A Komplexe Zahlen - homepages.uni

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A
A.1
Komplexe Zahlen
Definition
Die komplexen Zahlen werden definiert als die geordneten Paare z = (x, y) reeller Zahlen
x, y ∈ R, zusammen mit den Rechenoperationen
z1 + z2 ≡ (x1 , y1 ) + (x2 , y2 ) := (x1 + x2 , y1 + y2 ),
z1 · z2 ≡ (x1 , y1) · (x2 , y2 ) := (x1 x2 − y1 y2 , x1 y2 + y1 x2 ).
(396)
(397)
Der Multiplikationspunkt “·” wird meistens weggelassen.
Bsp. 1: (1, 2) + (3, 4) = (4, 6),
(1, 2) · (3, 4) = (−5, 10).
Bem. 1: Die genannten Rechenoperationen sind kommutativ,
z1 + z2 = z2 + z1 ,
z1 z2 = z2 z1 ,
(398)
assoziativ,
z1 + (z2 + z3 ) = (z1 + z2 ) + z3 ,
z1 (z2 z3 ) = (z1 z2 )z3 ,
(399)
und es gilt das Distributivgesetz,
z1 (z2 + z3 ) = z1 z2 + z1 z3 .
(400)
Die reellen Zahlen x und y heißen Real- bzw. Imaginärteil der komplexen Zahl z =
(x, y). Wir betrachten zunächst die Zahlen (x, 0) mit verschwindendem Imaginärteil y = 0.
Nach Gln. (396) und (397) gilt
(x1 , 0) + (x2 , 0) = (x1 + x2 , 0),
(x1 , 0) · (x2 , 0) = (x1 x2 , 0).
(401)
Daher kann (x, 0) mit der reellen Zahl x identifiziert werden,
(x, 0) := x ∈ R,
(402)
und die Menge R der reellen Zahlen wird eine Teilmenge der Menge C der komplexen
Zahlen, R ⊂ C. Die sog. imaginäre Einheit (0, 1) wird mit dem Symbol “ i ” bezeichnet,
(0, 1) =: i ∈
/ R.
(403)
Sie ist gewiß keine reelle Zahl, denn es gilt
i 2 ≡ i · i = (0, 1) · (0, 1) = (−1, 0) = −1 ∈ R− .
68
(404)
Wegen (0, y) = (y, 0) · (0, 1) = y i gilt für eine beliebige komplexe Zahl z ∈ C
z ≡ (x, y) = (x, 0) + (0, y) = x + i y
(x, y ∈ R).
(405)
Wegen Gl. (398) kann man dafür auch schreiben x + y i = i y + x = y i + x. Diese
Schreibweise erleichtert vor allem das Rechnen mit komplexen Zahlen. Bei der Addition
addieren sich nach Gl. (396) Real- und Imaginärteil unabhängig voneinander,
Bsp. 2: (1 + 2 i ) + (3 + 4 i ) = (1 + 3) + (2 + 4) i = 4 + 6 i .
Bei der Multiplikation ist lediglich zu beachten, daß i 2 = −1 ist. Dann erhält man das
Produkt z1 z2 direkt durch gewöhnliches Ausmultiplizieren,
z1 z2 = (x1 + i y1 ) · (x2 + i y2) = x1 x2 + x1 i y2 + i y1 x2 − y1 y2
= (x1 x2 − y1 y2 ) + i (x1 y2 + y1 x2 ),
(406)
in Bestätigung von Gl. (397).
Bsp. 3: (1 + 2 i ) · (3 + 4 i ) = (3 − 8) + (4 + 6) i = −5 + 10 i .
Um zwei komplexe Zahlen z1 und z2 zu dividieren, erweitert man den Bruch mit dem
konjugiert Komplexen z2∗ = x2 − i y2 des Nenners z2 = x2 + i y2 ,
z1
x1 + i y1
(x1 + i y1 )(x2 − i y2 )
=
=
z2
x2 + i y2
(x2 + i y2 )(x2 − i y2 )
(407)
(x1 x2 + y1 y2 ) + i (y1 x2 − x1 y2 )
x1 x2 + y1 y2
y1 x2 − x1 y2
z1
=
=
+i
.
2
2
2
2
z2
x2 + y2
x2 + y2
x22 + y22
(408)
Ausmultiplizieren ergibt im Nenner die reelle Zahl x22 + y22,
Bsp. 4: Als Beispiel berechnen wir
1+2i
(1 + 2 i ) · (3 − 4 i )
(3 + 8) + (6 − 4) i
11
2
=
=
=
+
i.
2
2
3+4i
(3 + 4 i ) · (3 − 4 i )
3 +4
25 25
Wie es sein muß, gilt umgekehrt
11
6
33
2 8
44 +i
= 1 + 2i.
+
i · (3 + 4 i ) =
−
+
25 25
25 25
25 25
(409)
(410)
Bem. 2: Das zu z = x + i y inverse Element z −1 ist nach Gl. (408) gegeben durch
z −1 ≡
1
x
y
1
=
= 2
−
i
.
z
x + iy
x + y2
x2 + y 2
(411)
Damit bilden die komplexen Zahlen, zusammen mit den durch Gln. (396) bzw. (397)
gegebenen Operationen (Addition und Multiplikation), einen Körper (C, +, ·), der den
Körper (R, +, ·) der reellen Zahlen als Teilkörper enthält.
69
A.2
Die Zahlenebene
Es drängt sich geradezu auf, die komplexen Zahlen – in Verallgemeinerung der reellen
Zahlengerade – als Punkte in einer xy-Ebene zu interpretieren. Dann bilden die reellen
Zahlen (mit Imaginärteil y = 0) die x-Achse, mit der Null im Ursprung (x = y = 0). Die
Zahlen auf der y-Achse (abgesehen von der Null) mit Realteil x = 0 heißen rein-imaginär,
mit der imaginären Einheit i bei y = 1.
A.2.1
Graphische Deutung der Addition
In dieser Zahlenebene lassen sich die Rechenoperationen (396) und (397) anschaulich
deuten. Die Addition (396) zweier komplexer Zahlen z1 und z2 entspricht offenbar der
vektoriellen Addition ihrer Ortsvektoren in der Zahlenebene.
A.2.2
Polardarstellung der komplexen Zahlen
Zur Deutung der Multiplikation (397) führen wir in der Zahlenebene Polarkoordinaten
(r, φ) ein. Dabei ist φ der Winkel, um den der Ortsvektor von z im Gegenuhrzeigersinn
gegen die positive x-Achse verdreht ist, 0 ≤ φ < 2π. Für x 6= 0 gilt tan φ = y/x, also
y
φ = arctan + C
(x 6= 0).
(412)
x
Die Konstante C hängt vom Quadranten in der Zahlenebene ab, in dem z liegt:
I. Quadrant: C = 0, II. und III. Quadrant: C = π, IV. Quadrant: C = 2π.
Dagegen ist r der Abstand der Zahl z vom Ursprung 0 der Zahlenebene,
p
r = x2 + y 2 .
(413)
Sind umgekehrt r und φ gegeben, so findet man x und y gemäß
x = r cos φ,
y = r sin φ.
(414)
Allgemein gilt also
z = x + i y = r(cos φ + i sin φ).
(415)
Der Winkel φ heißt das Argument und die Zahl r ≥ 0 der Betrag von z. Man schreibt
dafür auch r = |z|. Mit der zu z = x + i y komplex konjugierten Zahl z ∗ = x − i y gilt
|z|2 = x2 + y 2 = (x + i y)(x − i y) = zz ∗ .
(416)
z 2 = (x + i y)(x + i y) = (x2 − y 2 ) + 2 i xy.
(417)
Beachte: Im allg. ist |z|2 6= z 2 , und zwar genau dann, wenn y 6= 0 ist,
70
A.2.3
Exponentialfunktion der rein-imaginären Zahlen
Für eine reelle Zahl φ definieren wir mit der Exponentialreihe aus Kapitel 1
e
iφ
:=
∞
X
( i φ)n
n!
n=0
.
(418)
Zwar ist zunächst völlig unklar, was unter der Exponentialfunktion einer komplexen Zahl
i φ zu verstehen ist, doch auf der rechten Seite ist jeder Term der Reihe wohldefiniert,
wenn wir i 0 := 1 festlegen und beachten, daß aus i 2 = −1 folgt: i 3 = − i , i 4 = 1, etc.,
∞
X
( i φ)n
n=0
n!
=
i
0φ
0
0!
+i
1φ
1
1!
+i
2φ
2
2!
+i
3φ
3
3!
+i
4φ
4
4!
+i
5φ
5
5!
+ ...
φ3 φ4
φ5
φ2
−i
+
+i
− − + +...
= 1 + iφ−
2!
3!
4!
5!
φ3 φ5
φ2 φ4
+
− +... + i φ −
+
− +...
= 1−
2!
4!
3!
5!
= cos φ + i sin φ.
(419)
Es gilt also die bemerkenswerte Beziehung
e i φ = cos φ + i sin φ.
(420)
Die Zahlen e i φ mit 0 ≤ φ < 2π bilden den Einheitskreis in der Zahlenebene,
q
iφ
|e | = cos2 φ + sin2 φ = 1.
(421)
Man kann dieses Ergebnis graphisch illustrieren, indem man, etwa für φ = 1 oder φ = π2 ,
die Zahlen 1, i φ, − 21 φ2 , − 16 φ3 i , etc. vektoriell in der Zahlenebene aufsummiert. Wir
verstehen jetzt auch die enge gegenseitige Verwandtschaft der Taylorreihen (37)–(39) für
ex , cos x und sin x.
Für Gl. (415) schreiben wir ab jetzt einfach
z = x + i y = re i φ .
(422)
Bsp. 5: Man beachte die wichtigen Polardarstellungen
i = ei 2 ,
π
−1 = e i π ,
3
− i = e i 2 π,
Weitere Beispiele sind
√
√
π
7
1 − i = 2 e i 4 π,
1 + i = 2 ei 4 ,
1 = e2π i = e0 .
(423)
e i = cos 1 + i sin 1 ≈ 0, 54 + 0.84 i . (424)
71
A.2.4
Graphische Deutung der Multiplikation
In der Polardarstellung wird das Multiplikationsgesetz (397) bzw. (406) besonders einfach,
z1 z2 = r1 e i φ1 · r2 e i φ2
= r1 r2 (cos φ1 + i sin φ1 )(cos φ2 + i sin φ2 )
h
i
= r1 r2 (cos φ1 cos φ2 − sin φ1 sin φ2 ) + i (sin φ1 cos φ2 + cos φ1 sin φ2 )
h
i
= r1 r2 cos(φ1 + φ2 ) + i sin(φ1 + φ2 ) = r1 r2 e i (φ1 +φ2 ) .
(425)
Im vorletzten Schritt wurden hier die bekannten Additionstheoreme benutzt. Bei der
Multiplikation zweier komplexerer Zahlen multiplizieren sich also ihre Beträge, während
sich ihre Argumente addieren. Insbesondere gilt die wichtige Regel
e i φ1 · e i φ2 = e i (φ1 +φ2 ) .
(426)
Der Schritt von der zweiten zur dritten Zeile in Gl. (425) stellt die einfachst-denkbare
Herleitung der Additionstheoreme von Sinus und Cosinus dar!
A.3
Komplexe Funktionen R → C einer reellen Variable
Mit zwei rellen Funktionen u, v : I → R wird durch
f (t) = u(t) + i v(t)
(427)
eine komplexwertige Funktion f : I → C einer reellen Variable t ∈ I definiert. Dabei eird
jedem Wert t ∈ R eine komplexe Zahl f (t) ∈ C zugeordnet.
Sind u und v stetig, so geht der Abstand |f (t2 ) − f (t1 )| zweier solcher Zahlen in der
Zahlenebene gegen null, wenn ihre reellen Urbilder t1 bzw t2 ineinander übergehen,
lim |f (t2 ) − f (t1 )| = 0.
t2 →t1
(428)
In diesem Sinne ist die Funktion f : R → C, t 7→ f (t) stetig in der Zahlenebene.
Bem. 1a: Interpretiert man t als die Zeit, so beschreibt f (t) den Ortsvektor eines Punktes, der sich durch die komplexe Zahlenebene “bewegt“ (SKIZZE).
Sind u und v differenzierbar, mit den Ableitungen u̇(t) bzw. v̇(t), so definiert man
f (t + ∆t) − f (t)
∆t→0
∆t
u(t + ∆t) + i v(t + ∆t) − u(t) + i v(t)
= lim
∆t→0
∆t u(t + ∆t) − u(t) + i v(t + ∆t) − v(t)
≡ u̇(t) + i v̇(t).
= lim
∆t→0
∆t
f˙(t) :=
lim
72
(429)
Entsprechend wird die k-te Ableitung von f (t) definiert,
f (k) (t) := u(k) (t) + i v (k) (t).
(430)
Bem. 1b: Die Zahl f˙(t), gedeutet als Vektor in der Zahlenebene, zeigt tangential zur
Bahnkurve im Punkt f (t). Der Betrag |f˙(t)| entspricht genau der Geschwindigkeit.
Bsp.: Mit der komplexen Konstanten µ = λ + i ω (λ, ω ∈ R) gilt
f (t) := eµt = eλt e i ωt = eλt cos(ωt) + i sin(ωt) = u(t) + i v(t),
(431)
mit den reellen Funktionen
u(t) = eλt cos(ωt),
v(t) = eλt sin(ωt).
(432)
Die entsprechende Bahnkurve in der Zahlenebene ist eine nach außen (λ > 0) oder nach
innen (λ < 0) gewundene Spirale um den Ursprung. Die Ableitung dieser Funktion ist
f˙(t) = u̇(t) + i v̇(t) = λu(t) − ωv(t) + i λv(t) + ωu(t) .
(433)
Man kann dafür auch schreiben
d µt
e = (λ + i ω) u(t) + i v(t) = µeµt .
dt
(434)
Es gilt also die aus dem Reellen bekannte Ableitungsregel. Allgemein gilt
f (k) (t) ≡
A.4
dk µt
e = µk eµt .
k
dt
(435)
Fundamentalsatz der Algebra
Läßt man für die Variable z nur reelle Werte zu (z ∈ R), so hat das Polynom
f (z) = z 2 + 1
(436)
keine Nullstellen. Im Komplexen finden wir aber wegen i 2 = (− i )2 = −1 zwei einfache
Nullstellen z1 = i und z2 = − i . Tatsächlich gilt
f (z) = (z − i )(z + i ).
(437)
f (z) = z 2 + 1 “zerfällt also über C vollständig in Linearfaktoren”. Allgemein gilt:
Satz 2 (Fundamentalsatz der Algebra): Jedes Polynom zerfällt über C vollständig
in Linearfaktoren. Es gibt also n feste Zahlen (Nullstellen) zℓ (ℓ = 1, ..., n), so daß
an z n + ... + a1 z + a0 = an (z − z1 ) · ... · (z − zn ),
73
(438)
oder, in Kurznotation,
n
X
ak z
k=0
k
n
Y
= an (z − zℓ ).
(439)
ℓ=1
Bem.: Die Koeffizienten ak dürfen beliebige komplexe Zahlen sein, doch der Satz gilt
natürlich insbesondere auch dann, wenn sie reell sind. In obigem Beispiel (436) mit n = 2
sind etwa a2 = 1, a1 = 0 und a0 = 1. Offensichtlich gilt
an−1 = −an
n
X
a0 = (−1)n an
zℓ ,
ℓ=1
n
Y
zℓ .
(440)
ℓ=1
Pn
k
Satz 3: Hat ein reelles Polynom
k=0 ak z , mit ak ∈ R, eine nicht-reelle Nullstelle
iφ
∗
−iφ
z1 = re ∈ C\R, so ist z2 = z1 = re
6= z1 eine zweite (nicht-reelle) Nullstelle.
Beweis:
n
n
n
n
∗ X
X
X
X
k − i kφ
k i kφ ∗
k
ak z2k .
(441)
ak r e
=
ak r e
=
ak z1 =
0=
k=0
k=0
k=0
k=0
Bsp. 1: Für das Poynom f (z) = z 5 − z 4 − 6z 3 + 10z 2 − 16z + 24 gilt
√
√
f (z) = (z 2 + 2)(z + 3)(z − 2)2 = (z − 2 i )(z + 2 i )(z + 3)(z − 2)2 .
(442)
√
Es hat also in C die drei einfachen Nullstellen z1,2 = ± 2 i und z3 = −3, sowie die
zweifache Nullstelle z4 = 2.
Bsp. 2: Das quadratische Polynom
f (z) = az 2 + bz + c
(a, b, c ∈ R),
(443)
mit reellen Koeffizienten a, b und c, hat im Fall b2 −4ac < 0 die beiden einfachen Nullstellen
√
−b ± i 4ac − b2
.
(444)
z1,2 =
2a
So hat etwa f (z) = 5z 2 − 8z + 5 die Nullstellen
√
√
8 ± 64 − 100
8 ± i 100 − 64
z1,2 =
=
= 0.8 ± 6 i .
10
10
(445)
Satz 4: Gegeben sei eine reelle gebrochen-rationale Funktion,
f (x) =
p(x)
,
q(x)
74
(446)
mit zwei reellen Polynomen p(x) und q(x), q(0) 6= 0. Dann ist der Konvergenzradius r
(KR) der reellen Taylor-Entwicklung von f (x) um x = 0,
f (x) =
∞
X
f (n) (0)
n=0
n!
xn
|x| < r ,
(447)
gleich dem kleinsten der Beträge aller (komplexen und reellen) Nenner-Nullstellen,
n
o
r = min |z| q(z) = 0 .
(448)
Bsp. 11: (a) q(z) = 1 + z 2 hat die beiden Nullstellen z1,2 = ± i . Daher hat die
1
Entwicklung von f (x) = 1+x
2 um x = 0 den endlichen KR r = 1, obwohl diese Funktion
für alle reellen Werte von x wohldefiniert und “unverdächtig” ist.
(b) Entwickelt man die Funktion
1
(Df = R)
(449)
− 2x + 2
√
um x = 0, so ergibt sich der KR r = 2.√Der Grund dafür sind die komplexen NennerNullstellen z1,2 = 1 ± i mit |z1 | = |z2 | = 2.
f (x) =
x2
75
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