Robin Rühling, HS Alexis de Tocqueville, Gruppe II Arbeitspapier zur Sitzung am 30. November 2010 Aufgabe: Demokratien, so Tocqueville, weisen im Vergleich zu Aristokratien bzw. Monarchien eine deutliche außenpolitische Schwäche auf. Warum ist dies seiner Meinung nach so, und wie schätzen Sie seine Argumentation vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen nach 1830 ein? Quelle: Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, 1. Buch, II. Teil, Kapitel 5, S. 255-258, 261-265 (Q1) Nagler, Jörg, Von den Kolonien zur geeinten Nation, in: IzpB, Bd. 268/2004, (<http://www.bpb.de/publikationen/3JOCFU.html> am 29.11.2010) (Q2) Allgemeine Einschätzung Tocquevilles Die ständige Führung der auswärtigen Angelegenheiten ist in die Hände des Präsidenten und des Senats gelegt dem unmittelbaren und täglichem Einfluss des Volkes entzogen Demokratie in Amerika lenkt nicht die auswärtigen Angelegenheiten des Staates (Q1, S.261) Vor allem zwei Staatsmänner haben, laut Tocqueville, der Politik der Amerikaner eine Richtlinie gegeben: (Q1, S.261) o Washington Richtlinie: Nation wird Sklave, wenn sie sich Gefühlen von Liebe und Hass gegen eine andere ergibt – Sklave ihres Hasses oder ihrer Liebe (Q1, S.262) o Jefferson Richtlinie: Amerikaner sollten von fremden Nationen niemals Vorrechte fordern, um nicht selbst solche zu gewähren müssen (Q1, S.262f) Tocqueville bewertet die Auslandspolitik der Vereinigten Staaten als im höchsten Grade abwartend (Q1, S.263) Frei von früheren Verpflichtungen Nicht wie die Völker Europas gezwungen, ein Erbe aus Ruhm und Elend, aus Freundschaft und Hass der Nationen anzutreten (Q1, S.263) In der Führung der auswärtigen Angelegenheiten erscheinen Tocqueville demokratische Regierungen den anderen als entschieden unterlegen 1 Robin Rühling, HS Alexis de Tocqueville, Gruppe II „… auswärtige Politik erfordert nahezu keine der Eigenschaften, die der Demokratie eigen sind, dagegen verlangt sie die Entfaltung von fast lauter solchen, die ihr abgehen.“ (Q1, S.263) Die Demokratie begünstigt Dinge, die auf die Stellung eines Volkes einem anderen gegenüber nur von mittelbaren Einfluss sind (Q1, S.264) Sie ist kaum imstande, Maßnahmen im geheimen auszuarbeiten und deren Ergebnis geduldig abzuwarten Über solche Vorzüge verfüge vielmehr ein einzelner Mann oder eine Aristokratie, so Tocqueville (Q1, S.264) „Fast alle Völker, die eine starke Wirkung in der Welt ausübten, […], wurden durch eine Aristokratie geführt,…“ (Q1, S.265) Für Tocqueville hat folglich nichts so gefestigte Ansichten, wie eine Aristokratie o Die Masse des Volkes kann durch Unwissenheit oder ihre Leidenschaften verführt werden (Q1, S.265) o Das Denken eines Königs kann „überrumpelt“ werden, zudem ist er nicht unsterblich (Q1, S.265) o Mitglieder der Aristokratie hingegen unterliegen nicht leichtsinnig dem Rausch unbedachter Leidenschaften (Q1, S.265) Für Tocqueville ist die Aristokratie am besten geeignet, um auswärtige Angelegenheiten zu führen! Einschätzung der „Krisentauglichkeit“ Die Vereinigten Staaten mussten, laut Tocqueville, seit dem Unabhängigkeitskrieg keinen schweren Krieg führen (Q1, S.255f) Die USA kennt keine Wehrpflicht, keine Matrosenwerbung „… aber wie könnten wir ohne Aushebung (Wehrpflichtbezeichnung in Frankreich) einen großen Kontinentalkrieg führen?“ (Q1, S.256) „Ich habe amerikanische Staatsmänner gehört, die gestanden, die Union könne nur mit Mühe ihren Rang zur See behaupten,…“ (Q1, S.257) Für Tocqueville erscheint die Demokratie deshalb eher geeignet, eine friedliche Gesellschaft zu lenken, als während einer langen Zeitdauer Kriege zu führen („den Gewitterstürmen des politischen Völkerlebens zu trotzen“) (Q1, S.257) 2 Robin Rühling, HS Alexis de Tocqueville, Gruppe II Die Gründe sieht Tocqueville vor allem im reinen „Fühlen“ und fehlendem, vernünftigem urteilen des Volkes so vergisst es die größeren Übel, die ihm im Falle einer Niederlage vielleicht drohen (Q1, S.257) Zudem sieht das Volk nicht klar, was es von der Zukunft zu erhoffen oder zu befürchten hat leidet einfach an den gegenwärtigen Übeln (Q1, S.257) Tocqueville bewertet die Stellung des demokratischen Staatswesens in Krisenzeiten als verhältnismäßig schwach und sieht dies als großes Hemmnis! (Q1, S.258) Vor dem Hintergrund der Erfahrungen nach 1830 Erste Hälfte des 19. Jahrhunderts = Zeit der Expansion immenser Zugewinn an Territorium (Q2, Zeit der Expansion) o Durchschnittlich wuchs Union nach dem Frieden von 1815 bis zum Beginn des Bürgerkrieges 1861 alle drei Jahre um einen neuen Einzelstaat (Q2, Zeit der Expansion – Territoriale Zugewinne) o nationales Selbstbewusstsein dieser Zeit fand in der Außenpolitik ihren Niederschlag Monroe-Doktrin (1823): gegen jede weitere Kolonisierung europäischer Mächte in der westlichen Hemisphäre fortan als Gefährdung der Sicherheit der Vereinigten Staaten interpretiert (Q2, Zeit der Expansion – Territoriale Zugewinne) o 1840er "Manifest Destiny" Bestimmung der Vereinigten Staaten, mit einer vorbildhaften Demokratie den ganzen nordamerikanischen Kontinent vom Atlantik bis zum Pazifik missionarisch in Besitz zu nehmen (Q2, Zeit der Expansion – Territoriale Zugewinne) Im Gegensatz zu Tocquevilles Bewertung hat sich die Demokratie auch in Krisenzeiten als außenpolitisch stark erwiesen starker Territorialer Zuwachs Gefestigte Ansichten (Monroe-Doktrin, „Manifest Destiny“) ermöglichten erst Territoriale Expansion Auslandspolitik keinesfalls nur abwartend Keine außenpolitische Unterlegenheit gegenüber Aristokratien bzw. Monarchien 3