Möglichkeit einer mündlichen Erklärung bestehen; 3. Die staatlichen Stellen müssen der Qualität und Effizienz der Informationen konstante Aufmerksamkeit schenken: – Dienstleistungsanbieter sollten ein psychologisches Training absolvieren; – es sollten regelmäßig Erhebungen durchgeführt werden, um die Effizienz der Informationsverbreitung zu prüfen; – es sollten regelmäßig Erhebungen durchgeführt werden, um die Zufriedenheit bei den Leistungsberechtigten zu prüfen; – Überprüfungen sollten durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass potenzielle Empfänger Zugang zu den Leistungen haben, z. B. durch Vergleichen der Budgetschätzungen mit den tatsächlich geleisteten Zahlungen; – es sollten besondere mobile Einsätze durchgeführt werden, um die Personen aufzuspüren, die ihre Rechte nicht wahrnehmen. II. Verbesserung des Managements und der Organisation der Leistungsanbieter und Sozialdienste 1. Die Einrichtung von Stellen für den Sozialschutz und Sozialdienste sollte den Bedürfnissen der Leistungsberechtigten Rechnung tragen. – Es ist eine klare Aufteilung der Verantwortung zwischen den verschiedenen Organen und Diensten vorzunehmen. Dies muss allen betroffenen Organen und Diensten mitgeteilt werden. – Berechtigte Personen müssen sich der Existenz von Einrichtungen zum Sozialschutz und von Sozialdiensten und ihrer jeweiligen Aufgaben bewusst sein, wo erforderlich, durch die Einrichtung von Anlaufstellen („Alles in einem Haus“) für die Leistungen und Sozialdienste oder andere Leistungen, die den Zugang zu Sozialleistungen und -diensten erleichtern. – Einrichtungen für den Sozialschutz und Sozialdienste müssen insbesondere auf die Bedürfnisse von Menschen ausgerichtet werden, die ausgegrenzt werden; – die Gebäude für Sozialschutz und Sozialdienste müssen allen offen stehen (den Älteren, Menschen mit Behinderungen, Menschen mit kleinen Kindern); – bei den Öffnungszeiten müssen die verschiedenen Bedürfnisse der Berechtigten berücksichtigt werden; 115 Zugang zu sozialen Rechten in Europa – „mobile Sozialdienste“ müssen dort eingerichtet werden, wo sie notwendig sind; – Informationstechnologie, insbesondere neue Technologien (Internet), muss zur Verfügung gestellt oder genutzt werden, um den Zugang zu Sozialleistungen und –diensten zu erleichtern, besonders den Menschen, die in entlegenen Gebieten leben (geographisch isolierte Gebiete, ländliche Regionen). 2. Die Aufgaben der Stellen für den Sozialschutz und der Sozialdienste sollten den Bedürfnissen der Leistungsberechtigten Rechnung tragen.(s.o.) – Die verschiedenen Organe und Dienste sollten bei der Bearbeitung der Akten der Berechtigten unter Berücksichtigung des Datenschutzes miteinander kooperieren.(s.o.) – Die Weise, in der sozial besonders schwache Personen empfangen werden, insbesondere bei ihrem ersten Besuch, ist wesentlich, da ihr Vertrauen in die Institution von diesem Besuch abhängt; aus diesem Grund sollte das Personal über die entsprechenden beruflichen und zwischenmenschlichen Fähigkeiten verfügen; – die Ausbildung des Personals, das in Kundenkontakt tritt, sollte insbesondere die Vermeidung von Diskriminierung beherrschen und sich der Bedürfnisse von Menschen bewusst sein, die ausgegrenzt werden. Das Personal sollte interkulturelles Training erhalten, das auf Migranten und Minderheiten zugeschnitten ist, mit denen sie zu tun haben; – Einrichtungen für Sozialschutz und Sozialdienste sollten mit Dolmetschern und Mediatoren zusammenarbeiten und, wenn möglich, auf Personen, die Minderheiten angehören oder auf Migranten zurückgreifen, mit denen sie in Kontakt sind, um die Kommunikation mit diesen Menschen zu erleichtern. 3. Einrichtungen für Sozialschutz und Sozialdienste tragen Verantwortung hinsichtlich der Empfänger und sollten sich dieser Tatsache bewusst sein: – Einrichtungen des Sozialschutzes und Sozialdienste sollten effizient arbeiten, insbesondere im Hinblick auf Zeit und Leistung; – es sollten Mechanismen eingeführt werden, um zu bewerten, ob die Sozialschutzorgane und Sozialdienste in dieser Hinsicht ihre Verantwortlichkeiten effizient erfüllen. III. Verbesserung der Partnerschaften zwischen Einrichtungen des Sozialschutzes, Diensten, NROs und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft Partnerschaften müssen im weitesten Sinne verstanden werden: als Partnerschaften mit Organisationen, die die Zivilgesellschaft, kommunale Behörden, Sozialpartner und den Privatsektor vertreten sowie Partnerschaften mit den Leistungsberechtigten, um die Partizipation und die Ermächtigung dieser Menschen zu fördern. 1. Die Partizipation aller Akteure muss erleichtert werden: – Partizipation und Mitsprache von Individuen, die ausgegrenzt sind, sollte ermutigt werden, insbesondere im Hinblick auf politische Ansätze und Initiativen, die sie betreffen; – die Bedeutung von freiwilliger Arbeit sollte anerkannt werden: Freiwillige arbeiten vor Ort und ihre Erfahrungen sollten bei der Erstellung neuer Maßnahmen berücksichtigt werden. 116 Anhängen 2. Die Rolle der NROs und anderer Akteure der Zivilgesellschaft muss anerkannt und ihre Arbeit unterstützt werden: – Die Existenz von NROs sollte rechtlich anerkannt werden; – die Arbeit der NROs und anderer Akteure sollte gefördert und unterstützt werden, aber es darf nicht ihre Aufgabe sein, Mängel seitens der Einrichtungen für Sozialschutz und der Sozialdienste auszugleichen; – die Erfahrungen der NROs und anderer Akteure, und insbesondere ihre „Warnfunktion“, sollten beim Entwurf politischer Ansätze, die auf die Sicherung des Zugangs zum Sozialschutz abzielen, berücksichtigt werden. 3. Partnerschaften mit NROs und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft müssen gefördert werden: – Es sollte die Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen für Sozialschutz und Sozialdiensten einerseits und den NROs und anderen Akteuren andererseits gefördert werden, um so die Interaktion zwischen dem sozialen Sicherungssystem und dem Freiwilligensektor zu stärken; – die Konsultation aller Partner sollte so weit wie möglich verstärkt werden, wenn Reformen des sozialen Sicherungssystems durchgeführt werden; – NROs und andere Akteure müssen als Partner bei der Umsetzung und Bewertung von Maßnahmen, die auf die Verbesserung des Zugangs zum Sozialschutz abzielen, anerkannt werden. 117 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Anhang IV Leitlinien für lokale Beschäftigungsinitiativen Die folgenden Leitlinien für lokale Beschäftigungsinitiativen wurden von der Expertengruppe zur Förderung des Zugangs zur Beschäftigung (CS-EM) verfasst. Ihr primärer Zweck ist es, das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit zu behandeln. Lokale Partnerschaften 1. Ein vielschichtiger und inklusiver Ansatz ist bei den Partnerschaften für lokale Beschäftigungsprogramme wesentlich. Partnerschaften sollten eine möglichst große Bandbreite von Organisationen umfassen, einschließlich Zentral-, Regional- und Kommunalregierungen, der für die Zahlung von Sozialleistungen zuständigen Organe, Arbeitgeber und Unternehmensverbände, Gewerkschaften, NROs und Organisationen der Zivilgesellschaft und einschließlich jener, die Arbeitslose und ethnische Minderheiten vertreten. 2. Diese Partnerschaften sollten sich um die Förderung einer Politik der Integration und des Zusammenhalts zwischen nationalen, regionalen und kommunalen Beschäftigungsprogrammen bemühen, wie z.B. die Koordinierung von Beschäftigungsund Arbeitsmarktbestimmungen mit Geschäften, Infrastruktur und Entwicklung. 3. Adäquate und nachhaltige Finanzierung ist wesentlich für den Erfolg lokaler Partnerschaften für Beschäftigung. Chancengleichheit für Mann und Frau 4. Chancengleichheit für Mann und Frau sollte in allen lokalen Beschäftigungsinitiativen Priorität genießen. 5. Wo erforderlich, sollten wirtschaftlich benachteiligte Frauen, besonders jene mit Familie oder Pflegeverantwortung, Zugang zu spezieller Ausbildung und anderen Hilfsprogrammen haben, die speziell auf ihre besonderen Lebensumstände zugeschnitten sind, d.h., erschwingliche, leicht erreichbare und gute Tagesstätten für Kinder und andere Pflegebedürfnisse. 6. Die Arbeitsorganisation sollte flexible Arbeitszeitmodelle für Frauen und Männer gestatten, z.B. Teilzeitarbeit und flexible Arbeitszeiten, damit sie ihrer familiären und pflegerischen Verantwortung nachkommen können. Nichtdiskriminierung von benachteiligten Gruppen 7. Der Zugang zu und die Teilnahme an den lokalen Beschäftigungsprogrammen darf nicht aufgrund von Behinderung, Abstammung, Alter oder aus anderen Gründen diskriminierend gestaltet sein. 8. Während der Grundsatz der Nichtdiskriminierung anerkannt ist, ist es doch manchmal notwendig, eine positive Diskriminierung bestimmter Gruppen durch gezielte Programme durchzuführen, um deren Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen. 118 Anhängen 9. Eine Richtlinie zur Chancengleichheit beim Zugang zu lokalen Einrichtungen – Ausbildungsprogramme, Berufsberatung, Leistungen der Wohnungs-, Gesundheitsämter und Sozialdienste, etc. – sollte integraler Bestandteil beim Entwurf und der Umsetzung lokaler Beschäftigungsinitiativen sein. Unternehmertum 10. Für jene, die ihr eigenes kleines Unternehmen starten möchten, sind, um den Erfolg sicherzustellen, Beratung und Ausbildung in Unternehmensfragen, Finanz-, Rechts-, Marketing- und technische sowie Personalmanagementfragen ebenso wichtig wie die kontinuierliche Unterstützung durch die entsprechenden lokalen und staatlichen Behörden. Dies sollte entweder kostenlos oder zu geringen Kosten den beginnenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. 11. Freiwillige und Selbsthilfe-Projekte sollten besonders unterstützt werden, da sie häufig enger an der lokalen Situation ausgerichtet sind und die Bedürfnisse der lokalen Gemeinden erfüllen, die nicht durch den profit-orientierten Privatsektor oder durch staatliche Einrichtungen abgedeckt werden. 12. Der Zugang zu einer angemessenen, erschwinglichen und nachhaltigen Finanzierung ist ebenfalls für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens wichtig. Eine solche Finanzierung sollte leicht zugänglich sein, ob durch staatliche Quellen, den kommerziellen Banksektor, Kreditanstalten oder andere alternative Finanzierungsquellen oder eine Kombination derselben. 13. Unternehmer müssen sich ihrer Rechte und Pflichten bezüglich Steuern, Sozialversicherung und Arbeitsrecht bewusst sein und Zugang zu diesbezüglichen Informationen erhalten. 14. Programme zur Unternehmensgründung müssen kontinuierlich überwacht und bewertet werden. Dies ermöglicht, die verschiedenen Ansätze und Methoden an veränderte Bedürfnisse und Probleme anzupassen, die möglicherweise an anderer Stelle verwendet werden können – der sogenannte „Multiplikatoreffekt“. Programme müssen zumindest regelmäßig überprüft werden, um ihre Effizienz sicherzustellen und Probleme oder Mängel zu korrigieren. Bildung, Ausbildung und lebenslanges Lernen 15. Ausbildung und Umschulungen in Fachbereichen, die für die Erfordernisse des lokalen Arbeitsmarktes relevant sind, stellen wesentliche Elemente jeder Beschäftigungsinitiative dar. Lokale Bildungs- und Ausbildungsbestimmungen können jedoch nicht isoliert von allgemeinen Arbeitsplatz- und Geschäftsentwicklungen formuliert werden. Dementsprechend muss bei der Bereitstellung solch einer Ausbildung/Umschulung die sich wandelnde Natur der Arbeit berücksichtigt werden, und ein Schlüsselelement der Bildungs- und Ausbildungsrichtlinien muss der Bedarf an Ausbildungsprogrammen sein, die die Arbeiter mit Geschäfts- und technischen Kenntnissen ausstattet, die auch im Kontext des allgemeinen nationalen und globalen Arbeitsmarktes gewinnbringend sind. 16. Um den Bedarf an nachhaltig langfristigen Beschäftigungsmöglichkeiten zu decken, ist eine größere Kooperation zwischen den lokalen Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen, den lokalen Arbeitsämtern, den lokalen Regierungsstellen, den lokalen 119 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Unternehmen und den Vertretern der Sozialpartner bei der Entwicklung von Bildungs- und Ausbildungsrichtlinien erforderlich, in Abstimmung mit den verfügbaren Ressourcen und den Anforderungen des Arbeitsmarktes vor Ort und/oder in der Region. 17. Alle Bildungs- und Ausbildungsprogramme sollten Lerneinheiten im Bereich zwischenmenschliche und soziale Fähigkeiten, Arbeitsplatzsuche und Karriereplanung und Entwicklung einschließen, in Abstimmung mit den Grundsätzen des „lebenslangen Lernens“ und der informellen Bildung. 18. Es muss den Arbeitern Gelegenheit gegeben werden sicherzustellen, dass ihre Fähigkeiten und Qualifikationen auch weiterhin für die sich verändernden Anforderungen des Arbeitsmarktes relevant bleiben. Dies sollte über nationale Ausbildungsprogramme geschehen, unterstützt durch kommunale Partnerschaften und Unternehmen. Lebenslanges Lernen ist für jene Arbeiter eine Notwendigkeit, die mit den ständigen Änderungen in Technologie und auf den Märkten Schritt halten möchten. 19. Alle Bildungs- und Ausbildungsprogramme sollten daher als Mittel für die Unterstützung der Eingliederung/Wiedereingliederung der Teilnehmer in die Arbeiterschaft ein „Praktikum“ und das Einbringen von Berufserfahrung beinhalten. 20. Es ist wesentlich, dass staatliche Arbeits- und kommunale Beschäftigungsprogramme die Fähigkeiten fördern, die die Teilnehmer in die Lage versetzen, nach Abschluss des Programms eine Beschäftigung zu suchen. Überwachung und Bewertung 21. Als Teil des Entwurfs einer lokalen Beschäftigungsinitiative sollte diese ein anerkanntes Überwachungssystem einschließen. Dieser Prozess sollte an realistischen Zielvorgaben ausgerichtet sein; er sollte quantifizierbar sein, Daten und Informationen liefern, die einen Mehrwert für den Entwurf und die Umsetzung zukünftiger Programme darstellen. Er sollte in den politischen Entscheidungsprozess eingebettet sein. 22. Die Ergebnisse der Programmbewertungen sollten auf nationaler Ebene und/oder grenzübergreifend einem Vergleich mit anderen Projekten unterzogen werden, was wertvolle Daten über die Effizienz der Programme liefern und eine präzisere Verwendung finanzieller und menschlicher Ressourcen erlauben würde. 23. Bei der Beurteilung lokaler Beschäftigungsprogramme sollte auch berücksichtigt werden, wie die Zielgruppen und einzelnen Teilnehmer die Effizienz der Programme bewerten. 120 Anhängen Anhang V Empfehlung Rec(2001)12 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über die Anpassung der Gesundheitsversorgung an die Nachfrage nach der Gesundheitsversorgung und die Gesundheitsdienste für Menschen am Rande der Gesellschaft (durch das Ministerkomitee beim 768. Treffen der Stellvertreter der Minister am 10. Oktober 2001 verabschiedet) Das Ministerkomitee, gemäß Artikel 15.b der Satzung des Europarates, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Ziel des Europarates ist, eine größere Einigkeit unter den Mitgliedern zu erreichen und dass dieses Ziel, inter alia, besonders durch die Annahme gemeinsamer Regeln im Gesundheitswesen verfolgt werden kann; angesichts der Tatsache, dass immer mehr Menschen in den Mitgliedstaaten am Rande der Gesellschaft leben; unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Probleme, die spezifisch sind für Menschen am Rande der Gesellschaft, ernste Folgen für ihre Gesundheit haben und dass dies ein immer wichtiger werdendes Problem des staatlichen Gesundheitswesens und eine ernste und kostenintensive Bürde für das Individuum, die Familie, die Gemeinschaft und den Staat darstellt; in Anerkennung, dass angesichts der Ungleichheiten im Gesundheitsbereich in den europäischen Staaten jede diesbezügliche und effiziente Gesundheitspolitik nicht nur die Gesundheitsprobleme der Menschen am Rande der Gesellschaft, sondern auch jene von Menschen in unsicheren Lebensbedingungen berücksichtigen muss, wobei die Gesundheitsvorsorge ein Schlüsselelement einer solchen Politik sein muss; unter Beachtung, dass es heute weitestgehend belegt ist, dass psychischer Stress, der von Menschen, die in solch unsicheren Lebensbedingungen leben, Auswirkungen auf deren physische und geistige Gesundheit nimmt; in Anerkennung der Notwendigkeit von politischen Richtlinien, die darauf abzielen, die Gesundheitsprobleme von Menschen am Rande der Gesellschaft zu verhindern, unter Berücksichtigung der Notwendigkeit nach Schutz der Privatsphäre aller beteiligten Personen und der Vertraulichkeit; in Anerkennung des Rechts von Menschen, die in unsicheren Lebensbedingungen leben, auf ein Leben unter Bedingungen, die ihrer angemessenen Entwicklung förderlich sind, frei von physischer und psychischer Belastung, sozialer Isolierung, psychosomatischen Symptomen, die auf Stress und andere Formen der Beeinträchtigung zurückzuführen sind; in Erinnerung an Artikel 11 der Europäischen Sozialcharta über das Recht auf Gesundheitsvorsorge und Artikel 3 der Konvention über Menschenrechte und Biomedizin über den gleichen Zugang zur Gesundheitsvorsorge; 121 Zugang zu sozialen Rechten in Europa bezugnehmend auf die Ljubljana Charta über Gesundheitsreformen von 1994 und die Kopenhagener Erklärung zur Reduzierung sozialer Ungleichheit im Gesundheitswesen vom September 2000; bezugnehmend auf die Empfehlungen des Ministerkomitees Nr. R(2000) 5 über die Entwicklung von Strukturen für die Beteiligung von Bürgern und Patienten an Entscheidungsprozessen im Gesundheitswesen, Empfehlung Nr. R (97) 4 über die Sicherung und Förderung der Gesundheit alleinerziehender Eltern und Empfehlung Nr. R (98) 7 über die ethischen und organisatorischen Aspekte der Gesundheitsvorsorge in Gefängnissen; im Bewusstsein, dass Maßnahmen, die primär auf die Reduzierung der Gesundheitsprobleme von Menschen abzielen, die in unsicheren Lebensbedingungen leben, erheblich von der Situation außerhalb der normalen Sphäre der Gesundheitsund Sozialleistungen abhängen; unter Berücksichtigung, dass es Ziel und Pflicht des Staates ist, die allgemeinen sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für das Gesundheitswesen zu beeinflussen, die letztendlich die schlechtere Gesundheit von Menschen am Rande der Gesellschaft bestimmen; unter Berücksichtigung, dass es ebenfalls die Verantwortung des Staates ist, sicherzustellen, dass Bestimmungen im Gesundheitswesen in zusammenhängender Weise entwickelt werden, um das Potenzial für eine gesundheitliche Verbesserung zu erhöhen und nachteilige Auswirkungen auf die Gesundheit zu verhindern; in Kenntnis des Projekts des Europarates über Menschenwürde und soziale Ausgrenzung und der auf der Helsinki-Konferenz 1998 verabschiedeten Aktionsvorschläge; in Kenntnis der WHO-Initiative über Partnerschaften für Gesundheit und gegen Armut und der Stellungsnahme der Europäischen Kommission über den „Aufbau eines eingliedernden Europas“ und des Programms der Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Kooperation unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung; in Kenntnis der Charta der Grundrechte der Europäischen Union: empfiehlt den Regierungen der Mitgliedstaaten: i. einen zusammenhängenden und umfassenden politischen Rahmen zu entwickeln, der – die Gesundheit von Menschen sichert und fördert, die in unsicheren Lebensbedingungen leben; – die Menschenwürde schützt und soziale Ausgrenzung und Diskriminierung verhindert; – eine zuträgliche Umwelt für die soziale Eingliederung von Menschen sicherstellt, die am Rande der Gesellschaft oder in unsicheren Lebensbedingungen leben; ii. ihre Gesetzgebung stärkt und durchsetzt, um den Schutz der Menschenrechte, die soziale Solidarität und Gleichheit sicherzustellen; 122 Anhängen iii. die bereichsübergreifende Kooperation zur Steigerung der Fähigkeit ihrer Sozialsysteme verbessert, gesundheitliche Probleme bei Menschen zu verhindern, die in unsicheren Lebensbedingungen leben. Dieser Ansatz sollte eindeutig die Rolle, Verantwortlichkeiten und die Koordinierung der verschiedenen beteiligten Stellen und sozialen Einrichtungen spezifizieren, um zu verhindern, dass diese Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden; iv. die Entwicklung umfassender, wirkungsvoller und effizienter Gesundheitssysteme für eine zeitige und adäquate Reaktion auf medizinische Bedürfnisse ermöglicht, um Gleichheit und gleichen Zugang zur Gesundheitsvorsorge sicherzustellen, unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Bedürfnisse und der verfügbaren Ressourcen, und um in der Lage zu sein, die gesundheitlichen Probleme von Menschen am Rande der Gesellschaft zu identifizieren, zu beurteilen und zu behandeln; v. und zu diesem Zweck die im Anhang zu dieser Empfehlung aufgeführten Maßnahmen zu ergreifen, wo immer sie angemessen erscheinen. Anhang zur Empfehlung Rec(2001)12 I. Grundsätze Die Regierungen werden aufgerufen, im Rahmen der von der Weltgesundheitsorganisation bei der Ottawa-Konferenz von 1986 verabschiedeten Grundsätze eine Sozial-/ Gesundheitspolitik zu entwickeln, um unsichere Lebensbedingungen zu verhindern und damit die Gefahr, an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden, zu begrenzen. Bei der Anpassung des Gesundheitswesens und der Sozialleistungen an die Bedürfnisse von Menschen, die am Rande der Gesellschaft oder in unsicheren Bedingungen leben, sollten die Regierungen der Mitgliedstaaten eine Anzahl von Kriterien bedenken: 1. Die Richtlinien sollten den vom Europarat vertretenen Werten entsprechen: Menschenrechte und Rechte der Patienten, Menschenwürde, sozialer Zusammenhalt, Demokratie, Gleichheit, Solidarität, Gleichheit der Geschlechter, Partizipation, Entscheidungsfreiheit – ausgewogen durch die Verpflichtung, seine eigene Gesundheit zu schützen. Um effizient zu sein, muss jede Gesundheitspolitik, besonders wenn sie sich an den Bedürfnissen von Menschen am Rande der Gesellschaft ausrichtet, auf einem integrierten Ansatz basieren und mit Maßnahmen zum Sozialschutz beginnen. Diesen Menschen sollte ein regelmäßiges Mindesteinkommen zugestanden werden. 2. Eine der besten politischen Ansätze (neben der Anhebung des Lebensstandards), ihre Gesundheit zu verbessern und ein Abgleiten an den Rand der Gesellschaft zu vermeiden, ist die Sicherstellung eines gleichen Zugangs zu den Sozial- und Gesundheitsdiensten für alle, ungeachtet seines/ihres wirtschaftlichen oder rechtlichen Status. Der Ansatz sollte der Tatsache Rechnung tragen, dass neue Gruppen und Personen jederzeit an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden können. 123 Zugang zu sozialen Rechten in Europa 3. Soziale und wirtschaftliche Präventivmaßnahmen, die ein Abgleiten in die Randlage verhindern, sollten von den Regierungen und Gesellschaften als Priorität behandelt werden. 4. Langfristige Ansätze zur Verbesserung der sozialen und gesundheitlichen Bedingungen für Menschen am Rand der Gesellschaft oder in unsicheren Lebensbedingungen, können nicht ohne deren Beteiligung und Zustimmung umgesetzt werden. Sie sollten daher als verantwortliche Menschen betrachtet werden, die in der Lage sind, ihre Eigenverantwortlichkeit anzunehmen, und sie sollten so weit wie möglich in den Entscheidungsprozess involviert werden. 5. Um Stigmatisierung zu verhindern, sollten die Mitgliedstaaten sich in langfristiger Sicht bemühen, die Bedürfnisse von Menschen am Rande der Gesellschaft im Rahmen bestehender Gesundheitssysteme zu erfüllen. Sie sollten einen gleichen Zugang zu den nationalen Gesundheitsressourcen für alle sicherstellen, was durchaus die positive Diskriminierung in Form gezielter Maßnahmen erfordern kann, die zeitlich und vom Umfang her begrenzt sind und vollständig in die normalen Dienste der Gesundheitsvorsorge integriert werden. 6. Es gibt keine spezielle Krankheit der Armen. Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, leiden an denselben Krankheiten wie der Rest der Bevölkerung, aber in disproportionalem Verhältnis. 7. Die Sozial- und Gesundheitsrichtlinien müssen als Ziel haben, die Verarmung und die schlechte Gesundheit zu vermeiden, wo neben den gesundheitlichen und sozialen Belangen auch andere Bereiche eine Rolle spielen. Alle Richtlinien müssen im Hinblick auf ihre Auswirkung auf den sozialen Zusammenhalt, soziale Ausgrenzung und Gesundheit geprüft und beurteilt werden. Dies impliziert bereichsübergreifende Aktionen und die Überprüfung aller Richtlinien, einschließlich der Wirtschafts- und Handelsrichtlinien, im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf das gesellschaftliche Allgemeinwohl, Gesundheit, Gleichheit und die Marginalisierung von Menschen. 8. Das Gesundheitswesen muss auf dem Gleichheitsprinzip basieren, das gemäß dem Bedürfnis und der Finanzierung der Versorgung den gleichen Zugang zur Versorgung garantiert, ungeachtet der Tatsache, ob jemand in der Lage ist zu bezahlen. 9. Die Prävention, Gesundheitsförderung und sozialen Maßnahmen für Menschen, die am Rande der Gesellschaft oder in unsicheren Lebensbedingungen leben, sollten integraler Bestandteil der nationalen und kommunalen Sozial/Gesundheitspolitik sein. 10. Kinder sind in ärmlichen Bedingungen besonders anfällig. Regierungen sollten diesen eine besondere Aufmerksamkeit widmen, um sicherzustellen, dass sie von speziellen Schutzmaßnahmen im Sozial-/Gesundheitswesen profitieren. 11. Die Regierungen müssen kritische Lücken und Hindernisse beim Zugang zu den Gesundheitsdiensten identifizieren - rechtliche, soziale, wirtschaftliche, kulturelle, administrative und/oder physische Hindernisse. Initiativen und Programme müssen umgesetzt werden, um diese Hindernisse abzubauen, da sie häufig die Ungleichheit verstärken. 124 Anhängen 12. Angemessene Richtlinien müssen entwickelt werden, um das Gesundheitswesen an die Bedürfnisse der Menschen anzupassen, die am Rande der Gesellschaft oder in unsicheren Lebensbedingungen leben. Eine weitere Ausführung und Umsetzung dieser Richtlinien muss die entscheidende Rolle der Zivilgesellschaft und der NROs beim Umgang mit sozialen Ungleichheiten berücksichtigen. II. Entwicklung einer integrierten und umfassenden Sozial-Gesundheitspolitik Die Entwicklung einer integrierten Sozial-/Gesundheitspolitik im Rahmen der Ottawa-Charta beinhaltet Maßnahmen, die offensichtlich die Kapazitäten des Gesundheitsbereiches allein übersteigen. (“Die grundsätzlichen Bedingungen und Ressourcen für Gesundheit sind Frieden, Unterkunft, Bildung, Nahrung, Einkommen, ein stabiles Ökosystem, nachhaltige Ressourcen, soziale Gerechtigkeit und Gleichheit. Eine Gesundheitsfördermaßnahme heißt: den Aufbau einer gesunden staatlichen Richtlinie, die Schaffung eines unterstützenden Umfelds, die Stärkung gemeinschaftlicher Aktionen, die Entwicklung persönlicher Fähigkeiten, die Neuorientierung der Gesundheitsdienste.“) Diese Maßnahmen sollten von den nationalen und regionalen Bedingungen abhängen und u.a. Folgendes beinhalten: – allgemeine Schulpflicht, einschließlich Gesundheitsunterricht von der frühen Kindheit an; – ein Umfeld, das geeignete Arbeitsplätze und berufliche Aktivitäten bietet; – angemessenes Wohnen und – weitere Maßnahmen, die einen ausreichenden Sozialschutz sicherstellen. Diese Fragen werden momentan vom Komitee für sozialen Zusammenhalt untersucht, um eine umfassende Empfehlung über den Zugang zu den sozialen Leistungen und Diensten zu entwickeln. Im Gesundheitswesen sollte primär das Ziel verfolgt werden, die Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit von medizinischen Diensten für alle sicherzustellen. Die Gesundheitspolitik sollte formuliert und umgesetzt werden, um die primäre Gesundheitsvorsorge dergestalt zu verändern, dass sie in verbesserter Form auf die Bedürfnisse der vielfältigen sozialen und kulturellen Gruppen eingehen kann. Sie sollte allen Menschen Dienste in angemessener Qualität anbieten, u.a. auch Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge. Es sollte sich speziell um die Entwicklung einer besonderen präventiven Richtlinie für die sozial schwächsten Menschen bemüht werden, einschließlich Arbeitslose und deren Familien, junge Alleinerziehende, Behinderte, Flüchtlinge, Migranten und Häftlinge. Geisteskrankheiten sollte besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, da sie häufig Menschen betreffen, die in schlechten sozioökonomischen Bedingungen, Armut und Ausgrenzung leben. Programme zur Gesundheitsförderung sollte auch Menschen am Rande der Gesellschaft erreichen und sollten in Zusammenarbeit mit ihnen entwickelt werden und für sie akzeptabel sein. Während alle Altersgruppen als Zielgruppen behandelt werden sollten, muss insbesondere die frühe Kindheit, von der Schwangerschaft bis zum Einschulungsalter, bevorzugt behandelt werden. 125 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Allen Kindern sollte ein vollständiges Impfprogramm und gleicher Zugang zu pädiatrischer medizinischer Versorgung und allen Frauen vorgeburtliche, geburtsbegleitende und postnatale Versorgung in angemessenen medizinischen Einrichtungen angeboten werden. Vorsorgeuntersuchungen und Rehabilitationsmaßnahmen müssen allen offen stehen, unabhängig von seinem/ihrem wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Status. Der physische Zugang zu allen Einrichtungen muss behindertengerecht gestaltet sein. Jede Person muss über denselben Zugang zu Heilmaßnahmen verfügen, einschließlich einer Zweit- und Drittversorgung im Krankenhaus, in die Menschen am Rande der Gesellschaft in der Regel bei Notfällen eingeliefert werden. III. Entwicklung besonderer Maßnahmen zur Sicherung der Gleichheit Bei der Entscheidung und Umsetzung besonderer Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs zur medizinischen Versorgung von Menschen, die am Rande der Gesellschaft oder in unsicheren Bedingungen leben, müssen sich die Regierungen vor allem mit der Gefahr der Stigmatisierung dieser Menschen beschäftigen. Zusätzlich und weil es das Ziel ist, allen einen gleichen Zugang zur medizinischen Versorgung zu ermöglichen, können für eine begrenzte Zeit und im Rahmen der normalen medizinischen Versorgung positive diskriminierende Maßnahmen durchgeführt werden. 1. Zugang zu Diensten und Programmen für Vorsorge, Gesundheitsförderung und Heilung – Es müssen regional/lokal Systeme zur Identifizierung von Menschen entwickelt werden, die am Rande der Gesellschaft leben. – Schwerpunkt sollte hierbei ein Netzwerk für die primäre medizinische Versorgung sein, das Menschen am Rande der Gesellschaft bezahlbare medizinische Versorgung ermöglicht. – Dienste zur Gesundheitsförderung und Prävention müssen auf lokaler Ebene organisiert werden, mit einem besonderen Schwerpunkt auf mobile Dienste für Menschen am Rande der Gesellschaft. – Bereitstellung und Ausführung von Notfalldiensten sollten nicht von einer Vorauszahlung abhängig sein, sondern garantiert werden, ungeachtet der Tatsache, ob eine Person in der Lage ist, diese Dienste zu bezahlen. – Innovative organisatorische Ansätze, die auf die Verbesserung der Flexibilität der medizinischen Versorgung abzielen (Anpassung der Öffnungszeiten, telefonische Terminabsprachen etc.), müssen unterstützt werden. – Sondermaßnahmen zur Finanzierung von Diensten zur medizinischen Grundversorgung für Menschen in illegalen Situationen müssen verabschiedet werden. – Menschen, die am Rande der Gesellschaft oder in unsicheren Bedingungen leben, sind häufig schlecht informiert. Die Kommunikation muss verbessert werden, um sie über bestehende Programme und Dienste zu informieren und darüber, wie sie diese erhalten können. – Fachleute aus dem Gesundheitsbereich sollten als Sprecher für Menschen auftreten, die am Rande der Gesellschaft leben und im allgemeinen nur einen 126 Anhängen geringen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Diese Rolle könnte Lobbyarbeit bei den Behörden, Politikern und internationalen Organisationen beinhalten, um den Zugang zu Diensten im Gesundheitsbereich für diese Menschen zu verbessern. – Es sollte für jene Menschen, die in illegalen Situationen leben, eine medizinische Versorgung angeboten werden, unter Wahrung der Anonymität. 2. Besondere Bevölkerungsgruppen Gesundheitsdienste sollten für alle Menschen offen stehen, aber besondere Aufmerksamkeit sollte jenen gewidmet werden, die in unsicheren Bedingungen leben, wobei eine Stigmatisierung zu vermeiden ist. – Frauen, die in unsicheren Bedingungen leben, weisen eine höhere Rate von Frühgeburten und Totgeburten auf, daher sollten sie von besonderer sozialer/ medizinischer Begleitung während der Schwangerschaft und der Geburt profitieren. – Kinder mit sozialen/familiären Risikofaktoren müssen besondere Aufmerksamkeit durch Sozial-/Gesundheitsdienste erhalten. – Familien mit wirtschaftlichen und/oder sozialen Schwierigkeiten müssen Unterstützung bei der Bildung ihrer Kinder erhalten, mit besonderer Betonung auf Maßnahmen, von denen die betroffenen Kinder direkt profitieren (Bildungsangebote, Lebensmittelkarten, etc.). – Besondere soziale/medizinische Dienste sollten auf kommunaler Ebene für junge Menschen umgesetzt werden, die familiäre/soziale Risikofaktoren aufweisen, mit besonderer Betonung von Informationen hinsichtlich Familienplanung, Geschlechtskrankheiten, HIV/Aids, Verkehrsunfällen, Selbstmord, Drogenmissbrauch, Alkohol, etc. Ihr allgemeiner körperlicher und psychosozialer Gesundheitszustand sollte regelmäßig geprüft werden. – Soziale/medizinische Dienste sollten den Bedürfnissen behinderter Menschen besondere Aufmerksamkeit widmen, was auch immer die Gründe für diese Behinderung sind. – Besondere Aufmerksamkeit sollte den Bedürfnissen von Menschen am Rande der Gesellschaft geschenkt werden, die an chronischen Erkrankungen und Stoffwechsel- und neurologischen Krankheiten leiden. – Richtlinien zur Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz müssen für jene Arbeitsplätze entwickelt werden, die extreme gesundheitliche Belastungen aufweisen. – Häftlinge und deren Kinder, die in kollektiven Einrichtungen leben, sollten dieselbe qualitativ gute medizinische Versorgung erhalten wie außerhalb der Gefängnisse. – Bei unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen, einschließlich Flüchtlingen, vor kurzem zugezogenen Migranten etc., muss vor allem der spezifischen kulturellen Dimension von Gesundheit Rechnung getragen werden. – Einige grundlegende soziale/medizinische Dienste sollten Fachleute beschäftigen, die aus den jeweiligen Bevölkerungen stammen. – Die medizinische Versorgung älterer Menschen, die in unsicheren Bedingungen leben, sollte innerhalb der Gemeinde durch besonders geschulte Sozialarbeiter und Mediziner entwickelt werden. – Sonderdienste sollten für Alkohol- und Drogenabhängige eingerichtet werden. 127 Zugang zu sozialen Rechten in Europa IV. Verbesserung der medizinischen Kenntnisse von Menschen, die in unsicheren Bedingungen leben Die Regierungen sollten die medizinischen Kenntnisse von Menschen, die in unsicheren Bedingungen leben, hinsichtlich ihrer speziellen medizinischen Bedürfnisse verbessern. Es besteht ein Bedarf an der routinemäßigen Erfassung standardisierter und vergleichbarer Daten auf der Grundlage gemeinsamer Definitionen. Medizinische und soziale Indikatoren sollten miteinander verknüpft werden. Ein Überwachungs- und Begleitsystem sollte entwickelt werden, was zu regelmäßigen, wenn möglich jährlichen, Berichten auf Länder- und europäischer Ebene führen würde. Die folgenden Maßnahmen werden empfohlen: 1. Informationssystem – Eine Beobachtungsstelle für die soziale/medizinische Entwicklung sollte auf nationaler/ regionaler Ebene eingerichtet werden, um zuverlässige Daten über den sozialen/medizinischen Status jener Menschen zu sammeln, zu bearbeiten und zu verbreiten, die in unsicheren Bedingungen leben. – Die regelmäßig erfassten Daten sollten soziale und wirtschaftliche Indikatoren sowie Indikatoren über die Zugänglichkeit der Gesundheitsdienste umfassen. – Um Diskriminierung zu vermeiden und den persönlichen Schutz zu gewähren, muss die Anonymität der Daten respektiert werden. – Regelmäßige und vorschriftsmäßige Studien sollten durchgeführt werden, um die Nutzung der Dienste im Hinblick auf spezifische Probleme besser bewerten zu können. – Regionale/kommunale Konferenzen im Bereich Gesundheit sollten veranstaltet werden, um Informationen zu sammeln und zu verbreiten. – Informationen sollten sowohl den Sozialarbeitern und Beschäftigten des Gesundheitswesens als auch der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. – Bestehende Netzwerke in den Gemeinden sollten benannt werden, um ein unterstützendes Umfeld zu schaffen. 2. Forschung Forschungsprogramme sollten sich folgenden Themen widmen: – Bewertung von Kosten/Eignung, Kosten/Nutzen und Kosten/Effizienz der verschiedenen gesundheitspolitischen Richtlinien und Programme zur Verbesserung des Zugangs zur medizinischen Versorgung von Menschen, die in unsicheren Bedingungen leben; – Auswahl relevanter Indikatoren für die Überwachung und Bewertung von politischen Leitlinien, Programmen und Aktivitäten; – Gesundheitsstatus und Bedürfnisse von Menschen in Risikosituationen und am Rande der Gesellschaft – qualitative Erhebungen über die Wahrnehmung von Gesundheit und die Hindernisse beim Zugang zur medizinischen Versorgung; 128 Anhängen – Verlaufsanalysen individueller Lebensläufe, die zeigen, wie Menschen in eine Randlage geraten sind und Analysen der Strategien, diese zu verlassen; – dem Gesundheitszustand und den medizinischen Bedürfnissen junger Erwachsener sollte besondere Aufmerksamkeit eingeräumt werden; – Unterschiede in den Werten, soziale Sicherungsnetze, positive und negative Erfahrungen mit Gesundheitsdiensten; – sozialer Abstand zwischen verschiedenen Gruppen und Mitarbeitern des Gesundheitswesens; – die Rolle und der Einfluss der NRO-Tätigkeit; – die Wege, in denen medizinische Einrichtungen verändert werden, um die Bedürfnisse von Randgruppen zu erfüllen. V. Änderung im Verhalten der Behörde und der Sozialarbeiter/Mitarbeiter des Gesundheitswesens auf zentraler und kommunaler Ebenel Die folgenden Aktivitäten werden empfohlen, um der Verwaltung und den Sozialarbeitern/Mitarbeitern des Gesundheitswesens auf nationaler und kommunaler Ebene zu helfen, ihre Arbeit an die gesundheitlichen Bedürfnisse von Menschen anzupassen, die in unsicheren Bedingungen leben: 1. Richtlinien – Ein Richtlinienpapier über Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung für Menschen am Rande der Gesellschaft sollte veröffentlicht werden. Die Formulierung einer solchen Richtlinie sollte sich auf einen umfassenden Konsens aller potenziellen Partner und, sofern möglich, der betreffenden Gemeinschaft stützen. – Die Umsetzung der Richtlinie sollte auf einem bereichsübergreifenden Ansatz basieren und seine Auswirkungen sollten systematisch überwacht und bewertet werden. – Es wird die Neubewertung der Verbindung zwischen Gesundheitsbehörden und Sozialdiensten befürwortet. – Die Erfahrung und Kapazitäten der NROs sollten bei der Umsetzung der Richtlinien auf kommunaler Ebene genutzt werden. – Man sollte Instrumente ausprobieren und entwickeln, die auf die Beteiligung der Menschen in unsicheren Bedingungen am Entscheidungsprozess hinsichtlich des Entwurfs und der Organisation von Gesundheitsdiensten abzielen. 2. Professionelle Praktiken – Regelmäßige Treffen sollten auf lokaler Ebene zwischen den Mitarbeitern der Verwaltung, der Sozial-/Gesundheitsdienste und der NROs stattfinden, um Maßnahmen für medizinische Bedürfnisse von Gruppen/Menschen am Rande der Gesellschaft zu organisieren. – Neue soziale Berufe sollten für junge Erwachsene, die am Rande der Gesellschaft leben, geschaffen werden, um sie auf die Arbeit in ihren eigenen Gemeinden vorzubereiten. 129 Zugang zu sozialen Rechten in Europa 3. Ausbildung – Bereiche wie Gesundheitswesen, Epidemiologie (insbesondere nicht-übertragbarer Krankheiten), Gesundheitsvorsorge, Sozialwissenschaften und Gesundheitsökonomie sollten im Rahmen der Grundausbildung von Fachleuten im Gesundheitswesen und von Sozialarbeitern und insbesondere von Ärzten unterstützt werden. – Es sollte nationale Postgraduiertenprogramme geschaffen werden, die einen Schwerpunkt auf besondere Ansätze hinsichtlich sozial schwacher Gruppen und Menschen, Präventivmaßnahmen, mobile Einsätze und nicht diskriminierende Identifizierungsmethoden für die medizinischen Bedürfnisse auf kommunaler Ebene legen. – Ausbildungsprogramme sollten für Mitarbeiter im Gesundheits- und Schulwesen organisiert werden, um eine Früherkennung gesundheitlicher Probleme in den Schulen zu ermöglichen. – Sonderprogramme sollten für die Mitarbeiter im Sozial-/Gesundheits/Schulbereich vorbereitet werden, um deren Aufmerksamkeit auf die besonderen Bedürfnisse armer, arbeitsloser Menschen, Flüchtlinge etc. zu lenken. – Fachleute, die vor Ort arbeiten, und NROs sollten ermutigt werden, eine wichtige Rolle in solchen Ausbildungsprogrammen einzunehmen. 130 Anhängen Anhang VI Zusammensetzung der CS-ASR-Gruppe* Herr Jean-Michel Belorgey Staatsrat Gruppenleiter Internationale Zusammenarbeit Abteilung Berichte und Studien Staatsrat Paris Frankreich Herr Willy Cassiers Assistent Interdisziplinäres Zentrum frür Grundrechte und Sozialwesen Fakultät der Universität Notre Dame Namur Belgien Frau Mary Daly Professor Institut für Soziologie und Sozialpolitik Queens Universität Belfast Nordirland Herr François Paul Debionne ATD-Vierte Welt Stellvertretender Delegierter beim Europarat Vorsitzender der Gruppierung Gesundheit Strassburg Frankreich Herr Joe Gerada Leiter von APPOGG für Kinder, Familien und die Gemeinde Floriana Vlt Malta Frau Srna Mandic Seminar für Internationale Beziehungen – Fakultät für Sozialwissenschaften Institut für Sozialwissenschaften Ljubljana Slowenien Herr Peter Melvyn Europäisches Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung Wien Österreich _____ * in alphabetischer Folge 131 Zugang zu sozialen Rechten in Europa Herr M. Michel Mercadie Vizepräsident Europänischer Verband nationaler Verreinigungen, die mit Obdachlosen arbeiten Brüssel Belgien Herr Christopher Murray Leiter der Kundeninformation Ministerium für Soziales, Gemeinde- und Familienangelegenheiten Dublin Irland Herr Kevin O’Kelly Leiter der Forschung Europäische Stiftung für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen Dublin Irland Frau Annelise Oeschger ATD-Vierte Welt Stellvertrende Delegierte 132 Literatur Literatur Béland, D. und Hansen, R. (2000), „Reforming the French welfare state: solidarity, social exclusion and the three crises of citizenship“, in West European politics, Band 23, Nr. 1, S. 47-64. BIPE (2001), European public policy concerning access to housing, BoulogneBillancourt: BIPE. Borchert, J. (1995), Die konservative Transformation des Wohlfahrtsstaates, Frankfurt a. M.: Campus. Bubnov-Skoberne, A. 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